Benutzer:DerMaxdorfer/Dialogus

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Der Dialogus de oratoribus (lateinisch für „Dialog über die Redner“) ist ein Werk des römischen Senators und Geschichtsschreibers Tacitus, das dieser wahrscheinlich im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. verfasste. Es behandelt in Form eines fiktiven Gesprächs den angenommenen Verfall der Rhetorik.

Überlieferung und Entstehung

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Der Dialogus de oratoribus war im (heute verlorenen) Codex Hersfeldensis, einem Manuskript des 9. Jahrhunderts, weitgehend überliefert. In dieser Sammelhandschrift waren daneben noch die zwei weiteren „kleinen Schriften“ des Tacitus (Agricola und Germania) sowie den Biographien berühmter Redner und Gelehrter des Geschichtsschreibers Sueton. Bald nach seiner Entdeckung im 15. Jahrhundert ging der Codex wieder verschollen, sodass der heute bekannte Text des Dialogus auf neuzeitlichen Abschriften aus dem Hersfeldensis basiert.

Anscheinend war die Schrift im Codex Hersfeldensis ohne Autorennennung enthalten und zudem erst nachträglich (zusammen mit den Sueton-Texten) in die Handschrift eingebunden worden. Dies brachte früh Gelehrte wie Beatus Rhenanus und Justus Lipsius dazu, die Autorschaft des Tacitus anzuzweifeln und beispielsweise den Rhetoriker Quintilian als Verfasser anzunehmen. Bereits in humanistischer Zeit wurde die Zugehörigkeit zu Tacitus' Œuvre aber sehr plausibel gemacht und gilt bis heute als weitgehend gesichert. Der Stil des Werkes ähnelt stark dem Marcus Tullius Ciceros, was aber durch das Thema zu erklären sein dürfte, da in der Rhetorik dieser Zeit Cicero als maßgebliches Vorbild galt.[1]

Wann Tacitus den Dialog abgefasst hat, ist ebenfalls unklar. Am Anfang des Textes richtet er sich an Lucius Fabius Iustus, den Konsuln des Jahres 102, sodass angenommen wurde, er habe ihm das Werk in diesem Jahr gewidmet. Allerdings wurden in der Forschung auch eine spätere Abfassung oder eine Entstehung bereits in den 70er Jahren (in denen das Werk spielt) vermutet, wobei Zweiteres mittlerweile als unwahrscheinlich gilt.[2]

Blatt 26r des Codex Leidensis Perizonianus, einer für die Textkritik des Dialogus wichtigen Handschrift aus dem Jahr 1460, mit Textlücke und der Anmerkung „In der Vorlage fehlten sechs Kolumnen, die durch das Alter zerstört wurden“ („deerant in exemplari sex pagelle vetustate consumpte“)

Der Codex Hersfeldensis, der bei seiner Entdeckung einzige Quelle für den Text des Werkes war, wies im Bereich des Dialogus de oratoribus eine größere Lücke auf. Ihre Größe wurde von den frühneuzeitlichen Nutzern der Handschrift unterschiedlich festgehalten, sodass sie bis heute umstritten ist. Als wahrscheinlich gilt, dass etwa ein Zwölftel des ursprünglichen Werkes verloren gegangen ist.[3] Zum ursprünglichen Inhalt der Lücke wird oft angenommen, dass sich darin die Wortmeldung des vierten Gesprächsteilnehmers Secundus befunden habe, da er zu den erhaltenen Partien überhaupt keinen größeren Beitrag leistet und seine Einbindung in das Werk sonst schwer erklärlich wäre.[4]

Der fiktive Dialog ist in den mittleren 70er Jahren, während der Regierung des Kaisers Vespasian (69–79), angesiedelt.[5] In der Einleitung wendet sich Tacitus als Verfasser an den Senator Lucius Fabius Iustus, dem er das Werk widmet, und erklärt, dass er an dem nun wiedergegebenen Gespräch selbst als junger Mann (iuvenis) teilgenommen habe (Kapitel 1). Nach einer Schilderung der Gesprächssituation (Kapitel 2–5) gibt die Schrift in der Form wörtlicher Reden eine Debatte zwischen den Anwesenden über den Verfall der Rhetorik – den außer einem Teilnehmer alle als solchen empfinden – und die dafür verantwortlichen Gründe wieder. Gesprächspartner sind vier historisch tatsächlich bezeugte Personen, nämlich den Dichter Curiatius Maternus, in dessen Haus das Gespräch stattfindet,[6] Marcus Aper und Iulius Secundus, die Tacitus beide als seine eigenen Rhetoriklehrer benennt, und den Redner Lucius Vipstanus Messalla, der etwas später zu der Runde dazustößt. Tacitus, zum Zeitpunkt des wiedergegebenen Gespräches noch ein unerfahrener Rhetorikschüler, beteiligt sich den Gebräuchen der Zeit entsprechend selbst nicht aktiv an der Diskussion.[7]

