Beerdigung von Boris Pasternak

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Die Beisetzung von Boris Pasternak fand am 2. Juni 1960 auf dem Friedhof von Peredelkino (russisch Переделкинское кладбище) statt.[1] Trotz der Bemühungen der Behörden, das Ereignis herunterzuspielen, versammelten sich viele[2] um Abschied von dem verehrten Dichter zu nehmen. Die Zeremonie war geprägt von einer Mischung aus Trauer und Protest, und sie markierte einen bedeutenden Moment in der sowjetischen Kulturgeschichte. Für viele war die Teilnahme an der Beerdigung nicht nur eine Hommage an den verstorbenen Dichter, sondern auch ein Akt der Zivilcourage, wahrscheinlich der erste seit vielen Jahrzehnten in Sowjetrussland, ein Akt des Widerstands gegen die Unterdrückung von Meinungsfreiheit und künstlerischer Freiheit.

Friedhof von Peredelkino

Der russische Dichter und Schriftsteller Boris Leonidowitsch Pasternak war am 30. Mai 1960 im Alter von 71 Jahren in Peredelkino bei Moskau nach schwerer und langer Krankheit verstorben. Er war eine der wichtigsten Figuren der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 1958 erhielt er den Nobelpreis für Literatur für seinen Roman Doktor Schiwago, der ihm internationalen Ruhm einbrachte, aber auch den Zorn der sowjetischen Behörden, die das Werk als subversiv betrachteten. In den Zeiten des Kalten Kriegs durfte dieser in Russland nicht erscheinen. Nach vielem Hin und Her wurde er zuerst in Italien in einer italienischen Übersetzung veröffentlicht, eine von der CIA finanziell geförderte russische Originalausgabe wurde im August 1958 beim Den Haager Mouton Verlag veröffentlicht.

Der Moskauer Datschenvorort Peredelkino, auf dessen Friedhof Pasternak begraben wurde, war sein langjähriger Wohnort.[3] Die Nachricht über seinen Tod wurde in der Literaturnaja gaseta (vom 2. Juni) und in der Zeitung Literatura i schisn (vom 1. Juni) sowie in der Zeitung Wetschernjaja Moskwa veröffentlicht. Sein Tod löste eine Welle der Trauer und Kontroverse aus, die die sowjetische Gesellschaft tief spaltete.

Die Literaturnaja gaseta verkündete den Tod eines der ersten russischen Dichter des 20. Jahrhunderts mit einer kurzen Mitteilung als "Mitglied des Literaturfonds der UdSSR[4]":[5]

«правление Литературного Фонда СССР извещает о смерти писателя, члена Литфонда, Бориса Леонидовича Пастернака, последовавшей 30 мая сего года, на 71 году жизни, после тяжелой и продолжительной болезни, и выражает соболезнование семье покойного»

„Der Vorstand des Literaturfonds der UdSSR gibt den Tod des Schriftstellers und Mitglieds des Literaturfonds Boris Leonidowitsch Pasternak bekannt, der am 30. Mai dieses Jahres im Alter von 71 Jahren nach schwerer und langer Krankheit verstorben ist, und spricht der Familie des Verstorbenen sein Beileid aus.“

Trotz der 'Schande' des Dichters – er war aus dem sowjetischen Schriftstellerverband ausgeschlossen worden und es lief eine Denunziationskampagne[6] gegen ihn[7] – fanden sich am 2. Juni 1960 zahlreiche Menschen ein, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Unter den Trauergästen waren prominente Persönlichkeiten wie Naum Korzhavin, Bulat Okudschawa, Andrei Wosnessenski, Qaysin Quli[8]. In seiner Biografie von Alexander Solschenizyn erwähnt D. M. Thomas vier Pianisten, die bei der Beerdigung von Boris Pasternak spielten: Swjatoslaw Richter, Maria Judina, Stanislaw Neuhaus und Andrei Wolkonski.[9]

Eine detailreiche Schilderung des Geschehnisses liefert die Pasternak-Biographie von Christopher J. Barnes:[10]

„There was no church funeral, but a local priest celebrated Orthodox requiem in the dacha for family and closest friends on 1st June. Although officially ignored and boycotted, the funeral on 2 June was attended by many hundreds apart from family and friends, there were many students, intelligentsia, foreign newsmen, local inhabitants, and anonymous admirers who had learned of his death by word of mouth. Richter and Yudina played as mourners filed through the drawing room past the flower-decked coffin. Official transport for the burial was ignored, and the coffin was borne out along the road to the cemetery by a group of young men including Pasternak's sons, the two sons of Vsevolod Ivanov, Stanislav Neigauz and Mikhail Polivanov. The coffin lid was carried by Yulii Daniel and Andrei Sinyavsky. Pasternak was buried beneath three pines at the edge of the Peredelkino cemetery. At the graveside Valentin Asmus gave a short, restrained but courageous speech of appreciation, and Golubentsev recited 'Hamlet'. After the formalities, many people ignored official attempts to end the meeting, and for hours continued to recite Pasternak's poetry - beloved early pieces and some still unpublished masterpieces.“

Olga Iwinskaja schildert in ihren Erinnerungen an ihre mit Pasternak verbrachten Jahre (A Captive of Time: My Years with Pasternak) das Ereignis ebenfalls ausführlich.

