Benutzer:GerhardSchuhmacher/Stadterneuerung

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Der Originalartikel kurz nach der Einstellung: 4. März 2016 44.789

Die Stadterneuerung ist eine Form der Stadtentwicklung und war nach 1945 als Stadtumbau vorgesehen und nur zum Teil als Sanierung geplant. Die Stadterneuerung Berlins galt als Folge der weitläufigen Kriegszerstörungen im Zweiten Weltkrieg durch die Bombardierung und vor allem durch den Artilleriebeschuss im abschließenden Kampf um Berlin neben der Wiederherstellung des Verkehrsnetzes als das dringlichste Problem der neuen deutschen Verwaltung. In den ersten Nachkriegsjahren erfolgte eine Reparatur des Altbaubestandes. In der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin kam es in den Stadtkernen in den 1950er-Jahren zu einzelnen Neubau-Projekten und in den 1960er-Jahren zu zahlreichen „modernen“ Grosssiedelungen in den Außenbereichen der Städte. Hier drückten jedoch bald die Kosten für die ebenfalls neu zu errichtende Infrastruktur auf die Renditen und als Lösung erschien der großflächige Abriss alter Stadtquartiere, da dort Verkehrswege und Versorgungssysteme schon vorhanden waren. Gegen diese Vernichtung der Altbausubstanz zugunsten von Neubauten und auch von Autobahnbauplänen formierte sich ab Mitte der 1970er Jahre massiver Widerstand in der Bevölkerung und teils auch in gesellschaftlichen Institutionen, in Behörden, Parteien und auch Fachkreisen. Da die „Kahlschlagsanierung“ rechtlich und im demokratischen Dialog offensichtlich nicht zu stoppen war, radikalisierten sich Anfang der 1980er Jahre Teile insbesondere der Jugend und begannen im großen Maßstab mit Hausbesetzungen.

Modernisierte Altbauten am Chamissoplatz

Zum Zentrum dieser Entwicklungen wurde West-Berlin.

Im Zusammenwirken mit Hausbesetzern und der liberalen Öffentlichkeit gelang es der Großorganisation IBA, der „Internationalen Bauausstellung“ durch die rechtsfähige Konzeption der „Behutsamen Stadterneuerung“ eine durchsetzbare politisch-praktische Alternative zu entwickeln, die nach der Wiedervereinigung auch auf Ost-Berlin angewandt werden konnte.

Im Osten hatte sich auf anderen Wegen eine ähnliche Entwicklung der Stadtzerstörung ausgebreitet, die mit der Zeit ebenfalls „politischen Zündstoff“ schuf, und hier in passivem Widerstand und der Mißwirtschaft der Behörden versandete. Auch in Ost-Berlin setzte sich ab Ende der 1970er Jahre ein Konzept zur „Erneuerung der Altbausubstanz“ durch, das zwar weniger wirksam war, doch letztlich den Bestand alter Stadtquartiere mit in die Wiedervereinigung brachte. Eine neue ‚Wendung‘ Ende der 80er zum Abriss wurde dadurch gegenstandslos.

Nach der Antike wurde die ‚Entwicklung von Stadt‘ lange Zeiten nicht mehr reflektiert, da es keine ‚Instanzen‘ gab, die dafür hätten zuständig sein können. Im Verlauf des Frühmittelalters kam es zu einem fast vollständigen Erlöschen des städtischen Lebens.Siedlungsentwicklung war Wildwuchs und wurde allenfalls von Herrschern, die sich in ihrem Umfeld „Platz schaffen“ konnten, aus einem persönlichen Interesse heraus betrieben. Einige wenige Neugründungen gab es im karolingischen Kernland und erst unter den Ottonen setzte ab dem 10. Jahrhundert eine bescheidene Welle von Neugründungen ein. Eine Zunahme der Stadtgründungen erfolgte nach 1100 bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts mit der allgemeinen europäischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Um 1500, zu Beginn der Neuzeit, entstanden bedeutende Städte und mit dem Beginn dieser Urbanisierung wurden Wohnverhältnisse im Zusammenhang mit der Entstehung städtischer oder klerikaler Verwaltungsarbeit wieder in planerische Überlegungen eingebracht. In erster Linie ging es dabei um Abriss zugunsten von Neubauten, von langfristiger angelegter Gestaltung kann erst wieder im Rahmen der Aufklärung gesprochen werden. Die Renaissance definierte Stadtgrundriss und Stadtbild – vor allem in geometrischer Hinsicht. Die durchgreifenden baulichen, rechtlichen und stadthygienischen Erlasse der Barockfürsten bereiteten die Bewältigung und Verwaltung der viel umfangreicheren Massenerscheinungen der sich ankündigenden Industrialisierung in den Städten vor. Dabei ging es auch um Stadthygiene. So entstanden durch Haussmann in Paris auch Großswohnbauten, die von anderen Städten nachgeahmt werden. Das klassizistische England gab Impulse zum Einbezug der Natur in die engen finsteren Städte. Zunehmend setzen sich Bewegungen für durchgrünte und hygienische Wohnviertel durch, deren Realisierung aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Gang kommt.

Thema „Mietskasernenstadt“

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Bau der Mietskasernenstadt

In Berlin entstand der Wedding ab 1862 im Zusammenhang mit dem Hobrecht-Plan als erster Arbeiterwohnbezirk der Stadt in bis 1850 noch fast unbesiedeltem Gebiet. „Er wurde damit Teil des Wilhelminischen Mietshausgürtels um den damaligen Stadtkern, der den durch die Industrialisierung ausgelösten Menschenstrom aufnahm.“[1]

Eine Reflexion von „Stadterneuerung“ begann schon bald angesichts der drastischen Entwicklungen im Rahmen der Industrialisierung nach den „Stadterweiterungen der Kaiserzeit [... im] letzten Drittel des 19. Jahrhunderts“ mit den Schriften des Städtebaukritikers Werner Hegemann.

„Die »Mietskasernenstadt« wurde wie kein anderer Stadttyp in der Geschichte der Architektur verteufelt, sie verkörperte in der Optik der städtebaulichen Moderne die Un-Stadt schlechthin, die barbarische Verschmelzung von Menschenverachtung und Häßlichkeit.“

Harald Bodenschatz: Die »Mietskasernenstadt« in: Stadterneuerung Berlin, S. 19.

