Benutzer:Martin Bahmann/Politisch-Literarische Fastnacht in Mainz

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Die Politisch-Literarische Fastnacht in Mainz ist eine spezielle Form der rheinischen Fastnacht, die besonders in Mainz verbreitet ist. Sie verarbeitet im Fastnachtsgeschehen politische Themen, zumeist in Vortragsform als so genannte Büttenrede in Prosa oder Reimform, seltener in Form von Publikationen, Theaterstücken oder Motivwagen. Sie entstand während einer Phase der Politisierung der Mainzer Fastnacht in der späten Vormärzzeit und damit kurz nach dem Beginn der modernen Mainzer Fastnacht im Jahr 1838. Die Politisch-Literarische Fastnacht in Mainz ist seit ihrer Entstehung bis heute fester Bestandteil des Fastnachtsgeschehen in Mainz. Sie gilt in ihrer formalen und inhaltlichen Ausrichtung als spezielle und einzigartige Ausprägung der rheinischen Fastnacht und steht im Gegensatz zu der eher humorvollen Fastnacht mit ihren typischen „Kokoloresvorträgen“.

Das Umfeld: Rheinische und Mainzer Fastnacht

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Die Mainzer Fastnacht hatte vor der Neustrukturierung 1838 eine größtenteils andere Struktur. Aktivitäten der Fastnachtszeit fanden vornehmlich auf der Straße statt, waren spontan und nicht organisiert und wiesen in der Regel noch spätmittelalterliche Strukturen auf. Auch fand das Mainzer Fastnachtstreiben wenig Anklang bei dem gebildeten Bürgertum und stand in schlechtem Ansehen. Im Rahmen der rheinischen Fastnacht oder Karnevals wiesen Städte wie Köln, Düsseldorf oder Koblenz im frühen zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts bereits moderne Strukturen auf. Der Grad ihrer Organisation hatte deutlich zugenommen und wies bereits alle Elemente und Strukturen der modernen Fastnacht auf.

Diese zum damaligen Zeitpunkt völlig andersartige und allgemein als modern und zeitgemäß empfundene Ausprägung dieser rheinischen Fastnacht wurde aufgrund der vielfältigen Beziehungen zwischen diesen Städten vor allem im Handelsbereich auch in Mainz zur Kenntnis genommen.[1] Aus der Mainzer Bürgerschaft heraus wurde in einem Schreiben, datiert auf den 19. Januar 1838, bei dem Mainzer Provinizialkommissar Lichtenberg um die Genehmigung zur Gründung des Mainzer Carneval-Vereins ersucht. Zu den Antragstellern gehörten bedeutende Mainzer Geschäftsleute wie Johann Maria Kertell oder Karl Georg Michael, Mittelständler, Kleingewerbetreibende und auch Gastwirte. Einige der Antragsteller hatten einen Sitz im Stadtrat oder waren Mitglieder der Mainzer Handelskammer. Vollständig fehlte das Bildungsbürgertum, die Gruppe der Beamten und - bis auf eine Ausnahme - auch Vertreter der Arbeiterschaft. Mit der behördlichen Genehmigung des Vereins stellten die Antragsteller eine geordnete, zentral organisierte und vor allem eine allen behördlichen und kirchlichen Auflagen entsprechende Mainzer Fastnacht in Aussicht, die nebenbei noch Fremdenverkehr und Umsatz der Gastronomie heben sollte. Wahrscheinlich aufgrund von vorherigen inoffiziellen Absprachen wurde bereits am 22. Januar 1838 durch den Provinizialkommissar die Genehmigung erteilt. Die Mainzer Fastnacht startete bereits am 25. Januar in ihre erste, sehr erfolgreiche, Kampagne und etablierte sich ab diesem Zeitpunkt nachhaltig in Mainz.

