Benutzer:Kmbembe/Stimmungssysteme (Musik)

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Sobald Musik mit verschiedenen Tonhöhen gespielt wird, muss es zwangsläufig intuitive oder bewusst konstruierte Stimmungssysteme geben. Dieser Begriff bezieht sich im Allgemeinen auf die Ganzheit des Tonvorrats eines Instruments oder einer Instrumentengruppe, aber auch auf ein spezielles Musikwerk, oder umfassend auf eine Musikkultur. Zum Beispiel kann die Frage gestellt werden nach dem "Stimmungssystem" eines Horns oder eines Klaviers, aber auch nach dem "Stimmungssystem" in dem Werk X der Komponistin Y, oder nach dem "Stimmungssystem" der Aymaras in den Hohen Anden, wobei dann deren Panflötenmusik gemeint wäre.

Es ist fraglich, für die westliche Musikkultur ab der Klassik eine umfassend gültige "gleichstufige Zwölftontemperierung" anzunehmen, da etwa die Streichinstrumente durch ihre Stimmung in "reinen Quinten" von jeder "Temperierung" abweichen, und da auch die Blasinstrumente, dort besonders die Blech-Familie, einer eigenen Tonhöhenlogik folgen, bedingt durch das Überblasen in der "Naturtonreihe". Strenggenommen wäre die berühmte "gleichstufige Zwölftontemperierung" nur theoretisch gültig für die Tasteninstrumente mit fixer Tonhöhe. Aber gerade hier setzt die Kunst des Stimmens ein, die - etwa bei der Orgel - eine Nicht-Gleichheit der einfachen und der entfernten Tonarten bewirkt. Trotzdem wird gern von dem "abendländischen temperierten Stimmungssystem" gesprochen.

Stimmungssysteme im zentraleuropäischen Raum

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Die Wahl der Stimmung ist davon abhängig, welche Musik gespielt werden soll. Die heute überwiegend verwendete Gleichstufige Stimmung ist für Musik nach 1800 geeignet. Frühere Musik oder außereuropäische Musik (Weltmusik) lebt sehr stark von der Intonationsreinheit oder verschiedenartigen Tonartcharaktern. Diese Forderungen können durch die Gleichstufige Stimmung nicht bedient werden. Im Rahmen der Historischen Aufführungspraxis Alter Musik werden daher ältere Stimmungssysteme wieder verstärkt erforscht, um adäquate Wiedergaben zu ermöglichen.

Die erste theoretische Beschreibung eines Stimmungssystems stammt von Pythagoras von Samos. Pythagoras war ein nach Unteritalien ausgewanderter Philosoph, Mathematiker und Religionsgründer der Antike. Er war der Auffassung, dass der gesamte Kosmos (insbesondere die Konstellation der Himmelskörper) einfachen Zahlenverhältnissen gehorche und die Musik Abbild des Kosmos sei.

Er untersuchte auf dem Monochord die Intervalle zwischen Saitenteilen mit ganzzahligen Längenverhältnissen (z. B. klingt eine Saite, wenn sie in der Hälfte geteilt wird, eine Oktave höher als in ihrer vollen Länge; das zugehörige Zahlenverhältnis ist also 1:2). Er beschrieb so erstmals die natürlichen Intervalle, die aus der Obertonreihe bekannt sind.

Pythagoras führte eine siebentönige Skala auf der Grundlage der reinen Quinte (mit dem nach der Oktave einfachsten Zahlenverhältnis 2:3) ein. Die Töne werden dabei von einem Anfangston ausgehend durch Quintschritte ermittelt und in eine gemeinsame Oktave transponiert. Das Ergebnis ist die Pythagoräische Stimmung.

Etwa 100 Jahre nach Pythagoras führte Didymos die „Naturterz“ (4:5) in die Tonleiter ein und es entstand die Ptolemäische Reine Stimmung.

Das Tonsystem des Pythagoras wurde von den Römern und im mittelalterlichen Europa übernommen. Monochorde, Glockenspiele und Orgeln wurden pythagoräisch gestimmt und in der gregorianischen Musizierpraxis verwendet. Die frühe Mehrstimmigkeit bevorzugte die in der pythagoräischen Stimmung tatsächlich reinen Intervalle (die Komplementärintervalle Quinte und Quarte sowie Prime und Oktave).

