Massaker von Aussig

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Das Massaker von Aussig (auch Aussig-Massaker genannt) war ein gegen die deutsche Zivilbevölkerung gerichteter Pogrom am 31. Juli 1945 in Ústí nad Labem (Aussig) in der Tschechoslowakei.

Dr.-Edvard-Beneš-Brücke (Most Dr. E. Beneše) in Ústí nad Labem, Ort des Massakers von 1945

Anlass dieses Pogroms war die Explosion eines Munitionsdepots im Stadtteil Krásné Březno (Schönpriesen) an diesem Tage, die als Anschlag der Werwölfe dargestellt wurde. Nach Erkenntnissen der Forschung und aus geheimen tschechischen Unterlagen kann davon ausgegangen werden, dass der Anschlag auf das Depot und auch die angebliche Reaktion der Bevölkerung eine gezielte Aktion der Abteilung Z des tschechoslowakischen Innenministeriums, des OBZ, waren. Ziel der Aktion war, einen für das Ausland klar erkennbaren Grund zu schaffen, die restlose Vertreibung der deutschen Minderheit aus dem Sudetenland zu vollziehen. Um diesbezügliche Informationen und Zusammenhänge in die gewünschte Richtung zu lenken, wurde Stabshauptmann Bedřich Pokorný mit der offiziellen Untersuchung der Vorgänge beauftragt.

Sofort nach der Explosion wurden deutsche Zivilisten von tschechischen Revolutionsgarden ohne nähere Untersuchung als vermeintlich Schuldige ausgemacht. Erkennbar waren die Deutschen an weißen Armbinden, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis mindestens Ende 1946 alle Deutschen in der Tschechoslowakei tragen mussten.

Die Menschen wurden erschlagen, mit Bajonetten erstochen, in einem Löschwasserspeicher ertränkt oder von der Elbebrücke gestoßen und im Wasser beschossen. Die Leichen trieben bis ins benachbarte Sachsen. Dort wurden an den in Frage kommenden Tagen laut den Totenmatrikeln der Ufergemeinden 80 Leichen von Erschlagenen aus der Elbe geborgen.[1]

Genaue Opferzahlen waren schwer festzustellen, weil die tschechoslowakische Seite ihre Archive nicht freigab. In sudetendeutschen Publikationen wurde aufgrund der Angaben deutscher Überlebender die Zahl der Toten bei diesem Massaker jahrelang mit über 2000 angegeben.[2] Ein Argument gegen diese Opferzahlen besteht darin, dass später keine entsprechende Zahl von Vermisstenmeldungen vorgelegt wurden. Bei anderen Pogromen an Deutschen, etwa dem Brünner Todesmarsch und den Erschießungen von Saaz/Žatec und Postelberg/Postoloprty Anfang Juni 1945, korrespondieren hingegen die im Laufe der 1950er Jahre erstellten Vermisstenlisten zahlenmäßig gut mit den nach 1989/90 auch anhand tschechischer Quellen plausibel bezifferbaren Opferzahlen. Dem Mangel an Vermisstenmeldungen könnte auch der Umstand zugrunde liegen, dass viele der Opfer Vertriebene und damit nicht registrierte Deutsche (z. B. Schlesier) aus anderen Regionen waren.

Tschechische Historiker sprechen von 43–100 Toten;[3] deutsche Historiker gehen von einer Maximalzahl von 220 Opfern aus.[4]

Täter und deren Verurteilung

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Es gibt seit langem Behauptungen, dieses Massaker sei von der damaligen tschechoslowakischen Regierung unter Ministerpräsident Zdeněk Fierlinger organisiert worden. Durch die Arbeit von Otfrid Pustejovsky gilt heute als gesichert, dass der im tschechoslowakischen Innenministerium tätige Stabskapitän Bedřich Pokorný ein Hauptorganisator dieses Verbrechens war. Er hatte neun Wochen zuvor den Brünner Todesmarsch (Beginn am 31. Mai 1945) organisiert. Eine offizielle juristische Aufbereitung des Geschehens hat nicht stattgefunden. Das Beneš-Dekret 115/46 erklärt derlei Handlungen bis 28. Oktober 1945 im Kampfe zur Wiedergewinnung der Freiheit, … oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziel hatte, … für nicht widerrechtlich.

Der Zeitpunkt des Massakers

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Gedenktafel an das Massaker von Aussig am 31. Juli 1945 auf der Elbbrücke in Aussig

Eine Besonderheit des Massakers ist sein später Zeitpunkt, denn die Welle der offenen Gewalt gegen die Sudetendeutschen wurde von Staatspräsident Edvard Beneš auf Druck der britischen Regierung ab dem 16. Juli 1945 und damit fast auf den Tag genau zum Beginn der Potsdamer Konferenz gestoppt.

Gedenken und Aufarbeitung

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Am 31. Juli 2005 enthüllte der Oberbürgermeister Petr Gandalovič auf der Dr.-Edvard-Beneš-Brücke eine Gedenktafel für die Opfer des Massakers an den deutschen Zivilisten als Zeichen der Versöhnung. Der Text der Inschrift lautet „Zum Gedenken an die Opfer der Gewalt vom 31. Juli 1945“. Dass es sich hier ausschließlich um Deutsche gehandelt hat, wird nicht erwähnt, der Text ist jedoch zweisprachig (tschechisch und deutsch).

An der Außenfassade des neuen Altvaterturms auf dem Wetzstein nahe der Stadt Lehesten im südlichen Thüringer Wald wurde am 28. August 2005 eine Bronze-Relieftafel angebracht.

Einzelnachweise

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  1. Vladimir Kaiser gibt als Quelle die persönliche Auskunft des Stadtmuseumsdirektors von Pirna an; in: ders.: Das Kriegesende und die Vertreibung der Deutschen aus dem Aussiger Gebiet. In: Detlef Brandes: Erzwungene Trennung. Vertreibungen und Aussiedlungen in und aus der Tschechoslowakei 1938–1947 im Vergleich mit Polen, Ungarn und Jugoslawien. Klartext, Essen 1999, ISBN 3-88474-803-3, S. 215.
  2. Wilhelm Turnwald: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen. Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher Interessen, München 1951; zu Aussig S. 95, 119, 121 ff., 131, 133 f., 152, 318, 340, 397.
  3. Vladimir Kaiser: Das Kriegesende und die Vertreibung der Deutschen aus dem Aussiger Gebiet. In: Detlef Brandes: Erzwungene Trennung. Vertreibungen und Aussiedlungen in und aus der Tschechoslowakei 1938–1947 im Vergleich mit Polen, Ungarn und Jugoslawien. Klartext, Essen 1999, ISBN 3-88474-803-3, S. 215.
  4. Peter Steinkamp: Aussig 1945. In: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Darmstadt 2003, S. 16.
  5. Aussig und Potsdam 1945. Rezension von Karl-Peter Schwarz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 3. Februar 2002.
  6. Zu den häufigen Neuauflagen, den Vorarbeiten von Fritz Valjavec seit 1951 und dem Online-Zugang siehe Lemma des Ministeriums.