Barrierefreiheit in der Hochschullehre

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Barrierefreiheit in der Hochschullehre erleichtert oder ermöglicht es Menschen mit Behinderungen, an Hochschulen zu lernen oder zu lehren. Es werden dabei verschiedene Aspekte der Barrierefreiheit speziell für den Hochschulbetrieb umgesetzt. Dies schließt die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben ein, wie zum Beispiel das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0), die sicherstellen, dass sowohl digitale als auch physische Lernumgebungen zugänglich gestaltet werden. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet Hochschulen zur Förderung einer inklusiven Bildung. Dabei spielt die digitale Barrierefreiheit an Hochschulen eine immer bedeutsamere Rolle, da Lernplattformen, Online-Materialien und digitale Prüfungen zunehmend zum festen Bestandteil des Hochschulalltags gehören.

Aspekte der Barrierefreiheit in der Hochschullehre

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Mobilitätseinschränkungen

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Häufig wird bei Barrierefreiheit zunächst an physische Barrieren gedacht, die es Menschen in Rollstühlen oder Gehhilfen erschweren oder verunmöglichen, Zugang zu Orten, Räumen oder Gebäuden zu erlangen.[1] Besonders an Hochschulen sind Hörsäle häufig nur unzureichend zugänglich, da die Sitzreihen gestuft sind (Theaterbestuhlung), Eingänge sich auf verschiedenen Ebenen des Gebäudes befinden und die Bänke und Sitzplätze fest installiert sind und keinen Platz für Rollstühle lassen. Diese Probleme müssen durch den Einbau von Rampen, die Ergänzung von höhenverstellbaren Tischen mit ausreichend Manövrierraum, Gebäudeorientierungsmaßnahmen[2] und den Einbau von Aufzügen ausreichender Größe mit erreichbaren Kontrollknöpfen angegangen werden.[3]

Sehbehinderungen

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Neben den offensichtlichen Problemen mit Wandtafeln in Hörsälen stehen hier die Lehrmaterialien im Vordergrund. Sind diese papierbasiert, so sind bis auf die wenigen in Brailleschrift vorhandenen Lehrbücher und Zeitschriften häufig nur zeitintensive Lösungen „auf Verlangen“ möglich.[4] Handelt es sich dagegen um elektronische Lehrmittel, so ermöglichen Screenreader bei Einhaltung der Web Content Accessibility (WCAG)-Richtlinien den Zugang. Bei grafischen Inhalten erfordert dies allerdings die Erstellung von Alt-Text, was sich bei MINT-Inhalten als sehr kompliziert erweisen kann; hier, wie auch bei der Beschreibung von Formeln, kann Künstliche Intelligenz unterstützend sein.[5][6] Elektronische Datenerfassung durch Sensoren eröffnet Möglichkeiten für blinde Studenten, in Laborkursen Messwerte aufzunehmen.[7]

Hörbehinderungen

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Im Hörsaal sollten hier den Dozenten und dem Publikum Mikrofone zur Verfügung stehen, die mit induktiven Höranlagen verbunden sind; erstere sind häufig im Rahmen der Lehrtechnologie bereits für Aufzeichnungen vorhanden. Bei Videoaufzeichnungen von Vorlesungen sind Untertitel unerlässlich, welche heutzutage durch Künstliche Intelligenz in akzeptabler Qualität automatisch generiert und gegebenenfalls nachgebessert werden können.[8]

Neurodiversität

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Im Kontext der Hochschullehre nimmt die Barrierefreiheit für neurodivergente Studierende, insbesondere mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS), eine zunehmend wichtige Rolle ein. Innovative didaktische Ansätze (Neurodidaktik) umfassen die Entwicklung von Curricula und Lernumgebungen, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Studierenden mit ASS zugeschnitten sind, und beinhalten Maßnahmen wie flexible Lernzeiten, reizarme Ruhezonen und den Einsatz von technischen Hilfsmitteln. Ziel ist es, durch Sensibilisierung und angepasste Lehrmethoden die Herausforderungen in der Lehre für neurodivergente Studierende zu mindern und deren akademische Erfolge zu fördern.[9]

An vielen Hochschulen wird versucht, Universal Design (und hier im Speziellen Universal Design for Learning) umzusetzen.[10][11] Bei elektronischen Lehrmitteln sind die Web Content Accessibility Guidelines[12] von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Digitale Barrierefreiheit ist für die Hochschullehre ein wichtiges strategisches Thema. Sie stellt sicher, dass Studierende und Lehrende unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten oder Einschränkungen, uneingeschränkten Zugang zu digitalen Bildungsressourcen haben.

Portal: Hochschullehre – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Hochschullehre

Das Deutsche Studierendenwerk bietet Materialien zur Einführung ins Thema „barrierefrei lehren“[13] an.

