Benutzer:MX8/Wikimania 2018
Hier dann mal mein Wikimania-Bericht. Eigentlich wollte ich ja schon vor Ort damit anfangen, bin aber einfach nicht dazu gekommen, weil so viel los war, wohl kein unbekanntes Phänomen...
Anreise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Montagabend ging es los, geflogen bin ich mit Emirates über Dubai, da Lufthansa für den Direktflug irgendeinen absurden Freudenhauspreis wollte. Bis Dubai in einem abgenehmen A380 (dem Namensgeber für meinen Nick…), ab dort in einer schon recht ranzigen Boeing 777. Mehr als das Innere der Flugzeuge war jedoch das „darunter“ interessant, denn wir erhielten eine kurze Präsentation von Ecken der Welt, vor denen das Auswärtige Amt warnt, im Schnelldurchlauf. Ab der Osttürkei flogen wir etwas im Zickzackkurs, um Syrien zu umfliegen, über den Irak ging es dann aber mittendurch, von Bagdad waren wir im Minimum nur 30 Kilometer entfernt, leider saß ich für eine Aussicht auf der falschen Seite.
Im Flieger ab Dubai waren dann schon einige Wikimedia-Reisende aus diversen Ecken der Welt. Über den gesamten Flieger verteilt, sodass wir zum Unterhalten ein wenig durch die Maschine spazierten und laufend im Gang standen… die Flugbegleiterinnen waren nicht amüsiert. Auch hier gab es eher gefährliche Ecken der Welt von oben zu sehen, der Jemen wurde noch umflogen, aber über Somalia ging es dann genau rüber (was mich durchaus verwundert, seit MH17 ist man in solchen Angelegenheiten in der Luftfahrtbranche eigentlich sehr sensibel) und als ich Mogadischu aus dem Fenster sah, ärgerte ich mich, meine Kamera nicht mitgenommen zu haben. VermutlichHoffentlich verfügen die dortigen Terroristen nicht über Luftabwehrraketen.
In Kapstadt angekommen wartete dann ein Begrüßungskommando, da auch Minderjährige WMDE-Stipendiaten im Flieger waren und südafrikanisches Recht irgendwelchen kafkaesken Papierkram und die Überwachung ausländischer Minderjähriger durch offiziell verantwortliche Erwachsene fordert. Nun ist Südafrika aber eben auch Afrika: Der ganze schöne Papierkram, für die die mitreisenden Minderjährigen zu diversen Stellen rennen mussten, interessierte den Grenzer kein bisschen. Dafür gab es ein falsches Datum in den Pass gestempelt.
Die Autobahn vom Flughafen in die Stadt zeigte dann sehr anschaulich, warum Südafrika einen der höchsten Gini-Koeffizienten der Welt hat: Es ging durch Slums ins geradezu opulente Hotel. Und da Kapstadt eine autogerechte Stadt ist, liefen viele Leute auf der Autobahn, da es keine andere Möglichkeit für sie gibt, an ihr Ziel zu kommen. Ich bin nicht sadistisch genug, um mir eine passende Bestrafung für den dafür verantwortlichen Städteplaner auszudenken.
Im Hotel angekommen ging es dann in ein fancy Restaurant um die Ecke, das Essen war ziemlich gut, nur leider war man vom atemberaubenden Andrang von 20 Leuten überfordert und die Zubereitung des Essens dauerte über eine Stunde. Ein Zustand, der mir nicht zum letzten Mal begegnen sollte…
Einführung und Preconference
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Mittwoch ging es mit einem S-Bahn ähnlichen Zug nach Simonstown an den Pinguinstrand. Eine Fahrt in der leicht ranzigen ersten Klasse kostete hin und zurück umgerechnet gut zwei Euro. Die erste Klasse war einem Regionalzug in Mitteleuropa noch halbwegs ähnlich (aber deutlich heruntergekommener), die zweite Klasse bestand im U-Bahn-Stil aus seitlichen Plastikbänken. An den Wänden klebten Sticker, auf denen wahlweise für Illuminaten, Schamanen oder Abtreibungen geworben wurde. Beim Fahrkartenkauf durften wir uns ansehen, dass südafrikanische Umgangsformen deutlich taktiler als mitteleuropäische sind: Ein Herr, der recht deutlich unser Wechselgeld am Bahn-Schalter einforderte, wurde von einer Dame des Bahnhofssicherheitsdienstes kurzerhand per Schlagstock entfernt. Die Pinguine waren recht putzig, unter den anwesenden Wikimedianern entbrannten Diskussionen, ob wir welche als Haustiere oder gar Nahrungsreserve mitnehmen sollten. Im Endeffekt blieb allerdings alles vernünftig.
