Benutzer:MYR67/Artikelwerkstatt Heinrich Becker (Jurist)

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Heinrich Becker (geb. 15. September 1905) war ein deutscher Jurist.

  • geb. 15. September 1905
  • Landgerichtsrat beim Sondergericht Köln
  • Bonner Landgerichtspräsident Dr. Heinrich Becker
  • Mitglied der NSDAP, des NS-Reichsbundes der Deutschen Beamten, des Sondergerichts Köln und des deutschen Besatzer-Landesgerichts in Den Haag, unter Adenauer aktiver Katholik, Mitglied der ultramontanen Thomas-Morus-Akademie und der CDU.
  • der Mann, der schon gleich nach Hitlers Wahlerfolg am 5. März 1933 NS-Pg wurde - mithin zur Kategorie der »März-Gefallenen« zählt - und der, weit schlimmer noch, im Kriege zweieinhalb Jahre als Beisitzer am Sondergericht Köln und am deutschen Besatzer-Landesgericht im niederländischen Den Haag amtierte: nämlich Dr. Heinrich Becker.
  • Nach Kriegsende Personalreferent des Kölner Oberlandesgerichts für Referendare
  • Justizminister Flehinghaus ernannte Anfang 1959 seinen Ministerialrat Heinrich Becker (CDU) zum Gerichtspräsidenten in Bonn. Im April beschloss das Landgericht unter seinem Vorsitz eine „Änderung und Ergänzung des Geschäftsverteilungsplanes“ für das laufende Geschäftsjahr.[13] Dabei wurde eine neue Strafkammer geschaffen und die Zuständigkeit für die Fälle zwischen den Beschuldigtennamen mit „Hn-“ und denen mit „Ho-“ neu aufgeteilt. Die Leihwagen-Angelegenheit wurde unter dem Namen des Angeklagten „Hummelsheim“ geführt. Dieser Vorgang hatte zur Folge, dass die Sache Quirini entzogen und der neugeschaffenen 7. Strafkammer unter dem vorsitzenden Richter Matthias Göbbel zugeteilt wurde. Diese verfügte ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft eine erneute Vernehmung Adenauers. Ein Schreiben, mit dem die Staatsanwaltschaft sich gegen die Neuausrichtung des Verfahrens wehren wollte, wurde auf Veranlassung von Flehinghaus nicht bei Gericht eingereicht.[14] Am 6. November 1959 entschied das Bonner Landgericht, gegen Hans Kilb und die Mercedes-Benz-Direktoren Rolf Staelin und Fritz Koenecke kein Strafverfahren zu eröffnen. Ein Verlagen der Staatsanwaltschaft auf Revision der Einstellung wies das Oberlandesgericht Köln im Mai 1960 ab.[15] Quelle: Hans Kilb, https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kilb


Verteilerseite: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Becker

Rohstoffe und Quellen

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S. 148

Becker, Heinrich, Dr., geb. 15.09.1905 früher: Landgerichtsrat beim Sondergericht Köln, 1944 Den Haag, heute: Landgerichtspräsident in Bonn

Braunbuch, S. 148

Wüllenweber, „Die Kleinen hängt man“, Die Zeit, Nr. 03/ 1969

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Hans Wüllenweber Die Kleinen hängt man Das Disziplinarrecht taugt nichts für die "Großen" – Schlußwort zur Affäre Becker in: Die ZEIT Nr. 03/1969, 17. Januar 1969, 8:00 Uhr, https://www.zeit.de/1969/03/die-kleinen-haengt-man/komplettansicht

Düsseldorf

Zwei geschlagene Wochen saßen im Düsseldorfer Landgericht drei Richter über einen Richter zu Gericht. Sie erkannten schließlich, daß es nichts Wesentliches zu richten gab, es sei denn, man nimmt die Einstellung des politisch belasteten Disziplinarverfahrens gegen den 63-jährigen Bonner Landgerichtspräsidenten Dr. Heinrich Becker doch für ein Urteil. Da das November-Tribunal, wie das Gesetz es befiehlt, hinter verschlossenen Türen vonstatten ging, kann man nur vermuten, daß sich Landgerichtsdirektor Dr. Kuno Nowack und seine Beisitzer, der Kölner Oberlandesgerichtsrat Dr. Ernst Eichelhardt sowie der Münstersche Oberverwaltungsrichter Dr. Joachim Schubert, nichts geschenkt haben, bevor sie den prominenten Kollegen Becker außer Disziplinarverfügung setzten.

Die reichlich angejahrte Affäre Becker begann vor weiland knapp zehn Jahren. Nach dem Spruch des Dienstgerichts mag sie heuer als Exempel dafür stehen, daß Disziplinarverfahren, die zehn und manchmal auch mehr Jahre bis zur rechtsgültigen Entscheidung benötigen, sich selbst ad absurdum führen, den Exekutivapparat über Gebühr beanspruchen und meist enden wie das Hornberger Schießen. Mit dem Beamteneid legt der Briefträger ebenso wie der Staatssekretär ein Gelöbnis ab, sich als Musterknabe zu bewähren. Der Pflichtenkodex steht einer Ordensregel nicht wesentlich nach. Ehebruch gilt auch heute noch als verdammenswürdiger Verstoß gegen die Dienstbibel. Ein beamteter Promillesünder brummt nicht nur seine 14 Tage hinter Gittern ab, er bekommt auch noch per Disziplinarhoheit von seinem Chef und – falls er widerspenstigerweise Rechtsmittel begehrt – notfalls vom Disziplinargericht einen mehr oder minder probaten Denkzettel verpaßt.

Angesichts solch klarer Tatbestände arbeitet die Disziplinarfuchtel im subalternen Fußvolk der staatlichen und kommunalen Hierarchien in der Regel flott und gründlich. Mit Sekretären und Inspektoren liebt man den kurzen Prozeß. Aus den Ministerien verlautet, daß es Disziplinarverfahren wie Sand am Meer gebe.

Hier nun – siehe Becker – interessiert als Wertmaßstab für das Selbstverständnis des Beamtentums der große Fall, der schwere, oft komplexe Vorwurf, der ranghohe Beschuldigte. Aus den Disziplinar-Geheimkammern dringt zwar wenig an die Öffentlichkeit, doch nicht nur die Affäre Becker verdeutlicht den jahreverschlingenden Schneckengang disziplinarischer Untersuchungen in Fällen, um die »es sich lohnt«. Man mag zu dem früheren NS-Richter Becker stehen, wie man will, so muß die Feststellung erlaubt sein, daß es jedem rechtsstaatlichen Gefühl hohnspricht, über einem Beschuldigten, gleich welchen Ranges, jahrelang das Damoklesschwert einer möglicherweise empfindlichen Strafe schweben zu lassen, nur weil es miserable Vorschriften, politische Rücksichtmaßnahmen und einfach Lustlosigkeit so wollen. Außerdem belastet es das Ansehen eines hohen Amtes empfindlich, wenn dessen Träger ein Dezennium lang als suspekte Person dort oben thront und nicht weicht und wankt, obwohl die Brandung der Vorwürfe ihn zu überrennen droht.

