Benutzer:Pacogo7/doxa episteme
Ich zitiere Norbert Bolz aus einem Spiegelinterview:
- "Bolz: [...] Von wenig Relevanz kann jedenfalls keine Rede sein, wenn Sie neue Gemeinschaften wie die der Online-Enzyklopädie Wikipedia betrachten. Da entsteht ein weltweites Laienwissen, das in Konkurrenz zum Expertenwissen tritt. Für mich ist das Stichwort deshalb nicht Demokratisierung, sondern Doxa. [...] Die Griechen haben in der Antike die Weichen gestellt. Sie haben gesagt, bisher gab es doxa – also reines Meinungswissen. Ab jetzt bringen wir nur noch echtes, wissenschaftlich fundiertes Wissen, die sogenannte episteme. Jetzt, 2500 Jahre später, kommt plötzlich die Doxa wieder zurück, im Internet, als Meinungswissen aller möglichen Leute, die überhaupt keine Experten sind. Aber in ihrer Massierung fördern sie offenbar interessantere Ergebnisse zutage als hochspezialisierte Wissenschaftler. Das ist das Faszinierende an Wikipedia. Es ist der erste systematische Versuch, dieses diffuse, weltweit verstreute Meinungswissen in Prozessen der Selbstorganisation zu einer der akademischen Arbeit mindestens ebenbürtigen Alternative zu machen. SPIEGEL: Ist die Weisheit der Massen dem Expertenwissen überlegen? Bolz: Ja, und zwar in sehr vielen Dimensionen: in der Aktualität, der Anwendungsbreite, der Eindringungstiefe und dem Verweisungsreichtum. Dagegen kriegen Sie natürlich niemals so wunderbar hoch abstrahierte Beiträge wie etwa im Historischen Wörterbuch der Philosophie."
( Hervorhebungen und Verlinkungen von mir zitiert aus: DER SPIEGEL (2006): "Exhibitionismus - leichtgemacht". Der Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz über die alltägliche Selbstentblößung im Internet, wegfallende Schamgrenzen und das Ende der Expertokratie. Interview. Ausgabe 29/2006 vom 17.07.2006, S. 68. Hamburg.)
Ich sehe (ganz anders als Bolz) dagegen umgedreht eine Parallele zwischen NPOV und doxa, Meinung und episteme und ordne deshalb den Ausdruck Meinungswissen anders zu. Ich komme dadurch trotzdem zu denselben Ergebnissen wie Bolz,
NPOV ist hier zur Zeit unsere große Mode. Dabei ist NPOV nur eine (effektive) Technik um miteinander klar zu kommen, mehr nicht. Weil wir uns bei WP irgendwie einigen müssen, wenn Konflikte nicht lösbar sind, haben wir uns diese NPOV-Regel gegeben. Das ist aber gerade kein Meinungswissen, sondern herkömmliches, kaum hinterfragtes, nur zitierbares Wissen. Und genau das ist der alte Sinn von doxa.
POV-Wissen dagegen kann zunächst nur aus Meinungswissen bestehen. Wenn dieses vernünftig (Transsubjektivität sagt die Erlanger Schule Friedrich Kambartel, Paul Lorenzen dazu) wird, so wird sie zur episteme. Das wäre bei WP auch sinnvoll, möglich und anzustreben, wenn wir nicht die vielen Streithammel einerseits und die dazu komplementäre oft stur angewendete NPOV-Mode andererseits hätten.
Erstaunlich, dass man auf anderem Wege zu dem selben Ergebnis kommt wie Bolz. - Dabei sind sich alle einig: episteme ist Profiwissen, doxa ist Stümperkram.
Trotzdem sind wir sehr erfolgreich, weil wir durch Schwarmintelligenz und Vernetzung in Masse mehr erreichen als die gerade abdankende Universität, die nur noch Ausbildung propagiert und schwer von Begriff zu werden gedenkt.
--PaCo 15:10, 23. Sep 2006 (CEST)