Benutzer:Kiwo Dülmen/St. Josephs- und Gertrudisstiftung
Entwicklung der St. Josephs- und Gertrudisstiftung
Das Statut der Gertrudis-Stiftung in Dülmen geht auf das Jahr 1857 zurück. Am 12. Mai 1857 genehmigte der Bischof von Münster die Satzung, der Vorstand bestand aus vier Mitgliedern: der Pfarrdechant als Präses, ein katholisches Mitglied der Stifterfamilie (Ernst Schücking), ein Pfarrgeistlicher (Kaplan Hüntmann), ein katholischer Bürger der Stadt (Gerichtsassesor Schlieker). Am 21. September 1857 genehmigte König Friedrich Wilhelm IV. eine Schenkung der Eheleute Bernhard Schücking und seiner Frau Gertrudis geb. Möllmann im Gesamtwert von 8.000 Talern für das unter dem Namen „Gertrudis-Stiftung“ einzurichtende Waisenhaus für sechs katholische Kinder (Mädchen). Am 20. Oktober 1857 bestätigte der Oberpräsident von Westfalen in Münster dieses Statut. Die Schenkung der Eheleute Schücking bestand aus einem Wohnhaus an der Lüdinghauser Str. 37, einem angrenzenden Gebäude des Franz-Hospitals, außerdem umfasste die Spende eine Geldsumme von 3.750 Talern. Die Grundstücksfläche war ursprünglich Eigentum der Lüdinghauser Straße – Straßengemeinschaft, und wurde im Jahre 1844 von b. Schücking für 92 Taler unter der Verpflichtung angekauft, dort ein Haus zu bauen, bevor sie 13 Jahre später der Stiftung geschenkt wurde. Die 2,77 ar große Fläche hieß „Richtplatz“ und war die Stelle, wo zu fürstbischhöflicher Zeit das kleine Gerichtshaus stand, worin der fürstliche Richter (Gaugraf) seines Amtes gewaltet hatte.
Am 30.12.1857 wurde die Schenkung gerichtlich beurkundet:
Familie Schücking vermachte das Grundstück (Flur 10 Nr. 1092/166) mit Wohnhaus dem Gertrudis-Stift zu dem Zwecke dass darin sechs Mädchen, die verwaist oder verwahrlost aus Stadt oder Kirchspiel Dülmen stammen, verpflegt und erzogen werden“, diese Aufgabe sollte eine „barmherzige Schwester im Beistand einer Magd“ übernehmen. Am 21. Januar 1857 wurde das Haus eröffnet. In den folgenden Jahren erhielt es zahlreiche Spenden, meist in Form von Geld oder Grundstücken/Gärten.
Am 18. Mai 1866 starb der Gründer des Gertrudis-Stiftes, seine Frau starb 1869.
Im Juli 1873 brach im Waisenhaus Feuer aus, es wurde gelöscht, nachdem das Dach vollständig zerstört war; nach diesem Brand wurde das Besitztum dem Hospital übereignet – der vorstand verkaufte das Waisenhaus für 1500 Taler. Die Kinder wurden vorübergehend in einem Mietshaus an der Coesfelder Straße untergebracht, betreut wurden sie weiterhin von den „barmherzigen Schwestern“ des Clemens-Hospitals Münster.
Weitere Geldschenkungen und Grundstücksspenden erlaubten der Stiftung mit verschiedenen Grundstücken zu handeln, es wurden alte Grundstücke verkauft und neue hinzugekauft. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass eigenes Vermögen (in Form von Grundstücken) die Grundlage zur Existenzsicherung derartiger Einrichtungen darstellte, denn es gab weder Pflegesätze noch eine Sozialgesetzgebung.
Im Kulturkampf wurde die Erziehertätigkeit der Ordensschwestern gesetzlich verboten (Gesetz vom 30. Juni 1875). Bis zu diesem Zeitpunkt wohnten 13 Kinder in diesem Haus, sie wurden anderweitig untergebracht, am 01.04.1876 wurde die Anstalt geschlossen.
Die zweite Stiftung neben der Gertrudis-Stiftung war das St. Josephs-Waisenhaus für pflegebedürftige Jungen. Dieses Haus geht auf eine Stiftung der Witwe des Dülmener Buchhändlers Anton Laumann zurück. Es befand sich anfänglich in einem alten Gebäude am „Alten Daldruper Weg“ (heute: Friedrich-Ruin-Straße) in Dülmen; auch diese Stiftung fiel dem Kulturkampf zum Opfer.
