Benutzer:Chiananda/temp
Theoretische Grundlagen im Deutschen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Genus und Sexus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die deutsche Sprache unterteilt alle Substantive (Hauptwörter) grammatisch in drei Klassen oder Gattungen, „Geschlecht“ genannt, fachsprachlich Genus (Mehrzahl Genera):
- der Löffel ist männlich (maskulin, ein Maskulinum)
- die Gabel ist weiblich (feminin, ein Femininum)
- das Messer ist sächlich (neutral, ein Neutrum)
Die Zuordnung des grammatischen Geschlechts eines Worts zu seiner inhaltlichen (semantischen) Bedeutung ist grundsätzlich willkürlich: der Löffel ist zufällig maskulin; es gibt nichts Männliches an einem Löffel und nichts Weibliches an einer Gabel. Auch die Benennung der drei Klassen als männlich, weiblich, sächlich beruht auf einer Tradition der Grammatikschreibung.[D 1]
Eine Ausnahme von der Genus-Zufälligkeit bildet die große Gruppe der Personenbezeichnungen: Sie haben fast immer eine Übereinstimmung (Kongruenz) zwischen ihrem grammatischen Geschlecht und dem gemeinten (referierten) biologischen beziehungsweise sozialen Geschlecht der Person (fachsprachlich Sexus). Insbesondere bei Verwandtschaftsbezeichnungen sind fast alle Bezeichnungen paarig mit einer weiblichen und einer männlichen Form (Cousin & Cousine, Onkel & Tante). Auch Tätigkeits- und Berufsbezeichnungen haben im Deutschen fast immer zwei geschlechtsspezifische Formen mit eigener grammatischer und semantischer Übereinstimmung (sinnentsprechende Kongruenz). Auch einige Pronomen (Fürwörter) richten sich nach dem Sexus der gemeinten Person.[1][D 2] Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) fasst diese Gruppe zusammen als „geschlechtsbezogene Nomen und Pronomen“.[G 1] Das Duden Handbuch geschlechtergerechte Sprache von Gabriele Diewald und Anja Steinhauer fasst 2020 zusammen:[D 3]
Personenbezeichnungen Eigennamen, Titeln und Anreden beschreibende Nominalphrasen Pronomina weitere Ausdrucksmittel, z. B. Präpositionalphrasen Kollektivbezeichnungen
Diese grammatisch-semantische Übereinstimmung unterscheidet das Deutsche von romanischen Sprachen (siehe unten zum Französischen), in denen zumeist Personenbezeichnungen nur in ihrer maskulinen Form benutzt werden; im Englischen haben Substantive kein grammatisches Geschlecht, weshalb Personenbezeichnungen allgemein genderneutral sind.
Die meisten Bezeichnungen betreffen Tätigkeiten und Berufe. Im Laufe der deutschen Sprachgeschichte haben sich unzählige Benennungen entwickelt, die zwischen Männern und Frauen unterscheiden (systematische Genusdifferenzierung). Meist ist an die maskuline Wortform die feminine Endung -in angehängt (der Lehrer → die Lehrerin), fachsprachlich eine Movierung.[D 4] Es gibt einige Abweichungen von dieser Regel, so kann es einen Lautwechsel geben (Arzt → Ärztin) oder beide Wortformen werden aus dem Wortstamm abgeleitet (Kolleg → Kollege/Kollegin). Dazu kommen Unterscheidungsformen wie Kaufmann und Kauffrau (Plural Kaufleute). In einigen Fällen kann das natürliche Geschlecht sprachlich ausschließlich durch das Genus festgestellt werden (der Berechtigte / die Berechtigte).[G 2]
Die Unterteilung von Tätigkeitsbezeichnungen ist auf die zwei Geschlechter männlich/weiblich beschränkt – sächliche (neutrale) Wortformen werden für Menschen kaum gebildet. Das sächliche Genus wird allgemein nicht für Personen genutzt (Ausnahmen: das Kind, das Individuum, das Opfer sowie Verkleinerungsformen, die auf -chen oder -lein enden). Historisch begründet sind einige sächliche Bezeichnungen für das weibliche Geschlecht (das Weib, das Mädchen), die aber auch grammatisch weiblich wiederaufgenommen werden können (das Mädchen sagte, sie suche ihren Mantel).[D 5][2][1][3][4]
Dritte Option
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nicht vorgesehen ist in der deutschen Grammatik die Bezeichnung von intergeschlechtlichen Personen, die biologisch nicht eindeutig Mann oder Frau sind (früher missverständlich bezeichnet als "intersexuell"). Ein Teil von ihnen entscheidet sich allerdings dafür, als Mann zu leben und so behandelt zu werden, andere wollen nur als Frau wahrgenommen werden.
