Benutzer:K.bunzel/Germanienpolitik des Augustus
1. Germania:
1.1. Die geografischen Vorstellungen Das nördliche Europa war bis zu den Vorstößen der Römer weitestgehend unbekannt. Der Küstenverlauf Nordeuropas – wie in der Rekonstruktion der Weltkarte des Eratosthenes von Kyrene erkennbar – ähnelt einer gleich- förmigen Landmasse. Die geografi-schen Vorstellungen waren auf ein Minimum beschränkt. Im ersten Jahr-hundert n.Chr. erscheint die Darstellung Nordeuropas etwas genauer. Besonders der mitteleuropäische Teil wird durch Tacitus in seiner Germania differenzierter beschrieben. Das Agieren im unbekann-
Abb. 1: Die Erdkarte des Eratosthenes (Rekonstruktion) ten Gebiet bewirkte somit auch eine Vervollständigung der geografischen Kenntnisse. Trotz allem nahmen diese Kenntnisse gen Osten rapide ab.
1.2. Die ethnografischen und gesellschaftlichen Vorstellungen Eine nähere Kenntnis über die Nordvölker erhielten die Römer besonders während des Keltensturms um 387 v.Chr. und während der Kimber- und Teutonen-Wanderung. Diese traumatischen Erfahrungen der Römer mit den Völkern des Nordens nutzte Caesar für eine Rechfertigung seiner Eroberungen in Gallien. In der Commentarii zum Gallischen Krieg wird auch erstmals ein genaues Bild der gallischen und germanischen Stämme gegeben. Schon damals differenzierte Caesar zwischen Galliern am linken Ufer des Rheins und den Germanen. Somit stellte der Fluss eine ethnische Grenze dar, die aufrechterhalten wurde.
1.3. Situation in Germanien Der Rhein schied zwei Völkerschaften, die sich durch ihre verschiedenen Gesellschaftsformen, ihre Wirtschaft und durch ihre Lebensweise sehr stark von einander unterschieden. Die Germanen lebten in einzelnen Stämmen, die aber auf eine reguläre Wanderschaft angewiesen waren, und nicht zentrale und urbane Zentren wie das gallische Oppidum in Anspruch nehmen konnten. Außerdem gab es kriegerische Gruppen, die in sich keinen Stamm darstellten und somit auch von keinem gemeinsamen politischen Oberhaupt angeführt wurden. Daraus resultierten enorme Unterschiede für die Bedingung der Kriegsführung. Caesars Bellum Gallicum bietet dafür entsprechende Vergleichspunkte. In Gallien war das Einfordern von Nahrungsmitteln durch die soziale Organisation möglich. Eine bestehende Aristokratie, die als Verhandlungspartner zur Verfügung stand, eine weite Verbreitung des Oppidums und die damit im Zusammenhang stehenden zentralen sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen begünstigten die Eroberung Galliens. Die naturräumlichen Bedingungen wie Flusswege waren für die Logistik besonders geeignet, auch die Landwirtschaft produzierte Überschüsse, um seine Besatzer zu versorgen. Hingegen war die Subsistenzwirtschaft östlich des Rheins nicht begünstigt, um Legionäre für einen längeren Zeitraum zu ernähren. Orte, in denen eine Konzentration von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch militärischen Faktoren zusammen kommen, fehlte komplett. Auch die Transportbedingungen zwischen Rhein und Elbe boten kaum Ansatzpunkte zur Errichtung einer Herrschaft in Germanien. Daher war Rom das erste Mal in Nordeuropa dazu genötigt, die Feldzüge und Expeditionen selbst zu versorgen.
2. Voraussetzungen der augusteischen Germanienpolitik
2.1. Caesars Eroberungen Im Frühjahr 58 v.Chr. begann Caesars gallische Statthalterschaft, dessen Ablauf in seinem Bellum Gallicum dokumentiert ist. Schon früh bildete sich jedoch ein großes Problem heraus: Futurum esse paucis annis, uti omnes ex Galliae finibus pellerentur atque omnes Germani Rhenum transirent […]“ (Bellum Gallicum 1,31,11). Begründet wird dieser Wechsel durch die ungünstigeren Lebensumstände in Germanien, vermutlich bezüglich der Beschaffenheit der Böden, wie sie auch bei Tacitus (Germania 5) beschrieben werden. Es folgt eine strikte Trennung von Germanen und Galliern; jedoch lässt sich daraus nicht ein Abbruch der Kontakte zu den Germanen schlussfolgern, sondern eine Unterbindung von gallisch-germanischen Beziehungen. Aufgrund einer Strafexpedition 55 und 53 v.Chr. überquerte Caesar den Rhein. Diese Demonstration der Macht sollte auch den zukünftigen Herrschaftsanspruch Roms auf Gallien als auch auf Germanien verdeutlichen. Nach Caesars Fortgang und während der machtpolitischen Wirren des Bürgerkrieges blieb es an der gallisch-germanischen Grenze relativ ruhig. Gallien wurde sich und den dort stationierten Truppen überlassen. Der Rhein war zum Ende des Gallischen Krieges (51 v.Chr.) eine nominelle Grenze des römischen Macht-bereiches.
