Baumkontrolle
Die Baumkontrolle (auch Regelkontrolle) ist eine Sichtkontrolle von Bäumen im Sinne der Verkehrssicherungspflicht. Dabei werden Bäume durch systematische Inaugenscheinnahme (ohne technische Hilfsmittel) auf verkehrsgefährdende Schäden an Wurzel, Stamm und Krone regelmäßig untersucht.
In der Praxis verwenden professionelle Baumkontrolleure die Regeln der FLL-Baumkontrollrichtlinien oder spezielle Leitfäden (z. B. Leitfaden Baumkontrolle an Bundeswasserstraßen). Bestimmte Pathogene, schwere Defekte und statisch relevante Schäden können verkehrsgefährdend sein und müssen im Zweifelsfall durch eine eingehende Untersuchung abgeklärt werden.
Wird eine Gefahr durch den Kontrolleur erkannt, muss er das weitere Vorgehen festlegen. Dies kann …
- die Empfehlung von Baumpflegemaßnahmen,
- ein verkürztes Kontrollintervall,
- die Fällung oder auch
- die eingehende Untersuchung durch einen Sachverständigen sein.
Organisation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Baumkontrolle im öffentlichen Grün wird durch die Grünflächenämter der Kommunen, die Straßenmeistereien bzw. externe und speziell geschulte Baumkontrolleure regelmäßig durchgeführt. Grundlage der Baumkontrolle bildet heutzutage in vielen Kommunen eine Software, die an ein Baumkataster mit GIS angegliedert ist.
Für die Durchführung bieten sich vereinheitlichte Checklisten an, welche bspw. aus der Literatur entnommen werden und individuell angepasst werden können.[1]
Umfang der Baumkontrolle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Baummerkmale
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kontrolliert werden die Krone, der Stamm, der Stammfuß, die Wurzeln sowie das Baumumfeld.
Kontrollintervalle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jede Baumkontrolle muss mit der Bestimmung eines Kontrollintervalls bzw. mit der Terminierung der nächsten Kontrolle abschließen. Die zeitlichen Abstände der Regelkontrollen eines Baumes werden für gewöhnlich von folgenden Faktoren abhängig gemacht:[2]
- Berechtigte Sicherheitserwartung des Verkehrs
- Zustand des Baumes und Baumumfeldes
- Aktuelle Entwicklungsphase, Alter und Art des Baumes
Die FLL schlägt zur Bestimmung des Regelkontrollintervalls folgende Matrix vor:[2]
Zustand des Baumes | Reifephase | Altersphase | Jugendphase | ||
---|---|---|---|---|---|
Berechtigte Sicherheitserwartung des Verkehrs | |||||
geringer | höher | geringer | höher | Eine Kontrolle ist nicht vorgesehen, da eine fachgerechte Anwuchs- und Jungbaumpflege regelmäßig durchgeführt wird | |
gesund, leicht geschädigt | alle 3 Jahre | alle 2 Jahre | alle 2 Jahre | 1 × jährlich | |
stärker geschädigt | 1 × jährlich |
Rechtliche Verpflichtung zur Baumkontrolle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Pflicht zur Verkehrssicherung ist gesetzlich nicht wörtlich verankert oder definiert. Sie wurde aus der allgemeinen Schadensersatzpflicht des § 823 BGB durch verschiedene Gerichtsurteile entwickelt. Die Pflicht zur Verkehrssicherung obliegt, bezogen auf Bäume, dem Eigentümer des Baumes. Kommt der Eigentümer dieser Pflicht nicht nach und erleidet ein Dritter dadurch einen Schaden, so kann der Eigentümer zu Schadensersatz verpflichtet sein.[1]
Als Grundlegend für die Verkehrssicherungspflicht an Bäumen wird ein Urteil des BGH vom 21. Januar 1965 (III ZR 217/63) betrachtet. Der BGH führt aus, dass der Baumeigentümer eine „sorgfältige, äußere Besichtigung“ durchzuführen hat. Im Umfang grenzt der BGH diese Pflicht insofern ein, als dass „nach dem jeweiligen Stand der Erfahrungen und Technik [...] den Gefahren vorebeugend Rechnung getragen wird, die nach der Einsicht eines besonnenen, verständigen und gewissenhaften Menschen erkennbar sind“. Für die Baumkontrollpraxis ergibt sich daraus, dass grundsätzlich kein besonders geschultes Fachpersonal eingesetzt werden muss. Dennoch hält der BGH fest, dass bei der „Feststellung verdächtiger Umstände“ eine „eingehende fachmännische Untersuchung“ veranlasst werden muss.[2]
Um die Durchführung und Ergebnisse der Baumkontrolle im Zweifel vor Gericht nachzuweisen, sollte die Kontrolle auf einem haltbaren Datenträger, manipulationssicher und lückenlos dokumentiert werden.[1]
Einschlägige Regeln der Technik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Stand der Technik gelten die Richtlinien für Baumkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit (kurz: Baumkontrollrichtlinien) der FLL. Diese wurden erstmals 2004 herausgegeben und 2010 fortgeschrieben. Die neueste, aktuell gültige Ausgabe, ist von 2020 (Stand: 2022).[2]
Verwiesen wird dort auch auf folgende Normen:
- DIN 18920: Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen (DIN)
- Richtlinien für die Anlage von Straßen. Teil: Landschaftspflege, Abschnitt 4:Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen (FGSV)
- Baumuntersuchungsrichtlinien – Richtlinien für eingehende Untersuchungen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen (FLL)
- ZTV Baumpflege – Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baumpflege (FLL)
Visual-Tree-Assessment (VTA)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vertreter des Visual-Tree-Assessement (VTA) verstehen dieses ebenfalls als gerichtsfestes Vorgehen und dem Stand der Technik entsprechend.[3] Nichtsdestotrotz steht diese Methodik in der Fachwelt unter immenser Kritik und findet in den FLL-Baumkontrollrichtlinien keine Erwähnung.