Eine weitere Unschärfe besteht in der traditionellen Grammatik auf der semantischen Ebene bezüglich Personen, die ihr Geschlecht gewechselt haben (transgeschlechtlich, transgender): Auch bei ihnen können sich Personenbezeichnungen nicht auf ein biologisches, natürliches Geschlecht beziehen, weil sie ihr bei der Geburt eingetragenes Geschlecht hinter sich gelassen haben. So beansprucht ein Transmann männliche Bezeichnungen und empfindet weibliche Bezeichnungen als falsche geschlechtliche Zuordnung („Missgendern“) und damit als diskriminierend, vergleichbar dem Deadnaming von Personen, die offiziell ihren Rufnamen geändert haben. Eine Transfrau ist eine Person, die nicht als Frau geboren wurde, sondern sich bewusst dafür entschieden hat, als Frau zu leben und als Frau angesehen und angeredet zu werden; entsprechend sind die passenden grammatischen Formen zu verwenden: Die (Trans-)Frau sagte, sie suche ihren Mantel.
Eine grundsätzliche Schwierigkeit stellt sich bei der Bezeichnung einer Person, die sich weder als Mann noch als Frau definiert, enzyklopädisch beschrieben als "nichtbinär" (genderfluid „fließend“, agender „ungeschlechtlich“ und weitere Variationen). Auch hier spielt das ursprüngliche biologische Geschlecht keine Rolle – entscheidend ist einzig die Geschlechtsidentität der Person, international bezeichnet als ihr Gender („soziales Geschlecht“). Dies betrifft ebenfalls inter- und transgeschlechtliche Menschen: Nur ihre Selbstdefinition ist ausschlaggebend, um sprachlich auf sie Bezug zu nehmen (Referenzierung). Und die Geschlechtsidentität einer Person kann abweichen von ihrem persönlichen Erscheinungsbild und Aussehen. Allgemein wird in einem solchen Fall die persönliche Nachfrage empfohlen, welche Bezeichnungsformen und Pronomen die Person beansprucht. Eine eigene grammatische Form für nichtbinäre oder intergeschlechtliche Personen bietet die deutsche Grammatik allerdings nicht – diesbezügliche Bennennungsmöglichkeiten werden diskutiert, seit vor etwa 100 Jahren die Möglichkeit eines „dritten Geschlechts“ aufkam. In Deutschland wurde bereits 2013 das Offenlassen des Geschlechtseintrags im Geburtenregister ermöglicht für Säuglinge, deren Geschlecht nicht eindeutig dem zweigeschlechtlichen System zugeordnet werden kann. Mit der rechtlichen Einführung der dritten Geschlechtsoption „divers“ 2018 in Deutschland und 2019 in Österreich hat sich die rechtlich verbindliche Notwendigkeit ergeben, auch in der Amts- und Rechtssprache angemessene sprachliche Mittel zur Bezeichnung diversgeschlechtlicher Personen zu finden.