Becker ist ein solcher Fels in der Brandung. Erste Schlagzeilen machte der CDU-Günstling‚ als er kaum den Stuhl des obersten Bonner Justizpräsentanten erklommen hatte. Seinem korruptions-allergischen Richterkollegen Helmut Quirini entzog Becker mit einem Geschäftsverteilungstrick das bereits bei Quirini anhängige Kilb-Verfahren (Kilb diente seinerzeit dem Kanzler Adenauer als Referent). Allzureichlich sollte Kilb sich leihweise der Luxuskarossen eines Auto-Lobbyisten bedient haben und dadurch passiv bestochen worden sein. Die von Becker für diesen Fall aus dem Boden gestampfte neue Strafkammer wies die Anklage zurück. Zu damaliger Zeit pflegte Becker unstreitig regen telephonischen und schriftlichen Kontakt mit Justizminister Flehinghaus. Ihm gegenüber soll er den Richter Quirini und die Bonner Ankläger Drügh und Pfromm »angeschwärzt« haben. Zwei Jahre danach verweigerte Becker dazu einem Parlamentsbeschluß des Landtags die Antwort. Widerstrebend sah sich CDU-Minister Straeter genötigt, gegen Parteifreund Becker ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Regen Vorstellungen, sein Amt zu räumen, begegnete Becker stets mit stoischer Gelassenheit: Ein Richter ist unabsetzbar.

Erst vor zwei Jahren, als der Vorsitzende des Becker-Untersuchungsausschusses, Dr. Neuberger (SPD), Justizminister wurde, kam Schwung in das Verfahren. Neuberger bestallte zunächst die »Becker-Opfer« Drügh und Pfromm, den einen zum »General« in Köln, den anderen zum Chef-Ankläger in Bonn. Sodann drängte der Minister den Untersuchungsführer auf Vorlage des Schlußberichts.

Entsprechend der Automatik des Disziplinarverfahrens muß immer ein Untersuchungsführer die Vorwürfe vorab klären. Hauptamtliche Ermittler gibt es nicht, obwohl sie die Disziplinarverfahren schneller und sachgerechter erledigen könnten. Also mußte sich auch im Fall Becker ein Kollege »opfern«. Den undankbaren Part übernahm Beckers Präsidentenkollege in Düsseldorf, Bernhard Drees. Er benötigte drei lange Jahre, um mit der Sache fertig zu werden. Auf Grund der Akten des Untersuchungsführers Drees formulierte der Minister dann die Anschuldigungsschrift, mit der er Oberstaatsanwalt Wolfgang Burchardt Ende letzten Jahres vor das Dienstgericht schickte, Becker anzuklagen.

Was daraus wurde, gab das Ministerium lapidar wie folgt bekannt: »Das Dienstgericht hat folgendes Urteil verkündet: 1. Das Verfahren wird eingestellt. 2. Von den Kosten des Verfahrens tragen das Land drei Viertel, der Beschuldigte ein Viertel. Zu weiteren Auskünften sieht sich das Ministerium wegen der Vertraulichkeit des Verfahrens nicht in der Lage.«

Jetzt bleibt Minister Neuberger nur noch die Beschwerde beim Disziplinarsenat für Richter in Hamm. Wird er dieses Rechtsmittel einlegen? Oder sollte auch ein Minister allmählich die Lust an der Verfolgung eines uralten Falles verlieren wie manche Disziplinaroberen minderer Stellung in anderen Verfahren?

[…]

Hans Wüllenweber, „Die Kleinen hängt man. Das Disziplinarrecht taugt nichts für die »Großen« – Schlußwort zur Affäre Becker“, in: Die ZEIT Nr. 03/1969, 17. Januar 1969, https://www.zeit.de/1969/03/die-kleinen-haengt-man/komplettansicht

Der Spiegel Nr. 52/1960, 20.12.1960

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RICHTER Der Sonder-Präsident

Der Bonner Landgerichtspräsident Dr. Heinrich Becker hat seine Beziehungen zur Öffentlichkeit einer fast revolutionären Revision unterzogen.

Anfang des vergangenen Jahres, eben auf den Präsidentenstuhl des Landgerichts in Bonn berufen, hatte Heinrich Becker schriftlich verfügt, daß seine Richter, die bis dahin in den Grenzen ihrer Dienstvorschriften den Zeitungsleuten bereitwillig Auskunft gegeben hatten, fortan nichts mehr sagen dürften. Die Presse zu informieren, so hatte er befunden, obliege ausschließlich der Justizpressestelle, die auf schriftliche Fragen nach Beckers Vergangenheit zum Beispiel weisungsgemäß antwortete, der Herr Präsident wünsche nicht Stellung zu nehmen.

Am Dienstag vergangener Woche dagegen bat Heinrich Becker - entgegen seinem eigenen Ukas und zum Entsetzen des Düsseldorfer Justizministers Flehinghaus - fünf Bonner Journalisten zum Zwecke exklusiver Information in sein teakhölzernes Präsidentengemach. Nach gründlicher Belehrung half der 55jährige Präsident allen fünfen obendrein sogar noch in die Mäntel.

Dieser augenfällige Gesinnungswandel des Bonner Gerichtspräsidenten, der die Presse einst erklärtermaßen gering schätzte und sie nun beflissen hofierte, hatte einen triftigen Grund. Der Öffentlichkeit war inzwischen auch ohne Zutun der Bonner Justizpressestelle die richterliche Vergangenheit Heinrich Beckers offenbar geworden.

Und schon fand der FDP-Bundestagsabgeordnete Bücher es »entsetzlich«, der SPD-Pressereferent Barsig »unmöglich«, und selbst der abgehärtete CDU-Fraktionsgeschäftsführer Rasner zeigte sich bestürzt darüber, daß sich in ganz Nordrhein-Westfalen, dem größten westdeutschen Bundesland, kein würdigerer Richter für das politisch exponierte Amt des bundeshauptstädtischen Gerichtspräsidenten hatte finden lassen als ausgerechnet der Mann, der schon gleich nach Hitlers Wahlerfolg am 5. März 1933 NS-Pg wurde - mithin zur Kategorie der »März-Gefallenen« zählt - und der, weit schlimmer noch, im Kriege zweieinhalb Jahre als Beisitzer am Sondergericht Köln und am deutschen Besatzer-Landesgericht im niederländischen Den Haag amtierte: nämlich Dr. Heinrich Becker.

Erst ob solcher Enthüllungen und der ärgerlichen Reaktion darauf ließ Präsident Becker es sich geraten sein, seine Pressescheu zu überwinden und um öffentliche Hilfe dagegen zu werben, daß »man versucht, mich von hinten moralisch kaputt zu machen«.

