Benutzer:Remo Althaus/Entwurf
Remo Althaus
Während des Zweiten Weltkrieg gab es verschiedene Schweizerischen Ärztemissionen die in verschiedene vom Krieg direktbetroffene Länder reisten. Die bekanntesten und umstrittensten waren vier Ärztemissionen, die an die deutsch-sowjetische Ostfront reisten. Getarnt als neutrale und humanitäre Missionen unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuz (SRK), waren es tatsächlich Ärztemissionen auf deutscher Seite.
Idee für die Ärztemissionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Idee, eine Schweizer Ärztemission an die Ostfront zu schicken, entstand bei Hans Frölicher und Eugen Bircher. Hans Frölicher war von 1938 bis 1945 der Schweizer Gesandter in Berlin und unterhielt aus der Botschaft heraus enge Kontakte mit diversen Nazigrössen. Eugen Bircher war zu dieser Zeit eine sehr einflussreiche Persönlichkeit in der Schweiz: Er war Chirurg und Direktor des Kantonspital Aarau, Offizier in der Schweizer Armee und ab 1942 auch Mitglied des Nationalrats. Obwohl beide keine Nationalsozialisten oder Frontisten waren, bewunderten sie den deutschen Militarismus und waren klar antikommunistisch eingestellt. Als es am 22. Juni 1941 zur direkten Konfrontation zwischen Deutschland und der Sowjetunion kam, war für beide klar, dass die neutrale Schweiz im Rahmen ihrer Möglichkeiten Deutschland zur Seite stehen muss.
Planung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Für die Unterstützung der Ärztemission wandten sie sich an Ferdinand Sauerbruch. Der deutsche Starchirurg hatte von 1910 bis 1918 an der Universität Zürich gelehrt und war eng mit Bircher befreundet. Doch der Direktor der Berliner Charité-Klinik riet von dem Vorhaben ab: Die Schweiz gewinne mit dieser Mission nichts. Eine unmittelbare militärische Bedrohung hatte sie nicht zu fürchten, sie bleibt aber auch so bei den Parteigenossen aus weltanschaulichen Gründen sehr unbeliebt, hält Sauerbruch fest. Trotzdem wollte er die Mission unterstützen, so gut er könne.[1]
So half Sauerbruch den Kontakt zu den deutschen Stellen herzustellen und unterstütze Frölicher bei der Sondierung bei Ernst von Weizsäcker im April 1941.[2]
Komitee für Hilfsaktionen unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuzes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am 27. August 1941 trafen sich Eugen Bircher, Ernst Ruppanner und Peter Vieli mit Johannes von Muralt, Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes, in Zürich. Dort beschlossen sie die Gründung eines Komitees des Roten Kreuzes, welches die Leitung der Ärztemissionen übernehmen soll. Eugen Bircher wurde formell nicht als Mitglied aufgenommen, er wurde vom Komitee als Leiter der ersten Ärztemission vorgesehen und war deshalb bei den Sitzungen als Berater anwesend. Auch Hans Frölicher wurde nicht in das Komitee aufgenommen, da es für ihn unvorteilhaft sein konnte als Vertreter der Schweizer Politik in Deutschland einem Gremium anzuhören, welches eine private Mission unter dem Schutz des SRK plant.[2]
Bundesrat Karl Kobelt und General Henri Guisan hatten aber erhebliche Bedenken an einer Teilnahme Birchers an einer solchen Mission. Als aktiv im Dienst stehender Divisionskommandant, könne er unmöglich in ein Kriegsgebiet reisen. In einem Brief schrieb der Kobelt an Guisan, dass der Bundesrat der Auffassung sei, dass eine Ärztemission auf freiwilliger Basis stattfinden könne. Nachdem eine solche Mission 1940 nach Finnland gebildet wurde, könne man nicht eine private Mission von einer privaten Organisation ablehnen. Zudem merkte Kobelt an, dass sich vielleicht durch die Ärztemission das Verhältnis zu Deutschland verbessert.
