Aus der Chronika eines fahrenden Schülers

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Illustration zur Chronika des fahrenden Schülers von Eduard von Steinle

Aus der Chronika eines fahrenden Schülers ist eine Erzählung von Clemens Brentano, deren Spätfassung 1818 in der Maurerschen Buchhandlung in Berlin innerhalb der Sammlung „Die Sängerfahrt“ erschien.[1][2] Die Urfassung der Erzählung, von 1802 bis 1806 entstanden[3], wurde erst 1923 von Josef Lefftz publiziert.[4] Brentano hat nach 1818 das allererste Manuskript eigenhändig mit „Altes erstes Manuskriptfragment von der Chronica des fahrenden Schülers“ überschrieben.[5] Angaben zur Entstehung des Textes und zu den Erscheinungsdaten finden sich im Band 19 der Frankfurter Brentano-Ausgabe [FBA].[6]

Johannes, geboren am 20. Mai 1358 in Burg Eberach am Main, ist ein bettelarmer Schüler. Der Vagant hat Glück. Auf der Wanderschaft von Basel nach Straßburg wird er in Eschau vom Ritter Veltlin von Türlingen als Schreiber angestellt. Johannes erzählt dem Ritter und seinen vier Töchtern Geschichten über „betende, arbeitende und lehrende Menschen“. Insbesondere verbreitet er sich über die harmonia mundi[7][8]. Von den vier Mädchen sind nur Otilia und Gundelindis leibliche Töchter des Ritters. Die Waise Athala hat der mildtätige Veltlin in seinem Hause aufgenommen. Pelagia hat der Kreuzfahrer aus Jerusalem mitgebracht.

Der stets zum Erzählen aufgelegte Johannes gibt unter anderem zum Besten: Er ist der uneheliche Sohn des Ritters Siegmund von Laurenburg. Die Mutter – zart und weiß, mit langen blonden Haaren – suchte früher zusammen mit dem kleinen Johannes in einem zweistündigen Marsch durchs Frankenland das Kloster auf. Dort bot sie dem Abt die Erzeugnisse ihrer Heimarbeit zum Kauf an.

Drei ein wenig größere Binnenerzählungen seien aus dem oben skizzierten Rahmen herausgegriffen. Die letzten beiden können als eine Legende aufgefasst werden.

Die Erzählung der Mutter

Johannes’ Großvater mütterlicherseits, zu Lebzeiten Jäger und Fallensteller, liegt seit acht Jahren auf dem Kirchhof neben dem Kloster begraben. Von Johannes nach dem eigenen Vater befragt, erzählt die Mutter von ihrer Liebe zu Ritter Siegmund. Dem alten Laurenburger, das ist Siegmunds Vater, hatte der Großvater früher Falken geschenkt. Auch deshalb war die Familie im Schloss gern gesehen. Die Mutter lernt Siegmund bei der Gelegenheit lieben. Ihr Vater, der Jäger, gibt zu bedenken, sie sei nicht zur Edelfrau geboren. Als die Mutter verwaist, bleibt sie in Siegmunds Nähe. Das Verhältnis wird von Sigmunds Mutter geduldet. Der alte Laurenburger kann nicht einschreiten. Er ist in kriegerischen Unternehmungen unterwegs. Die Mutter wird schließlich vom alten Kilian, einem Veteranen, nun Haushüter auf dem Schloss, an Kindes statt angenommen. Kilian hatte in jungen Jahren um Johannes’ Großmutter mütterlicherseits vergeblich geworben.

