Angelo Soliman

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Angelo Soliman, um 1750

Angelo Soliman, ursprünglich Mmadi Make[1], (* um 1721, vermutlich im heutigen Nordostnigeria; † 21. November 1796[2] in Wien) war ein afroösterreichischer Sklave, Kammerdiener und Prinzenerzieher von Erbprinz Alois I. von Liechtenstein. Er erlangte im Wien des 18. Jahrhunderts zu Lebzeiten Berühmtheit.

Angelo Soliman stammte vermutlich aus dem Volk der Kanuri im Nordosten des heutigen Nigeria, nach eigener Darstellung gehörte er der Häuptlingslinie des Stammes der Magumi Kanuri an.[3] Nach der Vernichtung seines Stammes durch kriegerische Auseinandersetzungen fiel er als Kind in die Hände der Sieger, die ihn gegen ein Pferd an Europäer eintauschten. In einer Kolonie in Afrika hütete er Kamele. Hier gab man ihm den Namen André. Mit etwa zehn Jahren wurde er mit dem Schiff nach Messina gebracht, wo er für eine Marquise als Geschenk gekauft worden war. Sie sorgte für seine Erziehung. Aus Zuneigung zu einer Dienerin namens Angelina nahm er den Namen Angelo an. Den Nachnamen Soliman fügte man hinzu. An einem 11. September wurde er getauft. Diesen Tag feierte er später als seinen Geburtstag. Soliman sprach fließend Deutsch, Englisch, Latein, Tschechisch, Französisch und Italienisch. Zudem verfügte er über mathematisches Talent und war ein exzellenter Schachspieler.[1] Nach mehrfacher Anfrage wurde er um 1734 dem Fürsten Johann Georg Christian von Lobkowitz geschenkt, der ihn als Kammerdiener, Soldat und Reisebegleiter einsetzte. In einer Schlacht rettete Soliman ihm das Leben, was seine spätere soziale Stellung verständlich macht. Nach Lobkowitz’ Tod kam Soliman 1753 zu Fürst Wenzel von Liechtenstein und stieg dort zum Chef der Dienerschaft auf. Kaiser Josef II. schätzte Soliman als Gesellschafter, Franz Moritz Graf von Lacy war mit ihm befreundet.[4]

Ohne Wissen des Fürsten heiratete Soliman am 6. Februar 1768[5] Magdalena (* ≈ 1734, † 18. September 1786[6]), geborene von Kellermann, verwitwete Christiani im Stephansdom. Liechtenstein hatte Eheschließungen seiner Dienerschaft verboten, um spätere Versorgungslasten seines Hofes für die Hinterbliebenen zu vermeiden. Durch eine Indiskretion Josefs II. erfuhr er von der Heirat und entließ Soliman sofort.

Am 18. Dezember 1772 wurde Solimans Tochter Josephine († 1801 in Krakau) geboren. Sie heiratete 1797 den damaligen Militäringenieur Ernst Freiherr von Feuchtersleben.[3] Ihr 1798 geborener Sohn Eduard von Feuchtersleben studierte später Bergbauwissenschaft und wurde Sudhüttenmeister in Bad Aussee. Er schrieb in jüngeren Jahren Reiseberichte im romantischen Geist.

Im Jahr 1773 stellte der neue Fürst, Franz Josef von Liechtenstein, Soliman erneut als Prinzenerzieher von Alois I. ein. Damit sollte die Entlassung Solimans durch seinen Vorgänger und Onkel wiedergutgemacht werden.

1781 wurde Soliman in die Freimaurerloge Zur wahren Eintracht in Wien aufgenommen.[7] Soliman war mit dem Mineralogen, Schriftsteller und Freimaurer Ignaz von Born befreundet, der auf Solimans Empfehlung sich derselben Loge anschloss. Als von Born kurz darauf Meister vom Stuhl wurde, übernahm Soliman zunächst das Amt des Vorbereitenden Bruders, später das des Vize-Zeremonienmeisters. Aus diesem Kreis pflegte Soliman seit 1786 eine Freundschaft mit dem ungarischen Nationaldichter Ferenc Kazinczy (1759–1831).

Nachdem 1790 das Palais Liechtenstein in der Herrengasse umgebaut wurde,[8] übersiedelte Soliman in seine letzte Wohnung auf der Freyung Nr. 165.[2] Seine Frau Magdalena war 1786 gestorben und er erzog seine Tochter allein.[8]