In der Renaissance gab es vor allem zwei für das Tonsystem wichtige Entwicklungen:

  • Die zunehmende Chromatik in der Vokalpolyphonie erweiterte den Tonvorrat endgültig auf 12 Töne.
  • Das Dissonanzempfinden veränderte sich. Die Terz, die im Mittelalter noch als dissonant empfunden wurde, wurde zum Harmonieträger (Dur und Moll entstanden).

Die neue Orientierung an der Terz und der Bedarf einer chromatischen Tonleiter führte zu Problemen mit der quintbasierten pythagoräischen oder auch der reinen Stimmung:

Man wählte, dem neuen Klangideal entsprechend, die reine große Terz (mit dem nach Quinte und Quarte nächsteinfacheren Zahlenverhältnis 4:5) als neues Stammintervall und entwickelte die sogenannte mitteltönige Stimmung. Dabei führte man, um dem syntonischen Komma aus dem Weg zu gehen, leicht verkleinerte Quinten ein, von denen vier aufeinander geschichtet eine reine große Terz bilden.

Durch die Folge von elf mitteltönigen Quinten

Es — B — F — C — G — D — A — E — H — Fis — Cis — Gis

erhielt man acht Dur-Tonarten mit reinen großen Terzen.

C-Dur-Dreiklang pythagoräisch und mitteltönig/?

(z. B. C — E durch vier mitteltönige Quinten C — G — D — A — E); vier Terzen mussten unrein bleiben (z. B. H-Dis, da Dis als Es eingestimmt ist und Dis deshalb nicht vier mitteltönige Quinten über H liegt, sondern acht mitteltönige Quinten unter H; vgl. obige Quintfolge).

Die Lösung aller Probleme war damit auch die mitteltönige Stimmung nicht.

  • Durch dieses System entstanden viele Intervalle, die sich nicht durch ganzzahlige Brüche ausdrücken lassen, ein Widerspruch zur pythagoräischen Auffassung der Musik. Die Ursache dafür sind die zugunsten der Terzreinheit eingeführten mitteltönigen Quinten, für die ein Saitenlängenverhältnis von gilt, das nicht als rationale Zahl darstellbar ist.
  • Zwölf aufeinander geschichtete mitteltönige Quinten ergeben einen Ton, der um die so genannte kleine Diësis tiefer ist als der Ausgangston (vgl. Problematik der pythagoräischen Stimmung).
  • Die Quinte As — Es bzw. Gis — Dis ist um die kleine Diesis zu groß, da das As „alias Gis“ nicht als mitteltönige Quinte unter Es gestimmt wird, sondern elf mitteltönige Quinten über Es liegt (vgl. obige Quintfolge). Diese so genannte Wolfsquinte klingt sehr unrein. In der mitteltönigen Stimmung klingen daher Tonarten, die diese Quinte enthalten (z. B. Es-Dur oder Cis-Dur), extrem dissonant und sind allenthalben zur Darstellung bestimmter Affekte brauchbar.

Vergleich: Mitteltönige Kadenzen in C-Dur und Des-Dur/?

Dennoch war die mitteltönige Stimmung weit verbreitet. Modulatorische Entwicklung, wie sie später üblich wurde, war in der Renaissance wenig gebräuchlich. Man kam deshalb zunächst mit dem gut klingenden Tonartenbereich aus. Um auch weitere Tonarten in der mitteltönigen Stimmung spielbar zu machen, wurden Tasteninstrumente mit z. B. 31 Tönen in der Oktave gebaut, die sich aber nicht durchsetzen konnten.

Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde diese Beschränkung auf zentrale Tonarten zunehmend als störend empfunden. Um in der Wahl der Tonarten freier zu werden, begann man, Stimmungssysteme zu entwickeln, in denen alle Tonarten spielbar sind, wenn auch nicht alle in gleicher Qualität. Dafür mussten Abstriche in der Reinheit der Terzen hingenommen werden. Diese Stimmungen wurden Gute Temperaturen oder Wohltemperierte Stimmungen genannt, im Gegensatz zur nun als „schlecht“ empfundenen mitteltönigen Stimmung. Beispiele hierfür sind die Stimmungen von Andreas Werckmeister, insbesondere die so genannte Werckmeister III-Temperatur (Kadenzen in C- und Des-Dur/?) oder die Stimmungen des Orgelbauers Gottfried Silbermann.