Schlussendlich einigten sich Guisan und Kobelt auf einen Kompromiss: Bircher werden drei Wochen Urlaub gewährt für die «im Landesinteresse liegende Mission». So kann er bei der Anreise dabei sein und die Teilnehmer über ihre Aufgaben instruieren.[3]
Finanzierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Finanziert werden soll die «rein private Aktion» hauptsächlich durch Spenden von grossen Schweizer Industriefirmen. Zur Hälfte aus freiwilligen Spenden von Schweizer Firmen die Handel nach Deutschland betrieben, so zum Bespiel von Lonza (20'000 CHF), F. Hoffmann-La Roche AG (20'000 CHF) und vom Schweizerischen Bankverein SBV (10'000 CHF). Später trug auch der Bund mit 600'000 CHF zu den Missionen bei.[4]
Reglement
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Für die Teilnehmer gab es strenge und für eine neutrale Mission fragwürdige Regeln:
"Reglement vom 13. Oktober 1941, Bern[5]
1. Die Mission wird eingeführt und den massgebenden Stellen übergeben durch Oberstdivisionär Eugen Bircher. Sie steht unter der organisatorischen Leitung von Oberstleutnant von Wyttenbach. Ihm ist als fachtechnischer Berater beigegeben Dr. E.Ruppaner, Chefarzt, Kreisspital Samaden.
2. Sämtliche Teilnehmer verpflichten sich zur absoluten strikten Befolgung der von der organisatorischen Leitung beschlossenen Anordnungen.
3. Über alle Beobachtungen und Feststellungen medizinischer Natur gilt das ärztliche Berufsgeheimnis, ebenso ist über alle übrigen Beobachtungen strengstes Stillschweigen befohlen, im Interesse der Aufgabe der Mission.
4. Jegliche Kritik oder Diskussion politischer Natur ist strikte verboten. Taktvolles benehmen gegenüber den deutschen vorgesetzten Stellen und der Bevölkerung ist Ehrensache.
5. Jegliches Photographieren ist verboten.
6. Vorträge oder Publikationen dürfen nur mit Einwilligungen des Komitees stattfinden.
7. Jede Widerhandlung gegen die Vorschriften bedingt sofortige Entlassung und Rücksendung durch den verantwortlichen Leiter."
Was in diesem Reglement nicht direkt festgelegt war, dass die medizinische Hilfe nur bei deutschen Soldaten erlaubt und jeglicher Kontakt mit den gefangenen russischen Soldaten und der Zivilbevölkerung verboten war.
Erste Ärztemission
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vom 15. Oktober 1941 bis 19. Januar 1942 in Smolensk.
Teilnehmer:
- 22 Ärzte
- 30 Krankenschwestern
- 4 Sekretäre
Zweite Ärztemission
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vom 8. Januar 1942 bis 14. April 1942 in Warschau.
Teilnehmer:
- 28 Ärzte
- 26 Krankenschwestern
- 4 Krankenwärter
- 3 Sekretäre
Dritte Ärztemission
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vom 18. Juni 1942 bis 29. September 1942 in Riga, Dünaburg und Pleskau.
Teilnehmer:
- 29 Ärzte
- 30 Krankenschwestern
- 5 Krankenwärter
- 6 Sekretäre
Vierte Ärztemission
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vom 24. November 1942 bis 9. März 1943 in Stalino, Rostow und Charkow.
Teilnehmer:
- 18 Ärzte
- 22 Krankenschwestern
- 6 Krankenwärter
- 5 Sekretäre
Nach den Ärztemissionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die geheime Vereinbarung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Was nicht im Reglement stand und die Missionsteilnehmer nicht wussten: In einem von General Friedrich Olbricht und von SRK-Präsident Johannes von Muralt unterzeichneten Geheimdokument wurde festgehalten, dass die Schweizer Freiwilligen dem deutschen Militärstrafgesetz und dem deutschen Kriegsstrafverfahrensordnung unterstehen. Dieses verlangte bei Vergehen gegen das «Dritte Reich», auch für die in deutschen Diensten stehenden Ausländer, die Todesstrafe. Die Vereinbarung wurde strengstens geheim gehalten. Kenntnis von diesem Dokument hatten:
- Alle Komiteemitglieder sowie der Leiter der ersten Ärztemission, Guy von Wyttenbach
- Pierre Bonna, Minister im Politischen Departement sowie ein nicht bekannter Jurist
- Hans Frölicher, der als Gesandter die Vereinbarung den deutschen Stellen vorgelegt hat[2]
Rudolf Bucher schrieb im letzten Kapitel seines Erlebnisberichtes von 1967 über die Vereinbarung und war damit der Erste, der sie öffentlich machte. Bucher selbst erfuhr von der Vereinbarung erst durch Otto Köcher, den deutschen Gesandten in Bern.[5]
Verbot von Vortragstätigkeiten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nachdem die erste Mission in die Schweiz zurückgekehrt war, fingen einige Teilnehmer an, Vorträge über ihre Erlebnisse zu halten. Unter diesen befanden sich auch Rudolf Bucher und sein Laborant während der ersten Mission, Anton Weber, obwohl es ihnen nach dem Reglement vom 13. Oktober 1941 verboten war, über die Mission und ihre Erlebnisse Vorträge zu halten oder Publikationen zu verfassen. So hielt Rudolf Bucher Vorträge im ganzen Kanton Zürich, unter anderem zweimal im Volkshaus Zürich vor je 1200 Personen. Beide wurden von den Behörden wiederholt aufgefordert, ihre Vortragstätigkeiten einzustellen. Dies geschah auch auf Druck des deutschen Militärattachés Iwan von Ilsemann in Bern hin.