Umgang mit Solimans Leiche

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Nach seinem Tod durch einen Schlaganfall im Jahr 1796 fertigte der Bildhauer Franz Thaler eine Totenmaske von Solimans Kopf. Seine inneren Organe wurden bestattet, seine Haut wurde präpariert und bis 1806 im Kaiserlichen Naturalienkabinett als halbnackter Wilder mit Federn und Muschelkette ausgestellt. Ob Soliman zur „publikumswirksamen Überlassung seiner Haut“ durch Freunde veranlasst wurde und ob sein Wunsch, „dass man sich später an ihn erinnern würde“, eine Rolle für seine angebliche Entscheidung spielte, seine Haut zu spenden und zur Präparierung zu überlassen,[9] ist stark umstritten (pro: Monika Firla, Victoria E. Moritz; contra: Walter Sauer, Erich Sommerauer, Iris Wigger, Katrin Klein).[10][11][12] Seine Tochter Josephine von Feuchtersleben protestierte gegen die Ausstellung ihres toten Vaters als Kuriosität und bemühte sich vergeblich um die Rückgabe und christliche Bestattung der Leichenteile. Dieser Widerstand machte sie im 21. Jahrhundert zu einer Identifikationsfigur im Kampf gegen Rassismus.[13][14]

Die Präsentation des präparierten Körpers wird unterschiedlich dargestellt: Einerseits wird behauptet, die präparierten Körperteile Solimans hätten, mit Lendenschurz, Federkrone und Muschelketten bekleidet, zusammen mit drei anderen ausgestopften Afrikanern vor einer Afrikakulisse gestanden, umgeben von exotischen Tierpräparaten.[15] Andererseits wird behauptet, Solimans präparierter und als Wilder dargestellter Körper sei zwar in einem Glasschrank hinter einem Vorhang verwahrt, aber nicht ausgestellt worden, obwohl es die Ausstellung auch mit einem präparierten Afrikaner gegeben habe.[10]

Der Historiker Philipp Blom vermutet, die Präparierung sei direkt auf Betreiben des Kaisers Franz II. (HRR) geschehen, da Soliman das ihm verhasste aufklärerische Wien verkörpert habe:

„Die Ausstopfung hatte wohl schon eine Watschen-Wirkung gegenüber den aufgeklärten Kreisen, die ihn zu Lebzeiten mit offenen Armen empfingen. Dieser Akt, einen Menschen wieder zum Objekt zu machen, und zwar diesmal zu einem dezidiert rassistischen, kolonialistischen Akt, scheint schon verkörpert symbolisch zu sein. Das ist mehr als nur wissenschaftliche Neugier, und das macht diesen Akt auch so monströs. Das ist ja auch posthume Beleidigung.“[16]

Über den Verbleib des Körpers, des Skeletts und Schädels nach der Präparierung der Haut ist nichts bekannt.[10]

Während des Wiener Oktoberaufstandes 1848 verbrannte Solimans mumifizierte Körperhülle. Solimans Gipsbüste steht heute im Rollettmuseum in Baden bei Wien in der dortigen Dauerausstellung.

Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk fügt drei fiktive Briefe in ihr Werk Unrast (polnisch Bieguni, 2007) ein, in denen sie die Tochter Josephine von Feuchtersleben Kaiser Franz II. vergeblich um ein Begräbnis für die sterblichen Überreste ihres Vaters bitten lässt.

Im Jahr 2013 wurde in Wien-Landstraße (3. Bezirk) eine teilüberdachte Fuß-/Radpassage zum Donaukanal am nördlichen Ende der Löwengasse, der Angelo-Soliman-Weg, nach ihm benannt, nachdem der Antrag auf Umbenennung der Löwengasse abgelehnt worden war.

Angelo-Soliman-Weg in Wien

Soliman war 2006 auch Motiv einer personalisierten (d. h. das Motiv wurde privat von Freimaurern bezahlt) österreichischen 55-Cent-Briefmarke.[17] Als Vorbild diente ein um 1750 angefertigter Kupferstich. Mit einem löwengekrönten Zepter in der Hand schaut er den Betrachter stolz an. „Das ist eine etwas fragwürdige, wenn nicht gar selbstironische Integration ins austriakische Erbe“, kommentierte der Kulturjournalist Paul Jandl.[18]