Allerdings gab es keine Temperatur, die sich universell durchsetzte wie vormals die mitteltönige Stimmung (die mit den neuen Temperaturansätzen übrigens nicht einfach verschwand). Am Beispiel Werckmeisters kann man sehen, dass zunächst auch nicht unbedingt angestrebt wurde, eine einheitliche Stimmung zu etablieren. Er beschreibt in seinem wichtigsten Werk „Musicalische Temperatur“ verschiedene Temperaturen, die je nach Bedürfnis mehr oder weniger geeignet sein können.

Grundsätzlich kann man (bei Werckmeister und anderen) zwei Ansätze unterscheiden:

  • Einige Systeme strebten danach, die Tonarten mit wenigen Vorzeichen möglichst klar klingen zu lassen, aber auch diejenigen mit vielen Vorzeichen, wenn auch mit getrübterem Klang, spielbar zu machen. (Beispiel: Die Werckmeister II-Temperatur.)
  • Andere Systeme versuchten, alle Tonarten möglichst gut spielbar zu machen. (Beispiel: Die Werckmeister III-Temperatur). Dieser Ansatz führte am Ende der Entwicklung zur heute gebräuchlichen gleichstufigen Temperatur. Bei diesem Ansatz muss man allerdings einen – im Gegensatz zu den zentralen Tonarten im oben beschriebenen Ansatz – scharfen Terzklang aller Tonarten in Kauf nehmen.

Gleichstufige Temperatur

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Bereits in der Renaissance suchte man nach Methoden, die Laute gleichstufig zu stimmen. Da es nicht möglich ist, auf Bundinstrumenten jeden Ton einzeln einzustimmen, kommt es zu Problemen. (Weil z. B. in der mitteltönigen Stimmung nicht alle großen Terzen gleich sind, müsste auf der A-Saite der vierte Bund die Saite für die große Terz Cis auf 4/5 der Länge verkürzen, auf der H-Saite soll Dis „alias“ Es jedoch nicht als große Terz eingestimmt werden. Die Saite müsste hier in der mitteltönigen Stimmung auf 25/32 der Länge verkürzt werden.)

Da die Möglichkeiten der Wurzelrechnung zu dieser Zeit noch beschränkt waren, konnte man den gleichstufigen Halbton mit dem Verhältnis noch nicht berechnen. Dennoch konnte man ein gleichstufiges Griffbrett bauen, da man geometrische Methoden zur nähungsweisen Konstruktion einfacher Wurzelverhältnisse zur Hand hatte. Der venezianische Musiker und Musiktheoretiker Gioseffo Zarlino beschreibt schon 1558 eine solche Methode.

Der Lautenist Vincenzo Galilei, Vater des Galileo Galilei, gab die einfachen ganzzahligen Verhältnisse dennoch nicht auf. Er verkürzte die Saite pro Bund auf 17/18 der Länge. In der Theorie kommt er dabei mit dem zwölften Halbton zwar nicht mathematisch exakt bei der Oktave an, in der Praxis ist das Ergebnis aber absolut brauchbar, da der Ton durch die Dicke des Bundes und durch den Fingerdruck noch ein wenig erhöht wird. Die Saitenlänge kann auch nach der Konstruktion des Griffbretts durch die Umpositionierung des Stegs noch minimal korrigiert werden, so dass das Ergebnis noch besser wird.

Mathematiker und Musiktheoretiker versuchten sich in den folgenden knapp 200 Jahren daran, mit unterschiedlichen Methoden genauere Zahlenwerte für die gleichstufige Temperatur zu ermitteln. Im 19. Jahrhundert setzte sich die gleichstufige Temperatur schließlich allgemein als Denkansatz zumindest für die Klavierstimmung durch.

Viele historische Kompositionen gehen von unterschiedlichen Klangeigenschaften verschiedener Tonarten und Akkorde aus, die auf gleichstufig gestimmten Instrumenten nicht reproduzierbar sind. Dieses ist insbesondere für die historische Aufführungspraxis von Bedeutung.

