Benutzer:Jan Koppelin/Mediamorphose
Der Begriff der Mediamorphose ist ein durch Kurt Blaukopf geprägter Terminus der Musiksoziologie. Die Mediamorphose beschreibt das Phänomen der Mutation (Metamorphose) der Musik durch den Einfluss elektronischer Medien auf den musikalischen sowie technischen Produktions- und Distributionsprozess spätestens ab dem frühen 20. Jahrhundert.
Neben den unmittelbaren Folgen für die musikalische Kommunikation und die musikalische Praxis selbst, hat die Mediamorphose parallel starken Einfluss auf rechtliche, soziale und wirtschaftliche Aspekte, zunehmend auch auf globaler Ebene.
Mutation durch technische Medien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bereits durch die Erfindung der Notenschrift kann von einer ersten (schriftlichen) Mediamorphose der Musik gesprochen werden, deren Auswirkungen auf die musikalische Kommunikation im Vergleich zur technisch bedingten Mediamorphose aber relativ gering waren. Diese frühe Form der Mediamorphose ist aber kein wesentlicher Bestandteil Blaukopfs Betrachtungen.
Die Mutation der Musik, d.h. die massive Umwälzung konventioneller Formen der musikalischen Kommunikation und der musikalischen Praxis insgesamt, hat ihren Ausgangspunkt vielmehr im frühen 20. Jahrhundert in der Erfindung der Phonographie (siehe auch Tonaufzeichnung) durch Thomas Alva Edison. Errungenschaften der darauf folgenden Jahre wie Mikrofon, Elektronenröhre, Magnettonband, Schallplatte und Stereofonie beschleunigten diesen Prozess und verstärkten die Folgen. Die Gesamtheit dieser und darauf fußenden Erfindungen sowie die Folgen dieser Entwicklung charakterisieren die Mediamorphose.
Merkmale und Folgeerscheinungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aufhebung der Raum- und Zeitgebundenheit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die technischen Aufnahme- und Verbreitungsmedien führen zu einer Aufhebung der Raum- und Zeitgebundenheit der musikalischen Praxis, d.h. durch Übertragungsmedien wie bspw. der Schallplatte stimmen Ort und Zeit der Aufführung nicht mehr zwingend mit Ort und Zeit der Rezeption überein. Gleichzeitig wird dadurch der zuvor vorhandene Versammlungszwang, der für die Rezeption von Musik notwendig war, aufgehoben.
Die Darbietungsmusik, bei der Raum und Zeit der Aufführung und Rezeption kongruieren, wird um die Übertragungsmusik als neue musikalische Kategorie ergänzt. Der Begriff bezieht sich sich „auf jede musikalische Kommunikation, die sich eines künstlich-technischen Kanals bedient[.]“[1]
Verlust der Aura
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Anlehnung an Walter Benjamin verliert die Musik durch ihre Reproduzierbarkeit ihre „auratische Einmaligkeit“. Gepaart mit dem allgegenwärtigen Vorhandensein von Musik führt die Mediamorphose so zu einer „‚Banalisierung‘ der Musik.“[2]
Materialität und Warencharakter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vor der Erfindung der Schallaufzeichnung konnte Musik nur in Form gedruckter Noten einen Warencharakter annehmen, war im Wesentlichen aber als Dienstleistung anzusehen. Die Mediamorphose ermöglicht hingegen die Schaffung von Musik als reales Objekt und verleiht ihr Materialität in Form von Tonträgern.