Das Gespräch beginnt mit einer Debatte über die Frage, ob der Hausherr sich weiterhin als Dichter betätigen sollte oder nicht. Während er selbst die schriftstellerische Tätigkeit, ihren Genuss und ihre 'Gottverbundenheit' verteidigt (Kapitel 11–13), betont Marcus Aper den besonderen Ruhm und die gesellschaftliche Relevanz des (Gerichts-)Redners sowie die Lukrativität und spannende Vielseitigkeit seiner Tätigkeit (Kapitel 5–10). Beide bringen hier bereits Aspekte ein, die im Schlussteil des Textes für die Hauptfrage des Dialoges wieder wichtig werden: Auf Apers Argumenten aufbauend, zeigt Maternus auf, dass die politisch-rednerische Tätigkeit gerade in turbulenten Zeiten schnell zu Ruhm und Einfluss führen könne, die Dichtkunst aber zu dauerhaftem, friedlichen Glück führe und gerade deshalb – anders als die Rhetorik – bereits im Goldenen Zeitalter der frühen Menschheit gepflegt worden sei.[8] Nach den beiden ausführlichen Stellungnahmen stößt Vipstanus Messalla zum Gespräch hinzu und bringt als neuen Aspekt in das Gespräch ein, dass die Rhetoren seiner Gegenwart in seinen Augen nicht an das Niveau und die Qualitäten früherer Redner (genannt werden unter den griechischen Rednern Aischines und Demosthenes, unter den lateinischen Cicero und Asinius) heranreichen (Kapitel 14–16). Dies bringt Aper dazu, in seiner zweiten großangelegten Wortmeldung die Leistungen und die andauernde Blüte der Gegenwartsrhetorik zu betonen (worin er explizit auch seine Gesprächspartner einschließt). Sie habe nicht etwa die alten Ideale verlernt, sondern sich vielmehr bewusst weiterentwickelt und den veränderten Erfordernissen ihres Jahrhunderts angepasst (Kapitel 16–23).

Messalla beginnt mit einer Gegenrede zur Ehrenrettung der 'klassischen' Rhetoren, deren teils wuchtige, aber wortgewaltige Sprache er dem 'geschnörkelten', auf äußere Eleganz polierten Rednerstil der Gegenwart vorzieht (Kapitel 25–26). Rasch wird er jedoch durch den Hausherrn Maternus mit dem Hinweis unterbrochen, dass der Vorrang Ciceros und seiner Zeitgenossen ja von allen Gesprächsteilnehmern außer Aper anerkannt werde. Messalla solle sich stattdessen in seiner Wortmeldung besser darauf konzentrieren, die Gründe für genau diesen Niedergang herauszuarbeiten (Kapitel 27). Damit gelangt das Gespräch nun auch vordergründig zu dem Thema, das Tacitus in der Einleitung als eigentlichen Inhalt des ganzen Dialoges angekündigt hatte, nämlich den Gründen für den Niedergang der Rednerkunst.

Hierbei erörtert Messalla zunächst den Verfall der Erziehung, die nicht mehr ernstgenommen, sondern nachlässigen Sklaven überlassen werde. Hinzu komme eine zunehmende Lasterhaftigkeit und Dekadenz der Gesellschaft, die auf Vergnügen statt auf das Gute und moralisch Richtige abziele und damit schon die Jugend verderbe (Kapitel 28–29). Während die Erziehung der früheren Zeit eine breite wissenschaftliche, musische und philosophische Allgemeinbildung eingeschlossen habe, beschränke sich die gegenwärtige Ausbildung auf das Lernen und Abfassen wohlklingender, aber realitätsferner Übungsreden. Damit fehlten den zeitgenössischen Rednern und Politikern aber die Voraussetzungen, fundiert, vielseitig und der jeweiligen Situation angemessen zu sprechen (Kapitel 30–32). Als weiteren Unterschied benennt Messalla, dass frühere Rhetorikschüler von Jugend an erfahrene Redner vor Gericht oder in die Volksversammlung begleiteten und damit rhetorische Techniken wie auch die juristischen und politischen Verhältnisse verinnerlichen. Die gegenwärtige Jugend dagegen lerne nur in der Schule anhand praxisferner Beispiele und könne, da nur von anderen Schülern umgeben, keine vorbildlichen Beispiele kennenlernen (Kapitel 33–35).