2.2. Marcus Vipsanius Agrippa Darauf verschwand Germanien aus dem Blickwinkel der Politik weitestgehend. Es kam jedoch auch weiterhin zu einigen Strafexpeditionen. Während der Statthalterschaft Agrippas in den Jahren 39/38 v.Chr. kam es zu Kampfhandlungen gegen aufständische Gallier und er überquerte als zweiter Befehlshaber den Rhein. Vermutlich während seiner zweiten Statthalterschaft 20/19 v.Chr. wurde eine Siedlungsverlagerung in die Rheinzone unternommen, die Ubier wurden am linken Rheinufer, in der fruchtbaren, besiedlungsfreien Kölner Bucht angesiedelt. Tacitus schreibt dazu: „Vorzeiten haben sie den Rhein überschritten und sind wegen ihrer erprobten Treue unmittelbar am linken Ufer angesiedelt worden, um einen Schutzwall zu bilden […]“. Diese Umsiedlung, die wohl einem offensiven Konzept entsprach, war auch geeignet, um dem Druck der Germanen am Rheinufer entgegenzuwirken. Obwohl Agrippa ein enger Vertrauter des Princeps war (Abb. 2), darf diese Handlung nicht als Alleingang gewertet werden. Dieses Entgegenkommen, denn den Germanen wurde eine Umsiedlung in die fruchtbare Rheinregion bewilligt, hatte vermutlich auch zu Gegenleistungen, womöglich in Form von Truppenbereitstellung, geführt. Abb. 2: Agrippa neben Augustus
3. Römer in Germanien
3.1. Die Clades Lolliana Die Lollius-Niederlage, die durch Cassius Dio (54, 21,1) eindeutig auf das Jahr 16 v.Chr, in das Jahr der Konsuln Marcus Libo und Calpurnius Piso datiert werden kann, bot keinen Anlass zu einer neu angelegten Änderung der Germanienpolitik. Niederlagen hatte es schon immer gegeben und selbst Sueton schreibt in seiner Augustusbiografie: „Schwere und schimpfliche Niederlagen hat er überhaupt nur zwei und beide in Germanien erlitten, die des Lollius und die des Varus. Bei der ersteren war der Schimpf größer als der Verlust […]“. Dieser Verlust bestand darin, dass die Germanen den römischen Legionsadler der 5. Legion erbeuten konnten. Schimpflich wurde dieser Verlust erst durch die große Agitation der Jahre 20/19 v.Chr., als die Rückgabe der römischen Feldzeichen, die in der Schlacht bei Carrhae verloren gingen, propagiert wurde, und durch die Verkündung des goldenen Zeitalters bei den Saecularfeiern im Jahr 17 v.Chr. Die Lollius-Niederlage kann somit nicht als Auslöser für die im selben Jahr erfolgten Alpenfeldzüge des P. Silius Nerva gelten. Außerdem wurden die Militärlager bei Neuss und Nijmegen vor 16 v.Chr. angelegt und passen somit nicht in ein neu angelegtes Konzept zur Eroberung Germaniens. Nach dem Übergang der Suganbrer, Usipeter und Tenkteter über den Rhein und der für Augustus beschämenden Niederlage bricht dieser selbst nach Gallien auf und ordnet die Verwaltung neu und eine gefügte Provinzialordnung entsteht. Später kommt es auch zu einem Friedensabschluss mit den Sugambrern, was dennoch von Horaz als Sieg gefeiert wird: „[…] dir huldigt der Sygambrer, sonst des Mordbrennens froh, mit gesenkten Waffen“. Es kommt zur Verlegung der Legionen aus dem Inneren Galliens in die Lager bei Nijmegen, Xanten, Moers-Asberg, Neuss und Mainz. Der Nutzen dieser Kastellkette bestand darin, Aufstände in Gallien zu unterdrücken und die Rheinüberschreitung der Germanen zu verhindern. Außerdem war ein Zugang zum Meer und zu anderen Wasserstraßen gewährleistet, eine Flotte, die für Truppenverlegungen und Versorgung geeignet war, wurde gebaut und ein Art Kanal vom Rhein zur Nordsee ausgehoben. Dies kann wohl als eine strategische Orientierung nach Osten gewertet werden, da eine Planung nur vom Grenzgebiet aus getroffen werden konnte, weil eine exakte geografische Vorstellung nicht existent war.
