Zidovudin

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Strukturformel
Strukturformel von Zidovudin
Allgemeines
Freiname Zidovudin
Andere Namen
  • Azidothymidin
  • AZT
  • 3′-Azido-3′-desoxythymidin
  • 1-[(2R,4S,5S)-4-Azido-5-hydroxymethyl-oxolan-2-yl]-5-methyl-pyrimidin-2,4-dion (IUPAC)
Summenformel C10H13N5O4
Kurzbeschreibung

weißes bis beiges, kristallines, lichtempfindliches Pulver[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 30516-87-1
EG-Nummer (Listennummer) 623-849-4
ECHA-InfoCard 100.152.492
PubChem 35370
ChemSpider 32555
DrugBank DB00495
Wikidata Q198504
Arzneistoffangaben
ATC-Code
Wirkstoffklasse
Wirkmechanismus

kompetitive Hemmung der reversen Transkriptase

Eigenschaften
Molare Masse 267,24 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

124–126 °C[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze[2]
Toxikologische Daten

3062 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[3]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Zidovudin (auch Azidothymidin, kurz AZT) ist ein chemisches Derivat des Nukleosids Thymidin. Pharmakologisch gehört es zu den nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI), einer Gruppe antiretroviraler Substanzen. Zidovudin dient zur Behandlung HIV-1-infizierter Patienten im Rahmen einer antiretroviralen Kombinationstherapie.

Es wird von der Firma GlaxoSmithKline vertrieben.

AZT ist ein Nukleosid aus Thymin und einer modifizierten Desoxyribose mit einer Azidfunktion statt der Hydroxygruppe an 3′-Position.

AZT wurde erstmals 1964 von Jerome P. Horwitz synthetisiert, der zu dieser Zeit als Wissenschaftler an der Michigan Cancer Foundation arbeitete. Ursprüngliches Ziel war es, ein Medikament zur Behandlung von Krebs zu entwickeln, was jedoch nicht gelang. Im Februar 1985 wies der NIH-Wissenschaftler Hiroaki Mitsuya die Wirksamkeit der Substanz gegen HIV nach. Diese beruht auf der Fähigkeit des Medikaments, die Aktivität des Enzyms Reverse Transkriptase (RT) zu blockieren. Dieses Enzym nutzt das HI-Virus zur Replikation seiner RNA, also für das Umschreiben seines Genoms in DNA. Es erfüllt damit eine entscheidende Funktion bei der Vermehrung des Virus. Kurz darauf kaufte der Pharmakonzern Burroughs-Wellcome (jetzt GlaxoSmithKline) die Rechte an der Substanz auf und beantragte 1986 erfolgreich ein Patent auf AZT als HIV-Medikament, das (für das Monopräparat) 2005 auslief[4][5][6]. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) erteilte am 20. März 1987 die Zulassung für AZT als Medikament zur Behandlung von HIV; 1990 erfolgte die Zulassung als Präventionsmedikament. Burroughs-Wellcome hatte schon in den 1960er Jahren die antivirale Wirksamkeit erkannt und stellte den Stoff zur Verfügung, als die Gruppe am National Cancer Institute um Samuel Broder, Horoaki Mitsuya und Robert Yarchoan 1984 systematisch Virostatika gegen HIV testete.[7]

In den Anfängen der AZT-Behandlung wurden wesentlich höhere Dosen verabreicht als heute: Üblich waren 400 mg alle vier Stunden (sogar nachts). Diese Dosierung führte teils zu schweren Nebenwirkungen, u. a. Anämien. Moderne Behandlungspläne sehen geringere Dosen vor, die nur zwei- bis dreimal am Tag verabreicht werden. Unter einer Monotherapie oder einer Zweierkombination werden selten mehr als 500 bis 600 mg AZT pro Tag gegeben. Ziel ist es, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Außerdem wird AZT heute nahezu immer mit anderen Medikamenten kombiniert, um einer Mutation des HI-Virus in eine AZT-resistente Form entgegenzuwirken – es ist wesentlich unwahrscheinlicher, dass das Virus zwei Resistenzen entwickelt.