Es folgt die Lücke im Text, deren Länge und Inhalt nicht bestimmt werden können. Der Text setzt mitten in einer wörtlichen Rede des Maternus ein, der bereits zuvor versprochen hatte, Messallas Ausführungen zu ergänzen und abzurunden (Kapitel 16). Im Folgenden zeigt er nun als weiteren zentralen Grund für den Niedergang der Rhetorik die politischen Veränderungen auf. Insbesondere hätten die turbulenten Ereignisse der ein Jahrhundert andauernden römischen Bürgerkriege (133–30 v. Chr.) viele Möglichkeiten geboten, politische Grundsatzdiskussionen und Machtkämpfe wortstark auszufechten, zumal die Öffentlichkeit in jener Zeit großen Anteil an diesem Entwicklungen nahm. Die Gerichtsverhandlungen der Gegenwart seien gesittet, straff im Zeitplan und ohne großes Publikum, sodass die Reden nicht mehr die gleiche Dynamik entfalten könnten. Mit der Einrichtung des Prinzipats unter Augustus, durch den die Staatsordnung stabilisiert worden, allerdings gleichzeitig die politische Freiheit verlorengegangen war, sei die Möglichkeit, aber eben auch die Notwendigkeit zurückgegangen, große Reden zu halten (Kapitel 36–41). Er kommt zu dem inhaltlich bestimmten, aber versöhnlich formulierten Fazit, dass der Frieden (pax Romana) und die Sicherheit der Kaiserzeit einerseits, der Verlust der Freiheit und der Niedergang des Rednertums andererseits zwei Seiten derselben Medaille seien: „Da niemand zur gleichen Zeit großen Ruhm und große Ruhe erlangen kann, möge jeder das Gut seines Jahrhunderts ohne Herabwürdigung des anderen genießen!“[9] Damit wird das Gespräch beendet, da der Abend hereingebrochen ist (Kapitel 42).

  • Genretradition Dialog durch Platon zur Blüte geführt, aber:
  • „Der Text ist kein spröder philosophischer Kunst-Dialog, sondern versucht unter anderem, den verschiedenen Persönlichkeiten gerecht zu werden und eine authentische Situation einschließlich verschiedener Stimmungen einzufangen.“ (Schmal 2005, S. 45)
  • Ob Aper, der Verteidiger der zeitgenössischen Rhetorik, durch Tacitus dabei als Verfechter ernsthafter Argumente präsentiert werden sollte oder ob er nur einen Advocatus Diaboli darstellt, ist in der Wissenschaft Gegenstand von Diskussionen.[10]

Ausgaben, Übersetzungen und Kommentare

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Einsprachig lateinische Ausgaben

  • Erich Koestermann (Hrsg.): P. Cornelii Taciti libri qui supersunt. Tomus II, Fasciculus 2: Germania, Agricola, Dialogus de oratoribus (Bibliotheca Teubneriana). B. G. Teubner, Leipzig 1970.
  • Henricus Heubner: P. Cornelii Taciti libri qui supersunt. Tomus II, Fasciculus 4: Dialogus de oratoribus. Teubner, Stuttgart 1983, ISBN 3-519-01840-3.
  • Roland Mayer (Hrsg.): Tacitus, Dialogus de oratoribus. Edited by (Cambridge Greek and Latin classics). Cambridge University Press, Cambridge 2001, ISBN 0-521-47040-4 (mit englischem Kommentar).