1913 hatte sie der liberale Bodenreformer Damaschke „Massengrab für die Volkswohlfahrt“ genannt, sie wurde von SPD und KPD gemeinsam bekämpft – in der Nazizeit wechselte dann die Optik: Die Viertel galten nun als „fruchtbarer Nährboden für die marxistische Arbeiterbewegung [...] sie galten als Brutstätte des verhaßten politischen Gegners, die »gesäubert« werden müßten.“ (Bodenschatz, 20 ff.) Geändert wurde von keiner Seite etwas.

Diese „kulturelle Entwertung“ des ‚Kasernen‘-Städtebautyps verbreitete sich seit den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg und wurde auch vielfach künstlerisch thematisiert. Ab den 1960er-Jahren diente dieses Bild als argumentative Grundlage zur Flächensanierung: der nun möglichen „praktischen Umsetzung der Kritik.“ (Bodenschatz, S. 19).

Gleichsam unerkannt erfolgte nach dem zweiten Weltkrieg dann in den 1970er und 1980er-Jahren eine „partielle Rehabilitierung der Mietskasernenstadt“ in den Augen vor allem der neuen Jugendgenerationen. Der Protest gegen den Abriss ganzer Häuserblöcke entstand nicht nur aus ökonomischen Motiven („preiswerter Wohnraum“), sondern auch – im Kontrast zur Ästhetik und Struktur der Neubauten – aus den Möglichkeiten zu wohnlicher Nachbarschaft, von Zusammenleben (große Wohnungen), von Arbeiten (Gewerbe, Ateliers in den Fabriketagen). Dies wurde im realistischen Blick auf die Notwendigkeit einer nicht von privaten, sondern von sozialen Interessen bestimmten Verfügung und Gestaltung gesehen.

Dazu boten historisch allmählich die „Betroffenenmodelle“ der nach der Naziherrschaft nun auch hier demokratisch zu regelnden Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung erstmals neue Ansätze.

Mitwirkung der Betroffenen

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Die Mitwirkung der Bewohner war anfänglich kein Ziel – es waren „allein Politiker, Verwaltungsbedienstete, Planer, Architekten und andere Fachleute, die mangelhafte oder gute Wohnungs- oder Sozialverhältnisse definierten.“[2] Und als „Betroffene“ galten allenfalls Eigentümer.

Erst über die Sicherung der Rechte der Bewohner – und deren Information über Planungen – gelang es, diese Gruppe in die Entwicklung der Gesetzgebung und Finanzierung der Stadtentwicklung zu integrieren.

Etappen der Stadterneuerung in Berlin

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Planer wie Hans Scharoun und Max Traut entwickelten schon bald Vorstellungen, „die auf dem Papier radikal mit der Mietskasernenstadt abrechneten“, doch die Not diktierte das Programm: die alte Stadt wurde wieder notdürftig repariert. (Bodenschatz, 22).

Die Wohnraumbeschaffung stand in den ersten Nachkriegsjahren zusammen mit der Rekonstruktion der Verkehrsnetze im Zentrum aller Bemühungen, die städtischen Funktionen in der Trümmerlandschaft Berlin wieder in Betrieb zu nehmen. Neben der Reichsbahn und der BVG konnte sich die Siemens Bauunion rasch reorganisieren. Die Bauindustrie insgesamt orientiert sich zuerst auf die Erstellung von Neubauten in den Außenbezirken.

Im Stadtinnern entstand „auf dem Boden der Stadt des 19. Jahrhunderts [..] das Hansaviertel im Bezirk Tiergarten, das zentrale Prestigeobjekt der ‚Interbau‘, der Internationalen Bauausstellung 1957.“

Hansaviertel, Klopstockstraße (1957)

Argumentativ – doch noch selten praktisch – wurde die Auflösung der Enge der alten Quartiere angeprangert, Lärm, Schmutz, das Durcheinander von Wohnen und Gewerbe, von Kirchen zwischen Kneipen und Tanzlokalen, der Verfall.(Bodenschatz, 22 f.)

In den Außenbereichen begann die Vorbereitungen für die neuen Grosssiedlungen des folgenden Jahrzehnts.

Nun entstanden im Westteil Berlins neue Vorstädte – das Märkische Viertel, die Gropiusstadt, das Falkenhagener Feld in Spandau.

Doch die Kostensteigerungen in den sechziger Jahren bei der Errichtung von Neubaukomplexen in den Außenbereichen – es mussten die kompletten Verkehrs- und Versorgungsnetze mit errichtet werden –, führten zur Überlegung, durch den Abriss von Altbauvierteln und ihre Neubebauung günstiger voranzukommen. Die Infrastruktur als Basis war dort schon vorhanden. Mitentscheidend war, dass auch „der gesamte technische und bürokratische Apparat der Bauindustrie auf die Neubebauung von freien Flächen ausgerichtet war.“[3] Ebenso die Fachkräfte und die Kapazitäten der Zulieferbetriebe. Jede Umstellung hätte hohe Investitionen bedeutet.

So wurde „im Jahre 1963 [...] das Erste Stadterneuerungsprogramm verkündet. Erneuerung bedeutete dabei zunächst Abriß und Neubau.“ Das erste große Experimentierfeld wurde das Sanierungsbebiet Wedding Brunnenstraße.

Wutzkyallee (1968)

Doch der ‚soziale Gedanke‘ begann sich bereits in den lokalen Bauverwaltungen und auch unter Gutachtern und Planern zu verbreiten: „Tabula rasa, heimlicher Traum bei der Stadterneuerung, schied in Wedding als gangbarer Weg aus."[4]

Qualität dieser Phase in den 1960er-Jahren – so die Autoren Suhr und Enke – sei die neue Bodenordnung gewesen: 1968 waren im SWB (Sanierungsgebiet Wedding Brunnenstraße) bereits 43% aller sanierungsbedürftigen Grundstücke im Eigentum von (gemeinnützigen) Sanierungsträgern, wobei weitgehend spekulative Bodenpreise vermieden werden konnten.“ (Suhr/Enke, 34.) Die Grundlagen für einen größeren politischen Einfluss auf die Stadtentwicklung war damit gelegt.

