Benutzer:Bleckneuhaus/Spielwiese
Die Raketengrundgleichung gibt in der Raumfahrtphysik die Geschwindigkeit einer Rakete an, die durch kontinuierlichen Ausstoß von Stützmasse beschleunigt wird und sonst keiner weiteren Kraft unterliegt.
Das Grundprinzip des Raketenantriebs besteht darin, eine Menge an Treibstoff mit einer bestimmten Austrittsgeschwindigkeit nach hinten auszustoßen und somit durch den Rückstoß die Geschwindigkeit der Rakete mit ihrer Nutzlast und dem noch übrigen Treibstoff zu erhöhen.
Wenn eine Rakete mit Anfangsmasse und Anfangsgeschwindigkeit betrachtet wird, deren Triebwerk die Stützmasse kontinuierlich mit der konstanten Geschwindigkeit ausstößt, dann gilt für die Geschwindigkeit der Rakete, wenn ihre Masse durch den Treibstoffverbrauch auf den Wert gefallen ist:
Die Geschwindigkeit hängt nur von der insgesamt ausgestoßenen Masse aus und - bei kontinuierlichem Verlauf - nicht vom zeitlichen Verlauf des Ausstoßes.
Das zeitliche Anwachsen der Geschwindigkeit ergibt sich bei einem konstanten Treibstoffverbrauch bzw. konstanter Schubkraft über zu:
- .
Die Raketengrundgleichung kann auch für für die einzelnen Stufen einer Mehrstufenrakete verwendet werden, wobei sie den Geschwindigkeitszuwachs während des Betriebs der jeweiligen Stufe angibt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die erste belegte Herleitung dieser Gleichung stammt von dem britischen Mathematiker William Moore und wurde zunächst 1810 in einem Journal[1] und dann 1813 in dem Buch A Treatise on the Motion of Rockets[2] (Eine Abhandlung über die Bewegung von Raketen) veröffentlicht. 1862 veröffentlichte William Leitch God's glory in the Heavens[3] (Gottes Herrlichkeit im Himmel), wo er argumentiert, dass Raketen die effektivste Methode für das Reisen im Weltall darstellen. 1903 veröffentlichte Konstantin Ziolkowski unabhängig seine Herleitung und machte sich zusätzlich Gedanken, ob Raketen die erforderlichen Geschwindigkeiten für die Raumfahrt erreichen können, weshalb ihm oftmals die erstmalige Herleitung zugeschrieben wird. Unabhängige Herleitungen gelangen später auch Hermann Oberth und Robert Goddard, welche oft als Pioniere der modernen Raumfahrt bezeichnet werden.
Herleitung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im diesem Abschnitt ist die mathematische Herleitung der Raketengrundgleichung aus dem Impulserhaltungssatz mittels Differential- und Integralrechnung angegeben.
Man zerlegt den gesamten kontinuierlich ablaufenden Beschleunigungsvorgang in so kleine Schritte, dass in jedem Schritt die momentane Geschwindigkeit der Rakete mit einem bestimmten Wert angesetzt werden kann und ihre Masse ebenso mit einem Wert . Im momentanen Schwerpunktssystem der Rakete wird die Masse mit der Geschwindigkeit ausgestoßen, hat also den Impuls . Wegen der Impulserhaltung erhält die Rakete einen gleich großen Rückstoßimpuls , der ihre Geschwindigkeit in entgegengesetzter Richtung um erhöht. Dass statt der Masse hier genauer anzusetzen wäre, spielt nach dem folgenden Grenzübergang zu immer mehr und kleineren Schritten keine Rolle mehr. Die Änderungen und werden dabei zu den Differentialen bzw. . Für diese gilt also (mit dem Minuszeichen, weil zunimmt während abnimmt):
- ,
umgestellt zur Trennung der Variablen:
- .
Für die Stammfunktionen beider Seiten gilt dann, dass sie sich höchstens durch eine Integrationskonstante unterscheiden:
- .
wird aus den Bedingungen am Anfang bestimmt. Einsetzen von ergibt und damit schließlich die Raketengrundgleichung
- .