Nach Beendigung des Kulturkampfes wurde am 18. März 1889 den Vorsehungsschwestern aus Münster durch einen Erlass der königlichen Regierung wieder das Recht erteilt, in Dülmen eine Niederlassung zu gründen und somit die Leitung des sog. Waisenhauses zu übernehmen. Man bemühte sich nun auch um einen offiziellen Status der Stiftung „St. Josephs-Waisenhaus“.
Durch eine bischöfliche Genehmigung wurde bei der Wiedereröffnung der beiden Stiftungen im Jahre 1889 die Verwaltung und Rechnungsprüfung des Gertruden-Stiftes mit der des St. Josephs-Stifts vereinigt; Mädchen und Jungen sollten gemeinsam betreut werden, die beiden Kuratorien sollten jedoch nach wie vor bestehen bleiben.
Um dieses Vorhaben zu verwirklichen, kaufte der Vorstand der beiden Waisenhäuser am 16.10.1888 (gemäß Amtsblatt für den Reg.Bezirk Münster) die „Hannyschen Besitzungen“ an der Kreuzkapelle; hier steht der älteste Teil des heutigen Kinderwohnheims. Das noch sehr kleine Gelände konnte vergrößert werden durch eine Schenkung von vier Grundstücken an der Kreuzkapelle durch Frau Klara Laumann, geb. Havestadt. Sie erwarb diese Grundstücke am 03.01.1889 durch gerichtliche Auflassung vom Kommisionär H. Schmitz und schenkte sie am 10.12.1889 nebst 11 weiteren Grundstücken „auf’m Lettberg“ (diese lagen weiter entfernt) dem Waisenhaus.
Die Gründung
Dies war die Grundlage für die Errichtung des St. Josephs-Waisenhauses. Am 12. Februar 1891 wurde die Satzung beschlossen, der Vorstand bestand aus dem Pfarrdechant als Vorsitzenden, einem katholischen Mitglied aus der Familie der Stifterin, einem katholischen Geistlichen und einem katholischen Bürger der Stadt. Die Genehmigung durch den Bischof von Münster erfolgte am 16. Februar 1891, und am 23. März 1891 wurde die Schenkung der Frau Klara Laumann vom Landesherren genehmigt, dem Stift wurden somit die Rechte einer juristischen Person verliehen. Bereits im Oktober 1891 hatten 22 Kinder in der neuen Anstalt Aufnahme gefunden. In den folgenden Jahren erfolgten wiederum zahlreiche Spenden von Häusern, Geld und Grundstücken. So erhielt die St. Josephs-Stiftung für den Grundbesitz am Lettberg in der Zusammenlegung von Dülmen eine gleichgroße Fläche am Waisenhaus wieder.
Städtebauliche Situation
Die Parzellengrenzen deuten auf die komplizierten Besitzverhältnisse hin.
Ein Situationsplan, der mit keinem Datum versehen ist, muss aus der Zeit zwischen 1875 – Bau der Eisenbahnlinie – und 1886 erstellt worden sein, denn 1896 wurde die Straße bereits als Bahnhofsstraße (heute: Lüdinghauser Straße) bezeichnet. Die Straße führt in südöstlicher Richtung aus dem Stadtkern zur ca. 15 Kilometer entfernten Stadt Lüdinghausen. Zum Zeitpunkt der Jahrhundertwende befand sich das Grundstück noch weit vor den Toren der Stadt. Mit zunehmender Bedeutung der Eisenbahn (die ihre Station in unmittelbarer Nähe des Waisenhauses hatte), fand eine allmähliche Integration in den Stadtbereich statt; die Ortschaft dehnte sich relativ zügig entlang der Lüdinghauser Straße aus, sogar jenseits der Bahnlinie entstanden ganze Siedlungen. Die Germarkungskarten von 1929 und 1946 zeigen jedoch, dass der unmittelbar an das Haus anschließende und sich nach Süden ausstreckende Bereich unbebaut geblieben ist. Ein Blick auf den heutigen Stadtplan zeigt, dass dieses auch heutzutage noch der Fall ist. Somit ist heute die St. Josephs- und Gertrudis-Stiftung voll in die Stadt integriert, andererseits hat sie den direkten Bezug zur unbebauten Landschaft nicht aufgeben müssen; dieses ist zweifelsohne eine sehr günstige Lage für eine derartige Institution.
