Benutzer:Mautpreller/Übersetzung

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Montgomery beantwortet dem Erzähler die Frage, was das für ein Schiff sei:

„Es ist ein kleiner Kauffahrer von Arica und Callao. Ich habe nicht gefragt, woher es ursprünglich gekommen ist. Aus dem Land der Narren vermutlich. Ich selber bin Passagier von Arica. Der Esel, dem es gehört – er ist zugleich Kapitän und heißt Davis –, hat sein Patent verloren oder so was. Sie kennen den Menschenschlag – nennt das Ding Ipecacuanha. Freilich, wenn viel See ist und kein Wind, da läuft es ganz ordentlich“ (S. 12).

Ein seltsames Segelschiff: Wenn "viel See ist und kein Wind", läuft es ganz ordentlich? Die Flaute ist doch da ein gefürchteter Zustand, vor allem wenn auch noch die Wogen hoch gehen? Liest man den englischen Text, klärt sich die Sache plötzlich auf:

“It's a little trader from Arica and Callao. I never asked where she came from in the beginning,—out of the land of born fools, I guess. I'm a passenger myself, from Arica. The silly ass who owns her,—he's captain too, named Davies,—he's lost his certificate, or something. You know the kind of man,—calls the thing the 'Ipecacuanha,' of all silly, infernal names; though when there's much of a sea without any wind, she certainly acts according.”

Also: „Sie kennen diesen Menschenschlag – nennt das Ding ausgerechnet Ipecacuanha, von allen törichten, infernalischen Namen; freilich, wenn schwere See ist ohne jeden Wind, hat es gewiss die entsprechende Wirkung.“

So erfährt man, was es mit dem auffälligen Namen Ipecacuanha auf sich hat, denn das ist ein bekanntes starkes Brechmittel; und wenn die Umstände entsprechend sind, passt der Name auch. Wie der Arzt Montgomery treffend bemerkt, hat das Schiff dann dieselbe Wirkung wie das Brechmittel ("acts according"). Das wirft auch ein Licht auf Montgomerys leicht zynische Medizinersprüche, die der Erzähler hier mit Distanz wiedergibt; und auf den groben Humor des ewig besoffenen Kapitäns. Der Übersetzer hat den kleinen Witz leider nicht verstanden. Leider hat er es nicht dabei belassen, sondern sich etwas völlig Widersinniges zusammengereimt. Gut, nur eine Kleinigkeit.

Noch so eine Kleinigkeit: Montgomery streitet mit dem betrunkenen Kapitän. Er hält ihm die Arme fest ("packt ihn bei den Ellbogen").

„Mit einer plötzlichen Bewegung wollte er die Arme freischütteln, und nach zwei wirkungslosen Versuchen steckte er die mit Sommersprossen bedeckten Hände in die Seitentaschen.“

Hm. Man kann sichs notfalls vorstellen, dass jemand, der bei den Armen gepackt wird, die Hände in die Tasche steckt, aber leicht ist es nicht. Was sagt der englische Text?

“With a sudden movement he shook his arms free, and after two ineffectual attempts stuck his freckled fists into his side pockets.”

Also: „Mit einer plötzlichen Bewegung schüttelte er die Arme frei und steckte, nach zwei erfolglosen Versuchen, die sommersprossigen Fäuste in die Seitentaschen.“

Auch nur eine Kleinigkeit: Der Kapitän ist zwar kräftig, aber sturzbetrunken; er braucht drei Versuche, um die Hände in die Taschen zu kriegen! Der Übersetzer hat sich die Geschichte anders zurechtgelegt und dabei den Witz verpasst.

Aber es gibt hier durchaus mehr als solche Kleinigkeiten. Einen entscheidenden Wendepunkt des Plots bildet der plötzliche Entschluss des Kapitäns, den Erzähler von Bord zu schaffen - nur deshalb landet er letztlich auf der namensgebenden unheilvollen Insel. Der Kapitän wird plötzlich wütend und spricht Mr. Prendick ständig als "Mr. Beendigt" an. Seltsam. Nicht nur, dass man sich im Wortschatz des auch hier wieder Betrunkenen kaum dieses Wort vorstellen kann - sondern: Wie kommt er auf diese merkwürdige Idee? Was macht ihn so wütend? Ich vermutete ein im Deutschen schwer wiederzugebendes Wortspiel, denn "Beendigt" und "Prendick" haben ja eine gewisse Klangähnlichkeit. Doch von einem Wortspiel kann im englischen Original keine Rede sein:

“"Prendick be damned!" said he. "Shut-up,—that's your name. Mister Shut-up."”

