Atomausstiegsinitiative

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Die eidgenössische Volksinitiative «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)» war eine Volksinitiative der Grünen Partei der Schweiz. Sie forderte den Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2029. Bundesrat und Parlament lehnten die Initiative ab. Sie kam am 27. November 2016 zur Abstimmung und wurde von Volk und Ständen verworfen.

Die Atomausstiegsinitiative wurde von der Grünen Partei und anderen Organisationen als Reaktion auf die Nuklearkatastrophe von Fukushima am 16. November 2012 eingereicht.[1] Am 15. Januar 2013 kam sie mit 107'533 gültigen Unterschriften zustande.[2]

Die Schweiz bezieht seit 1969 einen Teil ihrer elektrischen Energie aus Kernkraftwerken.[3] Bis 1984 wurden fünf Kernkraftwerke ans Netz genommen, die gegenwärtig (Stand: 2016) 34 % des Strombedarfs decken.[4] Bis 2003 gab es eine Reihe von Initiativen zum Ausstieg aus der Atomkraft, von denen jedoch keine erfolgreich war.[5]

Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima beschloss der Bundesrat im Mai 2011, mittelfristig aus der Kernkraft auszusteigen.[6] Dieser Grundsatzentscheid wurde durch das Parlament bestätigt. Laut dem vom Parlament verabschiedeten Vorschlag wird der Bau neuer Kernkraftwerke verboten, bestehende Werke dürfen jedoch so lange betrieben werden, als sie von der Aufsichtsbehörde des Bundes als sicher eingestuft werden.[7] Die damit entstehenden zukünftigen Produktionsdefizite sollen im Rahmen der Energiestrategie 2050 durch Steigerung der Energieeffizienz und den vermehrten Ausbau erneuerbarer Energien gedeckt werden.

Nachdem der Bundesrat das Rahmenbewilligungsgesuch für den Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg sistierte[8], entschied die BKW Energie, ihr bestehendes Kernkraftwerk aus Rentabilitätgründen bis 2019 vom Netz zu nehmen.

Ziele der Initiative

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Die Initiative verlangte ein Verbot für den Neubau von Kernkraftwerken und wollte die Laufzeit aller bestehenden Kernkraftwerke auf maximal 45 Jahre beschränken. Eine frühere Ausschaltung der Kernkraftwerke aus Sicherheitsgründen blieb möglich. Der erste Block des Kernkraftwerks Beznau, zum Zeitpunkt der Abstimmung bereits mehr als 45 Jahre am Netz, hätte ein Jahr nach Annahme der Initiative – also 2017 – abgeschaltet werden müssen.[1]

Die Initiative sah vor, die bestehenden Kernkraftwerke wie folgt vom Netz zu nehmen:

Damit wäre der Atomausstieg spätestens im Jahr 2029 erreicht worden.

Entschädigungsforderungen

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Nach geltender Rechtslage können Kernkraftwerke grundsätzlich unbefristet betrieben werden, solange sie sicher sind. Es wurde erwartet, dass die Betreiber der Kernkraftwerke nach Annahme der Initiative gegenüber dem Bund hohe Entschädigungsforderungen erhoben hätten, da sie ihre Investitionen nicht mehr hätten amortisieren können. Laut Bundesrat wurden solche Forderungen in Milliardenhöhe bereits vor der Abstimmung angekündigt.[9]

Die Atomausstiegsinitiative hatte folgenden Wortlaut:

I

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 90 Kernenergie

1 Der Betrieb von Kernkraftwerken zur Erzeugung von Strom oder Wärme ist verboten.

2 Die Ausführungsgesetzgebung orientiert sich an Artikel 89 Absätze 2 und 3; sie legt den Schwerpunkt auf Energiesparmassnahmen, effiziente Nutzung von Energie und Erzeugung erneuerbarer Energien.

II

Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert:

Art. 197 Ziff. 9 (neu)

9. Übergangsbestimmung zu Art. 90 (Kernenergie)

1 Die bestehenden Kernkraftwerke sind wie folgt endgültig ausser Betrieb zu nehmen:

a. Beznau 1: ein Jahr nach Annahme von Artikel 90 durch Volk und Stände;

b. Mühleberg, Beznau 2, Gösgen und Leibstadt: fünfundvierzig Jahre nach deren Inbetriebnahme.

2 Die vorzeitige Ausserbetriebnahme zur Wahrung der nuklearen Sicherheit bleibt vorbehalten.[10]

Bundesrat und Parlament empfahlen, die Initiative abzulehnen. Der Nationalrat lehnte die Initiative mit 134 zu 59 Stimmen bei zwei Enthaltungen ab, der Ständerat mit 32 zu 13 Stimmen ohne Enthaltung.[9]

Die Befürworter der Initiative stellten folgende Argumente in den Vordergrund:[11]

Die Kernkraftwerke der Schweiz sind nicht sicher genug. Beznau I ist mit 47 Jahren das älteste kommerziell betriebene Kernkraftwerk der Welt, was ein grosses Sicherheitsrisiko darstellt. Auch die anderen Kernkraftwerke sind zu alt, was das Risiko eine Unglücks in der Schweiz erhöht.