Auch über die Beerdigung selbst wurde von sowjetischer Seite ein Bericht von der Kulturabteilung am 4. Juni 1960 veröffentlicht, worin nach der Darstellung Henri Troyats zu lesen ist, dass die ausländische bourgeoise Presse versucht habe, sich der Krankheit und des Todes Pasternaks zu bedienen, um antisowjetischen Reaktionen in der öffentlichen Meinung zu wecken.[11]

Nach Pasternaks Tod wurden seine Lebensgefährtin Olga Iwinskaja und deren Tochter Irina Jemeljanowa im Zusammenhang mit der Veröffentlichung Doktor Schiwagos in westlichen Verlagen festgenommen und inhaftiert. Der Roman Doktor Schiwago erschien in der Sowjetunion erst 1987 im Zuge der Perestroika, nachdem Pasternak rehabilitiert worden war. Trotz der Versuche der sowjetischen Regierung, Pasternaks Erbe zu unterdrücken, bleibt seine Bedeutung als einer der herausragenden Dichter des 20. Jahrhunderts unbestritten.

Pasternak auf einer sowjetischen Briefmarke von 1990

Die Bildhauerin Sarra Lebedewa schuf das Denkmal auf Pasternaks Grab, das bis heute als Gedenkstätte für den bedeutenden Dichter dient. Sein Vermächtnis lebt weiter in seinem Werk und in der Erinnerung derer, die ihn als moralische Instanz und künstlerisches Genie verehren.

Ein Video, das bei der Beerdigung aufgenommen wurde, wurde in jüngerer Zeit zum ersten Mal im Internet veröffentlicht. Der Film befindet sich im Besitz der Familie des Dichters. Er wurde vom Studio Top kadr[12] digitalisiert und restauriert, wobei noch einiges von Experten erforscht und beschrieben werden müsste.[13]

Einzelnachweise und Fußnoten

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  1. vgl. Monica Rüthers: Moskau bauen von Lenin bis Chruščev: Öffentliche Räume zwischen Utopie, Terror und Alltag. 2007 (Online-Teilansicht): „Das Begräbnis Boris Pasternaks 1960 wurde zur ersten politischen Demonstration der Nach-Stalin-Zeit, denn am Kiever Bahnhof fanden sich überall Hinweise auf Flugblättern, wie man am besten nach Peredel'kino komme. Damals kursierten die ersten inoffiziellen Anthologien und Zeitschriften mit überwiegend lyrischen Texten.“
  2. Die Angaben schwanken zwischen vielen hundert und mehr als zweitausend Menschen (vgl. Christopher Barnes, S. 373 (many hundreds) und planetlyrik.de: Erinnerungen an Boris Pasternak (Die Behörden tun alles, um die Beerdigung im Moskauer Datschenvorort Peredelkino, seinem langjährigen Wohnort, totzuschweigen. Dennoch geben mehr als zweitausend Menschen ihrem Dichter, der für sie längst schon zu einer moralischen Instanz geworden war, das letzte Geleit. Stundenlang stehen junge Leute am Grabe und lesen Gedichte.)).
  3. vgl. mdz-moskau.eu: Wo sowjetische Dichter lebten: zu Besuch in Peredelkino
  4. russisch Литературный фонд СССР
  5. Неизвестное видео с похорон Бориса Пастернака / Unbekanntes Video von der Beerdigung von Boris Pasternak (Сообщение о смерти Бориса Пастернака в «Литературной газете». 2 июня 1960 года «Литературная газета», № 65 / Дом антикварной книги в Никитском / Bericht über den Tod von Boris Pasternak in der "Literaturnaja gaseta". 2. Juni 1960 "Literaturnaja gaseta", Nr. 65 / Haus der antiquarischen Bücher in Nikitskoe)
  6. vgl. readex.com: “One Lousy Sheep”: The 1958 Soviet Denunciation of Nobel Prize Winner Boris Pasternak (August Imholtz Jr)
  7. vgl. spiegel.de: "Sie sind zu meiner Hinrichtung eingeladen" (Marc von Lüpke, 07.03.2016):

    „Ein Schwein sei dieser Pasternak, geiferte Wladimir Semitschastny am 29. Oktober 1958 im Moskauer Olympiastadion. Tosender Beifall. Nein, doch nicht: "Nicht einmal ein Schwein tut, was Pasternak getan hat!" Vor Tausenden hetzte der erste Sekretär der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol gegen den Schriftsteller: "Er hat das Land besudelt, dessen Brot er isst! Er hat das Volk beschmutzt, von dessen Arbeit er lebt!" Radio und Fernsehen übertrugen die Tirade in den hintersten Winkel der Sowjetunion.

    Deren Bürger waren derartige Angriffe auf Boris Pasternak gewohnt. Zeitungen beschimpften den Künstler wahlweise als "Verräter" oder "Gegner des Volkes". Dabei hatte Pasternak nur einen Roman geschrieben. Einen ziemlich guten sogar. Für seinen "Doktor Schiwago", dessen Handlung sich um den Ersten Weltkrieg, die Oktoberrevolution und den russischen Bürgerkrieg dreht, erhielt er 1958 den Literaturnobelpreis. In der Sowjetunion machte ihn das Buch dagegen zum Staatsfeind - gehasst, verhöhnt und beinahe zum Suizid getrieben.“

  8. russisch Кайсын Шуваевич Кулиев
  9. Zitiert nach Pianists at Pasternak's funeral (Bob Harper)
  10. Christopher Barnes: Boris Pasternak: A Literary Biography, Band 2, 1998, S. 373
  11. vgl. Henri Troyat: Pasternak. 2006, Kap. VII: Un défunt récalcitrant [Ein widerspenstiger Verstorbener] (Online-Teilansicht)
  12. russisch Топ кадр, wiss. Transliteration Top kadr
  13. tvrain.tv: Впервые опубликовано видео похорон Бориса Пастернака 1960 года / Zum ersten Mal wurde ein Video der Beerdigung von Boris Pasternak im Jahr 1960 veröffentlicht (14. April 2017)
Beerdigung von Boris Pasternak (Alternativbezeichnungen des Lemmas)
Beisetzung von Boris Pasternak; Begräbnis Boris Pasternaks