Und warum spricht er ihn als "Mister Halt-den-Mund" an? Das ist schlicht ein Zitat. Denn genau mit diesen Worten hatte Prendick sich in den Streit zwischen Montgomery und dem Kapitän eingeschaltet – wie er angibt, wollte er damit eine Schlägerei verhüten.

“"Shut up!" I said, turning on him sharply, for I had seen danger in Montgomery's white face.”

Also nicht das harmlose „Hören Sie auf!“, wie es der Übersetzer will (darauf soll wohl das absurde "Beendigt" anspielen), hat Prendick gesagt, sondern „Halten Sie den Mund!“ hat er den Kapitän angefahren. Den Mann, der eben betont hat, dass er Kapitän und Eigentümer des Schiffs ist, „das Gesetz und die Propheten“ an Bord. Und das muss er sich sagen lassen von einem am Streit Unbeteiligten, den er gerade erst als Schiffbrüchigen aus dem Meer aufgesammelt hat – und dazu noch einem gebildeten feinen Pinkel, einem Privatier (denn “private gentleman” ist nicht bloß „Privatmann“, wie es der Übersetzer will, sondern jemand, der es nicht nötig hat zu arbeiten, weil er von seinem Vermögen leben kann), der aus Langeweile ein bisschen Naturgeschichte studiert hat – einem Abstinenzler noch dazu ... Schon wird verständlicher, was den Kapitän so aufbringt. Der Erzähler weiß ja auch in der Rückschau sehr wohl, dass er das besser nicht gesagt hätte; er zitiert sich sogar wörtlich selbst:

“... but, certainly, when I told the captain to "shut up" I had forgotten that I was merely a bit of human flotsam, cut off from my resources and with my fare unpaid ...”

Nicht nur dass dieser Zusammenhang hier erheblich verdunkelt wird durch die unachtsame Übersetzung, es geht hier auch verloren, dass der Erzähler selbst nicht gerade der zuverlässigste Berichterstatter ist. Soll man ihm glauben, dass er, der Mann "of mild temperament", sich nur eingemischt hat, weil er eine Schlägerei verhüten wollte? Denn es ist ja nicht das letzte Mal, dass Prendick die Geduld verliert (und zwar wieder mit einem Betrunkenen, nämlich Montgomery, was ähnlich schreckliche Folgen hat); und auf seine überlegene Bildung und seine guten Sitten tut er sich einiges zugute. Er ist außerordentlich auf Entschuldigungen dafür bedacht, dass es ihm immer wieder misslingt, die Situation zu meistern: Er ist immer noch geschwächt, er hat Schlimmes mitgemacht usw. Das ist aber ein wichtiger Punkt für die Erzählung: Wie glaubwürdig ist Prendicks Bericht, der ja ständig angezweifelt wird? Wie souverän ist der Erzähler, der ständig zwischen seiner Identität als gebildeter Gentleman und einer tiefen Verunsicherung schwankt, die daher rührt, dass er auch nur "beast", Tier ist? Soll man ihm die wilde Schiffsbruchsgeschichte abnehmen, aus der er zwar geschwächt und passiv, aber moralisch unangefochten hervorgeht?

Die Übersetzung von Felix Paul Greve ist schon über hundert Jahre alt. Sie wurde ja aber noch einmal von Christine Mrowietz "neu durchgesehen", wie mir mein dtv-Bändchen verrät. Sind ihr diese Böcke entgangen, hat sie in der Eile nicht richtig aufgepasst? Die Staatsbibliothek hat einen Nachdruck von Greves Übersetzung aus den 1920er Jahren parat. Vergleicht man die drei Stellen, so kommt man zu einem ganz anderen Schluss: Zwei der drei Fehler sind erst seit Mrowietz' Durchsicht im Buch.