Also bekannte Becker vor den fünf von ihm geladenen Journalisten: »Ich war beim Sondergericht.« Aber: »Ich bin immer ein anerkannter Gegner des Nationalsozialismus gewesen.« Und: »Ins Sondergericht bin ich geradezu genötigt worden und habe mich mehrfach gesträubt.«

Um derlei Selbstschutz-Argumente zu vertiefen, berief sich Sonderrichter a.D. Becker auf einen Prozeß, den das Bonner Schwurgericht 1948 und - nach der Revision - noch einmal 1950 dem früheren Kölner Landgerichtspräsidenten Müller (»Kopf-ab-Müller« oder »Rüben-Müller«) wegen Rechtsbeugung und Verbrechens gegen die Menschlichkeit gemacht hatte.

In diesem Verfahren war Becker als Belastungszeuge gegen seinen ehemaligen Chef Müller aufgetreten, der trotzdem sowohl von den Bonner Geschworenen als auch in höchstrichterlicher Instanz und schließlich sogar vom Disziplinargerichtshof für Richter in Essen freigesprochen wurde.

Es gibt genug rechtskundige Prozeßbeobachter, die den Verhandlungsdialog des Verfahrens gegen Müller heute noch parat haben. Sie konservierten damals andere Erkenntnisse über die politische und richterliche Verhaltensweise des Zeugen Becker im NS-Staat, als der Präsident Becker sie bei einem freundlichen Presse-Empfang am Dienstag vergangener Woche aus dem Gedächtnis zu vermitteln suchte.

Adolf Hitler residierte just drei Monate in der Reichskanzlei, die NS-Partei war drauf und dran, ihre Mitgliederlisten vorübergehend zu schließen, um den Massenansturm von Parteianwärtern, vor allem aus Beamtenkreisen, abzuwehren, da entschloß sich auch Heinrich Becker, weiland Gerichtsreferendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln, Hitlers Parteigenosse zu werden - »weil ich als Nichtmitglied nicht zum Staatsexamen zugelassen worden wäre«.

Gegen diese Begründung Beckers für sein NS-Parteibuch wissen beamtete Juristen der fraglichen Dienstaltersgruppe und mit einschlägigen Erfahrungen übereinstimmend einzuwenden, in den ersten Jahren des Dritten Reichs habe ein allgemein gehaltenes und mühelos zu beschaffendes Unbedenklichkeitsattest für die Zulassung zum Assessorexamen und für die Bestallung als Amts- oder Landrichter durchaus hingereicht; das NS-Parteiabzeichen sei erst im Krieg, zu dieser Zeit allerdings schon fürs Referendarexamen vonnöten gewesen.

Nun ist Heinrich Becker nach seinen eigenen Einlassungen freilich nicht so ohne weiteres Mitglied der Hitler-Partei und keineswegs ein beliebiger Mitläufer geworden. Vor seinem Beitritt zur NSDAP hatte er sich - ganz anders als etwa irgendein Justizwachtmeister - lange mit seinem Mentor Professor Benedikt Schmittmann beraten, den die Nazis später im Konzentrationslager umbrachten. Und hernach als eingeschriebener Pg habe er zum Nationalsozialismus entschieden Widerpart gehalten.

Nach Kriegsende entschied Becker als Personalreferent des Kölner Oberlandesgerichts für Referendare denn auch tatsächlich strengen Sinnes darüber, ob seine ehemaligen Parteifreunde jüngeren Jahrgangs nun zum juristischen Vorbereitungsdienst zugelassen werden dürften oder nicht.

Aber in den Blütejahren des Dritten Reichs - unter den Argusaugen des perfekten Polizeistaats - war Beckers Widerstand gegen das NS-Regime verborgen geblieben. Als Beckers damaliger Chef Müller später auf der Anklagebank des Bonner Schwurgerichts aus dem Munde Beckers nun endlich dessen Widerrede gegen Hitlers Herrschaft vernommen hatte, räumte der baß erstaunt ein, er würde sich gegenüber dem nachgeordneten Richter Becker im Dritten Reich zurückhaltender ausgedrückt haben, wenn er nicht Gründe genug gehabt hätte anzunehmen, daß Becker sich damals »ebenso« freudig zum Führer bekannt habe wie alle anderen auch.

Als einen der Gründe für Müllers Vertrauensseligkeit gegenüber Becker unter dem Hakenkreuz führen Kölner Richterkollegen den immerhin sonderlichen Umstand an, daß Becker sich zu NS-Zeiten mit der Mitgliedschaft in der NS-Partei und im nationalsozialistischen Reichsbund der Deutschen Beamten keineswegs zufriedengegeben hatte.

Er hatte darüber hinaus - ein Einzelfall unter den botmäßigen Richtern jener Jahre - auch noch die Mitgliedschaft in Robert Leys Deutscher Arbeitsfront (DAF) erworben und dort als Leiter der Rechtsabteilung der Robert-Ley-Schule über deutsches Recht doziert - »über Scheck- und Wechselrecht«, sagt Becker heute.

Angestellte der Schokoladenfirma Stollwerck beispielsweise und nicht zuletzt Kölner Gerichtsreferendare, die Becker in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre schulte, erinnern sich daran, daß der Themenkreis Beckers damals beträchtlich weiter gezogen war. Kommentar im Justizausschuß des Düsseldorfer Landtags: »Wer nicht in die DAF ging, brauchte nun wirklich nicht zu befürchten, daß er deshalb ins KZ kommen würde.«

Sicher ist, daß Becker ohne Verzug zum Landgerichtsrat ernannt und 1942 an das Kölner Sondergericht abgeordnet wurde. Um die zweite dieser Veränderungen in seiner Richterlaufbahn zu erklären, hielt Landgerichtspräsident Becker in der vergangenen Woche gleich zwei Versionen parat.

Nach der ersten Lesart sollte Dr. Raab, damals Personalsachbearbeiter beim Oberlandesgericht Köln, heute Ministerialdirigent in Heinrich von Brentanos Bonner Außenamt, bezeugen können, daß er, Becker, dem Kölner Sondergericht zugeteilt worden sei, damit die Front der ordentlichen Richter verstärkt würde.

Allerdings, besagter Raab dementierte flugs: Er wisse nichts, doch geläufig sei ihm, daß Becker »während und nach« der NS-Zeit Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei.

Für den Hauptschuldigen aber an seiner Sonderrichter-Rolle gibt Becker - das ist seine zweite Version - den damaligen Kölner Landgerichtspräsidenten Müller aus, dem seine, Beckers, Urteile »zu weich« gewesen seien. Müller habe ihn ans Kölner Sondergericht bugsiert, damit er dort »nationale Härte lernt«.

Demgegenüber hat Müller schon 1948 als Angeklagter vor dem Bonner Schwurgericht glaubhaft machen können, daß allein der Kölner Oberlandesgerichtspräsident Bergmann ohne Vorschlags- oder Vetorecht niederer Instanzen über Berufungen ans Kölner Sondergericht verfügt habe.