3.2. Eroberung des Alpenraums Im Jahr 15 v.Chr. kam es zur Unterwerfung der Alpenstämme und zur Besetzung des nördlichen Alpenvorlandes. Die Operation wurde von den Stiefsöhnen des Augustus, von Drusus und Tiberius, geleitet. Durch die Adoption wurden sie ein fester Bestandteil der Herrschaftsideologie. Denn ihre Siege wurden Augustus` Siege (Abb. 3), da er den Oberbefehl, das imperium maius, innehatte. Horaz, als unmittelbarer Zeitzeuge, feierte die Siege Abb. 3: Tiberius und Drusus überreichen Augustus ihre Siegespalmen im Alpenraum in seinen Oden: „[…] wie der Barbaren eisenbewehrten Schar allda zersprengte Claudius mit Sturmgebraus und Vor- und Nachhut niedermähte, ohne Verluste des Schlachtfelds Sieger […]“. Für ihre Leistungen erhielten die Brüder kleine Triumphe, so genannte ovatio (Suet. Tib. 9,2; Claud. 1,3). Diese Rühmung sollte wohl auch die schimpfliche Niederlage des Vorjahres übertönen.
3.3. Die Drusus-Feldzüge Im Jahr 13 v.Chr. bekam Drusus Verwalter den Oberbefehl über die Rheintruppen. Doch schon bald darauf „[…] brachen die Friesen, ein Volk jenseits des Rheins, den Frieden“. Auch 12 v.Chr. beginnen die Sugambrer den Krieg und überschreiten den Rhein. Drusus sichert zunächst das linksrheinische Gebiet und kann die Germanen zurückschlagen. Im weiteren Verlauf ziehen die Legionen durch das Gebiet der Usipeter bis zu den Sugambrern. Bis zu diesem Punkt diente der Zug einer Strafexpedition, denn die eingefallenen Germanen konnten zurückgeschlagen werden. Daraufhin zieht jedoch Drusus rheinabwärts bis zur Nordsee, trifft dort ein Abkommen mit den Friesen und erreicht das bis dato noch unbekannte Gebiet der Chauken. Die militärischen Aktionen richteten sich somit gegen germanische Stämme, die zuvor nie an Raub- oder Kriegszügen beteiligt waren.
Abb. 4: Erster Drusus-Feldzug
Dieser erste Feldzug des Drusus begann wohl als obligatorische Strafexpedition mit Abschreckungscharakter, diente jedoch im späteren Verlauf unter anderem dazu, Kenntnisse über die fremde Landschaft zu erlangen und den römischen Einflussbereich, der durch ein Abkommen mit den Friesen faktisch bestand, auszuweiten.
Außerdem wurde trotz der späten Jahreszeit eine zweite Militäraktion eingeleitet. Im folgenden Jahr wurde die Operation von Vetera bei Xanten fortgeführt (siehe Abb. 3) und Drusus überquerte zum zweiten Mal den Rhein, zog durch das Gebiet der Usipeter und Tenkterer bis zu den Sugambrer und kam über die Lippe-Region zu den Cheruskern bis zur Weser (Cass. Dio 54,33,1). Die fortschreitenden Jahreszeiten und der daraus resultierende Proviantmangel nötigt Drusus zur Umkehr. Die ungünstige Nahrungsmittelversorgung impliziert, dass dieser Zug anscheinend nicht geplant war. An der Lippe wurde ein Kastell errichtet, ob es sich hierbei um Haltern handelt, ist noch unklar. Trotzdem demonstriert die Errichtung eines Lagers im germanischen Gebiet die Präsenz der Römer und auch ihren Anspruch auf eine Inbesitznahme.
Während des darauf folgenden Aufenthalts in Rom konnte Drusus den ovatio feiern. Somit bestand eine Verbindung zwischen den militärischen Interventionen des Feldherrn in Germanien und dem Herrscher Augustus. Auch ein mögliches Treffen des princeps mit seinen Stiefsöhnen in Lugudunum könnte diese Verbindung bestätigen.
Im Jahr 9 v.Chr. brechen die Vorstöße in das Innere Germaniens mit den Tod des Drusus abrupt ab. Zuvor zog das Heer von Mainz durch das Lahntal über die Weser bis zur Magdeburger Bucht an das Ufer der Elbe. Auch hierbei kam es zu Auseinandersetzungen mit Chatten, Sueben und Cheruskern. Laut Cassius Dio wollte Drusus nun auch die Elbe überqueren, jedoch verbot ihm „[…] die Erscheinung eines Barbarenweibes von übermenschlicher Größe […]“ dieses in lateinischer Sprache. Die römischen Truppen verließen den sicheren Operationsradius (siehe Abb. 6), der eine Versorgung durch angelegte Lager sicherstellte, und zogen bis zur Elbe. Daraufhin stirbt er und Tiberius erschien noch an seinem Sterbelager und führte den Leichnam und die Truppen nach Mainz zurück.