Entwicklung nach 1900
Bis Ostern 1916 war die städtische Töchterschule im Waisenhaus untergebracht, danach erhielt sie ein eigenes Gebäude am heutigen Kolping-Parkplatz. Auch später noch hatten unterrichtende Schwestern vom Orden der göttlichen Vorsehung im Waisenhaus eine Wohnung.
Die Zahl der Waisenkinder wuchs ständig an, so dass Ende der 20er Jahre die durchschnittliche Zahl der dort wohnenden Kinder auf 40 angestiegen war – sechs Schwestern des genannten Ordens übernahmen zu dieser Zeit die pädagogische und karitative Arbeit mit den Waisenkindern. Nach dem ersten Weltkrieg wurden etliche Renovierungsarbeiten vollzogen.
Finanziert wurden die meisten Maßnahmen durch Spenden von Fabrikanten und anderen Wohltätern. Gegen Ende der 20er Jahre waren nur noch 20 Kinder im Heim. Durch die Inflation ging das Kapitalvermögen beider Stiftungen von 80.000 Mark verloren, außerdem ist der Verlust darauf zurückzuführen, dass ein großer Teil in Kriegsanleihen untergebracht war. In dieser Situation kam es dem Haus zugute, dass nebenbei noch Landwirtschaft betrieben wurde, die notwendigen Grundlagen (Getreide, Kartoffeln, Eier, Fleisch) konnten durch eigene Produktion gesichert werden. Anfang der 30er Jahre wurde der monatliche Pflegesatz (25 Kinder) von 30 Mark aufgrund der Geldknappheit heruntergesetzt auf 15 Mark, als Ausgleich hierfür wurde eine jährliche Lebensmittelkollekte durchgeführt, die bis in die 50er Jahre hinein durch die Bauern durchgeführt wurde. In dem Zeitraum nach dem Kulturkampf bis zum 2. Weltkrieg konnten die Stiftungen ihrem Siftungsauftrag unangefochten gerecht werden. Ohne die Existenz der beiden Stiftungen St. Joseph und Gertrudis wäre dieses nicht denkbar gewesen. Die meisten wohlhabenden Bürger ermöglichten durch ihre christliche Gesinnung das Wirken der Stiftungen – insofern sind diese oft sehr großzügigen Spenden als Werte christlicher Nächstenliebe zu verstehen.
Die Zeit im Zweiten Weltkrieg
Im September 1939 wurde das Haus als Lazarett bestimmt. Die Kinder wurden ins Kindererholungsheim nach Visbeck gebracht. Es wurden Umbaumaßnahmen eingeleitet, aber schon nach 14 Tagen wurden die Arbeiten eingestellt, da das Haus nicht für ein Lazarett geeignet war. Die Kinder konnten Mitte Oktober 1939 wieder in ihr Haus zurückkehren.
Das Haus wurde im Februar und März 1945 bei den Angriffen auf die Stadt beschädigt. Angesichts der Totalzerstörung der Stadt handelte es sich hier um Zerstörungen geringen Ausmaßes. Die Kinder wurden aus Sicherheitsgründen vorübergehend zu den Bauern der Umgebung gebracht. Die Schwestern verließen am nächsten Tag das Haus. Am Karfreitag 1945 konnten die Kinder und Schwestern wieder zurückkehren Die Kellerräume dienten während der Instandsetzung als Schlafstätte.
Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden verschiedene notwendige Renovierungs- und Umbaumaßnahmen wie Installation einer Heizungsanlage, Ausbau des Sanitärtraktes, Erweiterung der Küche u.ä. durchgeführt.
In der Zeit zwischen 1950 und 1960 gab es dann Situationen, die die Existenz der Stiftungen ernsthaft bedrohte. In den Jahren 1953/54 wurden Bestrebungen bemerkbar, die die Entwicklung des doch so erfolgreich arbeitenden Waisenhauses erheblich zu beeinträchtigen drohten. Es wurden von Aufsichtsbehörden bauliche, längst notwendige gewordene Verbesserungsvorhaben untersagt und eine Beschränkung auf den seinerzeitigen schlechten Bauzustand des Waisenhauses verfügt; es sollte die Entwicklung eines anderen Heimes nicht gefährdet werden. In diesem Jahr stand die Existenz des Hauses sehr auf dem Spiel, es bedurfte wieder Anstrengungen, um die stets stark belegte und in einer guten Lage befindlichen Einrichtung vor der Auflösung zu bewahren. Eine unwidersprochene Hinnahme dieser Verfügung hätte sicherlich das Ende des Waisenhauses bedeutet. Nicht zuletzt dem ungebrochenen Lebenswillen der Stiftung und dem unermüdlichen Einsatz des Herrn Rendanten Kalhoff ist es zu verdanken, dass auch diese Hindernisse überwunden werden konnten und die Anerkennung des Waisenhauses als maßgebliche Einrichtung im Bereich der freiwilligen Erziehungshilfe im Kreisgebiet erreicht wurde.