Hinzuzufügen ist jedoch, dass im Reglement nicht der eindeutig zeitliche Geltungsbereich des Verbots definiert wurde. Geschrieben wirkt es, als wäre nicht bloss die Dauer des Einsatzes gemeint gewesen. Jedoch stand es so im Wiederspruch mit den anderen Punkten des Reglements, wie beispielsweise das Verbot zu Fotografieren, da dieses nur auf die Zeit während der Mission anwendbar ist. Da im Winter 1941/42 die deutsche Offensive stehenblieb, musste die Dauer der Abmachung neu geregelt werden. Deshalb mussten die Missionsteilnehmer vor dem Übertritt in die Schweiz, bei der Heimreise der Mission, eine schriftliche Erklärung unterzeichnen: Sie verpflichteten sich über alle Beobachtungen militärischer Art bei der Wehrmacht Stillschweigen zu bewahren und Veröffentlichungen wie etwa Erlebnisberichte erst nach dem Einverständnis des Oberkommandos des deutschen Heeres / Heeres-Sanität vorzunehmen.[2]
Eugen Bircher hielt ebenfalls Vorträge, nachzulesen in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung (heute Militärzeitschrift).[6]
Weitere Schweizer Ärztemissionen im Zweiten Weltkrieg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nebst den Ostfrontmissionen, gab es weitere Schweizer Ärztemissionen die in betroffene Länder reisten:[7]
• Ärztemission an der finnisch- russischen Front
• Ärztemission zur jugoslawischen Befreiungsarmee
• Ärztemission zur französischen Armee
• Ärztemission nach Kanada für die Untersuchung von Kriegsgefangenen zur Heimschaffung
• Ärztemission nach Kroatien
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Ärztemissionen des SRK an der Ostfront Webseite zur Geschichte des Schweizerischen Roten Kreuzes
- Amputieren im Akkord Webseite von ETHeritage
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Aschwanden, E. (2020). Ab an die Ostfront: Schweizer Ärzte pflegen Hitlers verwundete Soldaten. Neue Zürcher Zeitung NZZ
- ↑ a b c d Claude Longchamp: Das Umfeld der Schweizerischen Ärztemissionen hinter die Deutsch-Sowjetische Front 1941-1945 (1967/68). Bern 1983.
- ↑ Schweizerisches Bundesarchiv, E27#1000/721#12705*, 1. Ärztemission an die Ostfront, u.a. Angelegenheit Oberstdiv Bircher betr. Leitung der Mission, Akz. 06.C.3.c.6.e, 1940-1941
- ↑ Peter Garoni: Mit der Wehrmacht an die Ostfront. SF 1991
- ↑ a b Rudolf Bucher: Zwischen Verrat und Menschlichkeit: Erlebnisse eines Schweizer Arztes an der deutsch-russischen Front 1941/42. Frauenfeld 1967.
- ↑ [1] Eugen Bircher: Kriegserfahrungen, nach einem im Winter 1942/43 in verschiedenen Offiziersgesellschaften der Schweiz gehaltenen Vortrag.
- ↑ Schweizerisches Bundesarchiv, E27#06.C.3.c.6.e, Ärztemissionen (Serie), 1940 - 1946