Geschichtliche Einordnung

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Entstehung in der späten Vormärzzeit

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Nach dem Hambacher Fest 1832 waren auch in Mainz die Folgen zu spüren: reaktionäre Maßnahmen, die eine drastische Verschärfung der Karlsbader Beschlüsse von 1819 bedeuteten. Konkret waren dies eine allgegenwärtige Zensur, keine Preßfreiheit, stark eingeschränkte Versammlungsfreiheit, eine strikte Kontrolle von Vereinsgründungen mit häufig stattfindenden Ablehnungen oder Verzögerung der Genehmigung. Mainz stand zudem als Festung des deutschen Bundes mit abwechselnden Garnisonen aus Österreich und Preußen unter einem strengen „Festungsgouvernement“.

Mit dem 1838 gegründeten Mainzer Carnevals-Verein wurde die Mainzer Fastnacht in dieser Zeit neu organisiert und in den Anfangsjahren von der Obrigkeit wohlwollend aber doch genau beobachtet. Die anfangs eher profanen und unpolitischen Ziele der Mainzer Fastnachter, welche allesamt nicht in Hambacher Ereignisse verstrickt gewesen waren, und die Förderung der lokalen Fastnacht durch den Mainzer Provinzialkommissar von Lichtenberg und den Mainzer Bürgermeistern, insbesondere Nikolaus Nack, trugen zu einem Aufschwung der Mainzer Fastnacht bei. Die Mainzer Saal-, Straßen- und Theaterfastnacht widmete sich in den späten 1830ern und frühen 1840er Jahren eher lokalen Themen, Kokolores aber auch schon in Ansätzen gesellschaftskritischen Themen.

Bereits mit dem Krähwinkler Landsturm 1837 übten die Beteiligten ganz im Sinne von August von Kotzebues gesellschaftskritischem Werk Die deutschen Kleinstädter Kritik an der spießbürgerlichen Biedermeiergesellschaft[2] und an militärischem Gehabe. Zu letzterem trug mit Sicherheit auch der Alltag als Festungsstadt mit der bei der Beväölkering verhassten preußischen und der größtenteils beliebten österreichischer Garnison bei.

Mit den neuen, von Köln beeinflussten, Strukturen des fastnachtlichen Treibens und dem zunehmenden öffentlichen Agieren nahm die Akzeptanz und die Beliebtheit der Mainzer Fastnacht wieder deutlich zu. Zur zunehmenden Politisierung kam es dann Mitte der 1840er Jahre. Zunehmend drängten politisch aktive Fastnachter aus dem oft akademischen Bildungsbürgertum an die Spitze der organisierten Fastnacht. Zudem entstanden mit der Narhalla (1841-1848) und der Neue Mainzer Narrenzeitung (1844-1846) neue Formen der Meinungsäußerungen auch außerhalb der Saalfastnacht. Zu den Aktiven der Politisch-Literarischen Fastnacht der Vormärzzeit gehörten an vorderster Stelle Franz Zitz als Präsident des MCV 1843-1844, Philipp Wittmann als Sekretär des Vereins, Ludwig Kalisch als Herausgeber der durch ihn politisierten Nahrhalla, Ludwig Bamberger oder Eduard Reis als Herausgeber der Neue Mainzer Narrenzeitung Büttenredner und „Protokoller“ bei den Sitzungen im Frankfurter Hof.

Zensur-Epigramm von Eduard Reis, vorgetragen am 7. Januar 1844.

Ängstlich frug das Fragezeichen:
Wird mich nicht der Zensor streichen?
Und ein gleiches still bei sich
Dachte der Gedankenstrich.
Komma stand ein Weilchen still:
Ob er mir was antun will?
Semikolon war noch bänger,
Harrte noch ein Weilchen länger,
Doppelpunkt, der fuhr heraus:
Wie, er wirft auch mich hinaus?
Ach! rief dann das Ausrufezeichen,
Ach! Er wird uns alle streichen!
Wie gefürchtet, so geschehn:
Nur das »Punktum« ließ er stehn.