Die folgende Tabelle gibt die Dur-Tonleiter verschiedener Stimmungen in Cent (gerundet) an:

Name Prime große Sekunde große Terz Quarte Quinte große Sexte große Septime Oktave
Reine Stimmung 0 204 386 498 702 884 1088 1200
Pythagoräische Stimmung 0 204 408 498 702 906 1110 1200
1/4-Komma-mitteltönige Stimmung 0 193 386 503 697 890 1083 1200
Gleichstufige Stimmung 0 200 400 500 700 900 1100 1200

Stimmungssysteme im nicht-europäischen bzw. nicht-zentraleuropäischen Raum

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Nicht nur außerhalb Europas, sondern selbst in Europa gibt es Stimmungssysteme, die durchaus nicht aus dem pythagoreischen Stimmungssystem erwachsen sind. Diese Systeme sind derart vielfältig innerhalb und außerhalb Europas, dass eine Auswahl der prägnantesten Systeme getroffen werden muss.


Innerhalb Europas wären beispielsweise zu untersuchen:

  • Balkan, Baltikum, Alpentäler

Außerhalb Europas:

  • Nordafrika und arabischer Raum einschließlich Türkei und Persien.
  • Subsaharisches Afrika
  • Ostasien: China, Japan
  • Südostasien: Bergvölker Chinas, Thailand, Indonesien
  • Melanesien und Polynesien
  • Süd- und Mittelamerika

Als ein Beispiel folgt das subsaharische Afrika: Stimmungssysteme in Afrika südlich der Sahara lassen sich in zwei Hauptkategorien fassen: A. fünftönige Skalen B. siebentönige Skalen

A. Fünftönige Skalen können folgendermaßen vorliegen: a) annähernd gleichstufig ("äquidistant"). Quarten tendieren dazu, sehr eng zu sein, Quinten sind etwas zu groß gegenüber den reinen Intervallen. In einem perfekt äquidistanten System hätten die Quarten 480 Cent, die Quinten 720 Cent. Terzen fehlen. Diese Skalen mit dem Grundintervall einer (ideal) 240 Cent-"Sekunde" werden gern so eingesetzt, dass einfache Rückungen vorgenommen werden, z.B. im ostafrikanischen "Miko"-Transpositionssystem des Lamellophons "Amadinda" in Süd-Uganda (siehe Kubik: "Theorie..." S.60ff).

Gesungen wird meist einstimmig, bei den Pygmäen in den Waldgebieten des Kongo auch extrem polyphon in "Hoquetustechnik" (wobei die "Äquidistanz" nur hypothetisch ist).

b) pentatonisch ohne Halbtöne ("anhemitonisch"). Meist wird dieser Satz zweistimmig im "Übersprungverfahren" angewendet: Wenn wir eine Pentatonik auf C annehmen, würden jeweils C E, D G und E A zusammenklingen (tiefer Ton zuerst notiert; alle Tonnamen geben relative Tonhöhen an, keine absoluten). Quarten und Quinten tendieren zur "Naturreinheit", ebenso die Terzen. Eine seltene Ausnahme hin zur Dreistimmigkeit findet sich bei den Wahenga in Malawi, mit Folgen wie G C E → A D G → C E A (selten). (Kubik: "Mehrstimmigkeit..." S.42)

c) asymmetrisch. Ein Beispiel bringt Kubik ("Zum Verstehen..." S. 200) für die Harfenmusik der Azande. Wir können uns zwar "pentatonisch" G, (tiefes)A, C, D, (tiefes)E vorstellen, doch ist namentlich das oberste Intervall fast ein "Halbton". Die Schritte betragen, kumuliert aus drei Messungen verschiedener Harfen: 165-169 Cent (sehr kleiner "Ganzton"), 282-335 Cent (um eine "kleine Terz"), 221-227 Cent (übergroße "Sekunde"), 113-148 Cent (Sekunde, nah an einem "Halbton"!)

d) obertonspektral, Töne 4 5 6 7 8 9 der Naturtonreihe. Teilweise liegen hier nur vier Haupttöne vor mit einem selten hinzugefügten obersten Ton 9 (Ost- und Zentralafrika, Beispiel die Wagogo in Zentral-Tanzania). (Kubik: "Mehrstimmigkeit..." S. 32ff) Der zweistimmige Satztyp wäre, wieder im "Übersprungverfahren": C G → E (tiefes)B → G C → (tiefes)B D (selten), gestimmt gemäß der Naturtonreihe mit Naturterz E (Ton 5 der Naturtonreihe) und Naturseptime (tiefes)B (Ton 7). Das D (9. Ton der Naturtonreihe) kann aber auch in die Mitte der Skala gesetzt werden zu einer Gesamtskala (tiefes)B C D E G (tiefes)B (Beispiel: Stamm der Makua, Kongo-Brazzaville, ähnliche Skalen in der Zentralafrikanischen Republik). (Kubik: "Mehrstimmigkeit..." S. 38)