Greves Übersetzung wirkt ungelenk und steif. Das kommt zum Teil daher, dass er förmlich am englischen Wortlaut klebt. Immerhin kann man dadurch erraten, was eigentlich gemeint ist. Bei Montgomerys Spruch über die "Ipecacuanha" gibt er den Ausruf über den "albernen, verdammten Namen" korrekt wieder und lässt Montgomery kommentieren: "Freilich, wenn viel See ist und kein Wind, da arbeitet sie entsprechend." Stilistisch vielleicht kein Wunderwerk (das "sie" zum Beispiel ist das Schiff, im Englischen weiblich, im Deutschen natürlich nicht), aber man kann als Leser verstehen, worauf Montgomery hinauswill. Mrowietz hat es jedoch offenbar nicht verstanden. Ich vermute, ihr kam das "arbeitet entsprechend" altmodisch und ungeschickt vor; dann nehmen wir doch eine umgangssprachliche Wendung von heute: "läuft es ganz ordentlich" ... nur dumm, dass das so ziemlich das Gegenteil von Wells' Satz ergibt. Mit dieser neuen Sinngebung wird natürlich auch unverständlich, dass sich Montgomery über den Schiffsnamen mokiert - dann lassen wir den entsprechenden Ausruf halt ganz weg. Schon ist es gelungen, den Sinn des Satzes völlig zu verdunkeln; es mag nun zwar moderner und flüssiger klingen, aber leider ist es nicht mehr Wells, sondern was ganz anderes.

Und die eher unglückliche Übersetzung von "Shut up!" mit "Hören Sie auf!" stammt zwar tatsächlich von Greve. Doch ihm war sehr wohl bewusst, dass es dieser sprachliche Ausfall ist, der den Kapitän später so maßlos aufregt, und so spricht der Kapitän bei Greve Mr. Prendick im Folgekapitel mitnichten als Herrn "Beendigt" an, sondern als Herrn "Hören-Sie-auf!". Was Mrowietz geritten hat, diese bei Greve noch klar erkennbare Verbindung zu beseitigen, ist schwer zu verstehen. Waren es auch hier "stilistische" Gründe? Hat ihr die Bindestrich-Zusammensetzung nicht gefallen? War es ihr Ehrgeiz, ein kleines Wortspiel unterzubringen? Sicher ist, dass in Mrowietz' durchgesehener Fassung ein Angelpunkt der Erzählung im Sprachnebel untergeht.

Zugeben muss man freilich, dass Mrowietz es nicht leicht hatte mit Greves Vorlage. Der bringt schon Formulierungen zustande wie zum Beispiel diese: "Abgesehen von einem gelegentlichen Klang im gelberleuchteten Vorderverdeck ... war die Nacht sehr still." Abgesehen von was? "Sound" ist hier natürlich "Geräusch" oder "Laut" und das "Vorderverdeck" ist das forecastle oder "Vorschiff", also die Unterkünfte der einfachen Seeleute, die "vor dem Mast" segeln. Wie eine frühere Manuskriptfassung zeigt, hatte Wells ursprünglich erwogen, dass man das Singen eines Seemanns aus dem "forecastle" hört, die Wortwahl "sound" ist also nicht unmotiviert; nichtsdestotrotz ist natürlich eine Übersetzung der Endfassung mit "Klang" geradezu unsinnig. Ein Schiff segelt "tot in den Wind", die "Hände" (hands) kommen zum Löschen der Ladung usw. usf. Egon Friedell soll gesagt haben: Wells kann nicht Deutsch. Das hat er mit seinem Übersetzer gemeinsam. Es ist durchaus verdienstvoll, dass Mrowietz solche stilistischen Fehlleistungen bereinigt. Nur geschieht dieses Polieren leider oft mit geringem Textverständnis, die redigierten Stellen wirken häufig so, als ob sie sich das englische Original nicht einmal angesehen hätte. Dies gilt insbesondere für Streichungen: Wo ganze oder halbe Sätze fehlen, sind es oft besonders ungeschickt formulierte Aussagen, die nur mit Blick auf das Original hätten aufgehellt werden können. Und in einer ganzen Reihe von Fällen ist der Effekt negativ, weil die Politur die Spuren der etwas mühsamen Übersetzungstätigkeit verwischt; man kann nun nicht einmal mehr ahnen, was Wells geschrieben hat.

