Benutzer:Briefkasten300/Baustelle
Der 27. G8-Gipfel fand vom 18. bis zum 22. Juli 2001 in der italienischen Stadt Genua statt. Er wurde von schweren Auseinandersetzungen zwischen der italienischen Polizei und Globalisierungskritikern, bei denen ein Mensch starb und hunderte Demonstranten und Unbeteiligte verletzt wurden, überschattet. Die juristische Aufarbeitung dauert bis heute an.
Hintergrund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte die G8 zum Treffen in Genua geladen. Während die Staats- und Regierungschefs im zentral gelegenen Palazzo Ducale tagten, wurden aufgrund schlechter Erfahrungen mit früheren organisierten Protesten, vor allem beim zurückliegenden EU-Gipfel in Göteborg, strenge Maßnahmen ergriffen, um „die Proteste friedlich zu halten“. Italien setzte für die Zeit des Gipfels das Schengener Abkommen außer Kraft und ließ sämtliche Grenzen lückenlos überwachen. In Genua selbst wurden 20.000 Polizisten und Carabinieri zusammengezogen. In den Medien und von einigen Politikern wurde vor „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ gewarnt.
Vorbereitungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine Maßnahme zur Gewährleistung der Sicherheit der Gipfelteilnehmer war die Einteilung der Stadt in zwei Zonen. Eine rote Zone wurde mit meterhohen Zäunen abgeriegelt. Sie umfasste den Stadtkern und das gesamte Hafengebiet und war für die Dauer des Gipfels unter keinen Umständen betretbar. Eine weitere, gelbe Zone konnte nur mit eigens von der Stadtverwaltung ausgegebenen Ausweisen (beispielsweise für Anwohner) betreten werden.
Straßen und Autobahnen wurden, teils mit Hilfe von Straßensperren ("Checkpoints"), kontrolliert; Hafen und Bahnhöfe wurden geschlossen, wie auch der Flughafen, auf dessen Gelände Flugabwehrraketen aufgestellt wurden. Letztere Maßnahme war gegen mögliche terroristische Anschläge gerichtet, vor denen der italienische Geheimdienst mehrfach gewarnt hatte.
Des Weiteren wurden Geräte zur Störung (Jamming) des Mobiltelefonverkehrs in Bereitschaft gehalten und sämtliche Zugänge zur Kanalisation in der Umgebung der roten Zone versiegelt.
In dieser angespannten Situation beschlossen viele Genueser ihre Geschäfte zu schließen und die Stadt zu verlassen.
Im Vorfeld des Gipfels kam es zu zahlreichen Bombenalarmen, dessen Großteil sich jedoch als Fehlmeldung erwies[1]. Eine Briefbombe verletzte einen Carabinieri[2] und eine weitere Bombe die Sekretärin des Journalisten Emilio Fede[3].
Eskalation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die italienische Polizei griff gegen die Globalisierungskritiker insgesamt äußerst hart durch, ließ eine große Zahl festnehmen, verletzte viele zum Teil schwer und brachte viele Demonstranten ins Bolzaneto-Gefängnis. Siehe auch Bolzaneto-Prozess.
Die Vorgänge um den G8-Gipfel in Genua wurden auch von unabhängigen Organisationen wie amnesty international scharf verurteilt. ai sprach in diesem Zusammenhang von der weitestgehenden Außerkraftsetzung demokratischer Grundrechte durch Staatsapparat seit dem zweiten Weltkrieg.
Der Tod Carlo Giulianis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Mittag des 20. Juli eskalierte die Situation in Genua. Ein Demonstrationszug der "Disobbedienti" und andere linker Gruppen wurde von der Polizei mit Tränengas attackiert. Viele der 20.000 in einer schmalen Straße eingeschlossenen Menschen versuchten zu flüchten, zahlreiche andere antworteten auf die Angriffe der Carabinieri mit Steinwürfen. Bei den anschließenden Auseinandersetzungen in den Seitenstraßen wurde der 23jährige Carlo Giuliani von dem 20-jährigen Carabiniere Mario Placanica durch einen Kopfschuss getötet. Giuliani soll den Carabiniere mit einem Feuerlöscher bedroht haben.