Da ältere Kollegen der Arbeit im Sondergericht, das oftmals bis Mitternacht verhandelt habe, um am folgenden Tage die Urteilsgründe schriftlich niederzulegen, schon »rein körperlich« nicht gewachsen gewesen seien, habe Oberlandesgerichtspräsident Bergmann ohne Ausnahme alle jüngeren Richter, von denen sich niemand gedrängt habe, dorthin beordert; sich dagegen zu sträuben, sei sinnlos, weil nutzlos gewesen.

So wirkte der heutige Bonner Landgerichtspräsident Becker, der sich dabei nach eigenem Zeugnis »ein schweres Herzleiden« zuzog, an Sondergerichtsurteilen mit, die er nun mit dem Satz kommentiert: »Ich habe immer schon gesagt, das Unrecht lag in der Brutalität der Strafe.«

Exemplarisch für derart brutale Strafmaße war ein Todesurteil, von den Kölner Sonderrichtern mit Beckers Assistenz gegen einen Nachtwächter verhängt, der nach einem Luftangriff auf die verdunkelte Rhein-Metropole aus einem Ladengeschäft Lederwaren gestohlen hatte.

Der bis dahin unbescholtene Angeklagte war ausweislich eines stabsärztlichen Attestes wegen Kopfschadens vom Wehrdienst befreit. Dennoch zog das Sondergericht nicht den Gerichtsarzt hinzu, der dem Nachtwächter Mangel an Zurechnungsfähigkeit hätte bescheinigen und so zu einem milderen Urteil hätte verhelfen können. Becker heute: »Härte war vorgeschrieben.«

1944 jedoch, nachdem der Sonderrichter Becker von Köln an das Deutsche Landesgericht in der niederländischen Hauptstadt Den Haag überstellt worden war, »brach« er - so seine eigenen Worte am vergangenen Dienstag in Bonn - »zusammen«. Aber: »Ich bin trotzdem 1950 zum Oberlandesgerichtsrat im (Düsseldorfer) Justizministerium und 1953 zum Ministerialrat befördert worden.«

1959 schließlich zum Bonner Gerichtspräsidenten aufgerückt, ließ es Becker, der sich durch Einflußversuche seines früheren Chefs Müller auf nachgeordnete - und zugleich unabhängige - Richter in verflossenen Zeiten heute noch beschwert fühlt, durchaus nicht an Demonstrationen fehlen, die das - unbefangene - Urteil seiner Richter hätten trüben können.

Während des sogenannten Strack-Prozesses, den die Erste Bonner Strafkammer des Prominenten-Richters Quirini gegen den Außenamts-Staatssekretär Hallstein und den Außenamts -Direktor Blankenhorn wegen falscher Anschuldigung führte, räumte Landgerichtspräsident Becker den beiden Angeklagten für Beratungen mit ihren Verteidigern ein separates Zimmer im Bonner Landgericht ein und beobachtete die Prozeßführung von einem Sondersitz im Gerichtssaal aus.

Gelegentlich des Bonner Mordprozesses gegen den Bundeswehr-Oberfeldwebel Bornstedt und dessen Freundin Paula Köckeis, die Frau Bornstedt erst mit der sechsten, einer Insulin-Injektion hatte töten können, ließ Becker vor der vordersten Zeugenbank einen lederbezogenen Stuhl mit dem Schild »Landgerichtspräsident« für sich bereitstellen.

Schrieb der Oberamtsrichter im Ruhestand Helmut Schneider in einem Eingesandt an den »General-Anzeiger für Bonn und Umgebung«: »Das ist ein Novum. Ob ein begrüßenswertes, mögen Takt und Geschmack entscheiden. Der Vorsitzende ist zwar als Verhandlungsleiter souverän, doch bleibt er der Untergebene seines Präsidenten. Dieser hat das Recht, unter Umständen sogar die Pflicht, einer Gerichtsverhandlung beizuwohnen. Geschieht das aber an besonders markierter und augenfälliger Stelle, kann er beim Publikum und den Prozeßbeteiligten den falschen Eindruck erwecken, als sei der Vorgesetzte gekommen, um den Untergebenen ,abzuhören', wenn nicht gar durch seine Anwesenheit zu beeinflussen.

»Deshalb pflegen die Vorgesetzten ihr Erscheinen möglichst unauffällig zu vollziehen. Mir selbst ist es schon passiert, daß in meiner Sitzung mein Präsident erschienen war, ohne daß ich es bemerkt hatte. Allerdings denkt man heute in Sachen Publicity anders. In Filmateliers und im Ring ist es durchaus üblich, die Sitze der Preisboxer und Diven durch besondere Schilder zu kennzeichnen.«

Dem Avancement Beckers zum Landgerichtspräsidenten in Bonn waren mancherlei Scharmützel zwischen dem Kanzler Konrad Adenauer und der Bonner Justiz vorausgegangen.

Die Erste Bonner Strafkammer unter Landgerichtsdirektor Quirini hatte das Hauptverfahren gegen des Kanzlers Vertraute Hallstein und Blankenhorn eröffnet und dabei die beiden Beschuldigten nicht nur - wie es in der Anklageschrift hieß - der leichtfertig, sondern der vorsätzlich falschen Anschuldigung für hinreichend verdächtig erklärt.

Überdies hatte Quirinis Kammer, damals auch noch in der Strafsache des früheren Kanzler-Adjutanten Kilb zuständig, der Mercedes-Leihwagen gratis gefahren hatte und deshalb der Bestechlichkeit beschuldigt worden war, einen Antrag Adenauers auf neuerliche Vernehmung - zugunsten Kilbs - schlankweg verworfen.

In dieser Lage stellte der nordrheinwestfälische CDU-Justizminister Flehinghaus seinen CDU-Ministerialrat Becker auf den - vakanten - Posten des Gerichtspräsidenten in Bonn. Mit einem Schlage berühmt wurde Becker in diesem neuen Amt, als Präsidium und Direktorium des hauptstädtischen Landgerichts im April 1959 unter seinem Vorsitz eine »Änderung und Ergänzung des Geschäftsverteilungsplanes« für das laufende Geschäftsjahr beschlossen.

Effekt: Die Strafsache des Kanzler-Leihchauffeurs Kilb war der Ersten Strafkammer des Direktors Quirini entzogen und einer neuen, der Siebten Strafkammer des Direktors Göbbel, zugeteilt (SPIEGEL 20, 34 und 48/1959).

Längst haben die Kammer Göbbel und der Zweite Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln den von Quirini verdächtigten Kilb außer Verfolgung gesetzt. Und der Karlsruher Bundesgerichtshof hat den von Quirini zu vier Monaten Gefängnis verurteilten Blankenhorn freigesprochen. Damit nicht genug: In Bonn liefen vorletzte Woche Gerüchte um, Direktor Quirini solle durch den neuen Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1961 ganz aus der Straf- in die Ziviljustiz abgedrängt werden.