Diese Gleichung gilt an jeder Stelle des Fluges. Die am Ende erreichte Geschwindigkeit ergibt sich mit der Masse des ausgestoßenen Treibstoffs und der Masse der leeren Rakete, also , zu:
- Beispiele und Anmerkungen
- Diese theoretische Endgeschwindigkeit hängt nur vom Massenverhältnis ab, nicht vom zeitlichen Verlauf des Betriebs der Triebwerke (sofern es sich um einen kontinuierlichen Betrieb handelt, s. u.).
- In einem Schwerefeld der mittleren Stärke ist die vertikale Endgeschwindigkeit nach einer Zeit um den Betrag geringer. Auch der Luftwiderstand, der von der Höhe und der Geschwindigkeit abhängt, verringert die erreichbare Endgeschwindigkeit.
- kann größer sein als die Austrittsgeschwindigkeit . Dazu muss nur das Massenverhältnis größer als e≈2,7 sein.
- Größere Endgeschwindigkeit lässt sich durch eine Mehrstufenrakete erreichen, weil die Rakete, die nach dem Abtrennen einer ausgebrannten Stufe weiter beschleunigt werden soll, eine erheblich geringere Masse hat.
- Größere Endgeschwindigkeit lässt sich auch erreichen, wenn die Stützmasse nicht in infinitesimalen Portionen ausgestoßen wird, sondern jeweils auf einmal in endlichen Stücken . Wird beispielsweise die gesamte Stützmasse mit der Geschwindigkeit abgesprengt, gilt für den Geschwindigkeitszuwachs . Das ergibt sich aus der Impulsbilanz, die jetzt lautet, weil die abrupte Änderung der Masse nicht mehr vernachlässigbar klein ist. Die physikalische Begründung für den höheren Gewinn an Geschwindigkeit liegt darin, dass bei kontinuierlichem Ausstoß immer ein Teil der Stützmasse in der Rakete verbleibt und weiterhin mitbeschleunigt werden muss.
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Die Masse der Rakete habe bereits auf abgenommen und ändere sich nun um als kleine Betrachtungseinheit. Die Stützmasse wird im Bezugssystem der Rakete mit der Geschwindigkeit , im System des Beobachters also mit , ausgestoßen und trägt folglich den Impuls . Da keine äußeren Kräfte wirken, ist der Gesamtimpuls von Rakete und Stützmasse erhalten:
und damit
- .
Diese Differentialgleichung wird nun von nach integriert. Integration der linken Seite ergibt (eine Stammfunktion von ). Auf der rechten Seite muss nur über integriert werden, da als konstant vorausgesetzt wurde:
- .
Eine Rakete unterliegt der Impulserhaltung. Die Nutzlast wird in Flugrichtung, der Treibstoff entgegen der Flugrichtung beschleunigt. Die Summe der Impulse der einzelnen diskreten Treibstoffportionen zusammen mit dem Impuls der Nutzlast sind immer 0. Grundlegend bei der Beschleunigung von Raketen ist, dass nicht nur die Nutzlast, sondern auch der mitgeführte Treibstoff beschleunigt werden muss. Dessen Masse nimmt durch den Ausstoß im Laufe der Zeit ab. Wird der Einfluss der abnehmenden zu beschleunigenden Masse beim Raketenstart nicht korrekt berücksichtigt, ergeben sich falsche Werte für die erreichte Geschwindigkeit.
Die Größe und Anzahl der Treibstoffportionen hat Einfluss darauf, welche Endgeschwindigkeit erreicht werden kann. Die maximal mögliche Geschwindigkeit ergibt sich, wenn der gesamte Treibstoff in einer einzigen Portion ausgestoßen wird. In diesem Spezialfall gilt die Vereinfachung über das dritte newtonsche Axiom.