Zurück im Hotel gab es dann die Einführungsveranstaltung von WMDE für Stipendiierte. Soweit interessant, nur befremdlich die Verteilung von geradezu antikem Papyr…Pergam... Papier mit Schreibfed... Kugelschreiber, verbunden mit dem Vorschlag, die Wikimania analog zu dokumentieren. Nachdem ich das Wort ‘‘analog‘‘ in Wiktionary nachschlug, wurde mir auch klar, was von uns hier erwartet wurde. Für mich als Digital Native (für die älteren hier: ‘‘digitaler Ureinwohner‘‘), der seit dem Abitur keinen Stift mehr in der Hand hatte, durchaus verwunderlich. Im Gedächtnis bleibt von der Veranstaltung sonst noch der Aufruf „stay away from ze Tschörrmans“, bei der Wikimania geht es schließlich um Vernetzung über Landesgrenzen hinaus. Danach ging es in ein Hipster-Restaurant, auch hier war das Essen gut. Auffällig war nur, dass sich bis auf den Türsteher im gesamten Etablissement kein einziger Schwarzer blicken ließ, ich bin mir bis heute nicht sicher, was ich da hinein interpretieren kann und sollte.
Am nächsten Tag war ich dann bei der Preconference-Veranstaltung „Globalizing Copyright User Rights“. War schön gemacht, u.a. ein südafrikanischer MP war da, nur leider hatte der Inhalt der Veranstaltung nur begrenzt mit dem Titel zu tun, denn es ging quasi nur um Südafrika und wie sehr man sich doch wünschen würde, Elemente aus dem us-amerikanischen Urheberrecht (v.a. Fair Use) doch auch in Südafrika einzuführen. Gelernt habe ich, dass südafrikanische Studierende wohl recht große Probleme in Sachen Beschaffung von Lehrmaterial haben, da die Bücher für lokale Verhältnisse absurd teuer sind und Kopieren verboten ist, aber wie gesagt, mit „Globalizing“ hatte es nicht viel zu tun.
Abends ging es dann zur „Welcome Reception“ der Wikimania im Kapstädter Aquarium. Ein sehr lustiger Ort, viele verzweigte Gänge, kleine und etwas größere Räume mit provisorischen Sitzgelegenheiten und hier und da Finger-Food oder eine Bar, und hinter den Glaswänden schwimmen die unterschiedlichsten Meeres- und Flussbewohner. Im Gedächtnis bleiben wird mir hier der Backfisch-Stand: Wer kommt auf die Idee, in einem Aquarium Backfisch zu servieren? Es hat sich nicht gerade richtig angefühlt, den Backfisch vor seinen Artgenossen zu verputzen. Geschmeckt hat es trotzdem.
Wikimania Fr-So
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am nächsten Tag ging dann die „echte“ Wikimania los. Bei der Einführungsveranstaltung wurde für einen kostenfreien mobilen Zugriff auf Wikipedia, also quasi das gefailte und eigentlich eingestellte m:Wikipedia Zero geworben (auch wenn der Begriff WP zero anscheinend peinlich genau vermieden wurde), der Stellenwert der Netzneutralität scheint hier nicht so hoch zu sein. Ich kann allerdings auch verstehen, dass man in Afrika andere Prioritäten hat… Danach wurden die Teilnehmenden nach ihren Ideen und Wünschen für die Wikimania befragt. Dies ist die von Trollbeiträgen bereinigte Variante.