Namensänderung und Krisen
Es ergab sich immer mehr nach 1955 die Notwendigkeit, nicht nur Waisenkinder zu betreuen, sondern auch bei sog. Sozialwaisen vorhandene Erziehungsdefizite pädagogisch aufzuarbeiten.
Viele Kinder kamen vom Eisenbahnsozialwerk aus Münster nach Dülmen, um im Waisenhaus zu wohnen, da ihre Mütter erkrankt waren. Aus diesem Grunde wurde der Name Waisenhaus in Kinderwohnheim geändert.
Das stetige Ansteigen der Zahl der zu betreuenden Kinder und neue pädagogische Erkenntnisse führten dazu, dass die Verantwortlichen sich von 1952 bis zum Jahre 1960 mit Bauplänen zur Verbesserung der Unterkünfte befassten. Am 26. September 1956 erteilte der Caritasverband, als Dachverband, die Erlaubnis zur Planung eines Neubaus. Als der Spitzenverband beim Land vorstellig wurde, musste der geplante Finanzrahmen jedoch zurückgenommen werden. Als dann bereits Pläne für eine bauliche Erweiterung des Hauses erstellt waren und die Finanzierungsverhandlungen mit den Landesbehörden geführt wurden, drohte dem Kinderwohnheim noch im selben Jahr erneut die Gefahr der Schließung. Die folgenden Monate sind wohl als die hindernisreichsten in der Geschichte des Kinderwohnheimes zu bezeichnen. Der Oberkreisdirektor veranlasste im Jahre 1958 eine Brandschau und es wurde festgestellt, dass das Haus stark brandgefährdet war. Die Sorge maßgeblicher Verwaltungsstellen um die Gesundheit der im Kinderwohnheim lebenden Menschen veranlasste die sofortige Schließung des Heimes und die anderweitige Unterbringung der Kinder. Drei Tage vor Weihnachten wurde die Veranlassung des Oberkreisdirektors überbracht. Diese stellte wieder einmal den Versuch anderer Behörden dar, die Dülmener Einrichtung in ihrer Entwicklung zu behindern. Mit Hilfe umfangreicher Kampagnen versuchte man gegen diese Maßnahmen vorzugehen. Da das Kinderwohnheim selbst noch Möglichkeiten hatte, die Kinder unterzubringen, konnten diese im Haus bleiben.
Sämtliche Forderungen, die von der Feuerwehr und von einem Sachverständigen für Brandverhütung nach zwei Begehungen aufgestellt wurden, wurden unverzüglich erfüllt. Die Besichtigung Anfang März 1959, ob alle Arbeiten vollzogen wurden, fiel positiv aus.
Der Erweiterungsbau 1959
Nach Überwindung dieser und anderer Schwierigkeiten konnte Anfang April 1959 mit den Vorarbeiten für den Neubau begonnen werden, man begann mit der Abholzung des vorhandenen Baumbestandes im Baubereich. Die Planung des Erweiterungsbaus, die zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Jahre andauerte, schien nun endlich in die Realität umsetzbar zu sein. Schon im Jahre 1952 gab es einen ersten Vorschlag zum Ausbau der Anlage. Aus finanziellen Gründen wurde dann die Planung bis 1956 zurückgestellt. Von 1956-1959 schloss sich dann eine intensive Planungsphase an, in der mehrere alternative Vorentwürfe zur Diskussion standen. Als besonders schwierig stellte sich der Anschluss an den bestehenden Altbau heraus. Ein Grund hierfür war das Badehaus, das erst nach Beendigung aller Umbaumaßnahmen abgerissen werden konnte. Eine weitere Schwierigkeit brachte die finanzielle Planung mit sich, Bischof und Regierung hatten Aufsichtsrecht (heute nur noch durch den Bischof ausgeübt und hatten somit den Finanzplan zu genehmigen. Die zugesagte Finanzierung (Landesdarlehen) fiel um 100.000 DM niedriger aus als ursprünglich erwartet. Somit musste das Programm der bereits genehmigten Pläne reduziert werden. Man setzte hier nicht bei den Wohn- und Schlafräumen an, stattdessen wurden Treppenhaus und Gänge verkleinert, letztendlich wurde hierdurch der gestreckte Finanzierungsrahmen von 440.000 DM nicht überschritten. Im Juli wurde mit dem Abbruch des Fachwerkhauses (Baracke) begonnen - es stand an der Stelle, wo der Neubau errichtet werden sollte, und beherbergte die Schulmädchen, die nun das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene sog. "Heintjes-Haus" beziehen mussten, weiterhin die Kapelle, die in den oberen Stock verlegt wurde und das Sprechzimmer, das ebenfalls verlegt wurde. Am 12. Juli 1959 vollzog Herr Pfarrer Schwalvenberg den Akt des ersten Spatenstichs als Symbol für den Baubeginn des Erweiterungsbaus. Wie erwähnt ging diesem Akt eine mehrjährige Planung und umfangreiche Verhandlungen in baulicher wie in finanzieller Hinsicht voraus.