Zelluläre Enzyme wandeln AZT in drei aufeinanderfolgenden Schritten in das wirksame AZT-5′-Triphosphat (AZTTP) um. AZT-5′-Triphosphat entfaltet seine Wirkung auf zwei Wegen: als Nukleosidanalogon und somit konkurrierendes Substrat zum Thymidintriphosphat bedingt es die kompetitive Hemmung der reversen Transkriptase (RT) des HI-Virus. Durch seinen Einbau in die DNA stoppt es zum anderen die virale DNA-Synthese. Letzteres hat seine Ursache in der Abwesenheit einer 3′-Hydroxygruppe im AZT, die das Anfügen weiterer Nukleotide in die DNA-Kette unmöglich macht. Studien haben gezeigt, dass der Kettenabbruch der entscheidende Faktor der inhibitorischen Wirkung des AZT ist. AZT hemmt die virale RT etwa hundertmal effektiver als die zelluläre DNA-Polymerase. AZT hydrolysiert außerdem zum 3′-Amino-2′-desoxythymidin, dessen Triphosphat ein Substrat der DNA-Polymerase α ist.

Häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen und gelegentlich auch Fieber. Schwerere Nebenwirkungen, insbesondere Anämie (Blutarmut), Neutropenie und Leukopenie (Verminderung der weißen Blutzellen), sind von der Dosis und der individuellen Konstitution des Patienten abhängig. Da AZT heute in wesentlich geringeren Dosen verabreicht wird als zu Zeiten seiner Markteinführung, treten schwere Nebenwirkungen nur noch gelegentlich auf. So werden Blutarmut und Verminderung der Leukozytenzahl, insbesondere wenn AZT im Rahmen einer Dreierkombination zusammen mit einem HIV-Proteaseinhibitor eingenommen wird, nur sehr selten beobachtet.

Die unerwünschten Nebenwirkungen von AZT könnten in der Empfindlichkeit der DNA-Polymerase γ begründet sein; diese Polymerase ist ein Enzym in den Mitochondrien der Zellen, das möglicherweise von AZT in seiner Funktion beeinträchtigt wird. Die mitochondriale Toxizität von AZT und die dadurch verursachten Zellschädigungen sind intensiv untersucht.[8] Eine Studie zeigte, dass die mitochondriale DNA von Patienten nach zehnjähriger Behandlung Schädigungen zeigt, die den normalen Alterungsprozessen von zwei bis drei Jahrzehnten entsprechen. Die klinische Bedeutung dieser Erkenntnisse ist noch unklar.[9]

Concorde-Studie

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Aufgrund der Ergebnisse der Mitte der 1990er Jahre durchgeführten großen Concorde-Studie mit 1749 HIV-Patienten[10] musste die bis 1994 eingesetzte AZT-Dosierung erheblich reduziert werden. In dieser mehrjährigen Untersuchung (mittlere Beobachtungszeit 3,3 Jahre) wurde einer HIV-Patientengruppe sofort AZT verabreicht (877 Patienten), in einer weiteren HIV-Patientengruppe erfolgte die Behandlung zunächst mit Placebo und erst zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt mit AZT (872 Patienten). Die Concorde-Studie veränderte die mit AZT verbundenen Therapie-Erwartungen, denn in der sofort behandelten Patientengruppe kam es zu mehr Todesfällen (96:76), häufiger zu Therapieabbruch wegen schwerer Nebenwirkungen (99:38) und auch öfter zu einer Dosisreduzierung (148:37). Seit der weltweiten Verringerung der Dosierung und der Kombination von AZT mit weiteren Wirkstoffklassen Kombinationstherapie (HAART) haben sich die Überlebenschancen der HIV-Patienten wesentlich verbessert.