Doch ohne eine neue Haltung den Methoden gegenüber wurde dadurch lediglich der Geldfluss umgelenkt:

Den Finanzierungsbedenken der Bauindustrie ...

„... kam der Staat entgegen, indem gesetzlich verankert wurde [im Städtebauförderungsgesetzt (StBauFG), das am 1. August 1971 in Berlin in Kraft trat], daß sämtliche unrentierlichen Kosten von der öffentlichen Hand erstattet wurden; das sind die Kosten für die Umsetzung der Mieter (Entmietung), Abriß der Häuser und Freimachung der Grundstücke. Auch die durch die Spekulation hochgetriebenen Grundstückspreise werden ‚ausgeglichen‘, indem bis zu 70% der Grundstückskosten dem Sanierungsträger erstattet werden. [...] Der Staat schuf der Bauindustrie die gleichen Voraussetzungen, wie sie in Neubaugebieten am Stadtrand existierten. Die Flächensanierung begann.“

Bernd Laurisch: Kein Abriß unter dieser Nummer, Werkbund-Archiv 7, 1981, S. 14.

Auf den Punkt gebracht: „Mit öffentlichen Geldern subventioniert, kauften gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften ganze Häuserblocks auf, um sie, ebenfalls staatlich gefördert, abzureißen und an ihre Stelle Neubauten zu setzen.“[5]

Im Hintergrund agierte dabei der berüchtigte „Berliner Filz“, die für beide Seiten gewinnträchtige Verflechtung von Politik und Wirtschaft.

Gleichzeitig entwickelte sich jedoch „eine breite fachöffentliche Diskussion zur Stadterneuerung [...] in Folge der 68er-Bewegung (und dem) veränderten Berufsbild der Architekten und Stadtplaner und dem kritischen Hinterfragen der gesellschaftlichen Ursachen und Hintergründe der damaligen Stadterneuerungspraxis.“[6]

In dem am 1. August 1971 in Kraft getretenen Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) wurde zwar auch den sozialen Aspekten „durch die Forderung nach Aufstellung von Sozialplänen für die Betroffenen mehr Gewicht als bisher eingeräumt“, doch gab es noch keine Regelungen zur praktischen Umsetzung. Und die Frage nach »flächenhafter Erneuerung« oder »Erhaltung« wurde ebenfalls nicht entschieden.

Da für die 1970er-Jahre ein starker Bevölkerungsrückgang[A 1] erwartet wurde, ging die Stadtplanung davon aus, dass es „insbesondere in den gründerzeitlichen Wohnquartieren [...] zu erheblichem Leerstand kommen würde [... und das] erwartete »Ausschmoren« – z.B. des Gebietes Kreuzberg SO 36 –, hätte hierfür [für den Stadtumbau] die notwendigen Voraussetzungen geschaffen.“ (Kohlbrenner, 46).

Neues Kreuzberger Zentrum (NKZ)

Unter „hierfür“ verstanden Sanierungsträger sowie die Bauwirtschaft nach wie vor die „Kahlschlagsanierung“ mit anfolgender Neubebauung – zum Modell wurde in jener Zeit das ‚Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ)‘ am Kottbusser Tor.

„Eine stärker volkswirtschaftliche orientierte Betrachtungsweise der auftretenden Kosten [so wie sie nun die Stadtverwaltung vornehmen musste], die über den Vergleich der reinen Baukosten hinausging, zeigte, daß eine Verlagerung des Schwerpunktes der Stadterneuerung auf die Instandsetzung und Modernisierung von Altbauten auch ökonomisch sinnvoll ist. [...] Zwischen dem theoretisch als notwendig Erkannten und der Praxis – so der Autor – klaffte also weiterhin eine deutliche Lücke.“ (Kohlbrenner, 48/49)

Während die Befürworter eines behutsamen Vorgehens sich mit „Pilotprojekten“, die „allerdings noch heftig umstritten“ waren befassten, trieben Politik und Bauwirtschaft den Kahlschlag weiter – schließlich war auch die Stadtautobahn mit potentiellem Anschluss nach Ostberlin nach wie vor in der Planung. Die ‚Bremser‘ dieses Konzepts versuchten darauf mit einer ”Veränderung der Rahmenbedingungen für die Stadterneuerung [...] zum Teil unter Einbeziehung einer vorgeschalteten Seminarphase und einer Beteiligung der betroffenen Bewohner [...] und mit einer erweiterten Vergabe von Gutachten“ zu reagieren. Entsprechend wurde in Teilen der Verwaltung „ein Mitwirkungsmodell für die Vorbereitung und Durchführung von Stadterneuerungsmaßnahmen entwickelt und in den Ausführungsvorschriften des StBauFG 1977 verbindlich geregelt, ohne allerdings die Mitsprache an der Planung bereits einlösen zu können.“ (Kohlbrenner, 52-54)

Die „breite städtische Opposition gegen die Stadterneuerungspolitik“ – nach (Bodenschatz, 23) „seit etwa 1973“ verließ im Rahmen der Alternativbewegung zunehmend die für die Betroffenen eingerichteten Gremien und begann, sich in selbstorganisierten Gruppen zu strukturieren und zu vernetzen.

Im Juli 1977 kam es zu einem ersten Konflikt, als Stadtteilgruppen in Kreuzberg die zum Abriss vorgesehene „alte Feuerwehrwache“ in der Reichenbergerstraße besetzten, um sie in ein Stadtteilzentrum umzuwandeln. Während das Berliner Oberverwaltungsgericht den Abrissantrag neu entschied, „ließ der damalige Stadtbaurat [...] die Wache im Morgengrauen räumen und abreißen.“[A 2]

Zahlreiche über die gesetzliche Betroffenenbeteiligung gewählte Vertreter gründeten danach „den ‚Stammtisch SO 36‘, aus dem später die [unabhängige] Bürgerinitiative SO 36 hervorging.“[7]

Abriss im Block 104

Eine neue Dynamik gewann der Wettlauf um die Rettung der alten Bausubstanz auch „in den von Pfarrer Klaus Dunze initiierten, 1977/78 durchgeführten »Strategien für Kreuzberg« für das Gebiet SO 36.“ Damit war ein Prozess in Gang gebracht, den der Autor in seinem ‚Resümee‘ auf den Punkt bringt: „Die veränderte Form der Stadterneuerung mußte erkämpft werden.“[8]