Bereits einen Tag später wurde durch die Firma Thewes mit den Erdarbeiten begonnen unter der Leitung des Architekten Herrn Westermann. Drei Tage später mussten dann plötzlich die Arbeiten wieder eingestellt werden. In der Stadtverordnetensitzung vom 14. Juli kam eine noch nicht geklärte Grundstückfrage zur Sprache, welche dann zu Ungunsten des Kinderwohnheims entschieden wurde; man hatte es seitens der Stadt versäumt, die Grundstücksverhältnisse vorher einzusehen. Es handelte sich um eine 700 m2 große Fläche, die im Besitz der Stadt war und vom Kinderwohnheim bereits benutzt wurde und welche unbedingt für den Neubau erforderlich war. Die nächste Sitzung fand am 7. August statt, in dieser konnte der Rendant des Kinderwohnheimes, Herr Kalhoff, beiwohnen. Nach harter Verhandlung fiel die Entscheidung: Die Stiftung musste das Grundstück von der Stadt für 7.000 DM käuflich erwerben. Erst jetzt konnten die Erdarbeiten fortgesetzt werden.
Mit der Errichtung des Neubaus sollte, wie bereits deutlich wurde, einem echten Notstand abgeholfen werden; es war also an der Zeit durchgreifende Maßnahmen durchzuführen. Die Planung ging über die des Neubaus hinaus. Nach Fertigstellung des Erweiterungsbaus sollte auch ein Teil des Altbaus an der Lüdinghauser Straße mit seinen großen Tages- und Schlafräumen abgebrochen werden, um das Haus für Kinder und Personal den neuzeitlichen Bedürfnissen anzupassen.
Das Konzept sah vor, die Kinder im Neubau unterzubringen, während der Altbau den Schwestern und dem Pflegepersonal als Unterkunft dienen sollte. Das Erdgeschoss sollte als Versammlungsraum/Aula dienen, die Kapelle (ehemals in der Baracke untergebracht) sollte ins Obergeschoss des Altbaus verlegt werden und die Schlafräume der Schwestern (und Personalräume) waren im Dachgeschoss vorgesehen. An der Stelle des Fachwerkhauses sollte ursprünglich ein eingeschossiger Verbindungsgang zwischen Altbau und Neubau errichtet werden. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Gesamtkosten der Maßnahmen auf 400.000 DM geschätzt.
Die Baupläne des Erweiterungsbaus sahen eine zweigeschossige Bauweise vor. Der Anschluss an den Altbau wurde kontrovers diskutiert, bis man sich schließlich auf einen kurzen, verglasten Zwischentrakt einigte, der allerdings erst nach Fertigstellung des Neubaus errichtet werden sollte.