B. Siebenstufige Skalen haben oft einen sehr komplexen Aufbau. Sie werden ungefähr in der Hälfte der Fälle dreistimmig gesungen im "doppelten Übersprungverfahren". Dazu können wir uns "Dur"-Akkorde dieser Folge vorstellen: C E G → D Fis A → E Gis H → F A C usw. Das klangliche "Leitbild" ist immer der "Dur-Dreiklang", der aber in diesen Skalen nicht ohne Kompromisse in Folge zu bauen ist. Im Beispiel oben müssten die Stufen F/Fis und G/Gis "gespalten" vorkommen. Hierdurch ergeben sich "chromatische " Tendenzen (teils im westlichen Zentralafrika, Beispiel die Mpyèmo in der Zentralafrikanischen Republik) bzw. "Temperierungen": Typisch hierfür sind labile Terzen (Angola oder Südkongo, Beispiel die Achokwe und Vambwella). Gleichstufige (äquidistante) Siebenerskalen, die im Idealfall eine "neutrale" Terz von 343 Cent enthielten, werden so in Zentralafrika nicht gesungen. (zu diesem Komplex siehe Kubik: "Mehrstimmigkeit..." S. 41ff) Die Äquidistanz ist, wo sie denn vorliegt, beispielweise in Stimmungen der Mbira dzavadzimu in Zimbabwe, immer nur der eine extreme Pol in einer großen Bandbreite bis hin zu einer ausgeprägten siebenstufigen Diatonik (Klaus-Peter Brenner: "Chipendani..." S. 139).

Daneben gibt es C. vierstufige Skalen, die beispielsweise auf die Technik des Mundbogenspielens zurückgehen. Ein Beispiel ist die Musik der !Kung in Südafrika: Es werden unter Ausnutzung der ersten vier Naturtöne und mithilfe des Saitenabgreifens (für eine zusätzliche Naturtonreihe) die Töne C, G und D, A erreicht. Der Intervallabstand des Abgreifens ist hier eine große Sekunde.

D. sechsstufige Skalen, die auch im Mundbogenspiel erreichbar sind unter Ausnutzung der ersten sechs Naturtöne. Dann kann es beim Abgreifen einer kleinen Sekunde zu einem Tonvorrat C, E, G und Des, F, As kommen. Kubik vermutet ("Mehrstimmigkeit..." S. 51), dass derlei Techniken ganze Tonsysteme im westlichen Zentralafrika inspiriert haben. Die Mpyèmo (Zentralafrikanische Republik) kennen in ihren Sya-Märchen eine aus letzterem Beispiel ableitbare komplexe Skala aus kleinen, großen und "übermäßigen" Sekunden: Melodiebeginn (abwärtsgerichtet) G, F, Des, E, E, C, Des, C ...

Quellen: Gerhard Kubik: Mehrstimmigkeit und Tonsysteme in Zentral- und Ostafrika. Bemerkungen zu den eigenen, im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften archivierten Expeditionsaufnahmen. Mit 2 Tafeln, 2 Karten, 13 Abb. i. Text. Wien, Böhlau, 1968. 65 S., (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte, 254. Band, 4. Abhandlung).

ders.: Zum Verstehen afrikanischer Musik. Ausgewählte Aufsätze. Leipzig 1988. Reclams Universal-Bibliothek Bd. 1251 ISBN 3-379-00356-5

ders.: Theorie, Aufführungspraxis und Kompositionstechniken der Hofmusik von Buganda. Ein Leitfaden zur Komposition in einer ostafrikanischen Musikkultur. In: Für György Ligeti. Die Referate des Ligeti-Kongresses Hamburg 1988. Hrsg. von Constantin Floros, Hans Joachim Marx und Peter Petersen unter Mitwirkung von Manfred Stahnke. 363 Seiten mit zahlreichen Abb. und 32 Notenbeispielen (=Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft; Band 11/ Laaber Verlag 1991) S.23-162, ISBN 3-89007-220-8