Eduard Reis

Die ursprünglich wenig politische Fastnacht der später 1830er und frühen 1840er Jahre radikalisierte sich somit in zunehmendem Maße. 1844 kam es wegen Inhalten von Kalischs Narhalla zu einem politischen Eklat, 1845 und 1846 führten der Rosenmontagszug und die Saalfastnacht zu politischen Verwicklungen. Ebenfalls 1846 kam es im öffentlichen Fastnachtsschauspiel vor dem Theater zur „Verbrennung des Denkmals für den Erfinder der Zensur“. Immer noch wurde aber der MCV und seine Funktionäre von den Mainzer Behörden, hier vor allem durch den Bürgermeister Nack und den Provinizialkommissar von Lichtenberg, unterstützt und von der Darmstädter Regierung zumindest toleriert. Trotz der zunehmenden Politisierung der Mainzer Fastnacht war der MCV für die Obrigkeit immer noch ein Garant für eine geordnet ablaufende (Straßen)Fastnacht, die dem unberechenbaren Volkskarneval vor 1837 vorzuziehen war.[3] Eine gewisse Toleranz seiner Aktivitäten erwarb sich der Verein auch durch seine mildtätigen Aktivitäten in Mainz: zu verschiedenen Anlässen spendete der Verein zwischen 1844 und 1847, in diesem Jahr fiel die Mainzer Fastnacht wegen einer Hungersnot komplett aus, alleine 3600 Gulden für die Bedürftigen der Stadt.[4]

Nach der letzten Fastachtskampagne 1846 fanden zu Beginn des Jahres 1848 einige Fastnachtssitzungen im Frankfurter Hof statt. Aufgrund der sich dramatisch zuspitzenden politischen Lage verkündete der MCV allerdings am Fastnachtssamstag, „alle und jede von ihm beabsichtigte Carnevals-Festlichkeit“ einzustellen. Dazu beigetragen hat auch die nun auch offene ausgeführte und rein politische Aktivität von Franz Zitz, Ludwig Bamberger und anderen Aktiven der Mainzer Fastnacht. Diese widmeten sich verstärkt der politischen Arbeit, sei es als Abgeordnete in der Frankfurter Nationalversammlung (Zitz, Bamberger) oder vor Ort in Mainz. Viele der im Vormärz aktiven Mainzer Fastnachter, allen voran wieder Franz Zitz und Ludwig Bamberger, nehmen an den folgenden Kämpfen wie beispielsweise bei der Reichsverfassungskampagne teil und müssen später ins Ausland fliehen. Die Mainzer Fastnacht mit ihrer freiheitlich-demokratischen Ausrichtung existiert für die nächsten Jahre nicht mehr.

Nach den Unruhen der Vormärzzeit und den darauf folgenden politischen Restriktionen gab es in den folgenden Jahren keine nennenswerten Aktivitäten der Mainzer Fastnacht mehr. 1849 wurde eine von Mitgliedern beantragte Auflösung des MCV abgelehnt, das Vermögen des Vereins aber zu Gunsten politischer Flüchtlinge gespendet und weitere Aktivitäten eingestellt. Erst ab 1855/1857 gab es wieder eine organisierte Fastnacht in Mainz wobei die politische Komponente zuerst gar nicht und in den späteren Jahren nur wenig zum tragen kam.

Die Literarisch-Politische Fastnacht im Dritten Reich

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Seppel Glückert 11. Januar 1936

Hier Kritik zu üben frei
- So an Dachau knapp vorbei -
Freude auslöst, immer wieder
Auch bei euch - ich kenn' euch Brüder!

Seppel Glückert

Meisterstück der versteckten Zeitkritik (Keim)

Redd heit von Politik kää Wort,
Ich laß aach heit die Knöllcher fort,
Ich werde heute vor Sie treten
Und nur über Hering reden!