Nutzung
Der Erweiterungsbau sollte die Kinder in vier Gruppen aufnehmen, jede Gruppe zu 12 – 14 Kindern sollte wie eine Familie wohnen. Sie verfügte dann über eigene Schlafzimmer, Wohnzimmer und sanitäre Anlagen. Da es sich um Zimmer und nicht um Säle handelte, war es für die damalige Zeit ein großer Fortschritt, es war somit eine moderne Konzeption. Die Gruppe der Kleinstkinder (1 – 3 Jahre) bildete eine besondere Gruppe. Im Kellergeschoss waren Sanitärräume, Bastel- u. Werkräume, Vorrats- u. Abstellräume sowie ein „Strahlenschutzkeller“ vorgesehen, letzterer sollte auf ministerielle Anordnung als gewöhnlicher Hauskeller genutzt werden. Dieser durch Landesmittel finanzierte Keller sorgte für Aufruhr in der Bevölkerung, denn in einer Veröffentlichung des Kreises wurde dieser Keller als Atombunker bezeichnet – dieses wurde jedoch energisch zurückgewiesen. Infolge des Einbaus des Strahlenschutzkellers traten vorübergehend Schwierigkeiten auf, die den schnellen Fortgang der Bauarbeiten behinderten. Im Herbst 1960 war das Haus bezugsfertig. Zum Zeitpunkt der Einweihung befanden sich die Räume für die Kleinstkinder unten. Der Wohnteil der 3- bis 6 jährigen verfügte über zehn Zimmer: Schlafzimmer, Wohnzimmer, eine kleine Teeküche und ein Zimmer für die Erzieherin. Die schulpflichtigen Kinder lebten im oberen Teil des Hauses. Eine Besonderheit stellten die maßgeschneiderten kindgerechten Möbel dar. Als behaglich galten die „farbigen Lampen und Tapeten“ und die „großen Fenster“, außerdem gab es vier Balkone zum Innenhof.
Entwicklung in den 60 er Jahren
In den 60 er Jahren war das Kinderwohnheim ständig belegt. Im Jahre 1967 bot sich die Gelegenheit, das benachbarte Haus der Firma Bendix zu kaufen. Man wollte es als Berufstätigenheim für schulentlassene Mädchen und Jungen einrichten. Diese Notwendigkeit ergab sich daraus, dass es immer schwieriger wurde, für Jugendliche nach der Schulentlassung einen Beruf mit Familienanschluss zu finden.
Ab 1968 stieg die Nachfrage nach Heimplätzen ausschließlich für Kinder ab elf Jahre.
Erst Ende 1969 wurden die beiden Stiftungen zusammengelegt. Am 21.Dezember 1969 traf von der Regierung die Urkunde über die Zusammenlegung der zwei Stiftungen ein, Benennung: St. Josephs- und Gertrudis-Stiftung.
Der Vorstand der "neuen" Stiftung setzte sich zusammen aus dem Pfarrdechant der Kirchengemeinde St. Viktor, dem Pfarrer der Kirchengemeinde Heilig Kreuz, aus zwei Vertretern der Stifterfamilien sowie zwei katholischen Bürgern der Stadt oder des Kirchspiels Dülmen.
Ebenfalls im Jahre 1972- 12 Jahre nach Erstellung des neuen Heimtraktes, machte man sich zum ersten mal Gedanken über die Notwendigkeit einer Erweiterung des Kinderwohnheims. Ausgangspunkt war der Gedanke, lediglich Bedienstetenwohnungen zu schaffen. Hierdurch reifte dann die Idee heran, den Versuch zu unternehmen, einen ganzen neuen Heimtrakt für die Kinder zu erstellen.
Da es bereits seit Mitte der 60er Jahre Beispiele für Heime gab, die in einer aufgelockerten Bauweise erstellt wurden, war man sich zu diesem Zeitpunkt darüber einig, dass eine zukünftige Erweiterung nur in dieser Form mit familienähnlichen Häusern vollzogen werden sollte - der 1960 errichtete Bau erwies sich also als bereits nach einem guten Jahrzehnt überholt in seinen Funktionsmöglichkeiten. Diese Feststellung soll den damals erstellten Erweiterungstrakt nicht herabwerten, sondern sie soll lediglich aufzeigen, wie rasch neue pädagogische Erkenntnisse formuliert werden und somit unmittelbaren Einfluss auf die Architektur nehmen, man erinnere sich nur daran, dass der Erweiterungsbau seinerzeit von allen Seiten als sehr fortschrittlich angesehen wurde.
In einer Berichterstattung wurden die Probleme konkretisiert. Man erkannte, dass nur genügend Raum und kleine Gruppen eine freie Entfaltung und phasengerechte Entwicklung gewährleistet und dass die bestehende Blockbauweise des Heimes durch das zu enge Zusammenleben vieler Kinder die freie Entfaltung hindert und Aggressionen fördert.