Von dem traurigen Untergang zeitlicher Liebe

Drei Schwestern wollen am Meeresufer schöne Perlen finden. Zwei wagen sich in einem brüchigen Schifflein hinaus aufs offene Meer. Der Perlengeist lockt die Unbesonnenen mit süßem Gesang in einen Strudel. Die beiden Schwestern werden hineingerissen und kommen darin um. Das Meer gibt das Schifflein wieder her und spült es an den Strand. Die überlebende Schwester gelangt mit einem alten Schiffer, dem Besitzer des Kahns, auf dessen Insel. Der Schiffer wohnt auf dem Eilande, um vor dem verführerischen Gesang zu warnen, falls das möglich ist. Der Alte unterweist die Jungfrau bei der Suche nach den Schwestern. Im Bitteren Brunnen könnten die Ertrunkenen auffindbar sein. Das Mädchen bekommt die Schwestern in der Tat zu Gesicht. Ihnen ist nicht zu helfen, weil sie mit den Haaren ins Gestein gewachsen sind. Die trauernde Jungfrau weint Perlen.

Geschichte des schönen Bettlers und seiner Braut

Der oben genannte Strudel erfasst und verschlingt Menschen, die den Geist über dem Leib vergessen haben. Der Perlengeist zieht auch die Fäden in der Geschichte vom schönen Bettler. Letzterer, Sohn eines armen Fischers, verschenkt nach dem Tode seiner Eltern deren wenige Habe an die erstaunten Trauergäste und bettelt fortan; nicht aber bei den Beschenkten. Der schöne junge Mann arbeitet nicht. Er lebt auf einem Felsen im Meer. Auf dem Eilande errichtet er in einer Grotte einen Altar und benötigt dafür noch einen Kelch. Auf das Saitenspiel des Bettlers taucht der Perlengeist in Gestalt eines wunderschönen Weibes aus den Fluten und überlistet den schönen Musikanten. Der Jüngling, später immer noch auf der Suche nach dem Becher, findet im Bitteren Brunnen stattdessen ein kostbares Buch des Perlengeistes. Der schöne Bettler behält kurzerhand das Buch, kann aber nicht lesen. So schwimmt er von seinem Felsen hinüber zum Schloss der Jungfrau. Die lehrt ihm das Lesen, entbrennt in Liebe zu dem schönen Manne und wagt ihm ihre heftige Neigung aber nicht zu gestehen. Bald kommt die Jungfrau zum Jüngling herübergeschwommen und lehrt ihm das Schreiben. Darauf macht der Perlengeist in Gestalt einer Sirene Nebel überm Meer. Die schwimmende Jungfrau kann den Fels des Geliebten nicht finden und ertrinkt. Zuvor hatte sie während ihres letzten Besuchs auf dem Fels dem schönen Bettler ihre Liebe – in besagtem Buche gut versteckt – schriftlich gestanden. Der schöne Bettler fordert vom Perlengeist den Becher von Tule. Ein Schluck daraus soll die Jungfrau wieder zum Leben erwecken. Der schöne Bettler findet und liest das Liebesgeständnis der Jungfrau, bringt dem Perlengeist dessen Buch und begeht Selbstmord. Der alte Schiffer, der der überlebenden Tochter in der Erzählung Von dem traurigen Untergang zeitlicher Liebe geholfen hatte, ist der Vater jener unglücklichen Jungfrau. Als er aus dem Heiligen Lande heimgekehrt war, gab er sich nicht zu erkennen, sondern fristete den Rest seines Lebens auf dem Fels.

  • „Die Liebe ist blind, und wo sie entbrennt, kann sie nicht ausgelöscht werden.“[9]
Illustration zur Chronika des fahrenden Schülers von Eduard von Steinle
  • Der Spinnerin Lied[10]. Nachts erwacht Johannes. Die Mutter sitzt bei der Lampe, spinnt und singt:[11]
Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall
Das war wohl süßer Schall
Da wir zusammenwaren,...
  • Wallfahrer kommen in einem Schifflein den Main herunter gefahren. Sie haben eine grüne Maie an Bord und singen:[12]
Ich will des Mai's mich freuen,
In dieser heil'gen Zeit,...
  • Herrn Veltlins Gattin, mit Geburtsnamen Agneß von Endingen geheißen, ist längst verstorben. Der Witwer singt zur Abenstunde:[13]
Ich grüß dich zarte schöne Fraue
Und biet dir freundlich gute Nacht
Biß daß der ewge Tag im Thaue
Vor deinem Kämmerlein erwacht.
  • Der schöne Bettler eilt mit dem Buche des Perlengeistes zum Bitteren Brunnen und hört Gesang aus der Tiefe:
Eile Eile hin nach Tule
suche auf des Meeres grund
jenen Becher deiner Bule
Trinkt sich nur aus ihm gesund.