Feste Abschaltdaten

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In der Energiestrategie 2050 des Bundesrates fehlt eine fixe Laufzeitbeschränkung. Die von der Initiative verlangte maximale Laufzeit von 45 Jahren ist vergleichsweise hoch: Die weltweit bereits ausgeschalteten Kernkraftwerke wurden im Durchschnitt bereits nach 25,6 Jahren ausser Betrieb genommen. Ausserdem schaffen feste Abschaltdaten Planungssicherheit.

Gute Machbarkeit

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Der Atomausstieg ist gut machbar. Die Schweiz deckt bereits heute fast zwei Drittel ihres Energieverbrauchs durch erneuerbare Energien. Es ist gut möglich, innert 13 Jahren einen Drittel mehr erneuerbaren Strom zu produzieren. Die Wasserkraft ergänzt die Solarenergie und die Windkraftwerke, wenn letztere wetterbedingt zu wenig Strom liefern.

Zudem gab es während der sicherheitsbedingten temporären Ausschaltung von Beznau I weiterhin mehr Stromexporte als Importe.

Der Grossteil der Initiativgegner war für einen Atomausstieg, wollte diesen aber durch die Energiestrategie 2050 vollziehen. Die Gegner lehnten die Initiative hauptsächlich aus den folgenden Gründen ab:[12][13]

Sicherheit gewährleistet

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Die Laufzeitbeschränkungen sind willkürlich gesetzt und haben nichts mit dem tatsächlichen Zustand der Kernkraftwerke zu tun. Die Schweizer Kernkraftwerke sind im internationalen Vergleich äusserst sicher, da die Betreiber gesetzlich verpflichtet sind, ihre Kraftwerke stets nach dem neuesten Stand der Technik nachzurüsten und zudem vom Nuklearsicherheitsinspektoriat ENSI kontrolliert werden.

Versorgungsknappheit

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Durch die Initiative wird innert 13 Jahren gut ein Drittel der Stromproduktion wegfallen. Dieser Ausfall ist in dieser kurzen Zeitspanne nicht kompensierbar. Investitionen in erneuerbare Energien lohnen sich nicht, da diese im Ausland stark subventioniert werden.

Ersatz durch umweltschädlichen Strom

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Die absehbare Versorgungsknappheit führt dazu, dass mehr Strom aus dem Ausland importiert werden muss, was die Schweiz nicht nur vom Ausland abhängig macht, sondern auch schädlich für die Umwelt ist. Denn der importierte Strom kommt überwiegend aus umweltschädlichen Quellen wie etwa der Verstromung von Kohle.

Schadenersatzforderungen

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Die Schadenersatzforderungen, die der Bund wird zahlen müssen, sind „Geld aus den Taschen der Bürger“.

Die Initiative wurde von den Grünen, der SP, den Grünliberalen und der EVP befürwortet. Die restlichen grossen Parteien – namentlich die CVP, die BDP, die FDP und die SVP – lehnten die Vorlage ab.[14]

Meinungsumfragen

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Institut Auftraggeber Datum Ja Eher Ja Unentschieden
Keine Antwort
Eher Nein Nein
Leemann/Wasserfallen Tamedia 11. November 2016 52 5 1 4 38
gfs.Bern SRG SSR 6. November 2016 33 15 6 14 32
Leemann/Wasserfallen Tamedia 1. November 2016 50 6 1 6 37
Marketagent.com Schweiz am Sonntag 31. Oktober 2016 51.5 24.6 23.9
Leemann/Wasserfallen Tamedia 18. Oktober 2016 48 7 2 6 37
gfs.Bern SRG SSR 8. Oktober 2016 39 18 7 14 22

Bemerkungen: Angaben in Prozent. Das Datum bezeichnet den mittleren Zeitpunkt der Umfrage, nicht den Zeitpunkt der Publikation der Umfrage.