Das Zusammenspiel aus neu entstandenem Warencharakter und Materialität führen zu einer neuen Dimension der ökonomischen Verwertbarkeit von Musik. Die Möglichkeit zur massenhaften Produktion und Distribution von Tonträgern führten zu einer Bedeutungszunahme der Musikindustrie.[3]
Rechtliche Folgen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Um die Leistung der Komponisten und Ausführenden der Musik, die nicht zwingend in einer Person vereint sind, zu schützen, wurden das Urheberrecht und Leistungsschutzrecht eingeführt. Um die Wahrung dieser Rechtsansprüche zu gewährleisten, wurden Verwertungsgesellschaften gegründet. [4]
Zunahme musikalischer Aktivität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch die Mediamorphose erlangten traditionell musikfremde Gesellschaftsschichten Zugang zu Musik und Musikinstrumenten. Vor allem ab den 1950er Jahren war eine Zunahme musikalischer Aktivität beobachtbar, die sich im Entstehen unzähliger Rock- und Beatgruppen manifiestierte. Doch auch tradtionelle Musikformen wie Chöre und Musikschulen erhielten Zulauf, was laut für einen „anwachsen musikalischer Aktivität insgesamt“ spricht.[5]
Begriffsgeschichte und -rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Blaukopf lässt im Begriff der Mediamorphose die Worte Medien und Metamorphose zu einem verschmelzen und beschreibt so die Mutation der musikalischen Kommunikation und musikalischen Praxis. Aufbauend auf einem Grundgedanken Max Webers, demzufolge die Musiksoziologie die Veränderung musikalischen Handelns analysieren soll, beschreibt auch Blaukopf durch seine Theorie der Mediamorphose den Wandlungsprozess der musikalischen Praxis. Der Begriff der Mediamorphose verweist dabei erstmalig auf den Zusammenhang zwischen technischer Entwicklung und der dadurch ausgelösten Veränderung der musikalischen Prozesses an sich.
Der Begriff der Mediamorphose wurde vor allem von österreichischen Soziologen Alfred Smudits, Blaukopfs Nachfolger am Instittut für Musiksoziologie der Universität Wien, aufgegriffen und weiterentwickelt. Smudits setzt den Begriff in das digitale Zeitalter um CD, Internet, MP3 etc. fort und bezeichnet es als digitale Mediamorphose. Smudits untersucht vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung technischer Medien die Themen der Wahrung von Urheber- und Leistungsschutzrecht, die weiterhin zunehmende Ökonomiserung der Musik (bzw. Kultur) sowie die stetig wachsende musikalische Aktivität im Amateurbereich.[6]
Akkulturation als globale Folge
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch die Möglichkeit der Verbreitung von Musik über Kulturgrenzen hinweg und durch die damit einhergehende Zunahme von Interdependenzen der Kulturen, werden die Analyse eines globalen Zusammenhangs und Betrachtung der „Universalgeschichte“ der Musik zu einem Aspekt wissenschaftlicher Auseinandersetzung.[7] Blaukopf sieht in dem Übergewicht westlicher Musikwaren, eine „Attacke westlicher Normen auf die Musikkulturen anderer Gesellschaften“.[8] Ein bedenkenloses adaptieren des 12-Tonsystems, der Instrumente und der Singstimme der westlichen Musikkultur, könnte laut Blaukopf im schlimmsten Fall zum Verlust der zahlreichen, nicht-westlichen musikalischen bzw. kulturellen Identitäten führen. Blaukopf weißt aber gleichzeitig daraufhin, dass nicht westliche Kulturen kritisch mit fremden, also westlichen Einflüssen umgehen und in der Regel keine bloße Adaption westlicher Musikkultur stattfindet.[9] Durch den globalen Austausch musikalischer Praktiken wird auch die westliche Kultur mit fremden Einflüssen konfrontiert und durch diese möglicherweise sogar bereichert.[10]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 188.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 271.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 190f.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 190f.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 188f.
- ↑ Alfred Smudits: Mediamorphosen des Kulturschaffens. Braumüller, Wien 2002, S. 173- 220.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 270, 276ff.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 290.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 294.
- ↑ Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. Darmstadt 1996, S. 286.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft: Grundzüge der Musiksoziologie. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996, ISBN 3-534-13002-2.
- Alfred Smudits: Mediamorphosen des Kulturschaffens. Braumüller, Wien 2002 ISBN 3 7003 1408.
- Alfred Smudits: Wandlungsprozesse der Musikkultur. In: Helga de la Motte-Haber/Hans Neuhoff (Hrsg.): Musiksoziologie. Laaber-Verlag, Laaber 2007, ISBN 3-89007-561-4, S.111-145.