In der Gesamtbetrachtung der drei Drusus-Feldzüge fällt eine gewisse Nord-Süd- Abfolge auf. Ähnlich wie bei Caesar wurde nur stoßweise das unbekannte Gebiet erforscht und erobert. Daher entsteht der Eindruck einer systemati-schen Strategie. Das kontinuierliche Vordringen und die anhaltende Gründung von Militärlagern – auf die im Folgenden eingegangen wird – zeigen doch einen gewissen Herrschafts-anspruch der größten Militärmacht im Altertum auf Germanien. Die Drusus-
Abb. 5: Die beiden letzen Feldzüge
Feldzüge sind mit dem Anfangsstadium der gallischen Eroberungen vergleichbar. Auch die angestrebte Beherrschung Germaniens entspricht der Herangehensweise, wie sie Caesar praktiziert hatte. Es entstand eine Mischung von militärisch unterworfenen Gebieten und einzelnen Vertragsabschlüssen mit germanischen Stämmen.
3.4. Legionslager und Aufwand unter Drusus Während des Oberbefehls des Drusus wurde die Kastellkette zwischen Nijmegen und Zürich ausgebaut und es entstanden in Germanien die Lager bei Oberaden, Rödgen und Dangstetten. Das Legionslager Rödgen in Wetterau besaß drei große Getreidespender mit einer Kapazität von insgesamt 3.051 Tonnen. Somit könnte dieses Lager mehrere Legionen und Verbände über einen längeren Zeitraum versorgt haben. Nach dem Proviantmangel im Jahr 11 v.Chr. scheint dieses Lager als logische Konsequenz daraus entstanden zu sein. Die Lager befanden sich an schiffbaren Flüssen mit Zugang zum Meer. Doch der Rhein blieb die Basis für die Versorgung der Truppen in Germanien. Die Lager an der Lippe wie Haltern und Oberaden waren keine vorübergehenden Marschlager, sondern feste Basen, denen immer eine Besatzung zu Teil wurde und die für Überwinterungen angelegt waren. Sie sollten germanische Einfälle unterbinden und waren in einem Gebiet, in denen lockere Stammesstrukturen herrschten und keine Urbanisierung vorhanden war, gewaltige Lager, die wohl auch den Herrschaftsanspruch Roms demonstrieren sollten. An dieser Stelle soll auch kurz der bisher erbrachte Aufwand der Römer betrachtet werden. Die Abbildung 6 zeigt den Operationsradius von 150 Kilometern, ausgehend von den Lagern, die am weitesten in Germanien hineinreichen. Drusus Basis war bei seinem letzten Feldzug die Stadt Mainz. Von dort aus kamen die römischen Truppen entlang der Nidda zu einem der dort befindlichen Lager und man traf hier die letzten organisatorischen Maßnahmen, denn sie waren Stationen für Vor- und Rückmarsch, Nachschubsbasen für Lebensmittel, Ausrüstung und Kriegsmaterial. Drusus standen fünf bis sechs Legionen zur Verfügung und auch Hilfstruppen, die alle versorgt werden mussten. Von dort aus marschierte man durch unwegsames Gelände, auch kleinere Kämpfe kamen wohl hinzu, bis zur Elbe. Man verließ den sicheren Operationsradius und war im unbekannten Gebiet zwar nicht ganz, aber zum größten Teil von der Versorgung abgeschnitten.
Abb. 6: Operationsradien in Germanien
Daher erscheint aber auch dieser Zug als ein Eroberungsfeldzug, der auf höchst möglichen Gewinn abzielte. Nach den vielfältigen Erfahrungen in Germanien kann man Drusus kein un-strategisches Verhalten bescheinigen. Als schlecht geplante Erkundungsexpedition oder als einfacher bewaffneter Eroberungsfeldzug darf dies wohl nicht bezeichnet werden, da die Römer einen enormen Aufwand betrieben und im Innern Germaniens kontinuierlich weitere Lager anlegten, die für eine Sicherstellung der Versorgung dienten. Somit besteht der Anschein, dass vor den Drusus-Feldzüge ein Eroberungsplan bestand. Jedoch fehlte weiterhin jegliche Organisation der germanischen Stämme jenseits des Rheins, eine vergleichbare befestigte Siedlung wie das gallische Oppidum fehlten, die römische Administration reichte noch nicht bis in das Innere Germaniens hinein und kein weiträumiges Verkehrsnetz wurde geschaffen.