Diese Kampfsituation ließ nicht mehr lange auf sich warten: Schon Mitte der 70er-Jahre war „Selbstorganisation“[A 3] zur gängigen Handlungsweise in allen Lebensbereichen nicht nur der Jugend geworden und die Handlungsweise der „Sanierer“ in Kreuzberg, Neukölln, dem Wedding und auch in Charlottenburg forderte den Widerstand geradezu heraus:

„Über zwei Jahrzehnte hinweg wurden ganze Blöcke und Straßenzüge »entmietet«, gesprengt und abgeräumt. [...] Wer diesem Prozeß ausgesetzt war, erlebte Sanierung (Heilung) als Zerstörung der Stadt [... Ein grosser Teil der] Bevölkerung war ständig vom Abriß ihres Hauses bedroht. Die Häuser waren im staatlichen Auftrag von Wohnungsbaugesellschaften aufgekauft und dann auf Abriß bewirtschaftete worden; d.h., es wurde möglichst wenig repariert. Die Instandhaltung unterblieb fast ganz. Lange vor dem Abriß wurde dann »entmietet«. So standen in West-Berlin tausende Wohnungen leer, während 80.000 Haushalte mit Wohnberechtigungsschein dringend eine Wohnung suchten.“

Hardt-Walterr Hämer: Behutsame Stadterneuerung, S. 58 ff.
US-Army bei der Häuserkampfübung

Auf den zunehmenden Widerstand (auch von Mietern, die sich nicht vertreiben lassen wollten) reagierten manche Sanierungsträger durch Zerstörungsakte in noch teilbewohnten Gebäuden, die auch Erneuerungsmöglichkeiten ‚vorbeugen‘ sollten. „Die US-Army erhielt vom Senat die Erlaubnis, im Sanierungsgebiet Manöver im Häuserkampf durchzuführen. [... Danach] war an den Häusern dann wirklich nichts mehr zu retten, und die letzten Mieter sahen zu, daß sie möglichst schnell diesen ‚Kampfplatz‘ verlassen konnten.“ (Laurisch, 27).

Hausbesetzungen

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1979 kam es zu ersten „Instandbesetzungen“ – die Vorgänge waren so stark in der Bevölkerung ‚eingebettet‘, dass kaum Maßnahmen dagegen ergriffen wurden. Oft wurde parallel auch auf rechtlichem Wege vorgegangen: In der Görlitzer Straße 74 nach der Zweckentfremdungsverbotsverordnung, die Leerstand von mehr als drei Monaten verbot. Nach jahrelangem ‚Tauziehen‘ wurden zwei Wohnungen in dem Haus besetzt. Der Vorgang fand großes Aufsehen:

„Die öffentliche Meinung war [...] durch die Geschehnisse der letzten Jahre Hauseigentümern und Wohnungsbaugesellschaften gegenüber äußerst skeptisch geworden, und in der Presse fand diese Aktion ein durchweg positives Echo.“

Kurz darauf vermietete die Gesellschaft die zwei und noch weitere 40 Wohnungen. (Laurisch, 35. f.)

Eine Reihe von Wohnungen in verschiedenen Gebäuden wurden auch heimlich oder sporadisch bewohnt. Die erste große Aktion war die „Instandbesetzung in der Cuvrystraße“. Dennoch hatte sich die Bewegung kaum über einen kleinen Bereich in Kreuzberg SO 36 hinaus verbreitet, doch das Potenzial dazu wuchs ständig und nach einer Räumung am Kreuzberger Fraenkelufer entzündete es sich in der ersten Strassenschlacht am 12. Dezember 1980 ums Kottbusser Tor.

In den nächsten Monaten nahmen die Besetzungen „viel schneller zu, als die Polizei die Häuser räumen konnte. Im Mai 1981 waren 168 Häuser in Berlin besetzt, davon 86 in Kreuzberg. Aus Sympathie gingen damals immer wieder aus den verschiedensten Anlässen Zehntausende auf die Straße. So wurden die Politiker schließlich zu Betroffenen ihrer eigenen Beschlüsse zur Stadtentwicklung.“ (Hämer, 61)

In einer repräsentativen Umfrage 1981 des Instituts für Demoskopie Allensbach antworteten auf die Frage, „ob die Hausbesetzer mit ihrer Kritik an der »Kahlschlagsanierung« recht hätten, [..] 53,7 Prozent der Befragten mit »Ja«. Weitere 18 Prozent waren unentschieden, während 31 Prozent keinerlei Verständnis hatten. [...] 86 Prozent der Bevölkerung befürworteten eine sanfte und nichtpolizeiliche Lösung des Instandbesetzerkonfliktes.“[9].

Letzte 80er-Jahre-Kahlschlagfläche heute

In diese Zeit fiel dann faktisch auch das Ende der Flächensanierung – noch heute erkennbar im Block 104 an der Skalitzer Strasse zwischen den U-Bahnhöfen Kottbusser Tor und Görlitzer Bahnhof, der noch zum größten Teil abgerissen wurde, dessen Häuserreihe zur Oranienstraße hin jedoch ‚stehenblieb‘. Die kahle Fläche wurde nicht mehr neu bebaut, sondern in einen Park verwandelt.

Internationale Bauausstellung (IBA)

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„IBA-Bauten“ am Fraenkelufer

Entscheidend für den Durchbruch zu einem neuen Sanierungs-Konzept auf der politischen Ebene wurde eine Gesellschaft – die „Internationale Bauausstellung 1987“ –, die 1979 auf Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses gegründet wurde.

