Liste von aufsehenerregenden Vorfällen im Zusammenhang mit Entwicklung, Vermarktung oder Anwendung von Arzneimitteln

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Arzneimittelskandal)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Liste enthält Vorfälle, die im Zusammenhang mit Entwicklung, Vermarktung oder Anwendung von Arzneimitteln Aufsehen erregt haben.

Marktrücknahmen wegen nachteiligem Nutzen-Risiko-Verhältnis

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jahr Vorfall bzw. Arzneimittel Kurzbeschreibung
1937 Sulfanilamid-Katastrophe Über 100 Menschen kamen nach Einnahme eines Erkältungssaftes mit dem antibiotischen Wirkstoff Sulfanilamid zu Tode. Ursache der Vergiftung war die als Lösungsmittel verwendete, süßlich schmeckende Verbindung Diethylenglykol.
1961/1962 Contergan-Skandal Die Einnahme des thalidomidhaltigen Schlafmittels Contergan in der Schwangerschaft führte zu schweren fetalen Fehlbildungen. Das Strafverfahren gegen den Hersteller wurde 1970 wegen geringfügiger Schuld der Angeklagten und mangelnden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eingestellt.
1982 Coxigon Eli Lilly and Company stellt den Vertrieb von Coxigon (Benoxaprofen) ein. Es kam zu Störungen der Leber- und Nierenfunktion, krankhaften Veränderungen an den Sehnerven und zu Hauttumoren.[1] Der eigentliche Skandal war, dass das Bundesgesundheitsamt (heute BfArM) bereits bei der Zulassung ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis konstatiert habe.[2]
1985 Enoxacin Marktrücknahme aufgrund von Interaktionen[3]
1992 Temafloxacin Marktrücknahme aufgrund von Leber-, Nierentoxizität, HUS, Anaphylaxie, Anämie[3]
1993 Lomefloxacin Marktrücknahme aufgrund Phototoxizität, Lebertoxizität, ZNS-UAW[3]
1998 Mibefradil Marktrücknahme von Posicor (Hoffmann-La Roche) und Cerate (Asta Medica) mit dem Wirkstoff Mibefradil aufgrund multipler, lebensbedrohlicher Arzneimittelwechselwirkungen.[4]
1999 Trovafloxacin Marktrücknahme wegen Leberversagen, Lebertoxizität[3]
1999 Grepafloxacin Marktrücknahme wegen Kardiotoxizität[3]
2000 Pefloxacin Marktrücknahme u. a. wegen Phototoxizität, Tendinitiden[3]
2001 Clinafloxacin Phototoxizität, Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel[3]
2001 Sparfloxacin Marktrücknahme wegen Phototoxizität, ZNS-UAW[3]
2001 Lipobay-Vorfall Marktrücknahme von Lipobay (Cerivastatin, Bayer AG) weltweit wegen tödlicher Wechselwirkungen mit Gemfibrozil.
2003 Nefazodon Januar 2003: Marktrücknahme des Antidepressivums Nefadar (Nefazodon, Bristol-Myers Squibb) in Schweden wegen des Auftretens bedrohlicher Leberschäden.[5]
2004 Vioxx-Skandal Weltweite Marktrücknahme aller Darreichungsformen von Vioxx (MSD Sharp & Dohme) wegen kardiovaskulärer Toxizität. Darüber hinaus bricht MSD sämtliche klinischen Studien mit dem COX-2-Hemmer ab.
2004 Fleroxacin Marktrücknahme wegen Phototoxizität, ZNS-UAW[3]
2004 Gatifloxacin Marktrücknahme wegen Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel[3]
2005 Valdecoxib Marktrücknahme von Bextra (Valdecoxib, Pfizer) in USA, EU und Schweiz. Es wurde ein erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Komplikationen bei Patienten nach Bypass-Operationen festgestellt und das Auftreten lebensbedrohlicher Hautreaktionen beschrieben.[6]
2006 Ximelagatran AstraZeneca nimmt seine oralen Thrombinhemmer Exanta und Melagatrin (Ximelagatran) wegen Leberschädlichkeit bei Langzeitanwendung vom Markt und stoppt zwei noch laufende klinische Studien.[7]
2006 Buflomedil Marktrücknahme von Buflomedil-Tabletten in Frankreich wegen schwerwiegender neurologischer Komplikationen.[8] 2011/2012 Erweiterung des Rückrufs auf weitere EU-Mitgliedstaaten sowie auf parenterale Darreichungsformen.
2007 Zelmac Marktrücknahme von Tegaserod (Zelmac, Novartis) in der Schweiz der vermehrten Auftretens kardiovaskulärer Ereignisse[9]
2007 Clobutinol Rücknahme aller Clobutinol-haltigen Arzneimittel (z. B. Silomat, Boehringer Ingelheim sowie etlicher Generika) vom deutschen Markt. Unter der Behandlung mit dem bereits 1961 als Hustenstiller eingeführten, rezeptfreien Mittel waren in seltenen Fällen schwere Herzrhythmusstörungen aufgetreten.[10]
2007 Trasylol Bayer stoppt weltweit den Verkauf des Arzneimittels Trasylol (Aprotinin) und folgt damit einer Anordnung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Empfehlungen der US-Zulassungsbehörde FDA. Die Zwischenanalyse einer kanadischen Studie hatte ergeben, dass eine erhöhte 30-Tage-Sterblichkeit bei mit Aprotinin behandelten Patienten auftrat. Aprotinin wurde zur Senkung der Blutungsneigung unter Operationen am Herzen oder der Leber eingesetzt.[11]
2007 Lumiracoxib Marktrücknahme des Arthrosepräparats Prexige (Lumiracoxib, Novartis) in Deutschland und weiteren EU-Staaten wegen Leberschäden.[12]
2008 Acomplia Das Abnehmmittel Acomplia (Rimonabant, Sanofi-Aventis) wird wegen neurologischer Nebenwirkungen vom Markt genommen.[13] Das Präparat erhöhte nachweislich das Suizid-Risiko.[14]
2009 Gemifloxacin Rücknahme wegen Genotoxizität und Lebertoxizität[3][15]
2010 Avandia September 2010: Marktrücknahme des Diabetes-Mittels Avandia (Rosiglitazon, GlaxoSmithKline) in Europa aufgrund eines erhöhten Herzinfarkt-Risikos.[16]