Im Folgenden ist zur Veranschaulichung ein Verständnisbeispiel ausgeführt, welches die physikalische Grundlagen der Raketengrundgleichung verdeutlicht. Dabei wird der Treibstoff einer Rakete in diskreten Portionen abgegeben und die Geschwindigkeitsänderung (angelehnt an die Methode der kleinen Schritte) nach jeweils gleichen Intervallen berechnet.
Anfangsbedingungen:
- Die Rakete befindet sich in Ruhe. → Schritt 0
- Rakete besitzt eine Gesamtmasse von 100 kg (jeweils 10 kg Nutzlast und 90 kg Treibstoff). → Schritt 0
- Der Treibstoff wird in 9 Portionen zu je 10 kg mit einer Geschwindigkeit von 10 m/s ausgestoßen. → Schritte 1 bis 9
Schritt Intervall |
Masse |
Geschwindigkeit |
Impuls |
(Rest-)Masse |
Impulszuwachs |
Geschwindigkeitszuwachs |
Gesamtgeschwindigkeit | ||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
der Treibstoffportion bzw. Stützmasseportion |
der Rakete bzw. Nutzlast (letzte Zeile) | ||||||||
0 | 0 kg | 0 m/s | 0 kg·m/s | 100 kg | 0 kg·m/s | 0 m/s | 0 m/s | ||
1 | 10 kg | A1 −10 m/s | A1 −100 kg·m/s | 90 kg | 100 kg·m/s | 1,11 m/s | 1,11 m/s | ||
2 | 10 kg | 80 kg | 1,25 m/s | 2,36 m/s | |||||
3 | 10 kg | 70 kg | 1,43 m/s | 3,79 m/s | |||||
4 | 10 kg | 60 kg | 1,67 m/s | 5,46 m/s | |||||
5 | 10 kg | 50 kg | 2,00 m/s | 7,46 m/s | |||||
6 | 10 kg | 40 kg | 2,50 m/s | 9,96 m/s | |||||
7 | 10 kg | 30 kg | 3,33 m/s | 13,29 m/s | |||||
8 | 10 kg | 20 kg | 5,00 m/s | 18,29 m/s | |||||
9 | 10 kg | 10 kg | 10,00 m/s | A2 28,29 m/s |
Die Raketengrundgleichung beschreibt den Fall, dass die Stützmasse kontinuierlich ausgestoßen wird. Nach der Raketengrundgleichung errechnet sich die Endgeschwindigkeit der Nutzlast aus dem oberen Beispiel, nach vollständiger Ausstoßung des Treibstoffes, zu 23,03 m/s.
Mathematische Herleitung mittels Integration
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im diesem Abschnitt ist die mathematische Herleitung der Raketengrundgleichung mittels Integralrechnung angegeben.
Die Masse der Rakete habe bereits auf abgenommen und ändere sich nun um als kleine Betrachtungseinheit. Die Stützmasse wird im Bezugssystem der Rakete mit der Geschwindigkeit , im System des Beobachters also mit , ausgestoßen und trägt folglich den Impuls . Da keine äußeren Kräfte wirken, ist der Gesamtimpuls von Rakete und Stützmasse erhalten:
und damit
- .
Diese Differentialgleichung wird nun von nach integriert. Integration der linken Seite ergibt (eine Stammfunktion von ). Auf der rechten Seite muss nur über integriert werden, da als konstant vorausgesetzt wurde:
- .
Auswertung der Gleichung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Endgeschwindigkeit, wenn die gesamte Treibstoffmasse ausgestoßen ist, beträgt
- ,
ist also umso größer, je größer die Austrittsgeschwindigkeit ist und je kleiner die Restmasse , die aus der Nutzlast, dem Triebwerk und Strukturmaterial besteht.
Bemerkenswert ist, dass Endgeschwindigkeiten größer als erreichbar sind.
Mehrstufige Raketen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Um jedoch Geschwindigkeiten weit jenseits zu erreichen, werden unterwegs Teile der Struktur (leere Tanks) oder auch des Triebwerks (Booster) zurückgelassen, siehe Mehrstufenrakete. Übersichtlich ist der Fall aufeinandergesetzter Stufen, wobei die oberen Stufen die Nutzlast der unteren Stufen darstellen.