Sie „sollte einerseits Stadtflächen, die seit dem Krieg zerstört oder danach abgeräumt brach lagen, neu bebauen. Andererseits sollte sie das Altstadtquartier im östlichen Kreuzberg zwischen Spree, Landwehrkanal und ehemaligem Luisenstädtischen Kanal erneuern – eben jenes Gebiet, in dem der Schwerpunkt der Empörung gegen die bisherige Sanierungspolitik lag.“

In der IBA konnten sich Stadtplaner, Architekten, die Fachleute zahlreicher (Bau-)Sparten sammeln und sie kamen mit den Zuständigen in den Ämtern an einen Tisch – in der Regel auf beiden Seiten Männern und Frauen, denen die Notwendigkeit einer neuen Politik bewusst war. Im Sommer 1979 wurde Hardt-Waltherr Hämer zum Planungsdirektor der Altstadtquartiere berufen. Nach kurzer Zeit wurde den an der IBA Beteiligten klar, „daß der Beschluss des Abgeordnetenhauses im Sinne einer Formulierung des Projektes selbst nicht geeignet war. Ohne Mitsprache und Beteiligung der Bewohner waren die Probleme nicht zu bewältigen. [...] Nach den bisher üblichen Lösungsverfahren [...] war jedenfalls Kreuzberg nicht zu retten.“ (Hämer, S. 62)

Grundsätzlich, so im Nachhinein formuliert, war es in der IBA (und dann in ihrer Nachfolgeorganisation S.T.E.R.N.) klar, dass sie ‚ohne die Hausbesetzer nichts und die Besetzer ohne die IBA nichts bewirkt‘ hätten. Dennoch – so Hämer: „Die größte Wirkung hatten seinerzeit aber wohl die Instandbesetzer. Ihr Rechtsbruch war für viele Berliner moralisch gerechtfertigt.“[10]

Schon 1979/1980 packten die IBA-Mitarbeiter bei der „Winterfestmachung“ auch praktisch (und organisatorisch) mit an und parallel wurde konzeptionell wurde gearbeitet: „Gegen den damals ganz unnachgiebigen Widerstand, insbesondere einiger zuständiger Ämter und Eigentümer, haben wir zusammen mit den Betroffenen „12 Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung“ entwickelt.“ (Hämer, 63).

Im Zuge der Auseinandersetzungen auf den Straßen und der Flut der Besetzungen kam es in Berlin jedoch zu einer Polarisierung der öffentlichen Meinungen, die insbesondere von der „Springer-Presse“ kompromisslos durchgesetzt wurde. Allenfalls wurde noch zwischen verhandlungsbereiten und kriminellen Hausbesetzern unterschieden. Doch im Kern konnte die Misere der Stadterneuerung nicht fortpolemisiert werden und die Opposition gegen eine Fortsetzung der bisherigen Politik und eine gewaltsame Beseitigung des Widerstandes festigte sich in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Vorerst war jedoch „für die Mehrheit der Berliner [.. die Hausbesetzungen] ein unerträglicher Zustand“ und so sorgten sie in den „Wahlen 1981 für den Sturz der Regierung.“ (Hämer, S. 63 f.) In Kreuzberg allerdings zog die „Alternative Liste“ in die Bezirksverordnetenversammlung ein und sie konnte mit Hermann Orlowsky auch den Baustadtrat stellen. Hier gelang es, für die „Zwölf Grundsätze“ im Frühjahr 1982 die bezirkliche Zustimmung zu erlangen und: „Im März 1983 nahm das Abgeordnetenhaus schließlich diese Grundsätze als Leitlinie zustimmend zur Kenntnis.“ (Hämer, S. 64) Damit war die Flächensanierung endgültig abgeschafft.

Nach dem Tod eines Demonstranten am 22. September 1981 gewann auf beiden Seiten allmählich die Besonnenheit die Oberhand – der regierende Oberbürgermeister von Berlin (West), Richard von Weizsäcker, initiierte einen Verständigungskurs, der nach einigen Wechselfällen langfristig zu einer „Beruhigung“ führte, in deren Rahmen gut ein Drittel der besetzten Häuser legalisiert werden konnte.

Nicht-abgerissene Häuserzeile in der Oranienstraße

Damit hatte die „Gegenkultur“ ihre Basis – vor allem in Kreuzberg – erhalten und die ursprünglichen Motive von Hausbesetzerbewegung und den vielfältig aktiven Teilen in der Bevölkerung waren durchgesetzt: die bestehende Bausubstanz der alten Stadtquartiere wurde „behutsam erneuert“ und die damit verbundene „kleinteilige“ Lebensqualität blieb weitgehend erhalten.

Neben diesen offensichtlichen, auch amtlich festgeschriebenen Erfolgen, versuchte die IBA auch die ökonomische Seite ihres Engagement zu berechnen: Hardt-Waltherr Hämer stellte sich die Aufgabe, „den Unkenrufen zum Trotz“ nachzuweisen, dass die Betroffenenbeteiligung weder Verzögerung, noch Verteuerung bringe:

Er rechnete vor: Vorher waren „von der Entscheidung über Entmietung, durchgreifende Erneuerung oder Abriß und Neubau bis zum Wiedereinzug der Bewohner etwa sieben Jahre nötig. (Heute, 1990) braucht die Erneuerung zwar immer noch zu lange, etwa zwei Jahre ...“. Und: „Das Abstimmungsverfahren hat [..] geholfen, daß der Förderungsaufwand je Wohnung im IBA-Gebiet durchschnittlich um 60% niedriger ist, als es nach dem ursprünglichen Programm des Abgeordnetenhauses von 1979 hätte sein müssen.“

Zudem seien durch den modifizierten IBA-Auftrag mit 4.260 Wohnungen mehr als ursprünglich vorgesehen erneuert worden.

Die durchschnittlichen Gesamt-Baukosten (Wohnung 80 qm) beliefen sich nach Hämer 1989:

  • Neubau 4.780,- DM/qm
  • Erneuerung 2.070,- DM/qm

Modernisierungskosten (nach § 17.II WohnBauG) lagen zuvor um 130% höher als vergleichbare Neubaukosten; die behutsame Stadterneuerung „führte tatsächlich zu einer drastischen Reduzierung der Baukosten und in Verbindung damit zu bezahlbaren Mieten nach der Erneuerung.“ (Hämer, S. 68)

Legalisierte Häuser

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Es ist nachvollziehbar, dass die Angaben zur Zahl der längerfristig besetzten (ca. 170) und dann auch der „legalisierten“ Häuser (ca. 60) in der Literatur schwankt – die Größenordnungen sind jedoch erfasst.