Hering tun sich nicht bekleckern
Tun nit maule und nit meckern
Schwimmen, ohne aufzuregen
Ihrem Schicksal stumm entgegen

Martin Mundo

Nachkriegszeit und moderne Form

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Typische Charaktere

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  • Anton Maria Keim: 150 Jahre politisch-literarische Fastnacht: von der Freiheit der Narren und wechselnden Zensoren. In: Eberhard Friedel (Redaktion): Bürgerfest und Zeitkritik: 150 Jahre Mainzer Fastnacht - 150 Jahre Mainzer Carneval-Verein 1838-1988. Herausgeber: Mainzer Carneval-Verein, Verlag Hermann Schmidt Mainz, 1987. ISBN 3-87438-148-5, S. 131-147
  • Anton Maria Keim: Der politische Gehalt des Mainzer Karnevals im deutschen Vormärz. In: Hambacher Gespräche 1962. Wiesbaden 1964, S. 84-94
  • Anton Maria Keim: 5 Anmerkungen zum literarischen Karneval. In: Das neue Mainz. Ausgabe 2 1971, S. 2-4
  • Anton Maria Keim: „Unerfreuliche Büttenreden“: zeitgeschichtliche Marginalien zur Zensur. In: Narrhalla. Ausgabe 1999, S. 18-19
  • Anton Maria Keim: „Es riecht nach Pulver überall“ - Büttenreden vor 1914: politische Seismogramme. In: Narrhalla. Ausgabe 2006, S. 23
  • Anton Maria Keim: Erinnerung an einen der „Urväter“ des politisch-literarischen Karnevals: Ludwig Kalisch - eine Anmerkung. In: Narrhalla. Ausgabe 2004, S. 26
  • Anton Maria Keim: Statt Wilhelms wilde Reden - Demokraten-Stimmen aus der Bütt. In: Narrhalla. Ausgabe 2002, S. 20-21
  • Anton Maria Keim: Der „frondierende Geist“ nach Hambach unter der Narrenkappe. In: Lebendiges Rheinland-Pfalz. Ausgabe 19, 1982, S. 38-39
  • Anton Maria Keim: 11 mal politischer Karneval: Weltgeschichte aus der Bütt - Geschichte der demokratischen Narrentradition vom Rhein. Fischer, Frankfurt am Main 1969,
  • Anton Maria Keim: Vom fastnächtlichen Volksbrauch zum politisch-literarischen Karneval. In: Lebendiges Rheinland-Pfalz. Ausgabe 4, 1967, S. 1-9
  • Anton Maria Keim: Der politische Gehalt des Mainzer Karnevals: zur politischen Struktur des Mittelrheingebietes im Vormärz und in der Revolution von 1848. In: Mainzer Almanach. 1958, S. 183-191
  • Friedrich Schütz: Die moderne Mainzer Fastnacht. In: Franz Dumont, Ferdinand Scherf, Friedrich Schütz (Hrsg.): Mainz – Die Geschichte der Stadt. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1999 (2.Aufl.), ISBN 3-805-32000-0
  • Friedrich Schütz: Das Verhältnis der Behörden zur Mainzer Fastnacht im Vormärz (1838-1846). In: Jahrbuch für Westdeutsche Landesgeschichte. Ausgabe 6, 1980, S. 291-318

Einzelnachweise

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  1. Friedrich Schütz: Die moderne Mainzer Fastnacht. In: Franz Dumont, Ferdinand Scherf, Friedrich Schütz (Hrsg.): Mainz – Die Geschichte der Stadt. 2. Auflage, S. 811
  2. Anton Maria Keim: 11mal politischer Karneval. S. 43
  3. Friedrich Schütz: Das Verhältnis der Behörden zur Mainzer Fastnacht im Vormärz (1838-1846), S. 301
  4. Friedrich Schütz: Die moderne Mainzer Fastnacht. In: Franz Dumont, Ferdinand Scherf, Friedrich Schütz (Hrsg.): Mainz – Die Geschichte der Stadt. 2. Auflage, S. 813