Benutzer:Mautpreller/Nr 8
Das Militärregierungsgesetz Nr. 8 weitete die Entnazifizierung in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands auf das Gebiet der Wirtschaft aus. Es verbot die Beschäftigung von NSDAP-Mitgliedern in leitenden oder beaufsichtigenden Stellungen von Unternehmen aller Art; sie durften nur als „gewöhnliche Arbeiter“ beschäftigt werden. Das Gesetz wurde von der amerikanischen Militärregierung beschlossen und trat am 26. September 1945 in Kraft. Eine Ausführungsverordnung zu diesem Gesetz sah ein Einspruchsverfahren („Vorstellungsverfahren“) vor, in dem Betroffene geltend machen konnten, dass sie sich nicht aktiv für die Ziele der NSDAP eingesetzt hatten. Dieses Verfahren bezog erstmals deutsche Prüfungsausschüsse ein, die von den Oberbürgermeistern oder Landräten zu berufen waren. Die letzte Entscheidung über den Einspruch behielt sich die Militärregierung vor.
Vorgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bereits die Direktive JCS 1067 vom April 1945 hatte in § 6c die Entfernung aller nicht nur nominellen NSDAP-Mitglieder nicht nur aus allen öffentlichen Ämtern, sondern auch aus allen Stellungen von Bedeutung in quasi-öffentlichen und privaten Unternehmen ("positions of importance in quasi-public and private enterprises") verlangt. Dazu zählten unter anderem Industrie, Handel, Landwirtschaft und Banken (Ziffer 3). Am 7. Juli 1945 erließ das Hauptquartier der amerikanischen Truppen in Europa (U.S. Forces, European Theater, USFET) eine Direktive, der zufolge alle NSDAP-Mitglieder, die vor dem 1. Mai 1937 beigetreten waren, aus öffentlichen Ämtern zu entlassen waren, zudem auch alle Spitzenbeamten des nationalsozialistischen Staates unabhängig von der Parteimitgliedschaft. Zugleich wurde ein Fragebogenverfahren geschaffen: Alle Betroffenen mussten 131 Fragen eines Formulars beantworten.
Die Entnazifizierung in Bezug auf private Unternehmen warf jedoch Fragen auf. In einer Direktive vom 29. Juni 1945 beschränkte ETOUSA (USFET?) zunächst die Entfernung von Nazis aus Leitungsstellungen auf Unternehmen mit mehr als einer Million Reichsmark Kapital oder mehr als 250 Beschäftigten. Eine weitere Direktive vom 15. August 1945 weitete die Vorgabe auf alle Positionen und Berufe unabhängig von der Unternehmensgröße aus und sah als Bedingung für eine Entlassung, ähnlich wie JCS 1067, eine prominente oder einflussreiche Stellung der zu entfernenden Personen vor („whose standing in the community is one of prominence or influence“, https://history.army.mil/books/wwii/occ-gy/ch21.htm).
Das Gesetz Nr. 8 ließ beide Einschränkungen fallen und radikalisierte damit alle früheren, kaum begonnenen Versuche einer Entnazifizierung der Wirtschaft. Es wird in der Literatur als Schnellschuss angesehen, der innerhalb kürzester Zeit ohne Absprachen erstellt und sofort verkündigt wurde. Offenbar handelte es sich teilweise um eine Reaktion auf die Patton-Affäre.
Regelungsinhalt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Gesetz Nr. 8 wurde formell als deutsches Gesetz verkündet. Es verlangte die sofortige Entlassung aller Parteimitglieder, die nicht nur „gewöhnliche Arbeit“ („ordinary labor“) verrichteten, und dies mit Strafcharakter. In der ersten Oktoberwoche folgte die zugehörige Ausführungsverordnung, die für die Behandlung von Einsprüchen erstmals deutsche Ausschüsse vorsah. Diese sollten Empfehlungen aussprechen, die letzte Entscheidung sollte aber nach wie vor bei der Militärregierung liegen.
Besondere Bedeutung hatte das Zusammenwirken von Gesetz Nr. 8 mit dem Militärregierungsgesetz Nr. 52.
§ 1 bestimmte, dass die Beschäftigung eines NSDAP-Mitglieds oder eines Mitglieds der ihr angeschlossenen Organisationen in jeglicher anderen Stellung als der eines „gewöhnlichen Arbeiters“ in allen Unternehmen gesetzwidrig sei. Gemäß § 2 hatte die Leitung jedes Unternehmens, das seine Tätigkeit neu aufnehmen wollte, zu versichern, dass keine Personen entgegen § 1 dort beschäftigt würden. Die bereits tätigen Unternehmen hatten nach § 3 alle Personen, die entgegen § 1 dort beschäftigt waren, sofort zu entlassen; anderenfalls werde das Unternehmen sofort von der Militärregierung geschlossen. Nach § 4 machten sich alle Unternehmensleitungen, die dennoch weiterhin Personen entgegen § 1 beschäftigten, strafbar und sollten vor Gericht gestellt und bestraft werden. § 5 enthielt eine Einspruchsregelung: Entlassene konnten bei der örtlichen Militärregierung „Vorstellung erheben“, indem sie anführten, dass sie „sich nicht für irgendeine Tätigkeit der NSDAP oder einer der ihr angeschlossenen Organisationen aktiv eingesetzt“ hätten.