3.5. Tiberius bis 6 v.Chr. Im Jahr 8 v.Chr. übernahm dann Tiberius das Oberkommando über die Rhein-truppen. Zu seinen ersten Maßnahmen zählt die Umsiedlung von rund 40.000 Sugambrer und Sueben an das linke Rheinufer (Suet. Aug. 21,1; Tib. 9,2). Zur gleichen Zeit wurde in Rom das Pomerium erweitert, was gleichzeitig ein Zeichen für die Ausdehnung des Römischen Reiches darstellte. Ob dies im direkten Zusam-menhang mit den Entwicklungen in Germanien steht, ist eher fraglich, da auch selbst Tacitus schreibt: „Doch hatten die römischen Feldherrn, auch wenn sie große Völker unterworfen hatten, davon keinen Gebrauch gemacht […]“. Somit erscheint diese Handlung eher als propagandistisch als realpolitisch. Außerdem unterschied sich die Politik des Tiberius in Germanien von seinem Bruder. Es kam zu keinen groß angelegten Vorstößen mehr, dafür folgten umfangreiche Vertragsabschlüsse mit germanischen Stämmen. Dieser neue diplomatische Stil könnte als Vorstufe für die Errichtung einer Provinz angesehen werden. Die Umsiedlungen schufen einen zentralen Siedlungsraum, der für zukünftige administrative Einrichtungen geeignet war. Durch die Vertragsabschlüsse gab es ein Stammesoberhaupt, mit dem die Römer dann weitere politische Vereinbarungen treffen konnten. Die Nachteile des germanischen Raums wurden somit den Bedingungen einer römischen Provinzialisierung angepasst. Die Präsenz wurde zwar kontinuierlich ausgebaut mithilfe von Verträgen, Lagergründungen und fortdauernder Anwesenheit der Römer, aber falls eine Provinzialisierung zu der Zeit beabsichtigten war, wofür weiterhin direkte Beweise fehlen, stand sie dennoch in der Anfangsphase. Durch die Emission von Gold- und Silbermünzen, die eine Übergabe einer Kindes-geisel an Augustus thematisieren, wurde nun die Germanienpolitik ein öffentlicher Faktor. Die Szene
Abb. 7: Germane überreicht Augustus Kind als Geisel impliziert die Macht des Augustus gegenüber den sonst unbezähmbaren Germanen. Nur ein Jahr später zog sich Tiberius in sein selbst gewähltes Exil zurück. Während seines Oberbefehls wurden die Lager von Oberaden, Dangstetten am Oberrhein und Anlagen im hessischen Rödgen aufgegeben. Sie wurden geräumt und durch Brandlegung für die umliegenden germanischen Stämme unbrauchbar gemacht. Jedoch ist dies nicht mit einem Rückzug aus Germanien gleichzusetzen, da kurz darauf Lager an wohl logistisch günstigeren Stellen errichtet wurden.
3.6. Haltern, Waldgirmes Das Hauptlager von Haltern an der Lippe wurde zwischen 7 und 5 v.Chr errichtet und diente nicht nur militärischen Zwecken. Hier befanden sich wieder große Getreidespeicher, um die Versorgung der Truppen zu gewährleisten. Jedoch befinden sich in Haltern große Wohnbauten, die nicht eindeutig Personen aus dem militärischen Bereich oder Personen aus dem organisatorischen, verwaltungs-technischen Bereich zuzuordnen sind. Auch Terra-Sigillata-Gefäße, die unter anderem in andere Städte gelangten, verdeutlichen neben dem militärischen Charakter des Lagers auch dessen zivile Einrichtungen. Der Bau von Wasserleitungen aus Blei zeigt auch den Willen nach dauerhafter Präsenz in Germanien. Um die Zeitenwende, voraussichtlich um das Jahr 5 v.Chr. wurde das Lager Waldgirmes an der Lahn angelegt. Zu den auffälligsten Funden gehören Fragmente einer Reiterstatue, das Fehlen von Militärbauten und ein Forum. Das Lager wurde auf fruchtbarem Lössboden gebaut, es gab Bäche, die für die Wasserversorgung geeignet waren, und die Lahn als Transportverbindung. Von Außen glich es einem gewöhnlichen römischen Lager. Innerhalb wurden bisher jedoch noch keine Kasernen, kein Appellplatz und keine Kommandantur entdeckt. Somit scheidet eine militärische Funktionen zu diesem Zeitpunkt aus. Dafür waren 19 Gebäude, zwei sich kreuzende Straßen mit Abwasserrinnen in der Mitte, Speicher, Tavernen und ein Forum vorhanden. Die Wohnhäuser ent-sprachen dem römischen Vorbild, sie waren in der Form des Atriumhauses mit geschlossenem Innenhof gebaut worden.
