Anna Jaclard

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Anna Jaclard

Anna Jaclard, geborene Anna Wassiljewna Korwin-Krukowskaja (russisch Анна Васильевна Корвин-Круковская, wiss. Transliteration Anna Vasil'evna Korwin-Krukowskaja; * 6. Oktoberjul. / 18. Oktober 1843greg. in Moskau; † 2. Septemberjul. / 14. September 1887greg. in Paris), war eine russische Sozialistin und feministische Revolutionärin. Sie nahm an der Pariser Kommune und der Ersten Internationale teil und war eine Freundin von Karl Marx. Sie wurde einst von Fjodor Dostojewski umworben, der zwei ihrer Novellen in seiner Zeitschrift „Epocha“ veröffentlichte[1]. Ihre Schwester war die Mathematikerin und Schriftstellerin Sofja Kowalewskaja.

Anna Wassiljewna Korwin-Krukowskaja stammte aus einer angesehenen, wohlhabenden Militärfamilie mit aristokratischem Status. Ihr Vater war General Wassili Korwin-Krukowski. Anna und ihre Schwester, die zukünftige Mathematikerin Sofja Kowalewskaja,[2] erhielten eine ausgezeichnete Ausbildung. Als junge Frauen lasen sie die damals populäre materialistische Literatur — Bücher von Ludwig Büchner, Carl Vogt, die Schriften nihilistischer Sozialkritiker wie Nikolai Tschernyschewski und Pjotr Lawrow. Beide Frauen kamen mit radikalen Narodniki-Kreisen in Verbindung.

In den 1860er Jahren wurde Korwin-Krukowskaja von dem berühmten Schriftsteller Fjodor Dostojewski umworben. Sie lernte ihn 1864 kennen, nachdem sie ohne Wissen ihrer Familie zwei Erzählungen in seiner Literaturzeitschrift Epocha veröffentlicht hatte. Dostojewski respektierte ihr Talent und ermutigte sie zum Schreiben. Die beiden hatten jedoch unterschiedliche politische Gesinnungen. Obwohl Dostojewski in seiner Jugend mit utopischen sozialistischen Ideen sympathisiert hatte und wegen seiner Mitwirkung im Petraschewski-Kreis sogar nach Sibirien verbannt worden war, wurde er in den 1860er Jahren zunehmend religiös und konservativ. Im April 1865 lehnte Korwin-Krukowskaja seinen Heiratsantrag ab,[3] aber sie blieben für den Rest ihres Lebens freundschaftlich verbunden. Es wird vermutet, dass Aglaja Epantschin, eine der Hauptfiguren in Der Idiot von Dostojewski, auf Anna stützte.[1][4]

1866 ging Anna Korwin-Krukovskaja mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Sofja nach Genf in die Schweiz. In Genf studierte sie Medizin und trat in den Kreis exilierter Radikaler aus verschiedenen europäischen Ländern ein. Hier lernte Anna Korwin-Krukowskaja Victor Jaclard kennen, einen Medizinstudenten, der wegen seiner Teilnahme an revolutionären blanquistischen Verschwörungen aus Frankreich ausgewiesen worden war. 1867 heirateten sie. Beide schlossen sich der revolutionären anarchistischen Strömung von Michail Bakunin an. Das hinderte sie aber nicht daran, mit Karl Marx, dem prinzipiellen Gegner Bakunins, freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. Anna und Victor Jaclard traten der von Marx organisierten I. Internationalen bei. Anna Jaclard arbeitete in der russischen Sektion, ihr Ehemann in der französischen. Jaclard nahm auch an einem Komitee für Frauenrechte teil. Sie war überzeugt, dass der Kampf für Frauenrechte nur in Verbindung mit dem Kampf gegen den Kapitalismus im Allgemeinen erfolgreich sein könne.

Pariser Kommune

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Sturz Napoléons III. im Jahr 1870 hatte Jaclards die Rückkehr nach Frankreich ermöglicht. Zusammen mit ihrem Ehemann beteiligte Jaclard sich aktiv an der Pariser Kommune von 1871. Sie war Mitglied des Wachkomitees von Montmartre (Comité de vigilance de Montmartre) und des Komitees, das die Bildung des Mädchens beaufsichtigte[5]. Jaclard nahm aktiv an der Organisation der Lebensmittelversorgung in belagerten Paris teil und war als Sanitäterin tätig[5]. Sie war Mitbegründerin und Autorin der Zeitschrift La Sociale und arbeitete eng mit anderen führenden feministischen Revolutionärinnen der Kommune zusammen, darunter Louise Michel, Nathalie Lemel, der Schriftstellerin André Léo, Paule Minck und ihrer russischen Landsfrau Elisabeth Dmitrieff[6]. Jaclard war bei der Frauenunion aktiv, die sich für die gleiche Bezahlung von Frauen, die Gewährung von Stimmrechten für Frauen, den Kampf gegen häusliche Gewalt und die Schließung der Bordelle in Paris einsetzte.