In den Köpfen der zuständigen Personen reiften also bereits 1972 Pläne zur Errichtung neuer Unterkünfte. Man nutzte oft die freie Zeit, um Besichtigungen in anderen Kinderwohnheimen durchzuführen, um auf diese Art und Weise andere Häuser, deren Einrichtungen und Aufgaben kennen zu lernen. Noch im selben Jahr begannen dann zügig die ersten vorbereitenden Maßnahmen für dieses Bauvorhaben. Die beiden alten, dem Kinderwohnheim gehörenden Häuser Lüdinghauser Straße Nr. 91 und Nr. 97 ("Heintjes" Haus und das von der Firma Bendix erworbene Einfamilienhaus, heute Parkplatz des Kinderwohnheims), die bereits seit längerer Zeit unbewohnt waren, wurden abgebrochen.
Da es klar war, dass bis zur Realisierung des Bauvorhabens noch einige Jahre verstreichen würden, wurden auch in den Räumen der verbleibenden Gruppen die nötigen Veränderungen durchgeführt, um auch hier die Voraussetzungen zur Bildung einer Familiengruppe zu schaffen.
Im Jahre 1974 wurde durch eine eigenwillige Maßnahme eines Vorstandsmitgliedes das Ökonomiegebäude zu einer Spielhalle umgebaut, obwohl bekannt war, dass man dieses Gebäude in die Maßnahmen für den Neubau der Gruppenhäuser einbeziehen wollte.
Noch im selben Jahr wurde die Planung für die Gruppenhäuser intensiviert und konkretisiert. Am 1. Februar 1974 fand unter Beisein von Vertretern der Stadt, des Kreises, des Karitas- und Landschaftsverbandes und von sechs Architekten ein Kolloquium statt, in dem die Zielvorstellungen des Heimes kundgetan wurden, um die Grundlagen für ein Raumprogramm zu erstellen. Die Überlegungen reichten bis zur Finanzierung und führten außerdem zu dem Entschluss, einen Architektenwettbewerb auszuschreiben. Für diese Ausschreibung wurde folgender Text formuliert:
„Nach den Vorstellungen des Stiftungsvorstandes, die auf neueren wissenschaftlichen pädagogischen Erkenntnissen beruhen, soll der heutige Charakter des Kinderwohnheimes bei der Neubaumaßnahme aufgegeben werden. Bisher wohnten die etwa 50 Kinder in einem Gebäude mit gemeinsamem Treppenhaus, gemeinsamen Fluren usw.. Neuere Forschungsergebnisse haben jedoch gezeigt, dass das Aufwachsen der Kinder in überschaubaren, familienähnlichen Gruppen von ca. 8- 12 Personen für die individuelle Entfaltung erfolgversprechender ist. Dieser Absicht ist in baulicher Hinsicht Rechnung zu tragen. Die Kinder sollen, altersmäßig gemischt, in vier Gruppen von je zehn ein neues Zuhause beziehen. Der bisherige Wohnheimtrakt erhält eine andere Funktion.“ Außerdem war noch gefordert, nicht in dem niedrig gelegenen Teil des Grundstücks zu bauen, denn es war bekannt, dass dieser Teil sehr sumpfig ist. Leider wurde später doch dort geplant mit dem Argument, dass die heutigen technischen Mittel ein Bauen auf diesem Boden zulassen. Trotzdem traten ein Jahr nach Fertigstellung Bauschäden auf. Ansonsten waren die Randbedingungen für die Neubebauung recht günstig, die Vorstellungen der Stiftungen ließen sich ohne Schwierigkeiten auf dem Gelände erfüllen, die 21.700 qm boten genügend Platz für die Neubauten.
Am 17. Mai 1974 entschied sich das Preisgericht für den Entwurf des ortsansässigen Architekten Franz König. Vor der Realisierung wurde der Entwurf in Zusammenarbeit mit dem Vorstand neu überarbeitet. Hierbei stellte sich heraus, dass die frühzeitig unternommenen Exkursionen der Verantwortlichen zu anderen Wohnheimen von großer Nützlichkeit waren. Auf der Grundlage der dort gemachten Erfahrungen, der allgemeinen neuen pädagogischen Erkenntnissen und der persönlichen Vorstellungen reifte das endgültige Konzept heran. Auch in der örtlichen Presse stieß das Ergebnis des Wettbewerbs auf großes Interesse. Im Zuge der staatlichen Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur sollte das Haus. einen finanziellen Zuschuss von 80% der geplanten Gesamtbausumme (2,3 Mio. DM) erhalten. Das wohl entscheidende Kriterium für die anfängliche Gewährung des Zuschusses war die Tatsache, dass durch den Bau ca. 35 Arbeitsplätze geschaffen werden sollten. Erst später kam das Land zu der Erkenntnis, dass es eine kirchliche Institution fördern würde und wandelte somit den Zuschuss in ein Darlehen von 2 Mio. DM um. Als Ausgleich für diese Umwandlung gewährte man später dem Haus für die Inneneinrichtung einen Zuschuss von 80% statt der üblichen 50%
Der Plan des Architekten sah ebenfalls eine Umgestaltung des Ökonomiegebäudes zum Freizeithaus vor. Die Wohnung für den Hausmeister fiel weg, dafür sollten dort Werkräume, Fotolabor, Klubraum und ein Mehrzweckraum, der von innen, und außen (Freitreppe) begangen werden kann, entstehen.