Abb. 8: Grundriss des Forums Diese römische Stadtarchitektur war bisher in Germanien nicht bekannt. Einmalig in ganz Germanien ist wohl ein Forum auf Steinfundament. Das Gebäude hat in der Mitte einen Innenhof, in dem mindestens fünf Statuen auf Sockeln standen. Darunter vermutlich ein Reiterstandbild des Augustus. Es wurden ungefähr 200 Fragmente entdeckt, darunter ein vergoldeter Teil eines Pferdefusses. Da dieses dem zentral gelegenen Sockel zugeordnet wird und auch vergoldetet war, geht man von einer Statue aus, die den Princeps darstellte. Das Forum, das durch den Innenhof und den Anbau als solches zu identifizieren war, besaß auch eine Versammlungshalle mit
Abb. 9: Fuß der Reiterstatue zwei Apsiden und im angegliederten Verwaltungstrakt wurde vermutlich Recht gesprochen. Im Grabungsgebiet wurden germanische Tonscherben entdeckt und machten im Vergleich zu anderen vergleichbaren Fundstätten wie Haltern oder Anreppen einen enormen Anteil von 20 Prozent aus. Daher ließe sich schlussfolgern, dass die Germanen in diesem Gebiet mit den Römern Handel trieben und auch die römische Oberhoheit anerkannten und vielleicht auch später Tributzahlungen leisteten. Die zahlreichen Funde von Geschirr aus gallischen und mediterranen Manufakturen beweisen die Anwesenheit von Händlern und auch von Handwerkern; unterstreichen auch somit nochmals den zivilen Charakter der Siedlung. Die Münzfunde lassen – wie schon erwähnt – eine Datierung auf ungefähr 5 v.Chr. zu. 9 n.Chr. wurde es in Folge der Varus-Niederlage aufgegeben. Diese scheinbar zivile römische Stadt außerhalb des Reichsgebietes, die auf Zuwachs angelegt war, lässt den Schluss zu, dass die Römer versuchten, östlich des Rheins eine Verwaltungsstruktur aufzubauen, und daraus würde auch die Errichtung einer Provinz resultieren. Die zivilen Einrichtungen und das Fehlen jeglicher militärischer Institutionen bestätigt diese Vermutung. Nun waren Ansatzpunkte zur Errichtung einer römischen Herrschaft über Germanien vorhanden.
3.7. Nachfolger um die Zeitenwende Nach Tiberius sind die Namen der Feldherren in Germanien kaum bekannt. Neben Lucius Domitius Ahenobarbus agierten noch Marcus Vinicius und Gaius Sentius Saturninus in Germanien. Fähige und vertrauenswürdige Männer standen nicht immer zur Verfügung und dies hatte daher auch Auswirkungen auf die germanische Außenpolitik. Ahenobarbus war als Verwandter des Kaiserhauses, da er mit der Tochter der Octavia, Augustus` Schwester, verheiratet war, prädestiniert, in Germanien zu operieren. Domitius führte die langfristig angelegte Politik des Tiberius fort und siedelte die Hermunduren in das ehemalige Gebiet der Markomannen südlich des Mains um. Während seiner Zeit als Statthalter des Illyricums konnte Ahenobarbus von der Donau bis zur Elbe vorstoßen und mit dortigen Völkern Verträge abschließen. Auch Tacitus ehrt ihn in seinen Annalen und schreibt: „[…] [er] überschritt später mit einem Heere die Elbe und drang tiefer in Germanien ein als irgendeiner seiner Vorgänger“. Auch die pontes longi, Bohlenwege über das Sumpf- und Moorgebiet, die von Ahenobarbus angelegt wurden, werden von Tacitus erwähnt (Tac. ann. 1,63,3f.). Unter Vinicius kam es dann in den Jahren 1 bis 4 n.Chr. zum immensum bellum (Vell. 2, 104,2). Als Gegner werden dort die germanischen Volksstämme in Nordwestdeutschland wie Attuarier, Brukterer, Cherusker, Chauken und Langobarden erwähnt. Vinicius gelang es, bis zu seiner Abberufung die Unruhen zu unterdrücken. Auch wurden ihm die Triumphalinsignien überreicht. Saturninus war darauf Legat unter dem Oberbefehl des Tiberius bei der Rheinarmee.