Simha Arom: African Polyphony and Polyrhythm. Musical Structure and Methodology. Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN: 0521616018

ders.: A Synthesizer in the Central African Bush. A Method of Interactive Exploration of Musical Scales. In: Für György Ligeti. Die Referate des Ligeti-Kongresses Hamburg 1988. Hrsg. von Constantin Floros, Hans Joachim Marx und Peter Petersen unter Mitwirkung von Manfred Stahnke. 363 Seiten mit zahlreichen Abb. und 32 Notenbeispielen (=Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft; Band 11/ Laaber Verlag 1991) S.163-178, ISBN 3-89007-220-8

Klaus-Peter Brenner: Chipendani und Mbira, Musikinstrumente, nicht-begriffliche Mathematik und die Evolution der harmonischen Progressionen in der Musik der Shona in Zimbabwe, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 1997, mit 2 CDs, ISBN 3-525-82372-X

Stimmungssysteme in Kompositionen

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Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts setzt sich eine Vielzahl von KomponistInnen mit der Frage nach dem Stimmsystem des eigenen Werks auseinander. Sobald der Tonvorrat von 12 Tönen dabei verlassen wird , spricht man von Mikrotonalität. Ferrucio Busoni z.B. ließ sich ein Dritteltonharmonium bauen, es sind aber keine "mikrotonalen" Werke von ihm überliefert. Wesentliche kompositorische Positionen seit etwa Busoni sind:

Charles Ives (Danbury, Connecticut 1874 - New York City 1954) war einer der innovativsten Komponisten seiner Zeit. Er wurde zu Lebzeiten sehr selten aufgeführt. Seine Beschäftigung mit neuartigen Stimmungssystemen war ein Teil seiner weitgespannten kompositorischen Experimente. Er setzte Vierteltöne ein in der Symphony No. 4 (1910–16) und in den Three Quarter Tone Piano Pieces (1923–24). Die Universe Symphony (1911–16, unvollendet, Arbeit daran bis 1954) verwendet ein extremes Pythagoräisches System aus reinen Quinten.

Julián Carrillo (Ahualulco, Mexico 1875 - Mexico City 1965) war Komponist, Dirigent und Violinist (Studien u.a. in Leipzig) mit weitgespannten Beziehungen auch zu Musikern wie Leopold Stokowski in den USA. Seit den 20er Jahren verfocht er neue Stimmungssysteme und ließ spezielle Klaviere in Mexico bauen, die ganz systematisch im 1/3-, 1/4- etc. bis 1/16-tonsystem stehen bei immer beibehaltener Tastenanzahl. Er veröffentlichte diverse Schriften zu seiner Theorie des Sonido 13, z.B. 1934: La revolución musical del Sonido 13. In Mexico wurde er wie ein Nationalheld gefeiert.

Alois Hába (Wisowitz, Mähren 1893 - Prag 1973) war ein Franz Schreker-Schüler und schrieb in diversen temperierten Systemen, namentlich im Viertel- und Sechsteltonsystem. Er veröffentlichte Schriften wie Mein Weg zur Viertel- und Sechsteltonmusik 1986, oder Neue Harmonielehre des diatonischen, chromatischen, Viertel-, Drittel-, Sechstel- und Zwölftel-Tonsystems 1927.

Harry Partch (Oakland, Kalifornien 1901 - San Diego 1974) baute sein eigenes Stimmungssystem aus 43 Tönen pro Oktave in reiner Stimmung:Just Intonation. Er konstruierte parallel dazu Instrumente wie die übergroße Kithara (ein Saiteninstrument, in zwei Versionen) oder das Chromelodeon auf der Basis eines Harmoniums (auch zweifach ausgeführt). Mit diesen und vielen weiteren Instrumenten, besonders auch Percussionsinstrumenten, führte er an US-amerikanischen Universitäten opernartige Oratorien auf, bei denen die Instrumente wie Hauptpersonen agieren, z.B. in Delusion of the Fury. Sein Stimmungssystem vermeidet jede Temperierung von Intervallen und ist aufgrund reiner Terzen, Quinten, kleinen Septimen bis hin zum 11. Naturton hochgradig individuell. Er veröffentlichte das Buch Genesis of a Music 1949.