Ein geradezu klassisches Beispiel für das problematische Zusammenwirken falscher Übersetzung und wenig hilfreicher Korrektur findet sich in Kapitel 9. Auf seiner Flucht vor dem "Thing in the Forest" erreicht Prendick, so die dtv-Fassung, einen „ebenen Platz unter zersplitterten Bäumen“. Greve hatte ursprünglich übersetzt „unter zerschmetterten Bäumen“. Diese reichlich bizarr wirkende Formulierung scheint Mrowietz verständlicherweise nicht gefallen zu haben, sie gibt ihr also eine besser vorstellbare Fassung. Freilich hat beides überhaupt nichts mit dem englischen Text zu tun, denn dort heißt es:

„I walked eagerly, my mind perplexed by all these things, and presently found myself in a level place among scattered trees.“

Es sind also schlicht verstreut stehende Bäume (was eben auch dazu führt, dass Prendick hier trotz rasch fortschreitender Dämmerung etwas sehen kann). Greve hat "scattered" als "shattered" gelesen und so baren Unsinn in den Text eingebracht, Mrowietz hat den Text ohne einen Blick in die englische Fassung irgendwie zu retten versucht; das Resultat ist ein Übersetzungs-Artefakt, das mit einer sinngemäßen Wiedergabe nichts mehr zu tun hat.

Störender als solche Skurrilitäten erscheint mir aber, dass Prendicks tiefe Verunsicherung über seinen Verfolger bereits bei der Benennung verloren geht. Das Kapitel heißt bei Wells "The Thing in the Forest", Das Ding im Wald, mal mit männlichen und mal mit sächlichen Pronomina versehen, und "Thing" im Fließtext regelmäßig großgeschrieben. (Es würde mich nicht wundern, wenn Lovecrafts "Ding auf der Schwelle" direkt auf diesen Einfall Wells' zurückginge.) Greve macht daraus ein "Wesen", was schon noch tragbar ist, aber das starke stilistische Mittel von Wells nicht wiedergibt (meines Erachtens ohne Not). Immerhin heißt das Kapitel bei Greve noch "Das Wesen im Walde", während Mrowietz, die das "Wesen" von Greve übernimmt, die Überschrift kurzerhand in "Unheimliche Begegnungen" ändert. Fraglos handelt es sich um eine "unheimliche Begegnung", aber das Unheimliche daran benennt Prendick viel klarer: Ist "das" ein Tier oder ein Mensch wie du und ich - und vor allem wie Prendick selbst? Es ist beides und beides nicht, es ist ein mysteriöses "Ding". Und damit ist etwas angesprochen, was Prendick erst später versteht: Das Wesen ist tatsächlich ein gemachtes Ding, ein Artefakt, nicht aus dem Wirken der natürlichen Selektion entstanden, sondern der Kunst Moreaus geschuldet.

Noch ein Beispiel für das unheilvolle Zusammenwirken von unachtsamer Erstübersetzung und nachgetragener Glättung: In seinem grandiosen Vortrag in Kapitel 14 preist Moreau die maßlose Leidenschaft des experimentellen Forschers.

"Was this possible or that possible? You cannot imagine what this means to an investigator, what an intellectual passion grows upon him. You cannot imagine the strange, colourless delight of these intellectual desires."

Greve überträgt dies reichlich hölzern, aber brav Wort für Wort. Bloß ist ihm (oder dem Ersteller der Satzvorlage oder dem Setzer) ein kleines Missgeschick passiert: Das erste "not" (in "cannot") ist ihm verschütt gegangen, im Deutschen fehlt also ein "nicht"; das zweite "cannot" hat er aber gesehen. So etwas kommt natürlich vor, wenn es auch ärgerlich ist. Mrowietz ist aufgefallen, dass die beiden Aussagen in Greves Übersetzung nun in verschiedene Richtungen streben. Statt diesen Fall nun näher zu untersuchen, etwa mit einem Blick in den Urtext, hat sie versucht, den Bruch zu motivieren, mit der kleinen logischen Partikel "jedoch":

"War dies oder das möglich? Sie können sich vorstellen, was das für einen Forscher heißt, was für eine intellektuelle Leidenschaft ihn überkommt. Sie können sich jedoch nicht vorstellen, was für einen seltsamen, farblosen Genuß diese geistigen Wünsche schaffen."

Damit ist die Verdunkelung komplett, Moreaus Gedankengang bekommt einen absurden Dreh verpasst, an dem nun wirklich nicht Wells schuld ist - und alles wegen eines banalen Übersehens. Man könnte mehr an der Übersetzung kritisieren, so die wahrhaft schwachen "geistigen Wünsche", die aus Wells' "intellektuellen Begierden" werden, den ebenfalls arg gemütlichen "Genuss", der aus dem "delight" wird (hier könnte sogar "Ekstase" gerechtfertigt sein, aber wenigstens "Entzücken", "Begeisterung", meinetwegen auch "Lust", all das wäre noch vertretbar). Der Ton ist ziemlich verfehlt, wirkt nun fast pedantisch statt mitreißend und getrieben.