Es sei eine zweistufige Rakete angenommen, deren Stufen eine Masse von 100 bzw. 20 haben (in willkürlichen Einheiten) und zu jeweils 90 % aus Treibstoff bestehen, also Strukturmassen von 10 bzw. 2 haben. Die Nutzlast betrage ebenfalls 2 Einheiten. Die Raketengrundgleichung wird zweimal angewendet, wobei sich die Beiträge beider Stufen addieren (das sieht man, wenn man beim Brennschluss der ersten Stufe in das Bezugssystem wechselt, in dem die zweite Stufe anfangs ruht):
- .
Zum Vergleich die einstufige Rakete mit gleicher Treibstoff- und Strukturmasse:
- .
Einschränkungen bzw. Idealisierungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Idealisiert wurde insbesondere:
- Die Ausströmgeschwindigkeit realer Triebwerke ist nicht konstant, sondern variiert durch verschiedene technische Faktoren.
- Der Einfluss der Gravitation wird bei der Raketengrundgleichung nicht berücksichtigt.
- Auch der Einfluss des Luftwiderstandes wird nicht berücksichtigt. Der Luftwiderstand ist nicht konstant, sondern abhängig von der aktuellen Fluggeschwindigkeit und aufgrund der abnehmenden Dichte und sich ändernden Zusammensetzung der Atmosphäre auch abhängig von der Flughöhe.
Für chemische Antriebe irrelevant sind:
- Die Herleitung der Raketengrundgleichung gilt nur für nichtrelativistische Geschwindigkeiten.
- Realer Treibstoff wird nicht in infinitesimal kleinen Paketen, sondern in diskreten Portionen (Partikel) ausgestoßen.
Für vertikale Raketenstarts, geringe Steighöhen und unter Vernachlässigung des Luftwiderstands gilt
mit der Fallbeschleunigung und der Brenndauer . Diese Formel ist jedoch ungeeignet, das Erreichen der Erdumlaufbahn zu optimieren, denn dabei ändert sich neben der Fallbeschleunigung auch der Schubvektor kontinuierlich.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ernst Messerschmid, Stefanos Fasoulas: Raumfahrtsysteme. Eine Einführung mit Übungen und Lösungen, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2000, ISBN 978-3-662-09674-1.
- Wolfgang Steiner, Martin Schagerl: Raumflugmechanik. Dynamik und Steuerung von Raumfahrzeugen, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2004, ISBN 3-540-20761-9
- Armin Dadieu, Ralf Damm, Eckart W. Schmidt: Raketentreibstoffe. Springer Verlag, Wien / New York 1968.
- Friedrich U. Mathiak: Technische Mechanik 3. Kinematik und Kinetik mit Maple- und MapleSim-Anwendungen, De Gruyter Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-1104-3804-8.
- H. G. Münzberg: Flugantriebe. Grundlagen – Systematik und Technik der Luft- und Raumfahrtantriebe, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 1972, ISBN 978-3-662-11758-3.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bernd Leitenberger: Die Raketengrundgleichung
- Daniel Ruhstorfer: Schülerarbeit zur Raketengrundgleichung (archivierte Version vom 12. Juni 2018)
- Kristian Pauly: Skriptum zur Vorlesung Raumfahrtsysteme TU München – Fachgebiet Raumfahrttechnik, Wintersemester 2002/2003 (abgerufen am 9. Juni 2018)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ William Moore: A Journal of Natural Philosophy, Chemistry and the Arts Vol. XXVII, December 1810, Article IV: Theory on the motion of Rockets. W. Nichelson, London 1810.
- ↑ William Moore: A Treatise on the Motion of Rockets. To which is added, An Essay on Naval Gunnery. G. and S. Robinson, London 1813.
- ↑ William Leitch: God's Glory in the Heaves. Hrsg.: Alexander Strahan. 1862.
Kategorie:Raumfahrtphysik Kategorie:Raketentechnik Kategorie:Klassische Mechanik Kategorie:Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski