Benutzer:Kegero/Landesausbau im europäischen Kontext

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Unter dem Landesausbau als europäisches Phänomen versteht man einen Prozess der Besiedlung eines zuvor meist siedlungsfreien Raumes in Europa. Im Mittelalter wurde dieser Prozess auch Kolonisation genannt.

Historiker gliedern den Landesausbau in zwei Phasen: Die erste Phase des Landesausbaus setzte im späten 7. Jahrhundert ein und endete mit dem Ende des 9. Jahrhunderts. Geografisch erfasste sie insbesondere den Mittelmeerraum. Die zweite Phase begann ab dem 10. Jahrhundert und umfasste Gebiete in Flandern, Italien, Südwestfrankreich und Deutschland (Deutsche Ostsiedlung). Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts verebbte der Landesausbau in vielen Teilen Europas.

Als eine Ursache der Kolonisationsbewegung sehen Wissenschaftler heute eine Zunahme des Bevölkerungswachstums zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert in Europa an. Dieser Zugewinn förderte den Landesausbau. Schon vom 7. bis 10. Jahrhundert zu einer ersten Rodungsperiode in ganz Europa. Als eine weitere Ursache wird in der Fachliteratur das gültige Erbrecht genannt, das entweder nur den ältesten Sohn in der Erbfolge berücksichtigte, während die anderen Kinder nichts erbten oder das alle Söhne zu gleichen Teilen erben ließ und somit zur Zersplitterung des Landes führte. Ebenso wurden die Wanderungsbewegungen durch Naturkatastrophen und Missernten gefördert. [1]

Zugleich fand eine Intensivierung der Landwirtschaft statt. Neue technische Geräte wurden erfunden bzw. verbessert. Dazu zählten unter anderem die Dreschflegel, der Pflug, sowie die Egge und Wassermühle. Der Pflug ermöglichte dabei ein einfacheres Umwälzen des Ackers, sodass es möglich wurde, größere Felder zu bewirtschaften. Wind- und Wassermühlen vereinfachten den Prozess des Mahlens von Getreide. Außerdem wurde ab dem 8. Jahrhundert die Dreifelderwirtschaft als Bewirtschaftungsform innerhalb der Landwirtschaft eingeführt. Diese Neuerungen führten dazu, dass die Menschen besser versorgt werden konnten und somit ihre Zahl rapide anstieg.

Eine weitere Motivation für die Neusiedler könnten die Privilegien in den Neusiedlungsgebieten gewesen sein. Dazu zählten z. B. die Milderung der Frondienste (zunächst nur für die Gemeinschaften der hospites) oder die Abgabenbefreiung für sieben Jahre.

Wanderungsbewegungen in Europa

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Ein Teil der Wanderungsbewegungen führte nur über kurze Distanzen, z. B. in nahegelegene Gebiete oder Städte. Andere Emigranten führten die Wanderungen hunderte oder tausende Kilometer weit von ihrer eigentlichen Heimat weg. Teilweise wanderten die Neusiedler in Gebiete aus, die sich klimatisch und kulturell sehr stark von dem unterschieden, was sie kannten. "Als die Bevölkerung anwuchs, drängten die Menschen aus dem westlichen Mitteleuropa nach allen Seiten in die Randgebiete des Kontinents: in die keltischen Länder, auf die Iberische Halbinsel, in verstreute Gebiete des Mittelmeerraums und besonders nach Osteuropa jenseits der Elbe.[...] Natürlich waren Umfang und Richtung der Emigration nicht in allen Teilen der Christenheit gleich. Manche Gegenden waren stärker betroffen, andere weniger."[2] Diese Wanderungsbewegungen hatten in den neu besiedelten Gebieten oftmals einen kulturellen Umbruch, wie z. B. einen grundlegenden sprachlichen Wandel, zur Folge.

Innerhalb der Wanderungsbewegungen ist zu erkennen, dass überseeische Gebiete wie Livland und Syrien nur sehr wenig besiedelt wurden. Der Historiker Robert Bartletts erklärt dies durch den relativ hohen Preis für eine Schiffspassage.

Des Weiteren stellt Bartletts fest, dass in ganz Europa eine Wanderungsbewegung zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert zu beobachten ist. "Denn genauso, wie im Tajo-Tal oder in den schlesischen Wäldern Bauern einwanderten, nahmen auch die keltischen Länder - Wales, Irland und Schottland - neue kolononiale Bevölkerungsgruppen aus England, und bis zu einem gewissen Grade auch aus Nordfrankreich, auf, während im Gefolge der Kreuzzüge auch im östlichen Mittelmeerraum eine begrenzte Siedlungstätigkeit zu verzeichnen war." [3]

Belege dieser Wanderungsbewegungen, sind neben den Orts- und Gebietsnamen, zahlreiche Urkunden und Verträge (z. B. zwischen Lokatoren und Grundherren). Zur Erforschung werden zudem schriftliche Quellen wie Märchen, Sagen oder Volkslieder herangezogen. Es existieren jedoch keine spezifischen Quellen, die den Landesausbau als ganzheitlichen Prozess darstellen. Zusätzlich können Erkenntnisse aus Ausgrabungen und der Morphologie von Dorf- und Flurformen gewonnen werden.

Urbanisierung des Landes

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Der Landesausbau wurde vor allem durch Brandrodungen oder durch die manuelle Ausrodung von Baumwurzeln vorangetrieben. Durch das Abholzen von Waldflächen entstand neues Bau- und Siedlungsland. Diese daraufstehenden sogenannten Rodungsdörfer erkennt man an den Endungen "-rode" und "-hagen". Beispiele dafür sind Wernigerode, Harzgerode bzw. Boitzenhagen oder Levenhagen. [4] Die neuangesiedelten Bauern führten die Rodungen weitgehend selbst durch. Dabei wurde zunächst das Ödland kultiviert. „Man hat als Rhythmus der Ausbautätigkeit einen jährlichen Landgewinn von ca. 15-20 Ar pro Arbeitskraft errechnet. Das Gesamtaufkommen an neukultiviertem Land dürfte für das südliche Europa höchstens 10% der alten Anbaufläche, für Nord- und Nord-Ost-Europa dagegen 25-30% betragen haben.“[5]

Forschungsstand

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Die Erforschung des Landesausbaus in Europa ist derzeit nicht abgeschlossen. Neben den Geschichtswissenschaften beteiligen sich auch Wissenschaftler aus dem Gebiet der Siedlungsgeografie, der Pflanzengeografie, der Klimakunde und Archäologie an der Erforschung. Dabei konzentriert sich die Archäologie auf die materiellen Hinterlassenschaften der Siedlungen, während sich die geografische Siedlungsforschung mit den Veränderungen innerhalb der räumlichen Prozesse beschäftigt.[6] Teilweise ist eine genaue Datierung der Ergebnisse schwierig. Hinzu kommt, dass Interpretationen der Rechts- und Sozialstrukturen der Neusiedler auf lückenhafte oder schwer verständliche schriftliche Quellen angewiesen sind.

  1. Lexikon des Mittelalters: welcher Artikel?
  2. Bartlett, Robert: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt - Eroberung, Kolonisation und kultureller Wandel von 950-1350. ERSCHEINUNGSORT, JAHR, SEITE?
  3. Bartlett, Robert: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt - Eroberung, Kolonisation und kultureller Wandel von 950-1350
  4. Duden: Basiswissen Geschichte Schule, 2003.
  5. Lexikon des Mittelalters: wo steht das?
  6. Lexikon des Mittelalters: wo steht das?
  • Erlen, Peter: Europäischer Landesausbau und mittelalterliche deutsche Ostsiedlung: Ein struktureller Vergleich zwischen Südwestfrankreich, den Niederlanden und dem Ordensland Preussen, 1992.
  • Higounet, Charles: Die Deutsche Ostsiedlung im Mittelalter, 2001.
  • Higounet, Charles:Zur Siedlungsgeschichte Südwestfrankreichs vom 11. bis zum 14. Jahrhundert.In:Schlesinger, Walter (Hgs.): Die Deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte - Reichenau-Vorträge 1970–1972.
  • Lexikon des Mittelalters
  • Ennen, Edith: Die europäische Stadt des Mittelalters, Sammlung Vandenhoeck, 1987.

Kategorie:Humangeographie Kategorie:Europäische Geschichte Kategorie:Geographie des Mittelalters