Ex-Besetzerhaus am Heinrichsplatz

Lebensqualität

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„Selbstorganisation und Selbsthilfe wurden zu Schlüsselworten einer politischen Veränderung. Die überschaubare Komplexität der alten Quartiere, die Vielfalt der städtebaulich integrierten Nutzungen, die menschlichen Dimensionen des gründerzeitlichen Stadtraums sowie die Offenheit ihrer Nischen und Winkel für neue Lebensmodelle gilt vielen als das städtische Synonym eines »alternativen« gesellschaftlichen Entwurfs.“

Autoren: Erneuerung in Selbsthilfe, in: Stadterneuerung, S. 155.

Dieses Engagement der Beteiligten, die gerne auch zusammengefasst als „benachteiligte Gruppen “ definiert wurden (Autoren, S. 158), resultierte jedoch nicht aus defensiven Motiven – das „scheinbar Unmögliche“, das die Gesamtgesellschaft überraschende intensive und auch nachhaltige Tun, der außerordentliche persönliche Einsatz einer ganzen Jugendgeneration – genauer betrachtet waren es zwei aufeinander folgende Altersgruppierungen[11] – wurzelte in der plötzlich aufgetretenen und erkannten Chance, grössere städtische Bereiche als eine Art ‚eigenes Territorium‘ zu vereinnahmen und auch zu etablieren. Wie der Blick heute auf diese Stadtregionen zeigt, ist dies auch gelungen – die in den Jahrzehnten danach folgenden Jugendgenerationen mussten nichts anderes mehr tun, als einfach weiterzumachen.[12]

Das war Mitte der achtziger Jahre, als die turbulente „Hausbesetzerzeit“ wieder abgeklungen war, noch nicht zu überblicken. Mit der sich ankündigenden Auflösung der Ost-West-Konfrontation und schließlich dem Mauerfall im November 1989 war auch die interne Selbstfindung der West-Berliner zu Ende. Nun begann ein weitaus übergreifenderes politisches Geschehen, das jedoch auch in der nun ehemals geteilten Stadt das nächste Kapitel „Stadterneuerung“ aufschlug.

Ein Fazit zog Volker Hassemer, unter Richard v. Weizsäcker 1981 bis 1983 Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz: Die IBA „manifestierte die endgültige Wende in einem lang anhaltenden sozialen und gesellschaftlichen Konflikt um die Wünschbarkeit und Vertretbarkeit der Altbausubstanz. Bis zu diesem Projekt wirkte die Abrissmentalität, die in der Nachkriegszeit der Kriegszerstörung – nicht nur in Berlin – eine zweite Zerstörungswelle folgen ließ. [...] Die IBA unter Hardt-Waltherr Hämer wendete dieses Blatt zugunsten einer Altbaumodernisierung, die dann architektonisch, sozial und finanziell zum Vorbild wurde. Die legendären Auseinandersetzungen in Kreuzberg SO 36, die zähen Konflikte zwischen Bürgern, Investoren, Politikern, Verwaltungen, Architekten und Stadtplanern wurden durch die Ergebnisse der Altbau-IBA und die sie positiv begleitende Politik endgültig und unumkehrbar entschieden.“[13]

Mit der deutschen Wiedervereinigung kam eine auch völlig neue – zudem überraschende – Lage auf die Stadtverwaltungen zu. Nicht nur Hardt Walther Hämer befürchtete, dass die Behutsame Stadterneuerung nur „eine Episode der achtziger Jahre“ bleiben könnte, wenn sie von der Politik nun wieder ‚gekippt‘ würde. Denn mit den „Ost-Berliner Rekonstruktionsgebiete(n) in Stadtmitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain [ ... ist] ein Vielfaches an verrotteter Bausubstanz zu sichern und vor dem endgültigen Verfall zu retten, eine riesige Zahl leerer oder nicht benutzbarer Wohnungen muß wieder bewohnbar gemacht werden.“

Die Aufgaben waren groß – auch das Verkehrsnetz im Osten, fast die komplette Infrastruktur, befand sich in ähnlichem Zustand – und es ging nicht nur darum, einen organisierten Rückfall in die Zeit von Kahlschlagsanierung zu vermeiden, sondern: „Verfahrensweisen der Sicherung gegen Aufwertung und ungewolltem Zugriff sowie zum Schutz »schwacher Nutzungen«, die zugleich eine Konsolidierung dieser Gebiete anstreben, müssen entwickelt werden.“

Zu erwarten waren „Widersprüche zwischen Hauptstadtfunktionen und Quartiersentwicklung“, doch kam es nun darauf an, in der Behutsamen Stadterneuerung „mehr als nur ein Korrektiv“ zu sehen und ihr als „Gegengewicht und Ergänzung einer metropolitanen Planung eine zentrale Rolle in der Berliner Stadtentwicklung“ zuzuweisen. (Hämer 70-72).

Lage Berlin-Ost

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Karl-Marx-Allee(1967)

Bis weit in die sechziger Jahre war die Situation im Westen und Osten der Stadt ähnlich: „Bis zu diesem Zeitpunkt ging es in den Altbaugebieten darum, notwendige Instandsetzungsmaßnahmen durchzuführen, um eine weitere Bewohnbarkeit zu sichern. Bis dahin war man im Osten der Ansicht, daß die Berliner Mietskasernenbebauung als »Erbe kapitalistischer Bodenspekulation« nicht erhaltenswürdig sei und über kurz oder lang Neubauten weichen müsse.“

Großflächige Abrißplanungen scheiterten jedoch „an den ökonomischen Bedingungen, an Wohnungsnot und an der schwierigen Verlagerung von Industrie und Gewerbe.“[14]

Politisch gewollt war in den sechziger Jahren die Konzentration auf den Wiederaufbau des Stadtzentrums, das 1969 zum 20. Jahrestag der DDR eingeweiht wurde. Alles andere musste vernachlässigt werden und „die Unzufriedenheit unter der [..] Bevölkerung zur Wohnungslage nahm zu. [...]