Nachmittags durfte ich mir dann mehrere Stunden Urheberrecht geben, zuerst Dimi und Ana zur aktuellen EU-Urheberrechtsreform (die ziemlich gruselig erscheint und im Parlament kürzlich einen Rückschlag erlitten hat). Danach gab es bei der Session Copyfights as a global challenge eine Rundumvorstellung aktueller Urheberrechtsreformen rund um die Welt. Es zeigt sich, dass die EU-Reform eine Leuchtturmwirkung haben kann, die Frage ist nun immernoch, ob sie positiv oder negativ aussehen wird.
Danach war ich noch im Talk wm2018:Program/Using artificial intelligence to keep Wikipedia open. Hier ging es um Pläne, die Eingangskontrolle zu teilautomatisieren (in der englischen Wikipedia gibt es auch schon Bots, die diese Aufgaben übernehmen). Das wirkte alles nach Zukunftsmusik, aber bei der derzeitigen Konstellation Zunahme von Vandalismus/Rückgang von Autoren kann es gut sein, dass wir in der de-Wikipedia auch mal darüber nachdenken müssen. Wer in den RCs aktiv ist, sollte sich jedenfalls mal die Slides ansehen. Sortiert irgendwann vielleicht auch ein richtiger, selbstlernender Algorithmus und nicht nur wie aktuell in enwiki ein Bot, der mit ein paar Beleidigungen gefüttert wird, die Letzten Änderungen zwischen Gut und Schrott? Auszuschließen ist es nicht.
Abends dann die “Strategy bar” (Freibier!) der Foundation in einer umfunktionierten Suite im 32. Stock des Hotels, es hatte etwas von einer WG-Party, aber in einer vollkommen ungewöhnlichen Umgebung. Foundation-Mitarbeiter versuchten mehr oder weniger alibimäßig die Gespräche auf die Strategie der WMF zu lenken.
Die Keynote am Samstag habe ich verschlafen. Neun Uhr ist aber auch eine unchristliche Uhrzeit, ich fand schon zehn Uhr als Frühstücksdeadline ziemlich früh…
Am Samstag fand ich vor allem den Vortrag Wikimedia gegen Desinformation sehr interessant, witzig, dass die Franzosen zum Thema Fake News einen recht rationalen Gesetzesentwurf haben, während zum Thema Urheberrecht aus Paris nur Unsinn kommt. Ach ja, die streng geheime „Expertengruppe“ der EU, bestehend aus diversen Internetkonzernen und u.a. Wikimedia zu Fake News ist laut Insidern also noch nutzloser als gedacht (und das will was heißen).
Abends war wieder „Strategy bar“, diesmal hat sich die Foundation allerdings nicht mal bemüht, die Leute zur Strategie diskutieren zu lassen. Leider war das Bier recht schnell alle.
Die Keynote am Sonntag verschlief ich ebenfalls. Schande über mich…
Am Sonntagnachmittag war dann auch schon wieder die closing session der Wikimania. Der Wikipedianer aus Sambia (es gibt nur einen!) erhielt einen Laptop geschenkt (bisher musste er per Handy editieren, autsch!) und als Wikipedianer des Jahres ausgezeichnet wurde der User Frhdkazan, was soll man dazu sagen, der Kollege macht, soweit ich das beurteilen kann, eine tolle Arbeit, der Preis an sich ist halt Unsinn und die gestellten Ansprüche denkbar niedrig.
Die anschließende Abschlussveranstaltung fand im „Gold Restaurant“ in Kapstadt statt, schön gemachtes Buffet (mit Antilopenfleisch!) und nettes, sehr afrikanisches Rahmenprogramm.
Abreise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach einem Besuch des Stellenbosch-Nationalparks am Montag mit zwei weiteren Wikipedianern ging es dann recht unspektakulär wieder via Dubai über Nacht zurück nach Deutschland. Allenfalls skurril war die Besetzung des Fliegers Kapstadt → Dubai, zu 30% waren das Haddsch-Reisende in traditioneller Kleidung und zu ebenfalls 30% Wikimania-Teilnehmende, normale Reisende mussten sich fragen, wo sie hier denn gelandet waren. Nach einem hektischen Umstieg mit etwas Gerenne in Dubai ging es wieder nach Frankfurt.