Nach der Niederlage der Pariser Kommune wurden Jaclards verhaftet. Victor wurde zum Tode und Anna zu lebenslanger Zwangsarbeit in Neukaledonien verurteilt. Im Oktober 1871 gelang es ihnen jedoch, mit Hilfe von Annas Vater und Bruder, aus dem Gefängnis zu fliehen. Über die Schweiz reisten Jaclards nach London, wo sie zuerst bei Karl Marx lebten, der zu dieser Zeit bereits Russisch konnte und sich lebhaft für die revolutionäre Bewegung in Russland interessierte. Jaclard begann mit der Übersetzung des ersten Bandes „Das Kapital“ von Marx, die sie jedoch nicht abschloss[1][7]. Marx half auch bei der Organisation von Jaclards Reise nach Heidelberg für das Studium.

Photograph of a woman
Jaclard c. 1880

1874 kehrten Anna und ihr Mann in ihre Heimat Russland zurück. Victor fand eine Stelle als Französischlehrer und Anna arbeitete hauptsächlich als Journalistin und Übersetzerin. Sie hat zu oppositionellen russischen Zeitungen wie „Delo“ und „Slovo“ beigetragen. Jaclard nahm auch freundschaftliche Beziehungen zu Dostojewski wieder auf. Weder Dostojewskis frühere Bemühungen, um Anna zu heiraten, noch die starken politischen Differenzen mit den Jaclards verhinderten einen herzlichen und regelmäßigen Kontakt zwischen ihnen. Gelegentlich half Jaclard ihm bei Übersetzungen ins Französische, das sie fließend beherrschte. Jaclard nahm ihre Kontakte zu revolutionären Kreisen wieder auf. Sie war in den 1870er Jahren mit mehreren Mitgliedern der Narodniki-Bewegung und mit den Revolutionären bekannt, die 1879 die Gruppe Narodnaja Wolja (deutsch: Volkswille) gründeten. 1881 ermordete diese Gruppe den Zaren Alexander II. Die Jaclards hatten Russland jedoch zu diesem Zeitpunkt verlassen und waren von den folgenden Repressionen nicht betroffen. 1880 ermöglichte eine Generalamnestie Anna und Victor Jaclard die Rückkehr nach Frankreich. Dort nahmen sie ihre journalistische Arbeit wieder auf. Jaclards besuchten regelmäßig Russland auf Geschäftsreisen. Im März 1887 erhielt Annas Ehemann Victor Jaclard als radikaler Journalist nach dem Attentat auf Zaren Alexander III. die Anweisung der russischen Regierung, das Land innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Anna war damals schwer krank, und es war schwierig, sich in so kurzer Zeit auf den Weg zu begeben. Nach der Fürsprache von Anna Dostojewskaja wurde die Frist verlängert. Anna und ihr Mann fuhren Ende Mai 1887 nach Paris, wo sie nach einer schweren Operation starb.[4]

Anna Jaclard wurde in Neuilly-sur-Seine begraben[8].

In der Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anna Jaclard gehören mehrere Erzählungen, unter dem Pseudonym O. Ju-w und A. Korwin: „Traum“, „Michael“ (Epocha, 1864)[4], „Notizen des Spirits“, „Die Sanitäterin“ (Sewerny Westnik, 1886-1887). Zusammen mit ihrem Mann veröffentlichte sie (unter dem Namen V. Jaclard-Corvin) eine verbreitete und gekonnte „Französische Chrestomie für die mittleren und höheren Klassen“ (Chrestomathie française pour les classes moyennes et les classes supérieures, St. Petersburg, 1877—1878).

Über ihre mädchenhafte Bekanntschaft mit Dostojewski und im Allgemeinen über die frühe Zeit ihres Lebens gibt es in den „Kindheitserinnerungen“ ihrer berühmten Schwester, Sofja Kowalewskaja, viel Interessantes (Westnik Jewropy, 1890).

Rue Anna Jaclard, Paris.

Im 2021 erhält eine Straße im 12. Arrondissement von Paris in Frankreich den Namen „rue Anna-Jaclard“[9][10].

Familie (prominente Vertreter)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
 
 
 
 
Friedr. von Schubert
 
Luise von Cronhelm
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Friedr. Schubert
 
Sophie Rall
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wassili Korwin-Krukowski
 
Elisabeth Schubert
 
Alexandrine Schubert
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Fjodor Krukowski
 
Victor Jaclard
 
Anna Jaclard (geb. Anna Korwin-Krukowskaja)
 
Wladimir Kowalewski
 
Sofja Kowalewskaja
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
George Jaclard
 
 
 
 
 
Sofja (Fufa) Kowalewski
 
 
  • Frank, J., Dostoevsky: The Mantle of the Prophet, 1871-1881. Princeton, 2002, p. 321 ff.
  • Dittmar G., Histoire des femmes dans la Commune de Paris. Dittmar, 2003
  • Lantz K.A., Korvin-Krukovskaia, Anna Vasilevna (1843–1887). In: The Dostoevsky Encyclopedia. Westport, 2004, pp. 219–221.
  • Maitron J., Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier, Ed. Ouvrière, 1969
  • Nigueux M., Sophie Kovalevskaïa. Nihilisme, féminisme, Mathématiques, Phébus 2004
  • Thomas E., Les Pétroleuses, Gallimard 1963

  • Г. В. Жаклар, Анна Васильевна // Русский биографический словарь : в 25 томах. — СПб.—М., 1896—1918 (russisch).
  • Гитович И. Е. Корвин-Круковская Анна Васильевна // Русские писатели, 1800—1917: Биографический словарь / гл. ред. П. А. Николаев. — М. : Большая российская энциклопедия, 1994. — Т. 3 : К—М. — С. 66—67. — 592 с. — (Сер. биогр. словарей: Русские писатели. 11—20 вв.). — 40 000 экз. — ISBN 5-85270-011-8. — ISBN 5-85270-112-2 (т. 3) (russisch).
  • Жаклар, Анна Васильевна // Энциклопедический словарь Брокгауза и Ефрона : в 86 т. (82 т. и 4 доп.). — СПб., 1890—1907 (russisch).
  • Книжник-Ветров И. С. Русские деятельницы Первого Интернационала и Парижской Коммуны. М.—Л., 1964 (russisch).
  • Ковалевская С. В. Воспоминания. Повести. Hrsg.: АН СССР (К 125-летию со дня рождения). Наука, М. 1974, 559 c. (russisch).
  • Щеголихин И. П. Дело, друзья, отзовётся. Повесть об Анне Корвин-Круковской (Серия „Пламенные революционеры“), 1987 (russisch).
  • Яновская Ж.И. Сестры: [Повесть о С.В. Ковалевской и А.В. Жаклар]. Ленинград: Детгиз. [Ленингр. отд-ние], 1962. 215 с. (russisch).

Einzelnachweise und Fußnoten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c K. A. Lantz: The Dostoevsky Encyclopedia. Greenwood Publishing Group, 2004, ISBN 978-0-313-30384-5, S. 220 (englisch, google.com).
  2. Polubarinova-Kochina P., „Love and Mathematics: Sofya Kovalevskaya“, Mir Publishers, 1985
  3. Louis Allain: Dostoïevski et l'Autre. Presses Univ. Septentrion, 1984, ISBN 978-2-85939-253-6 (französisch, google.com).
  4. a b c Корвин-Круковская Анна Васильевна. // Фёдор Михайлович Достоевский. Антология жизни и творчества, archiviert vom Original am 31. Dezember 2016; abgerufen am 10. Januar 2017 (russisch).
  5. a b Edith Thomas: Les pétroleuses. Gallimard, 1980, S. 156 (französisch, google.com).
  6. Les Femmes dans la Commune de Paris. In: www.commune1871.org. Abgerufen am 2. November 2020.
  7. ANNA JACLARD (1844- 1887) L'aristocrate russe pétroleuse (16). In: L'Humanité. 27. Juli 2011, abgerufen am 2. November 2020 (französisch).
  8. JACLARD Anna [Korvin-Krukovskaja Anna Vassilievna] - Maitron. In: maitron.fr. 26. Juli 2009, abgerufen am 26. Oktober 2020 (französisch).
  9. Inaugurations - Passerelle André Léo et rue Anna Jaclard. In: paris.fr. 31. März 2021; (französisch).
  10. Romain Lescurieux: 150 ans de la Commune de Paris : Comment la mairie va-t-elle souffler sur les bougies de l’insurrection ? In: 20minutes.fr. 28. Februar 2021; (französisch).