Burgstahler, Sheryl E. Burgstahler/ Rebecca C. Coy (Hrsg.) (2015): Universal Design in Higher Education: From Principles to Practice. 2nd, Cambridge, MA: Harvard Education Press, 2015

Björn Fisseler (2023): Universal Design for Learning in der Lehrer*innenbildung: ein Weg zu mehr digitaler Inklusion und Teilhabe? In: Schulische Medienbildung und Digitalisierung im Kontext von Behinderung und Benachteiligung / Betz, Joachim; Schluchter, Jan-René (Hrsg.). - 1. Auflage, Weinheim: Beltz Juventa, 2023, S. 318–333

Maike Gattermann-Kasper/Marie Luise Schütt (2022): Inklusive Hochschule. Konzeptionelle Grundlagen, aktueller Stand und Entwicklungen. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens, 70 (2922) 1, S. 92–106

Henrike Schwaab (2024): Barrierefreiheit: Eine Hochschule für alle? In: Forschung und Lehre. 31.jg., 6/24. https://www.forschung-und-lehre.de/management/eine-hochschule-fuer-alle-6490, abgerufen am 23. Oktober 2024

Einzelnachweise

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  1. ETH Zürich: Hindernisfreiheit an der ETH Zürich. Abgerufen am 3. Juni 2024.
  2. Digitale Barrierefreiheit in der Bildung weiter denken : Innovative Impulse aus Praxis, Technik und Didaktik. 1. Auflage. Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main, 2023, ISBN 978-3-88131-102-1, doi:10.21248/gups.62773 (uni-frankfurt.de [abgerufen am 3. Juni 2024]).
  3. DIN-Normenausschuss Maschinenbau: DIN EN 81-70:2022 Zugänglichkeit von Aufzügen für Personen einschließlich Personen mit Behinderungen. DIN e.V., Berlin 1. Dezember 2022.
  4. Megan Holt, Daniel Gillen, Sacha D. Nandlall, Kevin Setter, Paul Thorman, Suzanne Amador Kane, Christa Hixson Miller, Chelsea Cook, Cary Supalo: Making Physics Courses Accessible for Blind Students: Strategies for Course Administration, Class Meetings, and Course Materials. In: The Physics Teacher. Band 57, Nr. 2, 1. Februar 2019, ISSN 0031-921X, S. 94–98, doi:10.1119/1.5088469 (aip.org [abgerufen am 3. Juni 2024]).
  5. Felix M. Schmitt-Koopmann, Elaine M. Huang, Alireza Darvishy: Accessible PDFs: Applying Artificial Intelligence for Automated Remediation of STEM PDFs. ACM, 2022, ISBN 978-1-4503-9258-7, S. 1–6, doi:10.1145/3517428.3550407 (acm.org [abgerufen am 3. Juni 2024]).
  6. Gerd Kortemeyer: Using artificial-intelligence tools to make LaTeX content accessible to blind readers. In: TeX User Group (Hrsg.): TUGboat. 2. Auflage. Band 44, 2023, S. 390–399.
  7. Cary A. Supalo, Thomas E. Mallouk: Talking Tools to Assist Students Who are Blind in Laboratory Courses. In: Journal of Science Education for Students with Disabilities. Band 12, Nr. 1, 1. November 2007, S. 27–32, doi:10.14448/jsesd.01.0003 (rit.edu [abgerufen am 3. Juni 2024]).
  8. Patricia Piskorek, Nadine Sienel, Korbinian Kuhn, Verena Kersken, Gottfried Zimmermann: Evaluating Collaborative Editing of AI-Generated Live Subtitles by Non-Professionals in German University Lectures. In: ICCHP-AAATE 2022 Open Access Compendium "Assistive Technology. Accessibility and, 2022, S. 11 pages, doi:10.35011/ICCHP-AAATE22-P1-22 (jku.at [abgerufen am 3. Juni 2024]).
  9. Simone Tuena-Küpfer: Neurodiversität an Hochschulen – gleiche Bildungschancen für alle: Zur Umsetzung einer flexiblen, neurodivers-sensitiven Methodik und Neurodidaktik an Hochschulen. In: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik. Band 30, Nr. 02, 12. März 2024, ISSN 2813-4907, S. 43–49, doi:10.57161/z2024-02-07 (szh.ch [abgerufen am 3. Juni 2024]).
  10. Miodrag Mitrasinovic: Universal Design. In: Wörterbuch Design. Birkhäuser Basel, Basel 2008, ISBN 978-3-7643-7738-0, S. 418–421, doi:10.1007/978-3-7643-8142-4_317 (springerlink.com [abgerufen am 3. Juni 2024]).
  11. Universal design in higher education: from principles to practice. 2nd edition Auflage. Harvard Education Press, Cambridge, MA 2015, ISBN 978-1-61250-816-0.
  12. W3C: Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.2. 5. Oktober 2023, abgerufen am 3. Juni 2024.
  13. Deutsches Studierendenwerk: barrierefrei lehren. Abgerufen am 22. Oktober 2024.