3.8. Tiberius Denn im Jahr 4 n.Chr., nach dem Tod des Augustus Nachfolgers Gaius Caesar, kehrt Tiberius aus seinem Exil zurück und übernimmt nach der Adoption durch Augustus wieder den Oberbefehl über die Truppen am Rhein. Nach einer Inspektionsreise durch ganz Gallien zog Tiberius bis in das Rheinmündungsgebiet und begann von dort aus seinen Einmarsch nach Germanien. In Nordwestdeutschland wurden die Unruhen nun endgültig beendet und ein Teil des römischen Heeres zog bis zur Weser. Aufgrund der späten und für Feldzüge ungünstigen Jahreszeit überwinterte erstmals ein größeres römisches Heer in Germanien an der oberen Lippe. Im nächsten Jahr brachen die Truppen bis in den Norden in das Gebiet der Chauken auf, die an der Küste zwischen Elbe und Ems siedelten, und erreichten schließlich die Elbe. Zur gleichen Zeit traf eine römische Flotte ein, die auf einer Erkundungsfahrt an der Jütland-Küste mit den Kimbern und Charuden Verträge abschloss und von der Elbmündung flussaufwärts bis zum Lager des Tiberius fuhr. Dieser weit ausholende und parallel geführte Land-See-Feldzug brachte neben neuen geografischen Kenntnissen über das germanische Gebiet bis zur Elbe auch einen weiteren Prestigeerfolg. Die Kimber, die zuvor gefürchteten Feinde der Römer, baten nun um dessen Freundschaft.
4. Bewertung der Germanienpolitik
4.1. Provinz Germania Die Funde in Waldgirmes, nämlich das Fehlen jeglicher militärischer Einrichtungen und der daraus folgende Status einer zivilen Stadt, zeigen wohl die Absicht des Augustus, eine römische Provinz in Germanien zu errichten. Aber nicht nur Waldgirmes bietet dafür Belege. Die Feldzüge des Drusus und die des Tiberius später zeigen einen enormen logistischen, militärischen und auch wirtschaftlichen Aufwand. Verträge wurden mit Germanen geschlossen, einige Stämme umge- siedelt und eine Vielzahl an Kastellen wurden an der Nidda und an der Lippe errichtet, beides Flüsse, die direkt mit dem Rhein und den dort gelegenen Lagern verbunden waren. Die geografischen und gesell-schaftlichen Begebenheiten in Germanien lähmten den Prozess einer zügigen
Abb. 10: Germanien im Jahr 5 n.Chr. Provinzialisierung. Die zahlreichen unvorhersehbaren Ereignisse wie der Tod des Agrippa 12 v.Chr., der Tod des Drusus 9 v.Chr., das freiwillige Exil des Tiberius und der daraus entstandene Mangel an fachkompetenten Kräften unterbanden eine kontinuierliche Eroberung des germanischen Raums. Daher kann Kontinuität nicht als Zertifikat für die Errichtung einer Provinz herhalten. Augustus´ Begehren war es also, Germanien zu einer Provinz zu überführen. Doch bleibt die Frage nach dem Zeitpunkt noch offen. Natürlich erwartete die römische Öffentlichkeit nach dem Herrschaftsantritt des Augustus eine Weiterführung der Politik Caesars, zumal sich Augustus als dessen legitimierter Nachfolger darstellte. Daher war eine Eroberung im nordeuropäischen Raum schon eine Verpflichtung. Agrippa setzte mit seiner Statthalterschaft die Vorraussetzungen dafür, dennoch kann zu diesem Zeitpunkt nicht von einer Provinzialisierung gesprochen werden, da sich die Aktivität der Römer auf den Rhein beschränkte. Erst unter Drusus begannen auch römische Interventionen im germanischen Stammesgebiet. Sein erster Feldzug geht jedoch über eine reguläre Strafexpedition hinaus, da die Flotte bis in die Nordsee vorstößt. 12 v.Chr. wird der Zug abgebrochen, dennoch entsteht ein Lager an der Lippe. Während des letzten Zuges 9 v.Chr. verlässt Drusus den sicheren Operationsradius. Einzeln betrachtet sind diese römischen Feldzüge reguläre Erkundungsexpeditionen verbunden mit Strafaktionen, jedoch in der Gesamtbetrachtung könnten sie einem einheitlichen Konzept unterstehen. Die Eroberungen und deren Reichweite erhöhten sich mit jedem weiteren Feldzug. Auch die Nord-Süd-Abfolge bestätigt dieses einheitliche Konzept. Nach dem plötzlichen Tod des Drusus enden größere militärische Aktionen in Germanien. Daher sahen einige Forscher darin einen Gegenbeweis für ein Provinzialisierungskonzept seit Drusus. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass Augustus den Oberbefehl über die Rheintruppen nicht einer beliebigen Person anvertrauen konnte, da erstens die Kaiserfamilie und besonders Augustus eine Legitimationsbasis benötigten und daraus resultiert, dass zweitens die Gefahr einer Usurpation vermieden werden musste. Aber auch während der Phase um die Zeitenwende, in der eine zögerliche und weniger umfassendere Politik stattfand, zeigen doch die Interventionen des Ahenobarbus, der die Hermunduren umsiedelte und bis zur Elbe vorstieß, und die des Marcus Vinicius und Gaius Sentius Saturninus, dass nun doch eine beständige Germanienpolitik stattfand, die aber nicht mit der des Drusus vergleichbar ist. Auch Tiberius passt in dieses Konzept: weitere Umsiedlungen erfolgten, ein römisches Winterlager wurde eingerichtet und Tiberius kam bis zur Elbe. Somit treten im Zeitraum von 13 v.Chr. bis 5 n.Chr. immer dieselben Methoden auf wie Umsiedlung, Verträge, Vorstöße zur Elbe und die Feldherren werden von Augustus geehrt. Daher bestand seit dem ersten Drusus-Feldzug ein Konzept zur Eroberung Germaniens, ob dieses jedoch von Agrippa stammt, lässt sich kaum noch klären. Das Gebiet zwischen Rhein und Elbe war faktisch noch ein Militärbezirk, es war weder befriedet noch ausreichend logistisch ausgebaut, aber die Umrisse einer zukünftigen Provinz, wie sie durch Waldgirmes deutlich werden, waren vorhanden.
