August Kratt

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August Kratt (* 30. Oktober 1882 in Karlsruhe; † 7. Oktober 1969 in Radolfzell am Bodensee) war ein deutscher Kaufmann, Funktionsträger der NSDAP und von 1942 bis 1945 kommissarischer Bürgermeister von Radolfzell am Bodensee. 

Der am 30. Oktober 1882 in Karlsruhe geborene August Kratt gründete 1919 in Radolfzell einen kleinen Gemischtwarenladen, den er zu einem größeren Mehrsparten-Warenhaus mit Firmensitz am Marktplatz ausbaute, das als familiengeführte Kommanditgesellschaft bis heute existiert.[1][2]

Zum 1. Mai 1933 trat Kratt der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 3.016.638),[3] er saß für die Partei seit 1933 im Gemeinderat[4] und war nach eigenen Angaben in den Jahren 1934–1943 Block- und Zellenleiter. Mit Ortsgruppenleiter Otto Gräble zählte Kratt zu den bekannten Aktivisten und Amtswaltern der örtlichen NSDAP. Außerdem war Kratt seit Mai 1933 förderndes Mitglied der SS, Ortswalter Handel der DAF, Mitglied im Reichskolonialbund und in der antisemitisch ausgerichteten „Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie e.V.“ (ADEFA).[5]

Logo der Adefa, 1938

Die zum Zweck der systematischen „Arisierung“ dieses Wirtschaftszweiges 1933 gegründete, auf Selbstverpflichtung beruhende Adefa verbot ihren etwa 500 Mitgliedern (Stand 1938) jeglichen Geschäftsverkehr mit jüdischen Produktions- und Handelsbetrieben. Adefa-Mitglieder warben bereits ab dem Judenboykott im April 1933 mit einem in die Ware eingenähten Logo und „Gütesiegel“ – „aus arischer Hand“ – und versuchten so, das antijüdische Gesellschaftsklima für eigene ökonomische Interessen auszunutzen.[6]

„Dem ersten Kurgast im Marine Kurheim Radolfzell“, Konteradmiral Hans-Udo von Tresckow, mit geprägtem Stadtsiegel und Unterschrift des komm. Bürgermeisters August Kratt; signiertes Buch von Ludwig Finckh, 1944.

August Kratt führte als Stellvertreter und erster Beigeordneter des am 25. September 1942 nach Krankheit gestorbenen Bürgermeisters Josef Jöhle das Amt ab 23. Oktober 1942 bis zum Kriegsende 1945 kommissarisch fort. Das in der SS-Garnison Radolfzell gewünschte gute Einvernehmen zwischen Stadtverwaltung und Waffen-SS, Kasernen-Kommandantur und Waffen-SS-Unterführerschule, und deren Belange war unter Kratt gewährleistet. Außerdem übernahm Kratt die Redaktion der von seinem Vorgänger seit 1940 herausgegebenen, propagandistischen „Feldpostbriefe für Front und Heimat“, mit denen die Stadtverwaltung die Verbindung von Heimatfront und Frontsoldaten zu stärken gedachte.

Nach eigenen Angaben wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ Ende März 1945 von Gauleiter Robert Wagner seines Amtes enthoben und durch einen Alten Kämpfer, Rainer Schlegel, für drei Wochen ersetzt, berief sich Kratt nach dessen Absetzung zum 21. April 1945 selbst wieder in das Bürgermeisteramt.

Erinnerungstafel (1995) an die Bewahrung der Stadt vor ihrer Zerstörung am 25. April 1945 – u. a. mit Nennung und Würdigung von August Kratt; Münsterbrunnen, Radolfzell, 2017.

Beim Einmarsch der französischen Streitkräfte am 25. April 1945 soll er die „kampflose Übergabe“ ermöglicht haben, indem er im Postamt von Radolfzell die telefonischen Unterhandlungen mit Waffen-SS, Wehrmacht und der anrückenden 1ere Armée führte und gegen den zuvor ausgerufenen Verteidigungsbefehl das Hissen von weißen Fahnen anordnete. Für diese Selbstdarstellung, die unkritisch in ein lokalgeschichtliches Narrativ über die Ereignisse des 25. April 1945 eingegangen ist, gibt es keine unabhängigen Belege und keine Bestätigung.[7][8] Am Ende eines mehrjährigen Spruchkammerverfahrens wurde Kratt als ehemaliger Funktionsträger und Politischer Leiter der NSDAP schließlich der Gruppe der „Minderbelasteten“ zugeordnet. Die Spruchkammer verhängte 1948 als „Sühnemaßnahmen“ eine Geldstrafe von 5.000 Reichsmark sowie den Verlust der Wählbarkeit und des Rechts, sich weiter politisch zu betätigen oder Mitglied einer Partei zu werden. Dessen ungeachtet verlieh die Stadt Radolfzell Kratt am 24. Dezember 1962 unter anderem für seine „besonderen Verdienste als erster Beigeordneter und Bürgermeisterstellvertreter während des zweiten Weltkrieges“ und „in Würdigung seiner vielseitigen guten Taten und Stiftungen zum Wohl der Stadt und ihrer Einwohner“ die Ehrenbürgerwürde.[9][10]

August Kratt starb 1969 in Radolfzell.

  • Markus Wolter: Die SS-Garnison Radolfzell 1937–1945. In: Stadt Radolfzell am Bodensee, Abteilung Stadtgeschichte (Hrsg.): Radolfzell am Bodensee – Die Chronik. Stadler, Konstanz 2017, ISBN 978-3-7977-0723-9, S. 268–303, zu August Kratt: hier S. 268 (Bild), 281 und 297 f. 

Einzelnachweise

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  1. Natalie Reiser: Der Traum vom eigenen Kaufhaus: Das Familienunternehmen Kratt feiert erneut sein Jubiläum, Südkurier, 11. Oktober 2019.
  2. Vgl. die Eigendarstellung zur Firmengeschichte anlässlich des 90-jährigen Bestehens der Unternehmung 2009: Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 4. Oktober 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/brbuch1.suedkurier.de, Südkurier 2009, PDF-Datei.
  3. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/22850477
  4. Vgl. Sebastian Hausendorf: „Eine böse Mißwirtschaft.“ Radolfzell 1933-1935. Konstanz, UVK 2013, ISBN 978-3-86764-391-7, S. 69 f.
  5. Markus Wolter: Die SS-Garnison Radolfzell 1937-1945. In: Stadt Radolfzell am Bodensee, Abteilung Stadtgeschichte (Hrsg.): Radolfzell am Bodensee - Die Chronik. Stadler, Konstanz 2017, ISBN 978-3-7977-0723-9, S. 268–303, zu August Kratt: hier S. 268 (Bild), 281 und 297 f.
  6. Vgl. Dokumentation zum Thema „Arisierung“, Adefa und zur Adefa-Mitgliedschaft von August Kratt.
  7. Vgl. Markus Wolter: Die SS-Garnison Radolfzell 1937-1945. In: Stadt Radolfzell am Bodensee, Abteilung Stadtgeschichte (Hrsg.): Radolfzell am Bodensee - Die Chronik. Stadler, Konstanz 2017, ISBN 978-3-7977-0723-9, S. 297 f.
  8. Vgl. Wiki-Seite zur NS-Geschichte Radolfzells; Dokumentation zu August Kratts Rolle bei der „kampflosen Übergabe“ der Stadt Radolfzell am 25. April 1945.
  9. Zit. nach: Homepage der Stadt Radolfzell.
  10. Heimat-Chronik In: „HEGAU – Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee“. Heft 2 (14) 1962. Seite 373