Abstimmungsergebnisse

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Karte der Mehrheitsverhältnisse

Die Initiative kam am 27. November 2016 zur Abstimmung. Sie wurde von Volk (1'098`464 Ja, 1'301`520 Nein) und Ständen (5 Ja, 18 Nein) verworfen.[15]

  • Ja (4 2/2 Stände)
  • Nein (16 4/2 Stände)
  • Atomausstiegsinitiative – vorläufige amtliche Endergebnisse
    Kanton Ja (%) Nein (%) Beteiligung (%)
    Kanton Aargau Aargau 37,1 % 62,9 % 43,7 %
    Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden 42,6 % 57,4 % 44,9 %
    Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden 34,2 % 65,8 % 38,5 %
    Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft 50,4 % 49,6 % 42,7 %
    Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt 60,5 % 39,5 % 52,9 %
    Kanton Bern Bern 43,8 % 56,2 % 43,2 %
    Kanton Freiburg Freiburg 48,5 % 51,5 % 45,3 %
    Kanton Genf Genf 59,0 % 41,0 % 45,4 %
    Kanton Glarus Glarus 38,5 % 61,5 % 36,6 %
    Kanton Graubünden Graubünden 44,1 % 55,9 % 43,6 %
    Kanton Jura Jura 57,5 % 42,5 % 42,1 %
    Kanton Luzern Luzern 39,0 % 61,0 % 44,3 %
    Kanton Neuenburg Neuenburg 56,8 % 43,2 % 45,3 %
    Kanton Nidwalden Nidwalden 35,0 % 65,0 % 49,2 %
    Kanton Obwalden Obwalden 35,1 % 64,9 % 49,8 %
    Kanton Schaffhausen Schaffhausen 46,9 % 53,1 % 63,0 %
    Kanton Schwyz Schwyz 31,9 % 68,1 % 47,2 %
    Kanton Solothurn Solothurn 39,5 % 60,5 % 45,1 %
    Kanton St. Gallen St. Gallen 39,9 % 60,1 % 44,0 %
    Kanton Tessin Tessin 46,3 % 53,7 % 44,2 %
    Kanton Thurgau Thurgau 40,2 % 59,8 % 43,8 %
    Kanton Uri Uri 40,5 % 59,5 % 39,8 %
    Kanton Waadt Waadt 54,6 % 45,4 % 47,9 %
    Kanton Wallis Wallis 46,7 % 53,3 % 48,3 %
    Kanton Zug Zug 37,9 % 62,1 % 51,0 %
    Kanton Zürich Zürich 47,1 % 52,9 % 46,2 %
    Eidgenössisches Wappen ÜÜÜSchweizerische Eidgenossenschaft 45,8 % 54,2 % 45,0 %

    Einzelnachweise

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    1. a b Atomausstiegsinitiative ist zustande gekommen. NZZ, 17. Januar 2013, abgerufen am 3. Oktober 2016.
    2. Eidgenössische Volksinitiative «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)». (PDF) Zustandekommen. In: Bekanntmachungen der Departemente und der Ämter. Schweizerische Bundeskanzlei, 15. Januar 2013, abgerufen am 4. Oktober 2016.
    3. Kernkraftwerke der Schweiz. kernenergie.ch, abgerufen am 4. Oktober 2016.
    4. Energiestrategie 2050 - So sollen unsere AKW ersetzt werden. Beobachter, 3. Oktober 2016, abgerufen am 5. Oktober 2016.
    5. Ein Ja und sieben Nein seit 1979. In: Schweizer Fernsehen. 27. November 2016, abgerufen am 27. November 2016.
    6. Historisch: Bundesrat beschliesst Atomausstieg. Tagesanzeiger, 25. Mai 2011, abgerufen am 5. Oktober 2016.
    7. Keine neuen AKW in der Schweiz. Tagesanzeiger, 19. September 2016, abgerufen am 5. Oktober 2016.
    8. bkw.ch: BKW unterstützt Sistierung der Rahmenbewilligungsgesuche (Memento vom 15. Dezember 2013 im Internet Archive)
    9. a b Volksabstimmung vom 27. November 2016 - Erläuterungen des Bundesrates. (PDF) Schweizerische Bundeskanzlei, abgerufen am 6. Oktober 2016 (Offizielles Abstimmungsbüchlein).
    10. Eidgenössische Volksinitiative 'Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)'. Schweizerische Bundeskanzlei, abgerufen am 6. Oktober 2016.
    11. Argumente - Ja zum geordneten Atomausstieg. Webseite der Initiativbefürworter, archiviert vom Original am 24. Oktober 2016; abgerufen am 8. Juni 2021.
    12. Nein zur Atomausstiegsinitiative. CVP, abgerufen am 24. Oktober 2016.
    13. Nein zur Atomausstiegsinitiative – Einstimmiger Beschluss der Delegiertenversammlung. AVES - Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz, 30. Mai 2016, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. Oktober 2016; abgerufen am 24. Oktober 2016.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/aves.ch
    14. «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)». Politnetz.ch, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. Oktober 2016; abgerufen am 23. Oktober 2016.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.politnetz.ch
    15. Vorläufige amtliche Endergebnisse. Schweizerische Eidgenossenschaft, 27. November 2016, abgerufen am 27. November 2016.