Die anfängliche Hoffnung, mit AZT den entscheidenden Schlag gegen HIV und AIDS führen zu können, stellte sich bald als überhöht dar. Neben der – besonders bei den früher üblichen hohen Dosierungen auftretenden – Toxizität machte vor allem die Resistenzentwicklung zu schaffen. Andere NRTIs (ab 1991) und andere Wirkstoffgruppen wie NNRTIs und HIV-Proteasehemmer (ab 1995) wurden daher entwickelt und die Medikamente vorzugsweise in Dreifachkombinationen im Rahmen der HAART eingesetzt. So ist eine bessere Kontrolle der HIV-Vermehrung möglich und es können deutliche Lebensverlängerungen erzielt werden. Durch die niedrigere Dosierung von AZT stellt die Toxizität ein im Vergleich zu früher geringeres Problem dar und die Resistenzentwicklung ist in der HAART erschwert. Auch Dreifachkombinationen können jedoch HIV nicht völlig ausschalten und auch in niedriger Dosierung ist besonders die mitochondriale Langzeittoxizität von AZT ein Problem. In manchen Situationen greift man daher bevorzugt auf neuere NRTIs wie Abacavir oder Tenofovir zurück. Abzuwarten bleibt, ob AZT nach Etablierung neuer Substanzen wie Fusionshemmer, Integrasehemmer, Korezeptorantagonisten und Maturationshemmer langfristig seinen heutigen Stellenwert behalten wird. Im Moment stellt AZT jedoch trotz aller Probleme und Schwächen selbst nach 20 Jahren noch einen unverzichtbaren Teil vieler Regime dar, da es erwiesenermaßen wirksam ist, das am besten erforschte und am längsten bekannte HIV-Medikament ist und z. B. auch die Liquorgängigkeit günstig ist.

Einige AIDS-Leugner behaupten trotz gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Zusammenhang von HIV und AIDS, dass nicht HIV AIDS verursacht, sondern unter anderem AZT.[11]

Mehrere vielstufige Synthesen für Zidovudin, ausgehend von Thymidin, sind in der Literatur beschrieben.[12]

Monopräparate

Retrovir (D, A, CH)

Kombinationspräparate

Combivir (D, A, CH), Trizivir (D, A, CH)