Die Bonner Rechtsanwälte hatten sich am 1. Dezember zu einem Gänse-Essen in der »Lese« an der Koblenzer Straße zusammengefunden und nach dem Schmaus über die Quirini-Gerüchte geplaudert. Dabei war den Anwälten, denen sowohl das Kollegialverfahren der Geschäftsverteilung als auch das kühle Verhältnis zwischen dem Gerichtspräsidenten Becker und seinen Präsidialkollegen bestens vertraut ist, freilich ohne weiteres klar, daß es diesen Gerüchten an Substanz fehlen mußte. Quirini behielt denn auch seine Strafkammer.

Im Düsseldorfer Justizministerium prüft man nun endlich die Urteile aus der NS-Sonderrichter-Zeit des Landgerichtspräsidenten der Bundeshauptstadt. Die Pressestelle des Ministeriums bestätigte, man habe Beckers Sondergerichtsdienst bei dessen Berufung nach Bonn gekannt. Justizminister Flehinghaus aber beteuerte vor dem Justizausschuß des Nordrhein-Westfälischen Landtags, er habe davon nichts gewußt.

Der Widerspruch ist leicht erklärlich: Flehinghaus hatte, als er Becker gegen den Widerspruch seines Staatssekretärs Krille nach Bonn schickte, die Personalabteilung, bei der Beckers Akten liegen, nicht gefragt.

Im Ministerium wird allgemein erwartet, daß der Minister die endgültige Entscheidung des Falles Becker wegen Befangenheit in andere Ministerhände legen wird. Denn als Otto Flehinghaus noch nicht Justizminister war, hatte er als Rechtsanwalt den heutigen Bonner Gerichtspräsidenten Heinrich Becker zu seinen Klienten zählen dürfen.

Gerichtspräsident Becker

Von der Deutschen Arbeitsfront...

Becker-Untergebener Quirini ... in das Bonner Landgericht

Becker-Förderer Flehinghaus Nicht gefragt, von nichts gewußt

RICHTER: Der Sonder-Präsident aus: Der Spiegel Nr. 52/1960, 20. Dezember 1960, https://www.spiegel.de/politik/der-sonder-praesident-a-3294f954-0002-0001-0000-000043067892

„Justiz / Becker: Letzte Chance“, in: Der Spiegel Nr. 38/1967, 10. September 1967

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JUSTIZ / BECKER Letzte Chance

Der Bonner Landgerichtspräsident Dr. Heinrich Becker (CDU), 61, überstand trotz zahlreicher Anfeindungen ungeschoren die Amtszeit von vier nordrhein-westfälischen CDU-Justizministern. Sein fünfter Dienstherr, Sozialdemokrat Dr. Dr. Josef Neuberger, 64, macht ihm den Prozeß.

Neuberger hat dem Dienstgericht für Richter in Düsseldorf eine Anschuldigungsschrift gegen den obersten Gerichtsherrn der Bundeshauptstadt zustellen lassen, in der dem Präsidenten vorgeworfen wird:

• unbegründete Aussageverweigerung vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß und Mißachtung dieses höchsten politischen Kontrollorgans;

• heimliche Diffamierung zweier Staatsanwälte bei ihrem Minister. Die Anschuldigungen gehen zurück auf eine Justizaffäre der Ära Adenauer, das 1958 angestrengte Bestechungsverfahren gegen den früheren Kanzlerreferenten und Mercedes-Leihwagen-Fahrer Ministerialrat Hans Kilb. Zuständig für diesen Fall war damals laut Geschäftsverteilungsplan zunächst die Erste Strafkammer des Landgerichts Bonn unter ihrem als »Prominentenschreck« populären Direktor Helmut Quirini.

Doch kurz vor der Eröffnung des Hauptverfahrens faßten Präsidium und Direktorium des Bonner Landgerichts einen aufsehenerregenden Beschluß: Die Herren, voran ihr eben erst bestallter Chef Heinrich Becker, beschlossen eine neue Geschäftsverteilung, durch die der Fall Kilb der Quirini-Kammer entzogen und einer neugebildeten Siebten Strafkammer zugeteilt wurde. Diese Kammer stellte das Verfahren ein.

Eine temperierte Rüge seines Justizministers Dr. Otto Flehlinghaus (CDU) an dieser Methode, Gerichtsgeschäfte zu ordnen ("justizpolitisch unkluge Maßnahme"), reizte Präsident Becker zu Ausfällen. In einem Privatbrief an Flehlinghaus bezichtigte er die Erste Strafkammer »einseitiger politischer Tendenz« und prangerte deren Vorsitzenden an: »Die Mißstimmung unter den Richtern wächst. Sie fühlen, wie ein Richter herausgestellt wird.«

Auch den Bonner Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Franz Drügh und dessen Pressereferenten Staatsanwalt Werner Pfromm, die für eine Verhandlung gegen Kilb plädiert hatten, suchte Becker beim Minister anzuschwärzen. Pfromm, so teilte er zum Beispiel mit, werde »verschlagene Intelligenz« nachgesagt.

Zwei Jahre danach setzte die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag die Berufung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses durch, der Beckers Verhalten im Kilb-Verfahren ins rechte Licht rücken sollte.

Der Bonner Becker aber verweigerte zunächst die Aussage vor diesem Ausschuß und verstrickte sich später in Widersprüche. So mochte er anfänglich die Namen der angeblich über Quirini verärgerten Richter-Kollegen nicht preisgeben, weil er die Herren nicht in die Sache »hineinziehen« wolle. Dann, zur Aussage gezwungen, hatte er die Namen »vergessen«.

So schwieg der Präsident hartnäckig, als er gefragt wurde, ob er, bevor die Staatsanwaltschaft unterrichtet worden war, »irgendeiner Stelle davon Kenntnis gegeben« habe, das Verfahren gegen Kilb werde eingestellt, fiel hernach aber auf Fangfragen herein: Er hatte nicht nur Justizminister Flehinghaus, sondern auch Ministerpräsident Franz Meyers vorzeitig unterrichtet.

Solches Gebaren nannte der damalige SPD-Landtagsabgeordnete Neuberger schon zu jener Zeit eine »Mißachtung des Parlaments«. Und er forcierte ein Disziplinarverfahren gegen Präsident Becker, zumal inzwischen auch der Verein der Richter end Staatsanwälte in Nordrhein- Westfalen Material über Fälle vorgelegt hatte, in denen sich Bonner Richter von Becker »in ihrer richterlichen Unabhängigkeit tangiert« gefühlt hatten. Minister Flehlinghaus, über Beckers Benehmen in Bonn und Düsseldorf erbost, legte dem Präsidenten nunmehr einen Wechsel zu einem anderen Landgericht nahe -- vergeblich. Der Minister resignierte: »Ein Richter ist unabsetzbar und unversetzbar -- wenn er es selbst nicht will.«

Ein Disziplinarverfahren gegen den Bonner Gerichtsverweser leitete, nach der Landtagswahl 1962, erst der Nachfolger von Flehinghaus, Justizminister Dr. Artur Sträter, ein.

