Amadou Diallo (Polizeiopfer)
Amadou Bailo Diallo (* 2. September 1975 in Sinoe County, Liberia; † 4. Februar 1999 in New York City) war ein in New York lebender Einwanderer aus Guinea, der dort am 4. Februar 1999 von vier Polizisten unter umstrittenen Umständen erschossen wurde.[1] Seine Tötung und die anschließenden Freisprüche der Polizisten erlangten große nationale und internationale Aufmerksamkeit und führte zu umfassenden Protesten gegen Polizeigewalt und Diskriminierung.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Diallo war das älteste von vier Kindern einer wohlhabenden Familie, seine Eltern waren Kadiatou und Amadou Saikou Diallo. Er wuchs in Liberia, Guinea, Togo und Thailand auf und sprach mehrere Sprachen, 1995 ging er nach New York City, um dort zu studieren.[2][3] Diallo arbeitete für einige Zeit in einem Straßenkiosk, um sich das Geld für ein Informatikstudium zusammenzusparen;[4] in seinem letzten Telefonat mit seiner Mutter wenige Tage vor seinem Tod erzählte er ihr, dass er mittlerweile genug Geld angespart habe, um seinen Traum von einem Studium zu verwirklichen.[1]
Ablauf der Tat
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am 4. Februar 1999 kam Diallo kurz vor ein Uhr morgens zu seinem Appartementhaus in der Wheeler Avenue in Soundview im Stadtteil Bronx. Vier weiße Zivilpolizisten der „Street Crime Unit“ (einer auf Straßenkriminalität spezialisierten Einheit), die in einem zivilen Ford Taurus die Nachbarschaft nach einem gesuchten Sexualstraftäter durchkämmten, verwechselten Diallo mit dem gesuchten Straftäter und wollten ihn verhaften. Sie hielten an, stiegen mit gezückten Waffen aus und einer der Polizisten forderte den schwarzen Diallo auf, seine Hände hochzunehmen. Während die Polizisten später angaben, sich als Polizisten zu erkennen gegeben zu haben, bezeugte eine Nachbarin, dass die Polizisten ohne Vorwarnung geschossen hätten.[5] Diallo lief in den unbeleuchteten Eingangsbereich seines Hauses und griff dort in seine Jackentasche, vermutlich um sein Portemonnaie herauszunehmen und sich ausweisen zu können.[5] Einer der Polizisten rief, dass Diallo eine Pistole habe, woraufhin die Polizisten das Feuer eröffneten. Als einer der Polizisten rückwärts die Eingangsstufen hinunter fiel, nahmen die anderen an, dass er von einem Schuss getroffen worden wäre, in der Folge feuerten alle vier Polizisten insgesamt 41 Schüsse auf den unbewaffneten Diallo ab. Der 23-jährige wurde von insgesamt 19 Schüssen in Lunge, Nieren, Milz, Rückenmark, Leber und das Herz getroffen und verstarb innerhalb von Minuten an den Schussverletzungen.[4][6][7]
Kontext: Umstrittene Polizeipraxis der Street Crime Unit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die vier Polizisten waren Teil der Street Crime Unit des New York City Police Department (NYPD), die für ihr hartes Durchgreifen bekannt war. Die aus Zivilfahndern bestehende Einheit patrouillierte Gebiete in der Stadt, die als kriminelle Hochrisikobereiche eingestuft worden waren, zu ihren Hauptaufgaben gehörte unter anderem, illegale Waffen aus dem Verkehr zu ziehen, um die Straßen New Yorks sicherer zu machen. Dabei gingen sie nach der „stop-and-frisk“-Methode vor, bei der sie anlasslos Passanten anhielten und durchsuchten, die in ein gewisses Schema fielen. Die vom damaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani eingeführte Nulltoleranzstrategie umfasste unter anderem den Auftrag seitens der Stadt, möglichen Gewalttaten zuvorzukommen, diese Strategie führte in der Folge zu einem Konkurrenzdruck innerhalb der Polizei.[8][9][10]