Brentano in einem Brief vom 6. September 1802 an Achim von Arnim[14]: „Ich schreibe... ohne Freude, weil ich keine Liebe mehr habe.“[15]

  • Prof. Karl Philipp Kayser aus Heidelberg schreibt am 8. September 1804 in sein Tagebuch: „Brentano las aus einem von ihm angefangenen Romane: Chronica eines fahrenden Schülers einen Theil vor, der uns sehr ergetzte.“[16]
  • Die Urfassung sei nicht erbaulich wie die Spätfassung, sondern könne als Erkenntnisdichtung genommen werden.[17]

Authentizität

Allegorie

  • Schulz will in den vier Töchtern des Ritters Veltlin die vier Elemente erkennen.[25]
  • Kluge sieht die am Textende eingelegte Geschichte vom alten Fischer auf dem Fels als Allegorie von der Vergänglichkeit.[26]

Die Erzählung der Mutter

  • Johannes’ Mutter hört nicht auf den Rat des Vaters und bekommt darauf ein uneheliches Kind. Weder muss sie sich dafür von jemandem Vorhaltungen machen lassen, noch wird sie bestraft.[27]
  • Eingelegte Gedichte unterstreichen nicht nur die Melancholie, sondern unterstützen auch noch die tiefere Sinnsuche: Die verlassene Mutter, am Spinnrad ihrem Kinde vorsingend, finde sich mit ihrem Schicksal ab.[28]

Geschichte des schönen Bettlers und seiner Braut

Forschungsliteratur

  • Riley[30] weist auf weiter führende Arbeiten hin: A. Walheim (1912), H. Cardauns (1916), V. Herzog (1965), E. Stopp (Berlin 1971), E. Zimmermann (1971), A. Kathan (1972), M. Huber (1976) und N. Reindl (Innsbruck 1976).
  • W. Kreiten (Hrsg.): Die Chronik des fahrenden Schülers. Erstlich beschrieben von dem weiland Meister Clemens Brentano. Hutter, München 1888. 99 Seiten. 6 Holzschnitte von Eduard von Steinle. Leinen. Vorderdeckelvergoldung
  • Clemens Brentano: Die Chronika des fahrenden Schülers. Urfassung. 94 Seiten. Wolkenwanderer, Leipzig 1923. Frontispiz-Porträt sowie 12 Abbildungen teils in Farbe und drei Bildtafeln nach Fotografien. Leinen

geordnet nach dem Erscheinungsjahr

  • Wolfgang Pfeiffer-Belli: Clemens Brentano. Ein romantisches Dichterleben. 214 Seiten. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1947. Direction de l’Education Publique G.M.Z.F.O.
  • Werner Vordtriede (Hrsg.): Clemens Brentano. Der Dichter über sein Werk. 324 Seiten. dtv München 1978 (© 1970 Heimeran Verlag München), ISBN 3-423-06089-1
  • Konrad Feilchenfeldt: Brentano Chronik. Daten zu Leben und Werk. Mit Abbildungen. 207 Seiten. Carl Hanser, München 1978. Reihe Hanser Chroniken, ISBN 3-446-12637-6
  • Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 1. Das Zeitalter der Französischen Revolution: 1789–1806. 763 Seiten. München 1983, ISBN 3-406-00727-9
  • Helene M. Kastinger Riley: Clemens Brentano. Sammlung Metzler, Bd. 213. Stuttgart 1985. 166 Seiten, ISBN 3-476-10213-0
  • Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 2. Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration: 1806–1830. 912 Seiten. München 1989, ISBN 3-406-09399-X
  • Gerhard Kluge: Clemens Brentanos frühe Erzählungen. S. 31–62 in: Hartwig Schultz (Hrsg.): Clemens Brentano. 1778–1842 zum 150. Todestag. 341 Seiten. Peter Lang, Bern 1993, ISBN 3-906750-94-9
  • Hartwig Schultz: Clemens Brentano. Mit 20 Abbildungen. 224 Seiten. Reclam Stuttgart 1999. Reihe Literaturstudium. Universal-Bibliothek Nr. 17614, ISBN 3-15-017614-X