Becker fühlte sich von seinen Parteifreunden im Stich gelassen und wurde massiv. In einer Verfassungsbeschwerde beschuldigte der Präsident seinen Dienstherrn vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, er trachte ihn unter dem Druck der SPD »aus politischen Gründen im Wege des Disziplinarverfahrens« aus Bonn zu vertreiben. Mehr noch: Becker, der selbst als NS-Sonderrichter an Todesurteilen mitgewirkt hatte, wähnte sich nach NS-Manier von Sträter verfolgt.

Rund drei Jahre ermittelte der Düsseldorfer Landgerichtspräsident Bernhard Drees als Untersuchungsführer gegen seinen Bonner Kollegen. Doch erst nachdem das Meyers-Kabinett gestürzt und Josef Neuberger im letzten Dezember unter SPD-Ministerpräsident Heinz Kühn Justizminister geworden war, gedieh eine Anschuldigungsschrift, denn Neuberger war als früherer SPD-Chefinquisitor im parlamentarischen Untersuchungsausschuß mit allen Details der Affäre vertraut.

Die beiden einst von Becker verleumdeten Ankläger Drügh und Pfromm hat er inzwischen befördert; Drügh zum Generalstaatsanwalt in Köln, Pfromm zum Oberstaatsanwalt in Bonn. Ihrem alten Widersacher Heinrich Becker aber droht im Verfahren vor dem Düsseldorfer Dienstgericht eine empfindliche Strafe. Von der »Geldbuße« über die »Einstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe« reicht die Skala bis zur »Entfernung aus dem Dienst«.

Beckers letzte Chance, der peinlichen Inquisition als Gerichtspräsident der Bundeshauptstadt zu entgehen: Er feiert noch in diesem Jahr seinen 62. Geburtstag. Danach kann er sich ohne Angabe von Gründen pensionieren lassen.

„Justiz / Becker: Letzte Chance“, in: Der Spiegel Nr. 38/1967, 10. September 1967, https://www.spiegel.de/politik/letzte-chance-a-90820ae0-0002-0001-0000-000046462448

„Becker: Oben auf dem Dom“, in: Der Spiegel 5/1962, 30.01.1962

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Becker: Oben auf dem Dom 30.01.1962, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 5/1962

Das Mikrophon auf dem Zeugentisch begann zu tanzen. Der 66 Jahre alte Justiz-Pensionär Heinz Gärtner hieb mit der Faust sechsmal hintereinander auf die Tischplatte. »Was ich da erlebt habe«, röhrte er nach dieser Demonstration, »das habe ich noch nie erlebt.«

Was Zeuge Gärtner, ehedem Geschäftsstellenleiter der Strafkammern des Landgerichts Bonn, in seiner 23 Jahre währenden Dienstzeit nur dieses eine Mal hatte erleben müssen, war ein Wutausbruch des Bonner Landgerichtspräsidenten Dr. Heinrich Becker.

Präsident Becker, so schilderte der alte Gärtner, habe eines Tages an seinem Amtsschreibtisch in der Bilderzeitung »Revue« geblättert und sei dabei auf ein Großphoto des Bonner Landgerichtsdirektors und Prominenten -Richters Quirini gestoßen. Im selben Augenblick habe der Herr Präsident gereizt auf den Tisch geschlagen: »Dieser Star-Richter! Dieser Star-Richter!«

Zwischenfrage an den Zeugen: »Würden Sie diesen Wutausbruch des Herrn Landgerichtspräsidenten als einen Tobsuchtsanfall bezeichnen?«

Gärtner: »Ja. Ich war erschüttert. Das ist doch nichts Normales, wenn ein Landgerichtspräsident in meiner Gegenwart tobt und eine ganze Weile so auf dem Tisch herumschlägt.«

Diese Charakter-Darstellung des Bonner Gerichtsherrn Becker gab Zeuge Gärtner am Sonnabend vorletzter Woche vor dem vom Düsseldorfer Landtag eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum besten, der erforschen soll, ob

- Präsident Becker entgegen seinen Behauptungen versucht hat, den Landgerichtsdirektor Quirini zum Verzicht auf den Vorsitz seiner Strafkammer zu bewegen,

- Präsident Becker »die Unabhängigkeit und das Ansehen der Rechtsprechung« hinreichend respektiert, und ob schließlich

- Präsident Becker das Bestechungsverfahren gegen den früheren Kanzler-Adjutanten Kilb »in unlauterer Weise gelenkt oder beeinflußt« habe.

Solcher Verdacht kam erstmals auf, als im April 1959 durch Neuverteilung der Zuständigkeit die Leihwagen-Affäre Kilb der Ersten Großen Strafkammer des Dr. Helmut Quirini, die den Kanzler-Referenten Kilb für tatverdächtig hielt, entzogen und einer neu installierten (Siebten) Strafkammer übertragen wurde; diese Kammer setzte den Angeklagten Kilb alsbald außer Verfolgung.

Präzisiert wurden die Zweifel an der korrekten Amtsführung des Bonner Gerichtspräsidenten sodann Anfang 1961 durch den Bonner Rechtsanwalt und SPD-Landtagsabgeordneten Weber vor dem Parlament in Düsseldorf.

Gerichtsherr Becker, so verkündete Weber, habe nicht nur seine Siebte Strafkammer während des Kilb-Verfahrens »wiederholt geschlossen zu sich kommen lassen«, überdies habe er auch den Einstellungs-Beschluß in Sachen Kilb »längere Zeit im Besitz« gehabt, »bevor er ... offiziell wurde«.

Schließlich bezichtigte Weber den Bonner Becker der Unwahrheit: Beckers Versicherung, er habe »nie im geringsten daran gedacht«, Quirini von der Ersten Strafkammer auf eine Zivilkammer abzuschieben, sei falsch.

Noch bevor der Düsseldorfer Landtag auf Antrag der sozialdemokratischen Fraktion beschloß, einen Untersuchungsausschuß mit der Klärung dieses Falles zu beauftragen, ließ der nordrhein-westfälische CDU-Justizminister Flehinghaus die Betroffenen dienstlich zur Sache vernehmen (SPIEGEL 51/1961). Anzeige

Die ministerielle Inquisition förderte eklatante Widersprüche zutage. Während Präsident Becker hartnäckig alles bestritt, was ihm der SPD-Abgeordnete Weber vorgeworfen hatte, wußten sich andere leitende Herren des Bonner Landgerichts recht genau an die inkriminierten Vorgänge in ihrem Hause zu erinnern. Hauptzeugen gegen Becker:

- Dr. Helmut Quirini, Landgerichtsdirektor,

- Rudolf Vohwinkel, Landgerichtsdirektor,

- Herbert Schroeder, Landgerichtsdirektor,

- Dr. Ernst Kirschbaum, Oberstaatsanwalt,

- Werner Pfromm, Staatsanwalt und Leiter der Bonner Justizpressestelle,

- Rudolf Schleyer, Landgerichtsrat und als Präsidialrat »mehr als nur die rechte Hand« (Pfromm) des Präsidenten Becker.