Das Duden Handbuch geschlechtergerechte Sprache hält im April 2020 fest: „Die Entscheidung zur ‚dritten Option‘ hat die Benennungslücken und damit die Kategorisierungslücken jenseits der prototypischen Zweigeschlechtlichkeit offengelegt und sie hat den fundamentalen Beitrag der Sprache zum Denken erneut unterstrichen.“[S.65]
Vertreter der traditionellen Grammatik verteidigen diesbezüglich die Ansicht, das Deutsche biete für solche Fälle die Möglichkeit des „generisches Maskulinums“: Beispielsweise können mit der maskulinen Bezeichnung Arzt nicht nur Männer gemeint sein (im Unterschied zu Ärztinnen), sondern alle ärztlichen Personen, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht oder ihrer Geschlechtsidentität, ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Standardformulierung: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker! Bei dieser Gebrauchsgewohnheit wird eine von zwei paarigen Personenbezeichnungen im verallgemeinernden Sinne gebraucht (Generizität), um vom Geschlechtlichen der referierten Personen zu abstrahieren. Diese zusätzliche Bedeutungsebene kann aber nur durch den jeweiligen Textzusammenhang erschlossen werden (kontextabhängig), weil die gebrauchte Formulierung mehrdeutig ist – soll wirklich nur ein männlicher Arzt oder Apotheker befragt werden? Die generische Verwendung einer Personenbezeichnung beinhaltet, dass die Übereinstimmung zwischen ihrem grammatischen Genus (der Arzt) und dem Geschlecht der Bezugspersonen beziehungsweise ihrem Sexus aufgehoben wird, weil dieses unbestimmt bleibt. Im Deutschen wird die generische Bedeutungszuweisung nur für männliche Personenbezeichnungen vorgenommen – ein generisches Femininum ist nicht vorgesehen (Ausnahme: die Berufsbezeichnung Hebamme).
Eine solche geschlechtsabstrahierende (generische) Gebrauchsmöglichkeit maskuliner Bezeichnungen wird seit den 1970er-Jahren von vielen Seiten kritisiert, ausgehend von der Feministischen Sprachwissenschaft.
Feministische Sprachkritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nachdem erste Studien ab 1973 im englischsprachigen Raum die generische Verwendung von männlichen Personenbezeichnungen untersucht hatten (hier vor allem Pronomen), konzentrierten sich einige Sprachwissenschafterinnen auf die Erforschung einer männlichen Prägung des Deutschen. Schnell wurde im Sprachgebrauch ein Ungleichgewicht (Asymmetrie) festgestellt zwischen der Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen und dem Vorkommen weiblicher Bezeichnungen. Während feminine Formen nur in Fällen verwendet werden, in denen es ausschließlich um Frauen geht, werden Maskulinformen auch überall dort eingesetzt, wo das Geschlecht der Bezugspersonen keine Rolle spielen soll oder unbekannt ist, beispielsweise die Bürger eines Staates (hierbei ungenannt: Bürgerinnen). Viele zusammengesetzte Worte (Komposita) werden aus der maskulinen Form gebildet (Bürgersteig). Auch einige Pronomen mit maskulinem Geschlecht werden generisch verwendet: Jeder, der kommt, ist willkommen.
In systematischen Analysen wurde ein Wirkprinzip festgestellt, das sich als male as norm (MAN: Mann als Norm) bereits in der soziokulturellen Realität findet: Denkmuster und Werteordnungen, „die Männer privilegieren (auch als patriarchale Ordnung oder Patriarchat bezeichnet). […] Ihr zentrales Merkmal ist, dass die Kategorie ‚Mann‘ ein höheres Ansehen als die Kategorie ‚Frau‘ genießt und dass Erstere grundsätzlich als Maß und Norm für alle Bereiche des Lebens angesetzt wird. Die Kategorie ‚Frau‘ hingegen wird als untergeordnet, sekundär, abhängig definiert“.[S.15–16] Die Gebrauchsgewohnheit des sogenannten generischen Maskulinums reproduziert dabei die stereotypische Festlegung auf männliche Referenten.[S.109,178]
Geschichte der männlichen Personenbezeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einige Sprachwissenschaftlerinnen untersuchten die Bedeutungsinterpretationen von männlichen Personenbzeichnungen, ausgehend von den frühen Werken zur deutschen Grammatik. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden maskuline Formen als eindeutig männlich und zur Abgrenzung und Ausschließung von Frauen ausgelegt:
- Römisches Rechtssprichwort: Maior dignitas est in sexu virili: „die größere Würde ist im männlichen Geschlecht“ (Ulpian, um 200 n. Chr.);[S.22] allerdings galt auch: pater semper incertus est (der Vater eines Kindes ist immer ungewiss). (Link zu: Mater semper certa est).
