Azaborinine
Azaborinine (Alternativbezeichnung Dihydroazaborine) sind eine Stoffgruppe chemischer Verbindungen, die als Strukturelement einen ungesättigten Sechsring mit vier Kohlenstoffatomen und jeweils einem Bor- und Stickstoffatom enthalten. Die beiden Heteroatome im Azaborininring können benachbart, versetzt oder gegenüberstehend angeordnet sein, so dass sich die drei Konstitutionsisomere 1,2-, 1,3- und 1,4-Azaborinin ergeben.[1]
Die Azaborinine sind isoelektronisch zum Benzol und es handelt sich um heteroaromatische Verbindungen.[2]
Darstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1,2-Azaborinine
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Synthese des ersten 1,2-Azaborinin-Derivats wurde 1962 von Michael Dewar et al. publiziert.[3] Durch Reduktion des Nitrothiophenderivats 1 mit Zinn und Salzsäure erhält man das entsprechende Aminothiophen-Derivat 2, das sich mit Dichlorphenylboran 3[4] zu dem anellierten Heterocyclus 4 kondensieren lässt. Durch Reaktion mit Raney-Nickel ergibt sich in hoher Ausbeute das 2,3-Diphenyl-6-(2-carbomethoxyethyl)-2,l-azaborinin 5.
Die Synthese eines phenylsubstituierten 1,2-Azaborinins wurde ein Jahr später veröffentlicht.[5] Durch Umsetzung von 3-Buten-1-amin 1[6] mit Trimethylamminphenylboran 2 erhält man 2-Phenyl-1,2-azaboracyclohexan 3. Dabei wird Trimethylamin im Amminkomplex durch die Aminogruppe von 3-Buten-1-amin ausgetauscht und gleichzeitig erfolgt durch die Hydroborierung der Doppelbindung der Ringschluss. Durch Oxidation mit Palladium auf Kohle wird 3 in das 2-Phenyl-1,2-azoborinin 4 überführt.[1]
Nachdem in den nächsten Jahrzehnten nur wenig zur Chemie von Azaborininen publiziert wurde, veröffentlichten mehrere Arbeitsgruppen ab 2000 weitere Syntheserouten.[1][7][8][9]
1,3-Azaborinine
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die erste Synthese eines 1,3-Azaborinins gelang 2011.[10] Dabei wird die mit einem Allylamin-Rest substituierte Tributylzinn-Verbindung 1 mit Hexyllithium lithiiert und dann in einer nukleophilen Substitution mit dem Chlorvinylboran 2 zur Zwischenstufe 3 umgesetzt. In einer dreistufigen Reaktionssequenz liefert die Ringschlussmetathese unter Verwendung eines Grubbs-Katalysators den Stickstoff-Bor-Heterocyclus 4, der abschließend mit Palladium auf Kohle zu dem 1,3-Azaborinin 5 dehydriert wird.
1,4-Azaborinine
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine einfache Synthese eines 1,4-Azaborinin-Derivats wurde 2012 von Holger Braunschweig und Mitarbeitern veröffentlicht. Durch Reaktion von tert-Butyl(tert-butylimino)boran in Gegenwart eines Rhodium-Katalysators in siedendem Benzol unter einer Acetylenatmosphäre erhält man 1,4-Di-tert-butyl-1,4-Azaborinin.[11]
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die drei Konstitutionsisomere von Azaborinin sind sehr unterschiedlich bezüglich der thermodynamischen Stabilität und der Aromatizität.