Gerichtsverfahren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Strafverfahren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die vier Polizisten wurden am 25. März 1999 wegen schweren Totschlags (murder of 2nd degree), fahrlässiger Gefährdung eines Menschenlebens sowie Verstößen gegen ihre Dienstvorschriften vor einem Schwurgericht in der Bronx angeklagt. Nachdem die Verteidigungen der vier Angeklagten befürchtete, dass in der Bronx die Durchführung eines fairen Verfahrens nicht möglich wäre, beantragten sie erfolgreich die Verlegung des Prozesses an ein Strafgericht in Albany.[11][5]
Durch den Beschluss des Richters wurde die Fernsehübertragung des Strafverfahrens in Albany erlaubt; der Richter hatte dafür das bundesstaatliche Verbot der Fernsehübertragung für verfassungswidrig erklärt, was er mit dem hohen öffentlichen Interesse an dem Fall begründete.[12]
Die Staatsanwaltschaft bezeichnete den Tathergang als "brutale Hinrichtung",[13] die Verteidiger der angeklagten Polizisten beriefen sich auf Notwehr. Die Beamten sagten im Prozess aus, dass sich Diallo verdächtig verhalten hätte und sie daher annahmen, dass er eine Waffe ziehen wollte,[4][6][7] weiters beriefen sich die Polizisten darauf, dass sie zwar Zivilkleidung getragen hätten, aber ihre Dienstmarken deutlich erkennbar gewesen wären und sie Diallo durch lautes Zurufen auf sich aufmerksam gemacht hätten.
Das Gericht folgte den emotional vorgetragenen Aussagen der Polizeibeamten, die erklärten, sie hätten ausschließlich aus Furcht vor einem Angriff gefeuert und die Magazine ihrer Pistolen aus Angst um ihr Leben leergeschossen.[14][15] Nach knapp drei Wochen Verhandlung erklärten die vier schwarzen und acht weißen Geschworenen[15] nach einer 20-stündigen Beratung alle vier Angeklagten in allen Anklagepunkten für nicht schuldig,[16] das Gericht begründete die Freisprüche damit, dass der Tod des 22-jährigen Einwanderers Diallo eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen wäre und die vier weißen Polizisten daher keine persönliche Schuld träfe.[15]
Polizeiinterne Untersuchung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die interne Untersuchung der NYPD kam zu dem Ergebnis, dass die beteiligten Beamten im Rahmen der Vorschriften gehandelt hätten und auf der Grundlage der Informationen, die ihnen zum Tatzeitpunkt zur Verfügung standen nur getan hätten, was ein vernünftiger Polizist unter denselben Umständen getan hätte. Unabhängig davon empfahl die Untersuchungskommission, dass sowohl die polizeiliche Ausbildungspraxis des NYPD überarbeitet als auch die Einführung von Vollmantelgeschossen für die Polizei geprüft werden sollte.