Ivan Wyschnegradsky (St.Petersburg 1893 - Paris 1979) schrieb vor allem im Vierteltonsystem für zwei Klaviere, (auch innerhalb von Orchesterwerken eingesetzt), aber auch für Streichquartett. Ebenso gibt es Werke im 1/6- oder 1/12tonsystem, Beispiel Deux pièces opus 44 (1958): Poème, pour piano à micro-intervalles de Julian Carrillo en 1/6 de ton - Etude, pour piano à microintervalles de Julian Carrillo en 1/12 de ton. Auffällig ist ein Werk im 31-tonsystem für die Orgel von Adriaan Fokker: Étude Ultrachromatique 1959. 1932 publizierte er Manuel d'harmonie à quarts de ton.

Giacinto Scelsi (La Spezia, Italien 1905 - Rom 1988) ließ seine Klavierimprovisationen von angestellten Komponisten mkrotonal für verschiedene Besetzungen notieren. Sein Vorgehen vermeidet jede Systematisierung und lebt von der steten Beugung der Tonhöhen hin zu Mikroclustern. In diesen Clustern spielen Schwebungen eine wesentliche Rolle. Stilistisch trifft er sich oft mit Carrillo, kam aber eher über seine Hinwendung zu fernöstlichem Denken zu einer Auflösung der konkreten Tonhöhe.

Gérard Grisey (Belfort 1946 - Paris 1998) war einer der wichtigsten Mitglieder der Gruppe L’Itinéraire in Paris, zu der u.a. Hugues Dufourt, Tristan Murail und Michael Levinas gehörten, 1973 gegründet aus dem Kreis ehemaliger Schüler Olivier Messiaens. In Deutschland wird die Gruppe gern als Spektralisten bezeichnet. Ursprünglich steht das Partialtonspektrum im Zentrum. Nach und nach werden aber weitere Prinzipien der harmonischen Konstruktion herangezogen, wie FM (Frequenzmodulation) oder die Verzerrung von Spektren: Dehnung oder Stauchung. Die späten Werke von Grisey gehen mit diesem Material sehr frei um: Vortex temporum oder Quatre Chants. 1986 bis zu seinem Tod war er Kompositionsprofessor am Conservatoire national supérieur de musique de Paris

Lou Harrison (Portland, Oregon 1917 - Lafayette, Indiana 2003) war ein Schüler des US-Amerikanischen Innovators Henry Cowell und von Arnold Schönberg. Er war beeinflusst von indonesischer Gamelanmusik. Harry Partchs Buch Genesis of a Music gab ihm den Anstoß, selbst Just Intonation zu entdecken. Der Großteil seiner Werke ist in Just Intonation geschrieben. Er setzte sich für die Entdeckung des Werks von Charles Ives ein, mit dem er seit 1943 befreundet war.

James Tenney (Silver City, New Mexico 1934 - Valencia, California 2006) war gleichermaßen ein Komponist wie Theoretiker, unter anderem ein Mitarbeiter von Harry Partch. Er war verbunden mit wichtigen musikalischen Innovatoren in den USA wie Edgard Varèse oder John Cage. Sein Interesse galt reiner Stimmung, aber auch komplexer Metrik wie jener von Conlon Nancarrow. Zu seinen Büchern zählen: META/HODOS: A Phenomenology of 20th-Century Musical Materials and an Approach to the Study of Form (1961) and META Meta/Hodos (1975) (beides 1988 gemeinsam publiziert), sowie A History of 'Consonance' and 'Dissonance' (1988).

Ben Johnston (geboren in Macon, Georgia 1926) war ein Mitarbeiter und Förderer von Harry Partch. Einige von Partchs selbstgebauten Instrumenten wurden an der Universität in Urbana, Illinois entwickelt, an der Johnston 1951-83 unterrichtete. Dort fanden auch wichtige Aufführungen von Partchs Werken statt. Johnston entwickelte ein Notationssystem für Just Intonation, welches er für herkömmliche Instrumente einsetzt. Er ist bekannt geworden vor allem durch seine Streichquartette, teils vom Kronos Quartet eingespielt. Im String Quartet No. 9 erweitert er Partchs 11-limit bis zum 31. Partialton.

Stimmung (Musik), Teiltonreihe, Cent, Intervall, Klavierstimmung, Streckung

Stimmungen in Musikgeschichte und -praxis

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Mathematische Betrachtungen

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