Vorletzten Sonnabend ging der Düsseldorfer Untersuchungsausschuß daran, die auch vor dem Ausschuß wiederholten Beteuerungen Beckers, er habe sich nie eine Unkorrektheit zuschulden kommen lassen, durch die Vernehmung der wichtigsten Gegenzeugen auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen; Ausschußvorsitzender Dr. Joseph Bollig (CDU) wies die Bonner Justizherren auf die Heiligkeit des Eides hin.

Oberstaatsanwalt Kirschbaum, nebenher Bonner Vorsitzender des »Vereins der Richter und Staatsanwälte«, bestätigte daraufhin vor dem Ausschuß noch einmal, was ihm Beckers rechte Hand, der Präsidialrat Schleyer, über das Gebaren des Präsidenten verraten hatte: daß die Richter der Siebten Kammer »mehrfach vor der Entscheidung in der Sache Kilb beim Präsidenten gewesen seien und daß ein noch nicht rechtlich existenter Beschluß (das Kilb -Verfahren einzustellen) vom Präsidenten in Schreibtisch verwahrt worden sei«.

Zu Erörterungen darüber, ob Becker seinerzeit nicht vielleicht die Siebte Kammer zu einer Rechtsbeugung zugunsten Kilbs anzustiften versucht habe, äußerte sich der Oberstaatsanwalt vorsichtig: »Ich bin auch heute noch mißtrauisch. Es reichte aber nicht zur Einleitung von Ermittlungen.«

Der stellvertretende Ausschußvorsitzende Neuberger wollte es noch genauer wissen: »Ist es vorgekommen, daß Richter zu Ihnen als dem Vorsitzenden des Richtervereins gekommen sind, weil diese sich in ihrer richterlichen Freiheit durch Präsident Becker bedrängt fühlten? »

Kirschbaum: »Ja, das ist vorgekommen. Ich möchte mich aber vorsichtiger ausdrücken und sagen, daß sie sich nicht bedrängt, sondern tangiert fühlten.«

Bohrte Neuberger: »Hat sich Ihre Standesorganisation damit beschäftigt?«

Oberstaatsanwalt Kirschbaum: »Ja, wir hatten geplant, etwas zu unternehmen über unseren Landesverband. Weil aber nachher die Meinung nicht einmütig war, sind wir wieder davon abgekommen.«

Nach etwaigen Spannungen zwischen der Bonner Staatsanwaltschaft und Präsident Becker befragt, offenbarte Kirschbaum: »Das Einvernehmen zwischen den Staatsanwälten und Richtern ist recht gut, aber die Beziehungen zwischen dem Präsidenten (Becker) und dem Leitenden Oberstaatsanwalt (Drügh) könnten besser sein.«

Über Einzelheiten mochte sich Kirschbaum »coram publico« nicht äußern; der Ausschuß zog sich mit dem Zeugen in ein Nebenzimmer zurück.

Ein besonders krasses Beispiel von dem eigenwilligen Präsidialstil des Heinrich Becker enthüllte der Oberstaatsanwalt hingegen wieder vor aller Öffentlichkeit: Nach Einstellung des Kilb-Verfahrens ließ Präsident Becker die Beisitzer der Siebten Strafkammer, die Räte Bey und Pfenningsdorf, in dem möblierten Privatzimmer des Kilb-Anklägers, Staatsanwalt Bereslaw Schmitz, ohne dessen Wissen - freilich erfolglos - nach einem Aktenstück suchen, in dem das Kanzleramt zur Leihwagenaffäre Stellung genommen hatte.

Kirschbaum dazu: »Ich war merkwürdig berührt.«

Ähnlich merkwürdige Eindrücke von der Amtsführung des Landgerichtspräsidenten Becker trug Landgerichtsdirektor Rudolf Vohwinkel, Vorsitzender einer Bonner Zivilkammer, dem Ausschuß vor.

Vohwinkel war einer jener Direktoren gewesen, die sich durch ihren Präsidenten angeregt gefühlt hatten, dem Kollegen »Star-Richter« Quirini den Verzicht auf dessen Strafkammer-Vorsitz nahezulegen - ein Begehren, das dem Präsidenten Becker unbekannt geblieben sein will: »Ich wollte die Herren nicht einmal indirekt dazu bringen, mit Quirini zu sprechen ... Vohwinkel dürfte mich auch sehr gut verstanden haben.«

Dagegen Vohwinkel jetzt: »Daß ich Quirini zum Verzicht auf den Vorsitz bewegen sollte, so habe ich ihn nicht nur verstanden, so unmißverständlich hat er es auch gesagt.«

Ausschußmitglied Neuberger: »Wenn Becker hier erklärt hat, er habe niemals auf irgend jemanden in diesem Sinne einwirken wollen, würden Sie das als falsch bezeichnen?«

Vohwinkel ohne Zögern: »Ich muß diese Erklärung als falsch bezeichnen.«

Stärker noch wurden die Düsseldorfer Landtags-Rechercheure durch einen Brief beeindruckt, der am vorletzten Sonnabend von dem Ausschuß-Berichterstatter Gerd Lemmer, Neffe des Gesamtdeutschen Ernst, verlesen wurde.

Den Brief hatte Bonns Landgerichtspräsident Becker am 23. Mai 1959 - kurz nach der Umgruppierung der Bonner Strafkammern - an seinen Dienstherrn, den CDU-Justizminister Dr. Otto Flehinghaus, geschrieben, und zwar an dessen Düsseldorfer Privatadresse.

Unter Außerachtlassung des Sitzungsgeheimnisses teilte Becker dem Minister darin mit, der umstrittene Geschäftsverteilungsplan - durch den die Sache Kilb einer anderen Kammer übertragen wurde sei vom Präsidium des Bonner Landgerichts »einstimmig beschlossen« worden.

Becker schwärzte Quirini kräftig an: »Die Mißstimmung unter den Richtern wächst. Sie fühlen, wie ein Richter herausgestellt wird.« Der Verfahrensweise der Quirini-Kammer sei »eine einseitige politische Tendenz« anzumerken. Und: »Dem Leiter der Justizpressestelle (Staatsanwalt Pfromm) wird eine verschlagene Intelligenz nachgesagt.«

CDU-Becker an CDU-Flehinghaus: »Ich halte ein nachdrückliches Abrücken von dieser Tendenz für nötig.« Damals reagierte Minister Flehinghaus auf die kaum verhüllte Forderung seines Adlatus Heinrich Becker, unliebsamen Bonner Richtern und Staatsanwälten auf die Finger zu klopfen, durchaus entgegenkommend: In der christdemokratischen »Rheinischen Post« kanzelte Flehinghaus den »Richter im Scheinwerferlicht« ab, ohne allerdings den Namen Quirini zu nennen.