Zwischenfälle in der Entwicklung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jahr Vorfall Kurzbeschreibung
2006 TeGenero-Vorfall“ Im Rahmen der Entwicklung des monoklonalen Antikörpers TGN1412 kam es zu verheerenden Nebenwirkungen, wodurch dessen Entwicklung zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten dadurch abrupt endete.
2016 BIA 10 2474-Vorfall“ Im Rahmen der klinischen Entwicklung eines neuen Wirkstoffes zur Schmerzbehandlung kam es bei mehreren Probanden zu schweren neurologischen Nebenwirkungen, ein Proband starb an den Folgen.
2019 Todesfall nach fäkalem Mikrobiomtransfer In den USA starb ein Patient bei einer klinischen Studie nach einer Stuhltransplantation an einer Infektion mit einem multiresistenten Bakterium, ein zweiter erkrankte schwer. Die Stuhlprobe des Spenders war zuvor nicht auf diese Bakterien getestet worden.

Zwischenfälle in der Herstellung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jahr Vorfall Kurzbeschreibung
1930 Lübecker Impfunglück Bei der Einführung der BCG-Schutzimpfung gegen Tuberkulose kam es 1930 in Lübeck zum Lübecker Impfunglück, dem größten Impfunglück des 20. Jahrhunderts. Ursache war mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verwechslung der Impfkulturen. Aufgrund des Vorfalls wurde die Einführung der BCG-Impfung in Deutschland bis nach dem Zweiten Weltkrieg verzögert.
ab 1969 Lyodura-Skandal Mängel bei der Sterilisation von auf dem Schwarzmarkt erworbenen Hirnhäuten hatten eine Kontamination des Produktes mit Erregern der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zur Folge, wodurch es zu etwa 120 Erkrankungen kam.
2018 Valsartan-Skandal Im Juli und August 2018 wurde bekannt, dass der Blutdrucksenker Valsartan bestimmter Wirkstoffhersteller, vermutlich infolge einer bereits vor Jahren erfolgten Umstellung des Syntheseweges, durch das als krebserregend geltende Dimethylnitrosamin verunreinigt war. Betroffene Arzneimittelchargen wurden in Europa, Kanada und USA zurückgerufen.

Fälschungen und Inverkehrbringen wissentlich unsachgemäß hergestellter Arzneimittel

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jahr Vorfall Kurzbeschreibung
1970er Jahre Infektionen durch HCV-kontaminierte Anti-D-Prophylaxe-Sera In der DDR wurden 1978/79 mehrere tausend Frauen durch HCV-verseuchte Anti-D-Sera infiziert, obwohl dem Hersteller in Halle bekannt sein musste, dass die Blutspender infiziert waren.
1980er Jahre Infektionen durch HIV-kontaminierte Blutprodukte Mitarbeiter einer Koblenzer Firma untersuchten Spenderblutproben nicht einzeln, sondern vermischten sie miteinander oder testeten sie gar nicht. Die Verabreichung der verseuchten Blutprodukte hatte viele Todesfälle zur Folge.
2008 Heparin-Skandal Der gerinnungshemmende Wirkstoff Heparin wurde mit einem minderwertigen, billigeren Stoff gestreckt.
2014/2015 Skandal um GVK Biosciences Mutmaßliche Datenfälschung: Eine Vielzahl von Generika waren zugelassen worden auf Basis von Bioäquivalenzstudien, deren Datenerhebung sich im Nachhinein als nicht gesetzeskonform herausgestellt hatte.[17][18] Patienten kamen nicht zu Schaden.
2016 Medizinskandal Alte Apotheke Bottrop Ein Apotheker aus Bottrop hatte in zahlreichen Fällen gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen und in seiner Apotheke Krebsmedikamente vorsätzlich unterdosiert hergestellt und verkauft. Er wurde 2018 zu 12 Jahren Haft verurteilt.
2018 Impfstoffskandal in China Die chinesische Pharmafirma Changchun Changsheng soll seit April 2014 Daten gefälscht und zum Teil unwirksame und abgelaufene Tollwut-Impfstoffe in Umlauf gebracht haben. Auch unwirksame DTP-Kombi-Impfstoffe sollen 2017 in Verkehr gebracht worden sein. Hunderttausende Kinder sind betroffen. Im Juli 2018 wurden Firmenangehörige festgenommen.[19]
2018 Verkauf gestohlener Krebsmedikamente 2018 wurde aufgedeckt, dass ein Netzwerk verschiedener Firmen, darunter ein brandenburgischer Arzneimittelimporteur, illegal aus dem Ausland beschaffte Krebsmedikamente in Deutschland in Verkehr gebracht haben soll. Die Medikamente waren zum Teil in Griechenland gestohlen und ohne die erforderliche Kühlkette nach Deutschland transportiert worden.[20]