Untersuchung des Justizministeriums der Vereinigten Staaten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das US-Justizministerium lehnte im Jahr 2000 die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Polizisten mit der Begründung ab, dass nicht zweifelsfrei bewiesen werden könne, dass die Polizisten beabsichtigt hätten, Diallos verfassungsmäßiges Recht auf Schutz vor unangemessener Strafverfolgung zu verletzen.[5][17]
Zivilklage
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Eltern von Amadou Diallo verklagten sowohl die Stadt New York als auch die vier Polizisten zivilrechtlich wegen widerrechtlicher Tötung sowie Verletzungen der Bürgerrechte Diallos und forderten Schadenersatz in der Höhe von 61 Millionen Dollar. Das Verfahren endete Anfang 2004 ohne Anerkennung einer Schuld mit einem Vergleich in der Höhe von 3 Millionen Dollar.[18]
Reaktionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Proteste gegen Polizeigewalt und Diskriminierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Erschießung von Diallo belebte die in den Vereinigten Staaten geführten Diskussionen über Polizeigewalt gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Wochenlange Proteste und Aufforderungen zu zivilem Ungehorsam folgten der Tötung Diallos.[6][19] Prominente Unterstützer wie der Reverend Jesse Jackson und das frühere Mitglied des Repräsentantenhauses, Charles Rangel, sorgten für eine breite Öffentlichkeit als sie nach einer Blockade der Zentrale der New Yorker Polizei verhaftet wurden.[17] Federführend organisiert wurden die Proteste von dem Bürgerrechtler und Pfarrer Al Sharpton. Im Zentrum der Kritik stand die diskriminierende Racial Profiling Praxis der Polizei, durch welche Diallo allein wegen seines Aussehens für einen Täter krimineller Aktivitäten gehalten und der Polizeimaßnahme unterworfen wurde. Den Polizeibeamten wurde vorgeworfen, vorschnell und unverhältnismäßig gehandelt zu haben.[1]
Das Strafverfahren wurde ebenfalls von dauerhaften Demonstrationen begleitet.[15] An den Verhandlungstagen riefen die Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude Parolen gegen Diskriminierung und brutale Polizeigewalt, die bis in den Gerichtssaal zu vernehmen waren.[14] In Anlehnung an den Tathergang riefen sie "41 shots" und hielten schwarze Portemonnaies in die Luft.[14]
"Keine Gerechtigkeit, kein Frieden!" riefen Demonstranten nach der Urteilsverkündung vor dem Gericht in Albany und in der Bronx.[15] Am Wochenende nach der Verkündung der Freisprüche versammelten sich in der New Yorker Innenstand 2500 Menschen am Samstag und 2000 Menschen am Sonntag zu Protesten.[11] Sie forderten einen neuen Prozess vor einem Bundesgericht.[16]
Protest durch Kunst
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bruce Springsteen schrieb das Lied „American Skin (41 Shots)“ über den Tod von Diallo.[20] Living Colour, eine afroamerikanische Rockformation, coverte „American Skin“ bei einem Live-Auftritt auf dem Montreux Jazz Festival.[7] Auch Wyclef Jean schrieb ein Lied mit dem Titel „Diallo Diallo“[21] über den Vorfall, genauso wie Lauryn Hill, die später ein Lied unter dem Namen „I Find it Hard To Say (Rebel)“ schrieb.[22] Die Hip-Hop-Künstler J-Live, Mos Def, Wordsworth, A.L. & Tame One verfassten ebenfalls unter dem Projekt Hip Hop for respect einen Song namens A tree never grown zu dem Vorfall. Die Heavy-Metal-Band Trivium schrieb ebenfalls ein Lied mit dem Songtitel „Contempt Breeds Contamination“ über den Vorfall. Im Lied „Things I've seen“ der Band The Spooks wird auch auf Amadou Diallo verwiesen. Des Weiteren erwähnt die US-amerikanische Band Leftöver Crack die 41 Schüsse in ihrem Song „One Dead Cop“. Außerdem gibt es in den Filmen „Nicht Auflegen!“ und „25 Stunden“ und der TV-Serie NYPD Blue Season 6 Folge 20 eine Anspielung auf die 41 Schüsse.
Reform der Arbeit und Struktur des New Yorker Police Department
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2000 stellte die seinerzeitige Generalbundesanwältin des Justizministeriums (Department of Justice) Janet Reno fest, dass nahezu 90 Prozent der von der Eliteeinhalt angehaltenen und durchsuchten Personen entweder afro- oder latein-amerikanische Menschen waren.[8]
Die Eliteeinheit des NYPD wurde 2002 aufgelöst.[8]
2013 erklärte ein US district court die Stop-and-Frisk Praxis wegen Verletzung des vierten Zusatzartikels der US-Verfassung für verfassungswidrig.[23]
Errichtung der Stiftung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Diallos Mutter hat eine nach ihrem Sohn benannte Stiftung gegründet. Stiftungszweck ist die Finanzierung von Stipendien für Studenten afrikanischer Abstammung oder für Studenten, die aus Afrika in die USA eingewandert sind, um ein College zu besuchen. Ein Anteil der späteren Vergleichssumme wurde dem Stiftungsvermögen zugeführt.