Heute indes wäre die nordrhein-westfälische Regierung unter CDU-Ministerpräsident Meyers heilfroh, wenn Flehinghaus nie auf den Einfall gekommen wäre, den Düsseldorfer Ministerialrat Heinrich Becker in den Sessel des Bonner Gerichtspräsidenten zu hieven. Solange der parlamentarische Untersuchungsausschuß jedoch die Anschuldigungen gegen Becker nicht restlos geklärt hat, möchte die Landesregierung gegen das CDU-Mitglied nicht gern disziplinarisch vorgehen, und so bleibt es dem bundeshauptstädtischen Gerichtschef vorerst unbenommen, in seinem Amt jenes Betriebsklima zu pflegen, das Justizpensionär Gärtner vor dem Düsseldorfer Ausschuß so kennzeichnete: »Oben auf der Domspitze sitzen und fragen: ,Ist da unten jemand?'«

Bonner Gerichtsherr Becker

»Ist da unten jemand?«

„Becker: Oben auf dem Dom“, in: Der Spiegel Nr. 05/1962, 30. Januar 1962, https://www.spiegel.de/politik/oben-auf-dem-dom-a-341fb5a3-0002-0001-0000-000045138355

Landtag Nordrhein-Westfalen, Register zur 4. Wahlperiode 1958/1962

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S. 7:

Adenauer, Konrad, Dr. Bundeskanzler, [...] — Strafverfahren gegen MinRat Dr. Kilb, Änd. des Geschäftsverteilungsplans beim LG Bonn, Zeugenaussage, angebl. Eingriff in ein schwebendes Verfahren, richterliche Unabhängigkeit StB 11. Sitzg S. 299 C, 305 B StB 20. Sitzg S. 712 B StB 57. Sitzg S. 2120 B, 2129 B, 2134 C — wie vor > Landgericht Bonn (LD 531, 801 — Untersuchungsausschuß

S. 28:

Becker, Heinrich, Dr., LGPräs, LG Bonn [...] — Untersuchungsausschuß zur Überführung der Vorwürfe betr. Verfahren MinRat Dr. Kilb, Beeinflussung LGDir Dr. Quirini zum freiwilligen Verzicht auf Strafkammervorsitz u. a. > Landgericht Bonn (LD 531)

S. 133:

Kilb, Dr., ehem. MinRat im Bundeskanzleramt

— Zuteilung des anhängigen Verfahrens an einen anderen Senat, Kritik > Landgericht Bonn (LD 143) — wie vor — Untersuchungsausschuß zur Überprüfung von Vorwürfen > Landgericht Bonn (LD 531)

S. 217:

Pfromm, Werner, Dr., StA Vernehmung > Landgericht Bonn (LD 531, 801)

S. 226:

Quirini, Helmut, Dr., LGDir — Entziehung des Falles MinRat Dr. Kilb durch Änd. des Geschäftsverteilungsplans > Landgericht Bonn (LD 143) — Untersuchungsausschuß zur Überprüfung von Vorwürfen gegen LGPräs Dr. Becker > Landgericht Bonn (LD 531, 801) — Zitierung iRd Interpell betr. LGPräs Dr. Bek-ker [Becker] StB 57. Sitzg S. 2120 B ff

S. 318:

Zeugnisverweigerungsrecht > Landgericht Bonn — Parl. Untersuchungsausschuß (LD 531, 801)

wie vor > Landgericht Bonn (LD 531, 801 —. Untersuchungsausschuß).

Landtag Nordrhein-Westfalen, Register zu den Verhandlungen in der 4. Wahlperiode 1958/1962, Sachregister, https://www.landtag.nrw.de/files/live/sites/landtag-r20/files/Internet/I.A.4/Landtagsdokumentation/Register/LTNRW-29-031-R2.pdf

Landtag Nordrhein-Westfalen, 4. Wahlperiode, Landtags-Drucksache LD 531, 801

wikipedia Hans Kilb

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Justizminister Flehinghaus ernannte Anfang 1959 seinen Ministerialrat Heinrich Becker (CDU) zum Gerichtspräsidenten in Bonn. Im April beschloss das Landgericht unter seinem Vorsitz eine „Änderung und Ergänzung des Geschäftsverteilungsplanes“ für das laufende Geschäftsjahr.[13] Dabei wurde eine neue Strafkammer geschaffen und die Zuständigkeit für die Fälle zwischen den Beschuldigtennamen mit „Hn-“ und denen mit „Ho-“ neu aufgeteilt. Die Leihwagen-Angelegenheit wurde unter dem Namen des Angeklagten „Hummelsheim“ geführt. Dieser Vorgang hatte zur Folge, dass die Sache Quirini entzogen und der neugeschaffenen 7. Strafkammer unter dem vorsitzenden Richter Matthias Göbbel zugeteilt wurde. Diese verfügte ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft eine erneute Vernehmung Adenauers. Ein Schreiben, mit dem die Staatsanwaltschaft sich gegen die Neuausrichtung des Verfahrens wehren wollte, wurde auf Veranlassung von Flehinghaus nicht bei Gericht eingereicht.[14] Am 6. November 1959 entschied das Bonner Landgericht, gegen Hans Kilb und die Mercedes-Benz-Direktoren Rolf Staelin und Fritz Koenecke kein Strafverfahren zu eröffnen. Ein Verlagen der Staatsanwaltschaft auf Revision der Einstellung wies das Oberlandesgericht Köln im Mai 1960 ab.[15]

Quelle: Hans Kilb, https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kilb

Der Spiegel Nr. 4/1961, 17.01.1961, Flehinghaus

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... den Fall des umstrittenen Bonner Landgerichtspräsidenten Dr. Heinrich Becker - unter Hitler Mitglied der NSDAP, des NS-Reichsbundes der Deutschen Beamten, des Sondergerichts Köln und des deutschen Besatzer-Landesgerichts in Den Haag, unter Adenauer aktiver Katholik, Mitglied der ultramontanen Thomas-Morus-Akademie und der CDU. [...] Bis jetzt verschweigt Steinhoff nämlich, daß Heinrich Becker seine steile Nachkriegs-Karriere wesentlich dem Votum prominenter SPD-Genossen verdankt, denen Beckers Zugehörigkeit zum Sondergericht Köln bekannt war. [...]

Flehinghaus: Sagte kein einziges Wort in: Der Spiegel Nr. 4/1961, 17.01.1961, https://www.spiegel.de/politik/sagte-kein-einziges-wort-a-926954b4-0002-0001-0000-000043159447

Einzelnachweise

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