Übersetzungen, teils mit Kommentar

  • William Peterson (Hrsg.): The Dialogus of Publius Cornelius Tacitus. In: Tacitus, Agricola. Germania. Dialogus (Loeb Classical Library). William Heinemann/Macmillan, London/New York 1914, S. 1–146. Neuausgabe, Harvard University Press/W. Heinemann, Cambridge (Mass.)/London 1970 (der Beitrag Petersons darin überarbeitet von Michael Winterbottom).
  • Karl Büchner (Hrsg.): Publius Cornelius Tacitus, Die historischen Versuche. Agricola, Germania, Dialogus (= Kröners Taschenausgabe. Band 225). Alfred Kröner, Stuttgart 1955, S. 183–227 (Einführung) und S. 228–274 (deutsche Übersetzung).
  • Hans Volkmer (Hrsg.): P. Cornelius Tacitus, Das Gespräch über die Redner / Dialogus de oratoribus. Lateinisch–deutsch (Sammlung Tusculum). Heimeran, München 1967. 2. Auflage, ebenda 1976, ISBN 3-7765-2076-0. 3. Auflage, ebenda 1979, ISBN 3-7765-2076-0. 4. Auflage, Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 1998, ISBN 3-7608-1703-3.
  • Dietrich Klose (Hrsg.): Tacitus, Dialogus de oratoribus / Dialog über die Redner. Lateinisch/Deutsch. Nach der Ausgabe von Helmut Gugel herausgegeben. Reclam, Stuttgart 1981, ISBN 3-15-007700-1.
  • Dieter Flach: Cornelius Tacitus, Dialogus de oratoribus. Eingeleitet, herausgegeben, übersetzt und erledigt von Dieter Flach. Franz Steiner, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08769-9 (Rezension).

Wissenschaftliche Kommentare

  • Christopher S. van den Berg: The World of Tacitus' Dialogus de Oratoribus. Aesthetics and Empire in Ancient Rome. Cambridge University Press, Cambridge 2014, ISBN 978-1-107-02090-0.
  • Domenico Bo: Le principali problematiche del Dialogus de oratoribus. Panoramica storico-critica dal 1426 al 1990 (= Spudasmata. Band 51). Olms, Hildesheim 1993, ISBN 3-487-09687-0.
  • Helmut Gugel: Untersuchungen zu Stil und Aufbau des Rednerdialogs des Tacitus (= Commentationes Aenipontanae. Band 20). Wagner, Innsbruck 1969.
  • Rainer Nickel: Lexikon der antiken Literatur. Patmos, Düsseldorf 2006, ISBN 3-491-69138-9, S. 281 f.
  • Stephan Schmal: Tacitus (= Studienbücher Antike. Band 14). Olms, Hildesheim 2005, ISBN 3-487-12884-5, S. 43–49.

Einzelnachweise

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  1. Stephan Schmal: Tacitus. Olms, Hildesheim 2005, ISBN 3-487-12884-5, S. 43.
  2. Stephan Schmal: Tacitus. Olms, Hildesheim 2005, ISBN 3-487-12884-5, S. 44 f.
  3. Stephan Schmal: Tacitus. Olms, Hildesheim 2005, ISBN 3-487-12884-5, S. 43 f.
  4. Siehe etwa Karl Vretska: Das Problem der Lücke und der Secundusrede im Dialogus de Oratoribus. In: Viktor Pöschl (Hrsg.): Tacitus. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1969, S. 361–387 (zuerst erschienen in: Emerita. Band 23, 1955, S. 182–210).
  5. Siehe etwa Marcus Beck: Das dramatische Datum des Dialogus de oratoribus. In: Rheinisches Museum für Philologie. Band 144, 2001, S. 159–171 (online).
  6. Zu seiner Rolle und Position im Gespräch siehe Gesine Manuwald: Der Dichter Curiatius Maternus in Tacitus’ Dialogus de oratoribus. In: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft. Band 4, 2001, S. 1–20 (online).
  7. Zu den Gesprächsteilnehmern und Tacitus' Rolle siehe die Einführung bei Publius Cornelius Tacitus: Die historischen Versuche. Agricola, Germania, Dialogus. Übersetzt und herausgegeben von Karl Büchner. Alfred Kröner, Stuttgart 1955, S. 188 f.
  8. Zur Interpretation der beiden einleitenden Wortmeldungen die Analyse bei Publius Cornelius Tacitus: Die historischen Versuche. Agricola, Germania, Dialogus. Übersetzt und herausgegeben von Karl Büchner. Alfred Kröner, Stuttgart 1955, S. 192–200.
  9. Tacitus, Dialogus de oratoribus 41: „quoniam nemo eodem tempore adsequi potest magnam famam et magnam quietem, bono saeculi sui quisque citra obtrectationem alterius utatur.“ Übersetzung nach: Publius Cornelius Tacitus: Die historischen Versuche. Agricola, Germania, Dialogus. Übersetzt und herausgegeben von Karl Büchner. Alfred Kröner, Stuttgart 1955, S. 273.
  10. Sander M. Goldberg: Appreciating Aper: The Defence of Modernity in Tacitus' Dialogus de oratoribus. In: The Classical Quarterly. Band 49, Nummer 1, 1999, S. 224–237.