Straßenumbenennung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Februar 2003, am vierten Jahrestag seiner Tötung, wurde der Straßenabschnitt, in welchem Diallo in der Bronx lebte, in Amadou Diallo Place umbenannt.[2]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Amadou-Diallo-Stiftung
- CBS News Interview mit Amadou Diallos Mutter Kadiatou Diallo
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Say Their Names. In: Stanford Libraries. Abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ a b His Story. In: The Amadou Diallo Foundation. Abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ Dean Meminger: 20 Years Ago: Amadou Diallo Killed by Police in a Hail of 41 Bullets. In: ny1.com. 4. Februar 2019, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ a b c jk: Übergriffe durch Polizisten in den USA. In: welt.de. 15. Juli 2000, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ a b c d Seven lives – Amadou Diallo. In: Seven last word of the unarmed. University of Michigan, abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ a b c Vier Polizisten müssen sich für Mord an einem unbewaffneten Schwarzen verantworten. In: Tagesspiegel. 3. Februar 2000, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ a b c Remarkable: Living Colour Performing Springsteen’s ‘American Skin (41 Shots). 13. August 2021, abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ a b c Connor Mannion: Amadou Diallo's Killing Resulted In A Big Change To The NYPD — But What Happened To The Cops Who Shot Him? In: oxygen.com. 19. Mai 2020, abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ Sebastian Heinzel: Kratzer am Denkmal Giuliani. spiegel.de, 17. September 2006, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Wolf-Dieter Narr: 41 Polizeischüsse auf Amadou Diallo – Polizeilicher Rassismus in den USA. In: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 65 (1/2000) S. 79–82. Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e. V., 9. Februar 2000, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ a b Peter De Thier: Proteste in New York nach Polizisten-Freispruch. In: Berliner Zeitung. 28. Februar 2000, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Court TV will be permitted to cover Amadou Diallo trial. In: Reporters Committee For Freedom of the Press. 27. Januar 2000, abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ Peter De Thier: Proteste in New York nach Polizisten-Freispruch. In: Berliner Zeitung. 28. Februar 2000, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ a b c Videomaterial der Netflix Dokumentation "Trial by media"
- ↑ a b c d e Aufruhr nach Polizisten-Freispruch. In: spiegel.de. 26. Februar 2000, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ a b RPO Archiv: Beamte feuerten 41 Schüsse auf unbewaffneten Einwanderer. In: Rheinische Post. 27. Februar 2000, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ a b Corin Cesaric: Today Marks 25 Years Since Unarmed Black Man Amadou Diallo Was Killed By 4 NYPD Officers. In: people.com. 4. Februar 2024, abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ Eyewitness News: Officer involved in Amadou Diallo shooting in 1999 to be promoted. In: abc7ny.com. 17. Dezember 2015, abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ rte: New Yorker Polizei erschiesst Unbewaffneten. In: NZZ - Neue Zürcher Zeitung. 15. November 2007, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Fabian Peltsch: Reaktion auf Skandalurteil: Bruce Springsteen spielt Song für Trayvon Martin. In: RollingStone. 18. Juli 2013, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Diallo Diallo: The man whose tragic story Wyclef immortalised in the worldwide hit song. In: Face2faceafrica. 21. Oktober 2019, abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ April Clare Welsh: News I By April Clare WelshLauryn Hill shares new version of anti-police brutality song ‘I Find It Hard To Say (Rebel)’. In: FACT. Abgerufen am 8. November 2024 (englisch).
- ↑ Jasmine Garsd: New Yorkers want gun violence to end. A controversial police unit returns to help. In: npr.org. 22. Januar 2022, abgerufen am 9. November 2024 (englisch).
Personendaten | |
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NAME | Diallo, Amadou |
KURZBESCHREIBUNG | guineischer Immigrant |
GEBURTSDATUM | 2. September 1975 |
GEBURTSORT | Guinea |
STERBEDATUM | 4. Februar 1999 |
STERBEORT | New York City |