- Johannes Goeddaeus 1590: viri […] in omnium genere […] principium, et perfectior creature: Männer sind das vollkommenere der beiden Geschlechter, dem die größere Würde zukommt[S.22]
- 1824, Grammatik von Karl Ferdinand Becker: „die Ableitungsendung [-er] bezeichnet auf eine bestimmte Weise das männliche Geschlecht“
- 1849, Abgeordneter Scheller, Frankfurter Nationalversammlung: „Ebenso kommt in den Grundrechten die Bestimmung vor, daß Jeder, der fähig sei, ein Amt antreten könne, es wird aber niemand in der Versammlung einfallen, dieß Recht auch dem weiblichen Geschlecht einzuräumen.“
- 1869: „Da das männliche Geschlecht als das überall prävalirende [sic!] voransteht, so nimmt es auch die zunächstliegende Form des Nominalstammes für sich in Anspruch.“
- 1912: Gesetz zum Böhmischen Landtag (von 1861): „Als Landttagsabgeordneter ist jeder gewählt der […]“ – anlässlich der ersten Wahl einer Frau wurde argumentiert, dass für sie als Frau der Wortlaut des Gesetzes ja gar nicht zuträfe und sie deshalb nicht in den Landtag einziehen könne.
- 1920, Herrmann Paul zur Ableitung weiblicher Wortformen (Movierung): „Gebildet werden solche Feminina aus den meisten männlichen Personenbezeichnungen, namentlich aus Standes- und Berufsbenennungen“
- 1929 stellt Sprachwissenschaftler Baudouin deCourtenay fest, dass die „in der sprache zum vorschein kommende weltanschauung, nach welcher das männliche als etwas ursprüngliches und das weibliche als etwas abgeleitetes aufgefaßt wird, gegen die logik und gegen das gerechtigkeitsgefühl verstößt.“ + Aussage zur Universität Moskau (Artikel "Frau").
Konklusio:
- 2002 fasst eine Studie von Ursula Doleschal zusammen: „Die hier vorgenommene Darstellung der Behandlung des generischen Maskulinums in den Grammatiken des Deutschen ab der Renaissancezeit […] zeigt auch, dass das in der Debatte um die feministische Sprachkritikals traditionell vorausgesetzte Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen als geschlechtsneutral keine sehr lange Tradition besitzt, sondern erst in den sechziger Jahren des 20. Jh. in die Germanistik Eingang gefunden hat.“(http://linguistik-online.net/11_02/doleschal.pdf S. 66)
- manipulative Auslegung, generische Nebenbedeutung jederzeit löschbar... [24–25]
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- ↑ a b Duden-Sprachwissen: Der Star und ihre Begleitung – Pronomen und grammatisches Geschlecht. Ohne Datum, abgerufen am 31. August 2020.
- ↑ Worteintrag: Mädchen, das. In: Duden online. Abgerufen am 31. August 2020.
- ↑ Mareike Knoke (Wissenschaftsjournalistin): Linguistik: Wie »gender« darf die Sprache werden? In: Spektrum.de. 22. September 2017, abgerufen am 31. August 2020.
- ↑ Hermann Unterstöger: Sprachlabor: Das Mädchen, sie. In: Süddeutsche Zeitung. 13. April 2018, abgerufen am 31. August 2020.
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