Unlauteres Marketing

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jahr Vorfall Kurzbeschreibung
2009 Illegale Bewerbung von Zyprexa Eli Lilly soll von 2000 bis 2003 Ärzte ermuntert haben, das Schizophrenie-Medikament Zyprexa unter anderem bei altersbedingter Demenz zu verschreiben, obwohl es in dieser Indikation keine Zulassung besaß. Nebenwirkungen wie zum Teil extreme Gewichtszunahme und Diabetes, die dem Hersteller zwar bekannt waren, wurden in der öffentlichen Darstellung jedoch verschwiegen oder heruntergespielt. 2009 akzeptierte Eli Lilly eine Strafe von 1,4 Milliarden Dollar.
  • Hans-Jochen Luhmann: Die Blindheit der Gesellschaft. Filter der Risikowahrnehmung. Gerling Akademie, München 2001
  • Eckart Roloff, Karin Henke-Wendt: Geschädigt statt geheilt. Große deutsche Medizin- und Pharmaskandale. Hirzel, Stuttgart 2018
  • Caroline Walter: Patient im Visier. Die neue Strategie der Pharmakonzerne. Hoffmann & Campe, Hamburg 2010
  • Frank Wittig: Die weiße Mafia. Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen. Riva, München 2013

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. An Coxigon gestorben. In: Die Zeit, Nr. 33/1982.
  2. Ulrich Moebius: Wer schützt uns vor Arznei-Fehlschlägen? In: Der Spiegel. Nr. 40, 1983 (online).
  3. a b c d e f g h i j k Gyrasehemmer – Anwendungseinschränkungen. In: Ärztekammer Nordrhein (Hrsg.): Rheinisches Ärzteblatt. Band 197, Nr. 9, 2008, S. 9 (aekno.de [PDF]).
  4. BDI-Rundschreiben 8/9 1998 (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive).
  5. arznei-telegramm 34, Bd. 1, 2003.
  6. Marktrücknahme von Valdecoxib (Bextra®), 7. April 2005 (aus dem Archiv der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, AkdÄ).
  7. AstraZeneca: Rote-Hand-Brief, 14. Februar 2006 (PDF; 292 kB) aus dem Archiv der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, AkdÄ
  8. Pharmacovigilance et la sécurité d’emploi du buflomédil. (Memento des Originals vom 22. Juli 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ansm.sante.fr Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé (ANSM), 30. November 2006.
  9. swissmedic.ch (Memento des Originals vom 27. September 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.swissmedic.ch
  10. Rote-Hand-Brief, 30. August 2007 (PDF; 35 kB) Boehringer Ingelheim.
  11. Pressemitteilung, 5. November 2007. (Memento vom 13. November 2013 im Internet Archive) Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
  12. Pressemitteilung, 19. November 2007. (Memento vom 13. November 2013 im Internet Archive) Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
  13. Aus für Schlankheitsmittel von Sanofi-Aventis. In: Handelsblatt.
  14. Abspeck-Pille erhöht Selbstmord-Risiko. Welt Online, 11. Juni 2007.
  15. Factive: Withdrawal of the marketing authorisation application. European Medical Agency (EMA), Juni 2009, abgerufen im Januar 2020 (englisch).
  16. EU-Aufseher verlangen Verkaufsstopp für Diabetesmittel. Spiegel Online – Wissenschaft, 23. September 2010.
  17. Arzneimittelskandal – Ruhende Arzneimittelzulassungen: Patienten bekommen Ersatzpräparat. Gesundheitsstadt Berlin, 14. Dezember 2014.
  18. Arzneimittelskandal – EU-Behörde rät von 52 Medikamenten ab. Deutschlandfunk, 23. Januar 2015.
  19. Impfstoff-Skandal in China - Chinesische Pharma-Managerin festgenommen. Deutsche Apothekerzeitung, 25. Juli 2018.
  20. A. Ettel, M. Neller: Skandal um Krebsmedikamente weitet sich aus. Welt Online, 25. August 2018.