Einzelnachweise

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  1. a b Hermann Ammon (Hrsg.): Hunnius pharmazeutisches Wörterbuch. 8. Auflage, de Gruyter, Berlin 2004. ISBN 3-11-015792-6.
  2. a b Datenblatt 3′-Azido-3′-deoxythymidine bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 27. Mai 2022 (PDF).
  3. Eintrag zu Zidovudine in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar)
  4. H. Gupta, S. Kumar, S. K. Roy, R. S. Gaud: Patent protection strategies. In: Journal of pharmacy & bioallied sciences. Band 2, Nummer 1, Januar 2010, S. 2–7, doi:10.4103/0975-7406.62694, PMID 21814422, PMC 3146086 (freier Volltext).
  5. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  6. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  7. Derek Lowe, Das Chemiebuch, Librero 2017, S. 466
  8. T. Yamaguchi, I. Katoh, S. Kurata: Azidothymidine causes functional and structural destruction of mitochondria, glutathione deficiency and HIV-1 promoter sensitization. Eur J Biochem. 2002 Jun;269(11):2782–2788, PMID 12047388.
  9. B.A.Payne, I.J. Wilson, C.A. Hateley, R. Horvath, M. Santibanez-Koref: Nature Genetics. 2011 Jun 26. PMID 21706004.
  10. Concorde Coordinating Committee. Concorde: MRC/ANRS randomised double-blind controlled trial of immediate and deferred zidovudine in symptom-free HIV infection. The Lancet. 1994 Apr 9;343(8902):871–881, PMID 7908356.
  11. Jon Cohen: The Duesberg Phenomenon. (PDF; 47 kB) Science, 1994 1642–1644. doi:10.1126/science.7992043.
  12. Axel Kleemann, Jürgen Engel, Bernd Kutscher und Dietmar Reichert: Pharmaceutical Substances. 4. Auflage, 2 Bände. Thieme-Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 978-1-58890-031-9; seit 2003 online mit halbjährlichen Ergänzungen und Aktualisierungen.
  • E. De Clercq: HIV resistance to reverse transcriptase inhibitors. In: Biochemical Pharmacology 1994; 47:155–169.
  • H.P. Rang, M.M. Dale, J.M. Ritter: Pharmacology, 3rd edition. Pearson Professional Ltd, 1995.
  • J. Balzarini, L. Naesens, S. Aquaro, T. Knispel, C.-F. Perno, E. De Clercq, C. Meier: Intracellular Metabolism of CycloSaligenyl 3’-Azido-2’-3’-dideoxythymidine Monophosphate, a Prodrug of 3’-Azido-2’-3’-dideoxythymidine (Zidovudine). In: Molecular Pharmacology. 1999; 56:1354–1361.
  • T. Yamaguchi, I. Katoh, S. Kurata: Azidothymidine causes functional and structural destruction of mitochondria, glutathione deficiency and HIV-1 promoter sensitization. In: Eur J Biochem. 2002 Jun;269(11):2782–2788. PMID 12047388 PDF.
  • J.G. de la Asuncion, M.L. Del Olmo, L.G. Gomez-Cambronero, J. Sastre, F.V. Pallardo, J. Vina: AZT induces oxidative damage to cardiac mitochondria: protective effect of vitamins C and E. In: Life Sci. 2004 Nov 19;76(1):47–56. PMID 15501479.
  • I. Papparella, G. Ceolotto, L. Berto, M. Cavalli, S. Bova, G. Cargnelli, E. Ruga, O. Milanesi, L. Franco, M. Mazzoni, L. Petrelli, G.G. Nussdorfer, A. Semplicini: Vitamin C prevents zidovudine-induced NAD(P)H oxidase activation and hypertension in the rat. In: Cardiovasc Res. 2007 Jan 15;73(2):432–438. PMID 17123493.
  • D.J. Feola, B.A. Garvy: Combination exposure to zidovudine plus sulfamethoxazole-trimethoprim diminishes B-lymphocyte immune responses to Pneumocystis murina infection in healthy mice. In: Clin Vaccine Immunol. 2006 Feb;13(2):193–201. PMID 16467325.
  • A.C. Collier AC, R.J. Helliwell, J.A. Keelan, J.W. Paxton, M.D. Mitchell, M.D. Tingle: 3′-azido-3′-deoxythymidine (AZT) induces apoptosis and alters metabolic enzyme activity in human placenta. In: Toxicol Appl Pharmacol. 2003 Oct 15;192(2):164–173. PMID 14550750.
  • O. Benveniste, J. Estaquier, J.D. Lelievre, J.L. Vilde, J.C. Ameisen, C. Leport: Possible mechanism of toxicity of zidovudine by induction of apoptosis of CD4+ and CD8+ T-cells in vivo. In: Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 2001 Dec;20(12):896–897, PMID 11837644.
  • D. Mondal, L. Pradhan, M. Ali, K.C. Agrawal: HAART drugs induce oxidative stress in human endothelial cells and increase endothelial recruitment of mononuclear cells: exacerbation by inflammatory cytokines and amelioration by antioxidants. In: Cardiovasc Toxicol. 2004;4(3):287–302. PMID 15470276.
  • J.G. de la Asuncion, M.L. del Olmo, J. Sastre, A. Millan, A. Pellin, F.V. Pallardo, J. Vina: AZT treatment induces molecular and ultrastructural oxidative damage to muscle mitochondria. Prevention by antioxidant vitamins. In: J Clin Invest. 1998 Jul 1;102(1):4–9. PMID 9649550.
  • J. Garcia-de-la-Asuncion, L.G. Gomez-Cambronero, M.L. Olmo, F.V. Pallardo, J. Sastre, J. Vina: Vitamins C and E prevent AZT-induced leukopenia and loss of cellularity in bone marrow. Studies in mice. In: Free Radic Res. 2007 Mar;41(3):330–334. PMID 17364962.
  • Concorde: MRC/ANRS randomised double-blind controlled trial of immediate and deferred zidovudine in symptom-free HIV infection. Concorde Coordinating Committee. In: Lancet. 1994 Apr 9;343(8902):871–881. PMID 7908356.

In dem Film Dallas Buyers Club (2013) spielt die Wirkung von Zidovudin (AZT) eine wichtige Rolle. Auch in der Netflix-Serie „Pose“ werden insbesondere die anfänglich starken Nebenwirkungen der AZT-Therapie thematisiert.[1]

Wiktionary: Zidovudin – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
  1. ‘Pose’s HIV Medicine Redistribution Scene Is Important — and Ongoing. Abgerufen am 15. Februar 2023 (englisch).