Berufsbild Baumkontrolleur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zwar muss laut Rechtsprechung eine Baumkontrolle nicht durch besonders geschultes Personal durchgeführt werden. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass es sinnvoll ist Baumkontrolleure einzusetzen, die grundlegende Fachkenntnisse besitzen und regelmäßig fortgebildet werden.[1] In vielen Kommunen und Unternehmen wird die Baumkontrolle von ausgebildeten Gärtnern oder Forstwirten sowie von Baumpflegern mit Berufserfahrung übernommen oder die Kontrollen extern vergeben.
Es werden zudem verschiedene Fortbildungen angeboten, die grundlegendes baumbiologisches Wissen zur Durchführung von Baumkontrollen vermitteln:
- FLL-Zertifizierter Baumkontrolleur – Zielt direkt auf die Tätigkeit als Baumkontrolleur ab[4]
- European Tree Worker (ETW) – Vermittelt grundlegendes Wissen zur Baumpflege, beinhaltet ggf. die FLL-Zertifizierung als Baumkontrolleur[5]
- European Tree Technician (ETT) – Aufbaukurs zum ETW, vermittelt weitergehendes baumbiologisches Wissen[6]
- Geprüfter Fachagrarwirt / Geprüfte Fachagrarwirtin für Baumpflege – Bachelor Professional Baumpflege – Vermittelt eingehendes Wissen zur Baumpflege, beinhaltet die FLL-Zertifizierung als Baumkontrolleur[7]
Die HAWK Göttingen bietet ein Studium der Arboristik (Bsc.) an, welches das Management urbaner Baumbestände thematisiert.[8]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- FLL (2020): Richtlinien zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen. S. 52
- Lothar Wessolly und Martin Erb (2014): Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle. Patzer Verlag, Berlin-Hannover, S. 287
- Claus Mattheck, Hans-Joachim Hötzel: Baumkontrolle mit VTA. Fachliche Anleitung und rechtliche Absicherung. Rombach, Freiburg im Breisgau 2003, ISBN 3-7930-9153-8 oder ISBN 978-3-7930-9153-0.
- Hans-Joachim Hötzel: Schuldhafte Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht bei Bäumen – mehr Rechtssicherheit durch die Anwendung des Visual Tree Assessment (VTA) als neuentwickelter Methode der Baumkontrolle. Agrarrecht 3/1996, S. 77 f.
- Hans-Joachim Hötzel: Baumkontrolle zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht. VTA – Stand der Technik, NJW 1997, S. 1757.
- Hans-Joachim Hötzel: Wer haftet bei Fehlern in einem Regelwerk? DEGA 35/2006.[9]
- Dirk Dujesiefken, Petra Kockerbeck: Jahrbuch der Baumpflege. Thalacker-Verlag, 2004, ISBN 3-87815-205-1.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Downloadbereich – Tree-Consult – Tree-Consult (Brudi und Partner)
- Institut für Baumpflege Hamburg – Prof. Dr. Dujesiefken und weitere
- Faltblatt Visuelle Baumkontrolle – Landesbetrieb Wald und Holz NRW
- RWA Verkehrssicherheit / Baumkontrollen – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL)
- Baumkontrolle an Bundeswasserstraßen – Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (PDF; 313 kB)
- Baumkontrolle - Was ist das? – Baumkontrolle Königs Wusterhausen (Gutachter)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d Stefan Düsterdiek: Verkehrssicherheit und Baumkontrolle Der Praxisleitfaden zu den FLL-Baumkontrollrichtlinien. 1. Auflage. Braunschweig 2020, ISBN 978-3-87815-269-9.
- ↑ a b c d Baumkontrollrichtlinien - Richtlinien für Baumkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit. 3. Auflage. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau, Bonn 2020.
- ↑ Oliver Wittek: Neue Urteile zur Verkehrssicherungspflicht bei Bäumen. Die VTA-Methode in der aktuellen Rechtsprechung. In: Arboristik – Recht. Arboristik.de, 9. Mai 2017, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 9. Oktober 2018; abgerufen am 1. Januar 2019. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ FLL-Zertifizierter Baumkontrolleur. FLL, abgerufen am 4. Januar 2023.
- ↑ European Tree Worker. Münchner Baumkletterschule, abgerufen am 23. Dezember 2022.
- ↑ European Tree Technician. Nürnberger Schule, abgerufen am 23. Dezember 2022.
- ↑ Voraussetzungen zur Anerkennung des FLL-Zertifizierten Baumkontrolleurs für vergleichbare Abschlüsse. FLL, abgerufen am 30. Januar 2023.
- ↑ Studiengang Bachelor of Science (BSc) Arboristik | HAWK. Abgerufen am 4. Januar 2023.
- ↑ PDF-Archiv – 35-2006, DEGA GaLaBau, Ausgabe 35. Ulmer, Stuttgart 2006, S. 10.