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Karnismus

Joshua Norton isst Fleisch, beobachtet von den Straßenhunden Bummer and Lazarus in San Francisco in den 1860ern.Vorlage:Infobox/Wartung/Bild

Begriff geprägt durch Melanie Joy, 2001
Verwandte Ideen Anthrozoologie, Speziesismus, Veganismus

Karnismus (von englisch carnism zu lateinisch caro [Gen. carnis] „Fleisch“) ist Speziesismus, die Diskriminierung aufgrund Artzugehörigkeit, die sich auf den Verzehr bezieht. Dieser gilt für bestimmte Tierarten als ethisch vertretbar und angemessen. Karnismus bildet so das Gegenstück zum Veganismus.

Die Psychologin und Veganaktivistin Melanie Joy entwickelte das Konzept und prägte den Begriff.

Ein zentraler Bestandteil des Glaubenssystems ist dieser Annahme zufolge, dass Fleischessen als „natürlich, normal und notwendig“ (englisch natural, normal and necessary) angesehen wird.[1] Laut Joy wird Karnismus von einigen Abwehrmechanismen und oft unhinterfragten Annahmen gestützt.[2]

Weitere Bestandteile sind die Kategorisierung von einigen wenigen Spezies als essbar und die Akzeptanz von gewissen Haltungs- und Nutzungsformen nur gegenüber diesen Spezies. Demnach ist es gesellschaftsabhängig, welcher Kategorie bestimmte Tierarten zugeordnet und wie sie dementsprechend behandelt werden.[2]

Ein anderer Aspekt ist als das Fleisch-Paradoxon bekannt. Die meisten Menschen wollen laut Joy nicht, dass Tieren Leid zugefügt wird, bevorzugen aber eine fleischhaltige Ernährung, die nicht ohne Tierleid auskommt.[2][3]

Von Joy stammt auch die Idee der „Drei Ns der Rechtfertigung“. Mit diesen beschreibt sie das Phänomen, dass Fleischesser den Verzehr von Fleisch häufig als „normal, natürlich und notwendig“ ansehen würden.[1][4] Andere Psychologen fügen dem noch „nice“ hinzu, das sich in diesem Fall etwa mit „lecker“ übersetzen lässt.[5] Sie argumentiert, dass sich Menschen in der Vergangenheit auf dieselben „Drei Ns“ beriefen, um andere Ideologien zu rechtfertigen, so z. B. das Patriarchat. Weithin als problematisch anerkannt würden die „Drei Ns“ immer erst, nachdem eine Ideologie als solche enttarnt worden sei.[6]

Dieses Argument behauptet, dass Menschen darauf konditioniert werden, davon auszugehen, dass sie sich per se zu Fleischessern entwickelt hätten, dass von ihnen erwartet werde Fleisch zu essen und dass sie Fleisch bräuchten, um gesund zu bleiben und zu überleben. Gesellschaftliche Institutionen wie Religion, Familie und Medien würden diese Annahmen stützen. So bestehe etwa die weit verbreitete Annahme, dass Fleisch unbedingt als Proteinlieferant benötigt werde, obwohl Studien zeigen würden, dass man seinen Bedarf auch ohne decken könne.[5][4]

Aufbauend auf Joys Arbeit wurden eine Reihe von psychologischen Studien in Australien und den USA durchgeführt. Diesen zufolge rechtfertigt die große Mehrheit der Menschen ihren Fleischkonsum durch „4 Ns“ – „natürlich, normal, notwendig und lecker (im Englischen nice)“. Die zugehörigen Argumente sind, dass Menschen Omnivoren (Allesesser) seien (natürlich), dass die meisten Menschen Fleisch äßen (normal), dass die vegetarische Ernährung einen Nährstoffmangel nach sich ziehe (notwendig) und dass Fleisch schmecke (lecker bzw. nice).[5]