Zitierte Textausgabe

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  • Altes erstes Manuskriptfragment von der Chronica des fahrenden Schülers. S. 85–177, Aus der Chronicka eines fahrenden Schülers. S. 179–225 in: Gerhard Kluge (Hrsg.): Erzählungen in Jürgen Behrens (Hrsg.), Konrad Feilchenfeldt (Hrsg.), Wolfgang Frühwald (Hrsg.), Christoph Perels (Hrsg.), Hartwig Schultz (Hrsg.): Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe. Band 19. Prosa IV. 868 Seiten. Leinen. Mit 16 ganzseitigen Schwarz-weiß-Abbildungen. W. Kohlhammer, Stuttgart 1987, ISBN 3-17-009440-8

Einzelnachweise

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„Quelle“ meint die zitierte Textausgabe.

  1. Quelle, S. 603, 3. Z.v.o.
  2. Feilchenfeldt, S. 107, Eintrag 1. Januar 1818
  3. Vordtriede, S. 145–146
  4. Quelle, S. 521, 12. Z.v.o.
  5. Quelle, S. 518, 10. Z.v.u. und S. 519, 6. Z.v.u.
  6. Quelle, S. 502–622
  7. Huber, zitiert bei Schultz, S. 73, 7. Z.v.u.
  8. Kluge in den Erläuterungen in der Quelle, S. 517, 17. Z.v.o.
  9. Quelle, S. 103, 12. Z.v.u.
  10. In der Erzählung ist das Gedicht freilich nicht betitelt. Das Meisterwerk heißt auch „Der Spinnerin Nachtlied“ (um 1802), Schulz (1983), S. 639, 4. Z.v.u.
  11. [1]
  12. [2]
  13. [3]
  14. Vordtriede, S. 145, zweite Briefstelle
  15. Feilchenfeldt, S. 48, Eintrag Dezember 1805: Arnim hat den Freund zur Weiterarbeit an der Erzählung ermutigt.
  16. zitiert bei Feilchenfeldt, S. 43, Eintrag 8. September 1804 und S. 184, vierter Eintrag: Karl Philipp Kayser, Aus gärender Zeit. Tagebuchblätter des Heidelberger Professors Karl Philipp Kayser aus den Jahren 1793 bis 1827 mit 10 Abbildungen nach zeitgenössischen Bildern von Friedrich Rottmann. Herausgegeben von Franz Schneider. Karlsruhe 1923
  17. Schulz, S. 470, Mitte
  18. Riley, S. 103, 11. Z.v.u.
  19. Kluge in den Erläuterungen in der Quelle, S. 517, 4. Z.v.o.
  20. Schultz, S. 85–86
  21. siehe auch Kluge in den Erläuterungen in der Quelle, S. 517, 11. Z.v.o.
  22. Pfeiffer-Belli, S. 94 unten – S. 95 oben
  23. Riley, S. 103
  24. Riley, S. 104 unten
  25. Schulz (1989), S. 471, Mitte
  26. Kluge in den Erläuterungen in der Quelle, S. 517, 18. Z.v.o.
  27. Kluge, S. 55, 3. Z.v.o.
  28. Schulz (1983), S. 639, 8. Z.v.u. - S. 640, 10. Z.v.o.
  29. Kluge, S. 57, 4. Z.v.u.
  30. Riley, S. 105, letzter Eintrag