  • Philipp Blom, Wolfgang Kos (Hrsg.): Angelo Soliman. Ein Afrikaner in Wien. Brandstätter, Wien 2011, ISBN 978-3-85033-594-2.
  • Monika Firla: Angelo Soliman in der Wiener Gesellschaft vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, in Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945. Herausgegeben von Gerhard Höpp. Das Arabische Buch, Berlin 1996, ISBN 3-86093-111-3, S. 69–96
  • Monika Firla: Verkörpert uns Soliman? Oder: Hat er seine Haut selbst gespendet? Eine Provokation zu „Station*Corpus“. Wien 2001
  • Monika Firla: „Segen, Segen, Segen auf Dich, guter Mann!“ Angelo Soliman und seine Freunde Graf Franz Moritz von Lacy, Ignaz von Born, Johann Anton Mertens und Ferenc Kazinczy. 2. Auflage, Tanz-Hotel / Art-Act Kunstverein, Wien 2003 DNB 977749924.
  • Monika Firla: Angelo Soliman. Ein Wiener Afrikaner im 18. Jahrhundert (Katalog zur Ausstellung 11. März bis 2. August 2004). Rollettmuseum, Baden NÖ 2004, ISBN 3-901951-48-2.[19]
  • Monika Firla: Angelo Solimans Exponat, Joseph Carl Rosenbaum als sein unbekannter Betrachter und die Frage nach der Öffentlichkeit. Stuttgart 2012
  • Walter Sauer: Angelo Soliman. Mythos und Wirklichkeit. In: ders. (Hrsg.): Von Soliman zu Omafumo. Afrikanische Diaspora in Österreich – 17. bis 20. Jahrhundert. StudienVerlag, Innsbruck 2007, S. 59–96, ISBN 978-3-7065-4057-5.
  • Iris Wigger, Katrin Klein: ‚Bruder Mohr‘. Angelo Soliman und der Rassismus der Aufklärung. In: Wulf D. Hund (Hrsg.): Entfremdete Körper. Rassismus als Leichenschändung. Transcript, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-8376-1151-9, S. 81–115.
  • Michael Yonan, The African Geographies of Angelo Soliman. In Stacey Sloboda, Michael Yonan (Hrsg.): Eighteenth-Century Art Worlds: Global and Local Geographies of Art (Bloomsbury Visual Arts, New York 2019), S. 209–225, ISBN 978-1-5013-3549-5.
  • Belinda Kazeem-Kamiński: In Remembrance to the Man Who Became Known as Angelo Soliman, (Ante Mortem) I & (Post Mortem) II, 2015 (zweiteilige Fotoarbeit).

Einzelnachweise

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  1. a b Geschichte der Afrikanistik in Österreich. 6. Juli 2011, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. Juli 2011; abgerufen am 17. März 2023.
  2. a b Sterbebuch - 03-15 | 01., Unsere Liebe Frau zu den Schotten | Wien/Niederösterreich (Osten): Rk. Erzdiözese Wien | Österreich | Matricula Online. Abgerufen am 25. Juni 2024.
  3. a b Hans Bankl, Kolumbus brachte nicht nur die Tomaten: Geschichten hinter der Geschichte (2004), ISBN 3-442-15292-5 (Digitalisat)
  4. bpb.de.
  5. Trauungsbuch - 02-064 | 01., St. Stephan (Stephansdom) | Wien/Niederösterreich (Osten): Rk. Erzdiözese Wien | Österreich | Matricula Online. Abgerufen am 26. Juni 2024.
  6. Sterbebuch - 03-10 | 01., St. Michael | Wien/Niederösterreich (Osten): Rk. Erzdiözese Wien | Österreich | Matricula Online. Abgerufen am 25. Juni 2024.
  7. Exotische Lakaien für Europas Adelspaläste. SPIEGEL Online, Auszug aus: Michaela Vieser: Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreissern, C. Bertelsmann Verlag, ISBN 978-3-570-10058-5, abgerufen am 17. Juni 2013.
  8. a b Angelo Soliman – EnnstalWiki. Abgerufen am 25. Juni 2024.
  9. Monika Firla: Angelo Soliman und seine Freunde im Adel und in der geistigen Elite – bpb. In: bpb.de. 30. Juli 2004, abgerufen am 9. Februar 2016.
  10. a b c Wulf D. Hund: Entfremdete Körper. transcript Verlag, 2009, ISBN 978-3-8376-1151-9, S. 81 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  11. Erich Sommerauer: Angelo Soliman (Archivlink (Memento vom 6. Juli 2011 im Internet Archive))
  12. Hannes Leidinger, Verena Moritz, Bernd Schipper: Schwarzbuch der Habsburger. Eine unrühmliche Geschichte eines Herrscherhauses. Franz Deuticke, Wien / Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-216-30603-8, S. 189
  13. vanessa.spanbauer: Schwarzer Widerstand: Der Kampf um die pure Existenz. 31. Mai 2022, abgerufen am 18. März 2023.
  14. Die verborgene Geschichte unserer Stadt. Abgerufen am 18. März 2023 (österreichisches Deutsch).
  15. Angelo Soliman. In: habsburger.net. Abgerufen am 9. Februar 2016.
  16. "Es gibt viele Angelo Solimans". In: derStandard.at. 30. September 2011, abgerufen am 9. Dezember 2017.
  17. http://freimaurer-wiki.de/images/thumb/7/77/Angelo_Soliman.jpg/250px-Angelo_Soliman.jpg
  18. Paul Jandl: Barock: Wie ein Sklave aus Afrika in Wien Karriere machte. In: welt.de. 19. Dezember 2011, abgerufen am 7. Oktober 2018.
  19. zahlr. Literaturangaben
  20. Katharsis | Burgtheater. Abgerufen am 17. März 2023 (englisch).
  21. Uraufführung: "Katharsis" nach Geschichten aus Olga Tokarczuks 'Unrast' im Burgtheater Wien. Abgerufen am 17. März 2023 (deutsch).
  22. Petra Paterno: Bühnenforscher - Solimans Schicksal. Abgerufen am 17. März 2023.