Die Studienteilnehmer, die diese Argumente befürworteten, wiesen außerdem ein weniger schlechtes Gewissen bezüglich ihrer Ernährungsform auf. Sie tendierten dazu Tiere zu objektivieren, hatten ein geringeres moralisches Interesse an ihnen und sprachen ihnen weniger Bewusstsein zu. Außerdem standen sie sozialer Ungleichheit und hierarchischen Strukturen weniger kritisch gegenüber und wiesen weniger Stolz bezüglich ihres Konsumverhaltens auf.[5]

Die „4 Ns“ stellten philosophische Fehlargumente dar:[7]

Kategorisierung

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Ein zentrales Merkmal des Karnismus ist die Kategorisierung von Tieren als essbar, nicht essbar, Haustier, Ungeziefer, Raubtier oder Unterhaltungstier. Entsprechend menschlicher Schemata, mentaler Klassifizierungen, die unseren Glauben und unsere Wünsche stützen und von ihnen gestützt werden.[2][8] Es gibt gravierende kulturelle Unterschiede dahingehend, welche Tiere als Nahrung angesehen werden und welche nicht. Hunde werden in China, Thailand, Vietnam, Kambodscha und Süd-Korea gegessen, während sie in anderen Kulturen als Familienmitglied gelten oder im mittleren Osten und in manchen Teilen Indiens als unsauber bezeichnet werden.[2][9][10] Kühe werden im Westen gegessen, aber in Indien verehrt. Schweine werden von Juden und Muslimen verschmäht, aber in vielen anderen Kulturkreisen als Nahrung betrachtet.[11] Joy und andere Psychologen argumentieren, dass diese Taxonomien festlegen, wie die Tiere behandelt werden, dass sie die subjektive Wahrnehmung von ihrem Empfindungsvermögen und ihrer Intelligenz beeinflussen und dass sie die Empathie und moralische Sorge für und um sie reduzieren oder erhöhen.[8]

Das Fleisch-Paradoxon

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Traditionelle Begnadigung eines Truthahns an Thanksgiving durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten (National Thanksgiving Turkey Presentation)

Ein weiteres zentrales Merkmal ist die Spannung zwischen dem Wunsch der meisten Menschen, Tieren nicht zu schaden und der Entscheidung für eine Ernährungsweise, die Tieren Schaden zufügt. Dies ist bekannt als das Fleisch-Paradoxon.[12] Psychologen gehen davon aus, dass dieser Konflikt zwischen Wertvorstellungen und Verhalten zu kognitiver Dissonanz führt, welche Fleischesser auf verschiedene Weisen versuchen abzuschwächen.[5] So stellten etwa Bastian Brock et al. fest, dass Fleischesser sich die Praxis des Fleischessens erleichtern, indem sie den Tieren, die sie essen, nur im geringen Maß Intelligenz, emotionales Erleben und einen moralischen Wert zusprechen.[13][14] Psychologen behaupten, dass Fleischesser die kognitive Dissonanz reduzieren, indem sie ihre Wahrnehmung von Tieren als bewusste, schmerzempfindliche und leidensfähige Lebewesen minimieren, vor allem bezüglich der Tiere, die sie als Nahrungsmittel betrachten.[13][15] Dies ist eine psychologisch wirksame Strategie, denn Organismen, denen ein geringeres Schmerzempfinden zugeschrieben wird, gelten demzufolge auch als moralisch weniger schützenswert und ihre Nutzung als Nahrungsmittel wird stärker akzeptiert.[15]

2010 forderte eine Studie Universitätsstudenten dazu auf, entweder Beef Jerky oder Cashewkerne zu essen und anschließend den moralischen Wert und die kognitiven Fähigkeiten von einer Reihe von Tieren zu beurteilen. Verglichen mit den Studenten, die Cashewkerne aßen, maßen die Studenten, die Fleisch gegessen hatten, den Tieren weniger moralischen Wert zu und sprachen Kühen die Fähigkeit ab, einen mentalen Zustand zu erreichen, der auch die Fähigkeit zu leiden beinhaltet.[12]