Der Tod von Carlo Giuliani wird in Teilen der globalisierungskritikischen Bewegungen als Mord angesehen. Der Polizist, ein erst 20jähriger Wehrpflichtiger, berief sich dagegen auf Notwehr und wurde in einem umstrittenen Prozess freigesprochen. Bis heute sind viele Fragen zum genauen Ablauf der Ereignisse offen. So wurde das Projektil, mit dem Giuliani erschossen wurde, nie gefunden bzw. untersucht. Dennoch behauptet die Staatsanwaltschaft, die tödliche Kugel sei von einem fliegenden Stein in der Luft abgeprallt und habe so Giuliani getroffen. Auch bleiben nach Auswertung des umfangreichen Bildmaterials Zweifel an der offiziellen Darstellung. So wurden beispielsweise mit einem Teleobjektiv aufgenommene Fotos des Vorfalls veröffentlicht, die die räumlichen Gegebenheiten verzerrt darstellten.
Aufarbeitung und Gerichtsverfahren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wiederholt wurde der Verdacht geäußert, die Polizei habe verkleidete Beamte in den Schwarzen Block als Provokateure eingeschleust.[4] [5] Verschiedene Augenzeugen behaupten, die Polizei sei mit großer Härte gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, habe sich aber gegenüber dem Schwarzen Block in auffälliger Weise zurückgehalten.[5]
Mehrere zum Teil hochrangige Polizisten wurden wegen Fälschung von Beweisen, Körperverletzung und Folterung von Demonstranten angeklagt. Neben dem Prozess wegen des Überfalls auf die Diaz-Schule fand die juristische Aufarbeitung der Misshandlungen im Gefängnis Bolzaneto (siehe Bolzaneto-Prozess) Aufmerksamkeit in den Medien. Die Prozesse sind noch nicht abgeschlossen; allerdings drohen einige Verfahren wegen besonderer Regelungen im italienischen Recht eingestellt zu werden. (Stand: Juli 2007)
Nach Bekanntwerden der Strafforderungen der Staatsanwaltschaft gegen 25 Demonstranten fanden sich am 17. November 2007 zwischen 30.000 und 50.000[6] Menschen in Genua ein, um gegen die Forderungen der Procura di Genova zu protestieren. Der Unmut wurde zum Einen von der unerwartet hohen Strafforderung (in der Summe 225 Jahre Haft für die Angeklagten) wie auch die Unregelmäßigkeiten bei den Prozessen gegen die Sicherheitsorgane und die, sechs Jahre nach den Vorfällen, immer noch ausstehende parlamentarische Untersuchungkommission hervorgerufen. Die Demonstration verlief, gegen Befürchtungen der bürgerlichen Presse, friedlich und ohne nennenswerte Zwischenfälle.[7]
Insgesamt wurde gegen 39 Demonstranten Anklage wegen Verwüstung und Plünderung erhoben. Die Urteile werden für das Frühjahr 2008 erwartet. (Stand November 2007)
Medien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Ereignisse in der Polizeikaserne veranlassten die britische Zeitung The Guardian zu der Frage, ob Italien noch zu Europa gehöre.
Die Dokumentation „Die Story - Gipfelstürmer” des WDR vom 24. Juli 2002 belegt mit zuvor unveröffentlichten Bilddokumenten die Menschenrechtsverletzungen seitens der in Genua eingesetzten Sicherheitskräfte. Sie wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis als beste Dokumentation 2002 ausgezeichnet.
Außerdem produzierte der WDR das Hörspiel „Genua 01“ von Fausto Paravidino. Das Hörspiel erhielt den ARD Online Award 2004.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Bombenalarm -Artikel bei Repubblica.it
- ↑ Briefbombe verletzt Carabinieri - Artikel bei Repubblica.it
- ↑ Briefbombe gegen TG4 - Artikel bei Repubblica.it
- ↑ Erinnerung an Genua auf den Seiten des Deutschlandfunks
- ↑ a b Italienische Aufklärung auf den Seiten des Tagesspiegels
- ↑ Online-Ausgabe von La Repubblica
- ↑ Il Manifesto - Ausgabe vom 18.November 2007
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- die story: Gipfelstürmer - Die blutigen Tage von Genua beim WDR und Dokumenation auf Google-Video
- Genua in Banden auf den Seiten von Die Zeit
- Erinnerung an Genua auf den Seiten des Deutschlandfunks
- Ein unglaubliches Puzzlespiel. Prozesse gegen Polizeiverantwortliche beim G8-Gipfel in Genua aus: ak - analyse & kritik
- Genova citta' aperta - Italienische Collage mit Interviews von Anti-G8-Aktivisten
Kategorie:Italienische Geschichte Kategorie:Demonstration Kategorie:2001 Kategorie:Genua Kategorie:G8-Gipfel