Armin Graebert

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Armin Graebert (* 31. Dezember 1898 in Berlin-Wilmersdorf; † 5. Februar 1947 im sowjetischen Speziallager Jamlitz) war ein deutscher Kommunalpolitiker. Er war von 1939 bis 1945 Oberbürgermeister der Stadt Wurzen. Am 24. April 1945 veranlasste er entgegen den nationalsozialistischen Befehlen die Kapitulation der Stadt und bewahrte so Wurzen vor der Zerstörung.

Armin Graeberts Vater war Gymnasiallehrer. Er studierte in Halle (Saale), Berlin und Breslau, wo er 1926 zum Doktor der Rechts- und Staatswissenschaften promoviert wurde. Während seines Studiums wurde er 1919 Mitglied der Burschenschaft Neogermania Berlin.[1]

Kommunalbeamter und Bodenreformer

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Vom Mieterverband, einer sozialen Bürgervereinigung, in Anklam als Parteiloser nominiert, wurde er dort am 19. April 1928 zum 2. Bürgermeister,[2] ab 1. Januar 1934 Erster Beigeordneter.

Zum 1. Mai 1933 trat Graebert der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 3.540.360).[3][4] In den Jahren der NS-Diktatur war Graebert zeitweise mit folgenden Aufgaben betraut:[5][6]

  • Lektor im Hauptamt Schrifttumspflege bei der Reichsleitung NSDAP
  • Lektor der Hauptstelle Wohnungs- und Siedlungswesen im Gauamt für Kommunalpolitik bei der Gauleitung Sachsen der NSDAP
  • Mitarbeiter im Gauheimstättenamt der DAF bei Gauwaltung Sachsen
  • Mitglied des Aufsichtsrates des Beamtenheimstättenwerkes des Reichsbundes der Deutschen Beamten
  • Mitglied des Bundesbeirates des Deutschen Siedlerbundes
  • Mitglied des Gaugruppenbeirates der Gaugruppe Sachsen des Deutschen Siedlerbundes
  • Mitglied des Fachausschusses für Wohnungswesen, Landesplanung und städtische Siedlung des Deutschen Gemeindetages

Als Schwiegersohn des berühmten Bodenreformers Adolf Damaschke engagierte sich Graebert für dieselben Anliegen. In seinem Buch Bodenreform im Nationalsozialismus beschreibt Grabert die Bodenreform und die Ansiedlung von Bauern im Osten als eine nationalpolitische Maßnahme zur Bannung von Landflucht und um „die Erbmasse unseres Volkes gesund zu erhalten“[7]

Von 1935 bis 1937 war er in Glogau Zweiter Bürgermeister, 1937 wechselte er nach Weimar als Stadtkämmerer.

Oberbürgermeister von Wurzen

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Ab 7. Juli 1939 war Graebert offiziell als Oberbürgermeister von Wurzen im Amt. Die direkten und indirekten Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs bestimmten das Geschehen in Wurzen vollständig – und damit auch Graeberts Handlungsspielraum. Fuhr am 6. Juni 1939 noch ein Zeppelin-Luftschiff über der Stadt, war bereits am 30. Juni 1940 ein Drittel der Ratsherren und der Mitarbeiter der Stadtverwaltung zur Wehrmacht eingezogen worden. 1939 musste Wurzen monatlich einen Kriegsbeitrag von 30.295 Reichsmark sowie weitere Kriegsdienstumlagen aufbringen.

Graebert blieb als Oberbürgermeister während der Kriegsjahre unentbehrlich für die Kommunalpolitik: Er wurde am 11. November 1943 vom Reichsverteidigungskommissar als Fachkraft in einer Führungs- und Schlüsselstellung anerkannt und daher nicht einberufen. 1944 und 1945 spitzte sich die Lage für die offiziell registrierten 21.684 Bürger Wurzens (Stand: 31. Juli 1944) und zahlreiche Flüchtlinge mit Fliegeralarmen mehr und mehr zu.

Am 16. April 1945 sprengten NS-Einheiten im Zusammenhang mit der Taktik der Verbrannten Erde die Mulde-Brücken vor Wurzen. Graebert führte daraufhin insgeheim Gespräche mit den SPD- und KPD-Mitgliedern Otto Schunke (SPD), Kurt Krause und Richard Beutel (beide KPD) sowie mit dem evangelischen Pfarrer Carl Magirius und dem katholischen Pfarrer Franz Wörner zur Rettung der Stadt.[2] Zwischen 18. und 19. April ließ er der US-Armee das Kapitulations-Angebot übermitteln und entließ am 19. April 1945 den Volkssturm.

Entgegen der ausdrücklichen Befehlslage der NS-Führung kam es am Morgen des 24. April 1945 in Bennewitz zur kampflosen Übergabe Wurzens, initiiert durch Graebert, an Major Victor Conley vom 273. US-Infanterieregiment[8] – Graebert führte die Gruppe, die mit dem Ziel der Kapitulation die Mulde überquerte: Er kletterte mit einem Militärarzt und einem Dolmetscher über die zerbombte Eisenbahnbrücke in Richtung Bennewitz, um US-Major Conley zu treffen. Der Oberbürgermeister hatte zuvor angewiesen, am weithin sichtbaren Turm der Wenceslaikirche die weiße Flagge zu hissen.[2] Diese Kapitulation bedeutete die Rettung der Stadt und ihrer Bürger sowie Tausender Verwundeter, Flüchtlinge, Heimatvertriebener und Zwangsarbeiter, die damals in der Stadt waren – Wurzen wurde vor unsinnigem Kampf und der Zerstörung der Stadt bewahrt.[9]

Graebert behielt sein Amt als Oberbürgermeister, auch nachdem Wurzen am 5. Mai 1945 von den US-Truppen an Verbände der Roten Armee übergeben worden war – im rechtlichen Sinn wurde er erst am 30. September 1945 aus dem Dienst entlassen.

NKWD-Haft und Tod

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Der sowjetische Geheimdienst NKWD verhaftete Graebert am 18. Mai 1945 (angegebener Haftgrund: „Bürgermeister“) und brachte ihn als politischen Häftling nach Bautzen; er wurde am 24. September 1946 in das Speziallager Jamlitz verlegt.

Am 29. April 1948 – also drei Jahre nach der von Graebert initiierten kampflosen Übergabe Wurzens – setzte sich der „Antifaschistisch-Demokratische Block“ Wurzens in einem von Otto Abicht unterzeichneten Brief für die Freilassung ihres einstigen Oberbürgermeisters Graebert ein.[10] Was den Briefschreibern nicht bekannt war: Armin Graebert war bereits mehr als ein Jahr zuvor – am 5. Februar 1947 – in der Haft in Jamlitz verstorben. Graeberts Familie erhielt erst im Jahr 1995, also nach 48 Jahren, die offizielle Todesnachricht.

Ein ähnliches Schicksal ereilte den Freiberger Oberbürgermeister Werner Hartenstein, der seine Stadt ebenfalls kampflos übergab und wie Graebert im Februar 1947 im Speziallager Jamlitz starb,[11] sowie den Bürgermeister von Stendal, Karl Wernecke, der ebenfalls seine Stadte kampflos übergab.

Armin Graebert heiratete eine Tochter des Bodenreformers Adolf Damaschke. Die Eheleute sind die Eltern von Hans-Adolf Graebert (* 1929), Thomas Graebert und Irene Köhler (geb. Irene Graebert).[12]

An Armin Graeberts Verdienste als Oberbürgermeister an der kampflosen Übergabe der Stadt am 24. April 1945 an US-amerikanische Truppen erinnert seit dem 24. April 1995 – also 50 Jahre nach dem Ereignis – eine Gedenktafel am Stadthaus (Rathaus) in Wurzen.[9] Diese Tafel hat folgende Inschrift:

„In diesem Hause vollzog am 24. April 1945 Oberbürgermeister Dr. Armin Graebert gegenüber dem Kommandeur des 1. Bat. 273. US-Inf.-Reg., Major Victor Conley, die Kapitulation Wurzens. Damit wurden Einwohner, Flüchtlinge, Kriegsverwundete und Zwangsarbeiter vor dem Tode sowie die Stadt vor der Zerstörung bewahrt. Vor 50 Jahren 24. April 1995“.[13]

  • Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band 1: Politiker. Teilband 2: F–H. Winter, Heidelberg 1999, ISBN 3-8253-0809-X, S. 165f.
  • Armin Graebert. Inhaftiert ab Mai 1945, gestorben am 5. Februar 1947. In: Susanne Hattig, Silke Klewin, Cornelia Liebold, Jörg Morré: Geschichte des Speziallagers Bautzen. 1945–1956. Katalog zur Ausstellung der Gedenkstätte Bautzen. Dresden, Sandstein 2004, ISBN 3-937602-29-1, S. 48–51.
  • Wulf Skaun: Wurzens Schicksalstage im April 1945. Vor 70 Jahren wurde der Domstadt ein zweites Leben geschenkt. In: Wurzen – Tag der Sachsen 2015 (= Sächsische Heimatblätter. Zeitschrift für Sächsische Geschichte, Denkmalpflege, Natur und Umwelt, Jg. 61 (2015), Heft 3), S. 270–277.
  • Wulf Skaun: Am 24. April 1945 wird Wurzen ein zweites Leben geschenkt – Vor genau 70 Jahren, am 24. April 1945, wurde Wurzen kampflos an Major Victor Conley vom 273. US-Infanterieregiment übergeben. Das Ende des Zweiten Weltkrieges in der Stadt. Der damalige Oberbürgermeister Armin Graebert widersetzte sich mit der Kapitulation den Befehlen der NS-Führung. Die Stadt wurde dadurch vor Zerstörung bewahrt. In: Leipziger Volkszeitung, Ausgabe Muldental, 24. April 2015, S. 27.
  • Wulf Skaun: „Mein Vater hatte viele Helfer“ – Hans-Adolf Graebert bewahrt Gedenken an alle Helden. In: Leipziger Volkszeitung, Ausgabe Muldental, 24. April 2015, S. 27.

Einzelnachweise

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  1. Georg Schwartzer (Hrsg.): Adreßbuch des Allgemeinen Deutschen Burschenbundes. Stand vom 1. August 1919. Max Schlutius, Magdeburg 1919, S. 114.
  2. a b c Wulf Skaun: „Mein Vater hatte viele Helfer“ – Hans-Adolf Graebert bewahrt Gedenken an alle Helden. In: Leipziger Volkszeitung, Ausgabe Muldental, 24. April 2015, Seite 27
  3. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/11620894
  4. https://wurzener-land-nachrichten.de/?p=2396
  5. Bundesarchiv, Bestand Reichsjustizministerium (R 3001), Nr. 57809 (Personalblatt vom 15.11.62).
  6. Sylke Mathiebe: Diskussion um Wurzener NSDAP-Oberbürgermeister. In: Wurzener Land Nachrichten. Abgerufen am 7. Mai 2024.
  7. Armin Graebert: Bodenreform im Nationalsozialismus. 1934, S. 18.
  8. vollständige Bezeichnung in US-Quelle: „Major Conley, newly-appointed commander of 1st Battalion, 273rd Infantry“ – S. 38 in: http://www.69th-infantry-division.com/pdf/USArmy69InfDiv_Vol47_No1_SepDec1993.pdf
  9. a b Auszug aus der Chronik der Stadt Wurzen. In: Website der Stadt Wurzen. Abgerufen am 14. August 2015.
  10. S. 150 in: Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 26. Dezember 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.politische-bildung-brandenburg.de
  11. Torsten Richter: Jamlitzer Totenbuch wird erarbeitet. In: Lausitzer Rundschau, Ausgabe Lübben. 28. Februar 2007, archiviert vom Original am 18. Oktober 2014; abgerufen am 17. März 2024.
  12. Hansrainer Baum, Jürgen Schmidt: Von Schmidt zu Schmidt – Über Wurzener Bürgermeister 1832–2008. Wurzener Geschichts- und Altstadt-Verein, Wurzen 2011, S. 78–82.
  13. Gedenktafel für Armin Graebert. In: Annette Kaminsky (Hrsg.): Orte des Erinnerns: Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR. Ch. Links Verlag, 2007, S. 382–383 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).