Quantenchemische Rechnungen ergeben eine abnehmende Stabilität in der Reihe 1,2- > 1,4- > 1,3-Azaborinin.[11] Die thermodynamische Stabilität des 1,2-Azaborinins kann auf die drei aufeinanderfolgenden C-C-Sigma-Bindungen zurückgeführt werden, die eine höhere Bindungsenergie als die C-B- oder die C-N-Bindungen enthalten.[1]
Aufgrund der abnehmenden Delokalisierung der π-Elektronen nimmt die Aromatizität von 1,3-, über 1,2- zu 1,4-Azaborinin ab. Für das N-tert-butyl-substituierte 1,2-Azaborinin wurde eine Resonanzstabilisierungsenergie von 16,6 kcal/mol ermittelt, ein Wert der zwar deutlich unter dem von Benzol (32,4 kcal/mol) liegt, jedoch vergleichbar mit den Heteroaromaten Pyrrol (21,5 kcal/mol) und Furan (16,2 kcal/mol) ist.[1] Analog zum Furan sind auch Diels-Alder-Reaktionen mit Azaborininen bekannt.[12]
Durch die ungleiche Elektronenverteilung im 1,2-Azaborininring können die sechs Ringatome selektiv substituiert werden. Die elektrophile Bromierung erfolgt benachbart zum Boratom in 3-Position, während die Nitrierung in der 4-Position stattfindet.[1]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d e f Yannik Appiarius, Anne Staubitz: Azaborinine: Hybride aus Benzol und Borazin. In: Chemie in unserer Zeit. 2022, S. ciuz.202100061, doi:10.1002/ciuz.202100061.
- ↑ Holger Helten, Ozan Ayhan, Thomas Lorenz: Bor und Stickstoff statt Kohlenstoff. In: Nachrichten aus der Chemie. Band 65, Nr. 5, 2017, S. 535–541, doi:10.1002/nadc.20174055288.
- ↑ Michael J. S. Dewar, Peter A. Marr: A Derivative of Borazarene. In: Journal of the American Chemical Society. Band 84, Nr. 19, 1962, S. 3782–3782, doi:10.1021/ja00878a045.
- ↑ Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Dichlorphenylboran: CAS-Nr.: 873-51-8, EG-Nr.: 629-153-7, ECHA-InfoCard: 100.157.360, PubChem: 136678, ChemSpider: 120441, Wikidata: Q63409846.
- ↑ David G. White: 2-Phenyl-2,1-borazarene and Derivatives of 1,2-Azaboracycloalkanes. In: Journal of the American Chemical Society. Band 85, Nr. 22, 1963, S. 3634–3636, doi:10.1021/ja00905a022.
- ↑ Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu 3-Buten-1-amin: CAS-Nr.: 2524-49-4, PubChem: 443732, ChemSpider: 391842, Wikidata: Q27114138.
- ↑ Arthur J. Ashe, Fang: A Synthesis of Aromatic Five- and Six-Membered B−N Heterocycles via Ring Closing Metathesis. In: Organic Letters. Band 2, Nr. 14, 2000, S. 2089–2091, doi:10.1021/ol0001113.
- ↑ Eric R. Abbey, Ashley N. Lamm, Andrew W. Baggett, Lev N. Zakharov, Shih-Yuan Liu: Protecting Group-Free Synthesis of 1,2-Azaborines: A Simple Approach to the Construction of BN-Benzenoids. In: Journal of the American Chemical Society. Band 135, Nr. 34, 2013, S. 12908–12913, doi:10.1021/ja4073436, PMID 23914914.
- ↑ Holger Braunschweig, K. Geetharani, J. Oscar C. Jimenez-Halla, Marius Schäfer: Direkte Synthese von funktionalisierten 1,2-Azaborininen. In: Angewandte Chemie. Band 126, Nr. 13, 2014, S. 3568–3572, doi:10.1002/ange.201309707.
- ↑ Senmiao Xu, Lev N. Zakharov, Shih-Yuan Liu: A 1,3-Dihydro-1,3-azaborine Debuts. In: Journal of the American Chemical Society. Band 133, Nr. 50, 2011, S. 20152–20155, doi:10.1021/ja2097089, PMID 22091703.
- ↑ a b Holger Braunschweig, Alexander Damme, J. Oscar C. Jimenez-Halla, Bernd Pfaffinger, Krzysztof Radacki, Justin Wolf: Metall-vermittelte Synthese von 1,4-Di-tert-butyl-1,4-azaborin. In: Angewandte Chemie. Band 124, Nr. 40, 2012, S. 10177–10180, doi:10.1002/ange.201205795.
- ↑ Richard J. Burford, Bo Li, Monica Vasiliu, David A. Dixon, Shih-Yuan Liu: Diels-Alder Reactions of 1,2-Azaborines. In: Angewandte Chemie. Band 127, Nr. 27, 2015, S. 7934–7938, doi:10.1002/ange.201503483.