Außerdem sollte hier die Zentralheizung für die vier Gruppenhäuser und für das Freizeithaus untergebracht werden
Die Entwicklung ins neue Jahrhundert - Weiterentwicklung als KIWO Jugendhilfe gGmbH
Nach einer Bauzeit von 15 Monaten konnten die vier Gruppenhäuser am 20. April 1976 bezogen werden. Ebenfalls war das landwirtschaftliche Gebäude bereits in ein Freizeithaus umgebaut worden. Die Gruppenhäuser wurden in offener Bauweise errichtet. Es stehen Einzel- und Doppelzimmer, sowie Wohnräume, Küche und Spielräume zur Verfügung. Jedes der Gruppenhäuser hat eine Appartementwohnung im Eingangsbereich und einen Wohn-Schlafraum in der 1. Etage; geplant waren diese Wohnungen als Erzieherwohnungen.
Neben den baulichen und pädagogischen Veränderungen auf dem Hauptgelände (Lüdinghauser Str. 101) fand eine zunehmend Öffnung nach außen statt. Die Eröffnung der ersten Außenwohngruppe im Jahre 1981 war der Startschuss in eine Ausdehnung und Dezentralisierung der Einrichtung. In den folgenden Jahren fand eine Entwicklung statt die der Stiftung ihr heutiges Gesicht gegeben hat. Inzwischen findet der größere Teil der pädagogischen Arbeit an verschiedenen Orten außerhalb des Hauptgeländes statt. Das Grundverständnis ist nicht mehr die Familie zu ersetzen, sondern diese zu ergänzen. Immer mit dem Ziel das Kind und den Jugendlichen im Kontext seiner Familie bestmöglich zu erziehen und zu fördern. Die Lebensformen und die Lebensläufe von Familien haben sich in den letzten 30 Jahren gravierend verändert. Die St-Josephs- und Gertrudisstiftung trägt dieser Entwicklung mit einem differenziertem und vielschichtigem Angebot Rechnung. Es wird eine breite Palette an Angeboten für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien bereitgehalten. Diese reicht von vollstationären über teilstationären Angeboten hin bis zu ambulanten Diensten.
Im Jahr Im Juli 2023 begann mit der Einweihung von zwei neuen Gruppenhäusern ein neues Kapitel auf dem Gelände der KIWO Jugendhilfe. Die Einweihung der Gruppenhäuser markiert einen bedeutenden Schritt für die Jugendhilfe, die sich kontinuierlich darum bemüht, die Lebensumstände ihrer Schützlinge zu verbessern und optimale Bedingungen für deren Wachstum und Entwicklung zu schaffen. Die neuen Gruppenhäuser wurden mit dem Fokus auf Komfort, Integration, Sicherheit und Funktionalität entwickelt.
Heute ist für die Stiftung vor allem ihr operativer Arm die KIWO Jugendhilfe gGmbH als freier und gemeinnütziger Träger im Vordergrund. Die KIWO Jugendhilfe kümmert sich um Kinder und Jugendliche, um deren Lebensweg zu begleiten und Ihnen oftmals nach vielen belastenden Erfahrungen eine neue Heimat oder einen neuen Weg zu bieten. Ob stationär oder ambulant sind wir ein verlässlicher Ansprechpartner für den zukünftigen Lebensweg unserer Kinder und deren Familien. Unser pädagogisches Tun, in der Regel auf der Grundlage von trauma- und erlebnispädagogischen Methoden, hat immer den Zweck den Kindern und Jugendlichen zu helfen. Zusätzlich ist die KIWO Jugendhilfe mit ihrer Fachstelle Pflegekind Teil der Westfälischen Pflegefamilien in Verbund des LWL.