4.2. Umfang der Provinz Anders als der Rhein stellte die Elbe keine Grenze dar, die zwei unterschiedliche Völkerschaften voneinander trennte. Die Lebensweise von Germanen und Galliern unterschied sich deutlich. Hingegen waren die Stämme an beiden Ufern der Elbe in ihrer Lebens- und Agrarweise annähernd gleich. Da die Römer eher in politischen als in geografischen Dimensionen gedacht haben, ist es daher unwahrscheinlich, die Elbe als Grenze der Provinz Germania anzusehen. Da sich die Okkupation noch in einem Anfangsstadium befand und zeitweise sehr zögerlich stattfand, kann die Elbe eher nur als eine Begrenzung der römischen Interventionen angesehen werden. Jedoch gibt es für diese Annahme keine schriftlichen oder archäologischen Beweise. Fest steht nur, dass die römischen Feldzüge immer nur bis zur Elbe reichten. Als erster kann sie Drusus im Jahr 9 v.Chr. erreichen, dann Ahenobarbus (Tac. ann. 4,44,2) zwischen 6 v.Chr. und 1 n.Chr. und schließlich Tiberius 5 n.Chr. Die Elbe ist somit eindeutig ein Ziel, aber als Provinzgrenze kann sie eher nicht angesehen werden, da sie nirgends als solche ausdrücklich definiert wird.
4.3. imperium sine fine Während seiner über 40-jährigen Herrschaft hatte Augustus mehr Territorien dem Römischen Reich zugeführt als je ein anderer. Drei Mal wurden die Türen des Ianus Quirinus-Heiligtums geschlossen (R. Gest. div. Aug. 13). Der Frieden im Inneren des Reiches wurde propagiert. Auch Vergils Formulierung imperium sine fine dedi (Verg. Aen. 1,279) drückt das Empfinden über diese Herrschaft aus. Ebenso sollte Germanien ein Teil dieses scheinbar grenzenlosen Imperiums werden. Nur verhinderte dies die Varus-Niederlage und die daraus resultierenden Folgen. Die Funde in Waldgirmes und der dadurch veränderte Blick auf die Germanienpolitik bestätigen eine Erweiterung des Imperiums in Nordeuropa. Leider bieten die antiken Autoren auch dafür keinen schriftlichen Beweis. Außerdem war eine weitere Ausdehnung für das Reich notwendig, zumal die ruhenden Truppen an der Rheingrenze ein ständiges Gefahrenpotential darstellten und Rom seit seiner Entstehung auf Ausdehnung ausgelegt war. Augustus ließ sich, wie Sueton beschreibt, nur auf einen Krieg ein, wenn der Gewinn höher war als die Folgen eines Verlustes (Suet. Aug. 25,4). In Germanien seit 9 n.Chr. wurde diese Maxime jedoch negiert. Trotzdem versuchte Augustus, diese Niederlage zu verbergen und Germanien als von Rom beherrschtes Gebiet darzustellen (R. Gest. div. Aug. 26). Somit lässt sich, basierend auf einer zielgerichteten Interpretation der Quellen und unter Berücksichtigung der neueren Forschungsergebnisse von Waldgirmes, grundsätzlich sagen, dass zwischen 13 v.Chr. und 5 n.Chr. die Römer versuchten, das Land jenseits des Rheins zur Provinz aufzubauen, und die Elbe sollte eine vorzeitige Interventionsgrenze für diese Provincia Germania werden.