Große Bedeutung hatte die in der ersten Oktoberwoche erlassene "Erste Ausführungsverordnung" zu Gesetz Nr. 8. Sie legte zunächst fest, dass nach dem Gesetz sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sich strafbar machten, wenn die Beschäftigung eines NSDAP-Mitglieds fortgesetzt oder neu aufgenommen wurde, ebenso "jede andere Person, die dem Gesetz zuwiderhandelt". Die Arbeitgeber wurden zudem verpflichtet, die Richtigkeit der Angaben zu prüfen. Falschangaben und Verschweigen relevanter Angaben sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers seien ebenfalls strafbar. In § 2 folgten Begriffsbestimmungen für die „angeschlossenen Organisationen“, die „gewöhnliche Arbeit“ und die „geschäftlichen Unternehmen“ (ausgenommen wurden hier landwirtschaftliche Betriebe). Gemäß § 3 hatten alle Betriebe jeweils zum 10. des Monats dem lokalen Arbeitsamt Listen aller Personen vorzulegen, die bei ihnen nicht nur in "gewöhnlicher Arbeit" beschäftigt waren, nebst ggf. Angaben zur NSDAP-Mitgliedschaft. Die Arbeitsämter wurden aufgefordert, diese Listen „durch öffentlich anerkannte Arbeitnehmerorganisationen“ prüfen und ergänzen zu lassen. § 4 regelte das Einspruchverfahren.
Durchführung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bewertungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nachwirkung und Aufhebung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bestimmungen des Militärregierungsgesetzes Nr. 8 wurden in den §§ 58 und 59 des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 wieder aufgegriffen,[1] jedoch auch entschärft.
Das Gesetz wurde mit Wirkung vom 10. Mai 1948 durch Gesetz Nr. 11 der Militärregierung aufgehoben.[2]
Gesetzestext
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Military Government Gazette, Germany, United States Zone/Amtsblatt der Militärregierung, Deutschland, Amerikanische Zone, Issue A, Juni 1946, S. 20–23 (portal.dnb.de), in deutscher und englischer Sprache
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Paul Hoser: Entnazifizierung. In: Historisches Lexikon Bayerns (historisches-lexikon-bayerns.de, Aktualisierung vom 10. Juli 2023, abgerufen am 12. August 2024), darin der Abschnitt Die Ausweitung der Entlassungen
- Lutz Niethammer: Patton-Affäre und Gesetz Nr. 8. In: ders.: Die Mitläuferfabrik. Dietz, Berlin und Bonn 1982, 2. Auflage (1. Auflage unter dem Titel: Entnazifizierung in Bayern), S. 229–247
- Michael R. Hayes: Denazification and its effects, 1945–1955. In: ders.: Recasting West German Elites, Berghahn, New York 2003, S. 141–208
- Ralf Ahrens: Von der „Säuberung“ zum Generalpardon: Die Entnazifizierung der westdeutschen Wirtschaft. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte / Economic History Yearbook, Band 51, Heft 2, 2010, S. 25–46 (DeGruyter).
- Earl F. Ziemke: The U.S. Army in the Occupation of Germany, 1944–1946. Center of Military History, U.S. Army, Washington 1975 (history.army.mil), darin Kapitel XXI: Reckonings with the Past (history.army.mil)
- Armin Schuster: Die Entnazifizierung in Hessen 1945–1954.
Lokale Studien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Markus Bernhardt: Die Entnazifizierung in Gießen am Beispiel der Stadtverwaltung und der Universität (1945–1946). In: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, Jg. 75 (1990), S. 95–130 (jlupub.ub.uni-giessen.de)
Weiteres
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Lia Härtel (Bearb.): Der Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes. Hrsg. im Auftrag der Ministerpräsidenten von Bayern, Hessen, Württemberg-Baden und des Präsidenten des Senats der Freien Hansestadt Bremen vom Direktorium des Länderrates, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart und Köln 1951, S. 101 (Schwierigkeiten bei der Durchführung)
- Justus Fürstenau: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik (Politica. Abhandlungen und Texte zur politischen Wissenschaft 40), Berlin/Neuwied 1969.
- Elmer Plischke: Denazification Law and Procedure. In: American Journal of International Law, vol. 41, 1947, pp. 807-827
https://history.army.mil/books/wwii/occ-gy/ch21.htm
- ↑ Siehe etwa Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Band 1, S. 428, Fußnote 26.
- ↑ https://starweb.hessen.de/cache/ANL/1948/00006.pdf