„Deshalb wurde 1971 auf dem VIII. Parteitag der SED das Wohnungsbauprogramm zum Schwerpunkt des sozialpolitischen Programms ernannt. In repräsentativen Bereichen – „den »komplexen« Umgestaltungsgebieten (für Privilegierte)“ wurden sorgfältige Modernisierungen durchgeführt, in der Masse der Bezirke waren die Maßnahmen „Verbesserungen der Wohnqualität“ und deren ungenaue Definition ließ „Widersprüche zwischen statistisch abgerechneter Modernisierung und tatsächlich erfolgter Veränderung [...] in den Wohnungen zu. Letztlich führte das dann zu Fehleinschätzungen bei der Lösung der Probleme in den Altbaugebieten“, deren Nachhaltigkeit zudem durch die „Vorgabe einer »Restnutzungsdauer von 30 Jahren«“ relativiert war.

Restaurierter Platz 1984

Die Bemühungen am Arkonaplatz und am Arminplatz „waren erfolgreich und fanden großen Zuspruch unter der Bevölkerung. Plötzlich waren modernisierte Altbauwohnungen mit Ofenheizung attraktiver als Neubauwohnungen am Rande der Stadt geworden.“ (Kirsten, S. 73-75).

In der Politik wurde „die Erneuerung der Altbaugebiete ab 1976 fester Bestandteil der der Lösung der Wohnungsfrage“ und 1979 war der Umschwung eingeleitet: „Die vorhandenen Altbaugebiete der Gründerzeit wurden als Bestandteil der Stadt akzeptiert und zur endgültigen Konsolidierung freigegeben.“[A 4]

In der Parallelität der Ereignisse war damit 1979 im Osten regierungsamtlich vorgegeben, was im Westen der Stadt gerade „erkämpft“ wurde. Die Folgen waren jedoch letztlich sehr verschieden.

Im Osten war der „politische Zündstoff“ ebenfalls hoch – genannt wird das „Palisadendreieck“ Friedrichshain –, denn „dringendste Instandsetzungsmaßnahmen“ waren bereits in großem Umfang vernachlässigt worden.

Die Baukapazitäten beschränkt waren, konnten die kommunalen Wohnungsverwaltungen nur mit Hilfe staatlicher Subventionen ihre Bausubstanz bewirtschaften, selbst „Privateigentümer hatten [..] kaum eine Chance zur Pflege und Erhaltung ihrer Gebäude.“ Zur Beschleunigung der Arbeiten „wurden andere Bezirke zur Unterstützung der Bauvorhaben in Ost-Berlin herangezogen (natürlich zu Lasten ihrer eigenen Bauvorhaben). [...] Der Bezirk Suhl erhielt den Auftrag, im Palisadendreieck komplette Leistungen zu realisieren.“ (Kirsten, S. 79) Friedrichshain wurde zum Modellbeispiel für die innerstädtische Stadterneuerung; dazu kamen jedoch bald „die großen zentralen Vorhaben der Innenstadt, die zur 750-Jahr-Feier [Berlins 1987] fertiggestellt werden sollten. [...] Deshalb kamen 1985-86 Bezirke aus der DDR verstärkt zum Einsatz.“

Frankfurter Allee / Frankfurter Tor

Zahlreiche ‚Paradeobjekte‘ machten zum Stadtjubiläum Eindruck, doch: „Dieser »optimistische« Aufschwung war nach den Feierlichkeiten schnell vergessen. Ernüchtert stellte man 1987 fest, daß in der Innenstadt mit dem bisher eingeschlagenen Weg der Einheit von Neubau und Modernisierung, wie er in der Frankfurter Allee demonstriert wurde, die Probleme bis 1990 nicht lösbar sind.“

Nun wurde wieder „der Wohnungsabriß mit der Tendenz zu Flächenabrissen drastisch erhöht“ und der differenzierte Plattenbau für innerstädtische Standorte abgebrochen: „Es kam nun wieder die für extensive Neubaustandorte weiterentwickelte Großplattenbauweise zum Einsatz.“ (Kirsten, S. 80-82)

Die dadurch erforderliche drastische Vorgehensweise – der großflächige Abriss sollte im Prenzlauer Berg an der Rykestraße beginnen – stieß nun jedoch „auf heftigen Widerstand der Bewohner dieser Gebiete. Bürgerinitiativen entstanden, die sich gegen Abrisse und Plattenbauten wehrten.“

Die politischen Ereignisse im November 1989 setzten allen staatlichen Planungen ein Ende.[15]

Wiedervereinigung in Berlin

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Zwar war davon auszugehen, dass nach dem Mauerfall auch die Stadtentwicklung im Westen der Stadt im bisherigen Sinne fortzuführen war, doch das eigentliche Problem lag im Ostteil, in dem im Vergleich eine „jahrzehntelang vernachlässigte Bausubstanz gewaltige öffentliche Anstrengungen erfordern (wird), allein zur Beseitigung der baulichen Mängel.“[16]

Hämer umriss Mitte 1990 seine Perspektive: „Die Zukunft von Gesamt-Berlin wird [...] von einer, den Bestand und die Struktur der Innenstadtgebiete sichernden Planungspolitik sowie einer Weiterentwicklung des Verfahrens der behutsamen Stadterneuerung abhängen. [...] Die zu erwartenden Widersprüche zwischen Hauptstadt-Funktionen und Quartiersentwicklung sind absehbar.“ Er plädierte dafür, das bisherige Konzept nicht nur als „Korrektiv“ einer „metropolitanen Planung“ anzuwenden, sondern als „Gegengewicht und Ergänzung“. Er war realistisch genug, um zu sehen, dass die „Hauptstadt-Funktionen“ in der Innenstadt sich keinem ‚sozialen Konzept‘ fügen würden. (Hämer, 71 f.)

Die wichtigsten Entscheidungen für die Zukunft der Stadterneuerung in Berlin fiel nach der „politischen Einigung am 3. Oktober 1990“ und nach einer Bestandsaufnahme der Lage in beiden Stadthälften („Expertengruppe Stadterneuerung des provisorischen Regionalausschusses) zum einen durch die Abstimmung im Bundestag, Berlin wieder zur Hauptstadt Deutschlands zu machen: Aufgrund des Parlamentsbeschlusses vom 20. Juni 1991 wurde Berlin im Jahr 1999 auch Sitz von Parlament und Regierung.