In einer weiteren Studie wurde 2011 festgestellt, dass die meisten Menschen es für angebrachter hielten, Tiere zum Verzehr zu töten, wenn sie davon ausgingen, dass diese geringere mentale Fähigkeiten haben. Umgekehrt sprachen die Studienteilnehmer Tieren geringere mentale Fähigkeiten zu, wenn ihnen gesagt wurde, dass diese Tiere gegessen werden. Eine andere Studie kam zu dem Schluss, dass Menschen, die eine Beschreibung von einem exotischen Tier lasen, dieses als weniger sympathisch und leidensfähig einstuften, wenn ihnen gesagt wurde, dass das Tier in der Region gegessen werde.[13]

Eine weitere Strategie, mit dem inneren Konflikt umzugehen, ist es, Überlegungen zur Herkunft und Herstellung von tierischen Produkten auszublenden.[13] Joy argumentiert, dass dies der Grund dafür sei, dass Fleischgerichte nur selten mit dem Kopf der Tiere oder anderen intakten Körperteilen serviert würden.[16]

  • Melanie Joy: Why We Love Dogs, Eat Pigs and Wear Cows: An Introduction to Carnism. Conari Press, 2009, ISBN 1-57324-505-4.
  • Sandra Mahlke: Das Machtverhältnis zwischen Mensch und Tier im Kontext sprachlicher Distanzierungsmechanismen: Anthropozentrismus, Speziesismus und Karnismus in der kritischen Diskursanalyse. Diplomica, Hamburg 2014, ISBN 978-3-8428-9140-1.
  • Martin Gibert, Élise Desaulniers: Carnism. In: Paul B. Thompson, David M. Kaplan (Hrsg.): Encyclopedia of Food and Agricultural Ethics. Springer Netherlands, 2014, S. 292–298.
  • Tamara Pfeiler: Du bist, was du isst? Psychologische Forschung zum Fleischkonsum. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 2018 (bpb.de).

Einzelnachweise

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  1. a b Joy 2011, S. 96
  2. a b c d e Martin Gibert, Élise Desaulniers: Carnism. In: Paul B. Thompson, David M. Kaplan (Hrsg.): Encyclopedia of Food and Agricultural Ethics. Springer Netherlands, 2014, S. 292–298.
  3. Steve Loughnan, Boyka Bratanova, Elisa Puvia: The Meat Paradox: How Are We Able to Love Animals and Love Eating Animals?. In: In-Mind Italia. 2011, 1, S. 15–18.
  4. a b Jesse Singal: The 4 Ways People Rationalize Eating Meat, in: New York Magazine, 4 June 2015
  5. a b c d e Jared Piazza et al.: Rationalizing meat consumption. The 4Ns, in: Appetite 91, 2015, S. 114–128
  6. Joy 2011, S. 97.
  7. Rebecca Fox: Normal, Natural, Necessary and Nice. In: Reasonable Vegan. 22. August 2015, abgerufen am 26. Juni 2017.
  8. a b Joy 2011, S. 14, 17
  9. Anthony L. Podberscek: Good to Pet and Eat: The Keeping and Consuming of Dogs and Cats in South Korea, in: Journal of Social Issues, 2009, 65(3), S. 615–632, S. 617
  10. Hal Herzog: Having Your Dog and Eating It Too?, in: Psychology Today, 2011
  11. Chad Lavin: Eating Anxiety: The Perils of Food Politics, University of Minnesota Press, 2013, S. 116–117
  12. a b Steve Loughnan et al.: The role of meat consumption in the denial of moral status and mind to meat animals, in: Appetite 55 (1), 2010, S. 156–159
  13. a b c d Bastian Brock et al.: Don’t mind meat? The denial of mind to animals used for human consumption, in: Personality and Social Psychology Bulletin 38 (2), 2011, S. 247–256
  14. Lois Presser: Why We Harm, 2011, New Brunswick, NJ: Rutgers University Press, S. 50–68
  15. a b Adam Waytz, Kurt Gray, Nicholas Epley, Daniel M. Wegner: Causes and consequences of mind perception, in: Trends in Cognitive Sciences 14 (8), 2010, S. 383–388
  16. Joy 2011, S. 16.

Kategorie:Tierrechte Kategorie:Diskriminierung Kategorie:Ernährungsweise