Zum andern mit dem Beschluss des Abgeordnetenhauses 1993, die behutsame Stadterneuerung in Modifizierungen auch auf den Ostteil der Stadt anzuwenden. Die Leitsätze zur Stadterneuerung wurden vom Senat von Berlin am 1. Februar 2005 zustimmend zur Kenntnis genommen. (Siehe Weblink).

Damit war „die Gefahr, daß nach der engagierten Kritik der siebziger Jahre, die zur Praxis der behutsamen Stadterneuerung in den achtziger Jahren führte, die neunziger Jahre das Jahrzehnt der unkritischen »Macher« unter falschem Etikett werden“ (Kohlbrenner, 55) im Ansatz gebannt.

  1. Diese Erwartung stand im Zusammenhang mit dem Bau der Mauer, der den Menschenzustrom aus dem Osten unterbrach, mit der Abwanderung vieler Wirtschaftsunternehmen aus der „Inselstadt“ in attraktivere, westdeutsche Zentren und einer zunehmend als unsicher eingeschätzten politischen Lage. Nicht damit gerechnet wurde, dass gerade diese Situation der Stadt für eine große Zahl junger Leute überall aus der Bundesrepublik – Studenten, Provinzflüchter, Kriegsdienstverweigerer, Neugründer – in der Aufbruchstimmung der 1970er-Jahre besonders interessant wurde.
  2. „Das Gericht hat dagegen aufs schärfste protestiert, seine Entscheidung aber nie bekannt gegeben. (Laurisch, 24).
  3. Im Gegensatz zur 68er-Bewegung ging die Selbstorganisation in der Alternativbewegung weit über eine Bildung politischer Gruppen hinaus. Auslöser dieser neuen Handlungsweise waren die Unistreiks in Berlin und der Bundesrepublik in den Jahren 1976 bis 1978. Hier stellten Abertausende junger Leute fest, dass sie eine gemeinsame ‚Generation‘ mit gleichem Denken, Fühlen und damit auch Ideen waren. Nachdem erkannt war, dass an den Universitäten letztlich wenig zu verändern war und dort auch die Isolierung drohte, erfolgte eine ‚kollektive‘ Hinwendung in die Stadtteile. Im Berlin des Sanierungschaos war rasch nicht nur Widerstand organisiert, sondern erfolgte auch eine „Gründerwelle“ in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen, die dann auch den Hausbesetzungen eine ‚logistische Basis‘ bildete.
  4. Im Februar 1979 wurde auf der XIII. Bezirksdelegiertenkonferenz der SED die Abrißminimierung in den innerstädtischen Altbaugebieten festgelegt. (Kirsten, 76/77).
  • Volker Hassemer: Wozu Berlin? Eine Streitschrift., B&S Siebenhaar Verlag, Berlin/Kassel 2011. ISBN 978-3-936962-87-1.
  • Bernd Laurisch: Kein Abriß unter dieser Nummer, Werbund-Archiv 7, Anabas Verlag, Giessen 1981. ISBN 3-87038-088-8.
  • Sven Reichardt: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren., Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. ISBN 978-3-518-29675-2.
  • Verschiedene Autoren in: Stadterneuerung Berlin. Hrsg.: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1990.

Einzelnachweise

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  1. Suhr/Enke in: Stadterneuerung Berlin, Hrsg.: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1990, S. 35.
  2. Heinrich Suhr, Dieter Enke: Die Phase der Sechziger Jahre in: Stadterneuerung Berlin. Hrsg.: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1990, S. 33.
  3. Bernd Laurisch: Kein Abriß unter dieser Nummer, Werbund-Archiv 7, Anabas Verlag, Giessen 1981, S.14.
  4. Gerhard Fehl: Eine Stadtbilduntersuchung, Stadtbauwelt 18, 1968, zitiert in: Suhr/Enke, S. 35.
  5. Sven Reichardt: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren., Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, S. 499.
  6. Urs Kohlbrenner: Umbruch in den Siebziger Jahren – Grundlage und Modelle der bewahrenden Stadterneuerung in: Stadterneuerung Berlin, S. 45.
  7. Bernd Laurisch: Kein Abriß unter dieser Nummer, S. 24.
  8. Urs Kohlbrenner: Umbruch in den Siebziger Jahren – Grundlage und Modelle der bewahrenden Stadterneuerung, S. 54.
  9. Reichardt: Authentizität und Gemeinschaft, Berlin 2014, S. 500 und 570. Ähnliche Zahlen 1981 Marplan-Institut Offenbach. Die letzte Angabe von Infratest.
  10. Hardt-Walterr Hämer: Behutsame Stadterneuerung, S. 63.
  11. group="A">Es handelt sich bei den (später sogenannten) ‚Alternativen‘ nicht um „schichtspezifische“ Aktivitäten – etwa von Studenten –, man beachte hier die zeitgleiche „Jugendzentrumsbewegung“ der siebziger Jahre; die Stärke bestand gerade im ‚Aufeinander-Zugehen‘ und nicht in der Abgrenzung. Die nächste Altersstufe – in den Achtzigern – waren u.a. die Punks; hier war die Abgrenzung (Mode, Musik) wieder stärker ausgeprägt, doch war die Zielrichtung, die eigene Unabhängigkeit oder ‚Autonomie‘, noch die gleiche.
  12. Der Blick in die Zeitschriften (z.B. „Hausbesetzerpost“) und Flugblätter der 1980er-Jahre zeigt sofort, dass es nicht um ‚Protest‘ oder Anklage und Forderungen ging, sondern um eine aktive – auch territoriale – Aneignung von „Freiräumen“.
  13. Volker Hassemer: Wozu Berlin? Eine Streitschrift., B&S Siebenhaar Verlag, Berlin/Kassel 2011, S. 34.
  14. Ernst Kristen: 20 Jahre Modernisierung und Rekonstruktion in Berlin-Ost. n: Stadterneuerung Berlin, Hrsg.: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1990, S. 73.
  15. Ernst Kristen: 20 Jahre Modernisierung und Rekonstruktion in Berlin-Ost. In: Stadterneuerung Berlin, 1990, S. 82.
  16. Dieter Geffers: Die neunziger Jahre: Aufgaben und Perspektiven. Einleitung. In: Stadterneuerung Berlin, 1990, S. 85.


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