Benutzer:Sir Dagonet 03/Neo-Mittelalter
Neo-Mittelalter (oder Neomittelaltertum, Neo-medievalism) ist ein Begriff mit einer langen Geschichte, der in zwei Wissenschaftszweigen eine spezifische technische Bedeutung erhalten hat. In der politischen Theorie der modernen internationalen Beziehungen, wo der Begriff ursprünglich auf Hedley Bull zurückgeht, wird die politische Ordnung der globalisierten Welt als Analogie zum hochmittelalterlichen Europa betrachtet, in dem weder die Staaten noch die Kirche oder andere territoriale Mächte volle Souveränität ausübten, sondern an komplexen, sich überschneidenden und unvollständigen Souveränitäten beteiligt waren. [1]
In der Literaturtheorie wurde der Begriff Neo-Mittelalter durch den italienischen Mediävisten Umberto Eco in seinem 1990 erschienenen Essay „Zehn Arten, vom Mittelalter zu träumen“ populär gemacht.[2]
Mittelalter Studien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine frühe Verwendung des der Idee des Neo-Mittelalters in einem ähnlichen Sinne wie Umberto Eco findet sich in Isaiah Berlins 1953 erschienenem Werk "Der Igel und der Fuchs":
Es besteht keinerlei Verwandschaft zwischen ihm [Joseph de Maistre] und denen, die tatsächlich an die Möglichkeit einer Art Rückkehr glaubten, den Verkündern eines neuen Mittelalters, von Wackenroder, Görres und Cobbett bis zu G.K. Chesterton, den Slavophilen, Distributisten, Prärapheliten und anderen nostalgischen Romantikern, denn ebenso wie Tolstoj was Maistre von dem Gegenteil überzeugt, von der "unerbittlichen" Macht des gegenwärtigen Augenblicks, unserer Unfähigkeit, die Gesamtheit der Bedingungen abzustreifen, die unsere Grundbegriffe kumulativ bestimmen und deren Ordnung wir niemals vollständig beschreiben oder anders als durch eine unmittelbare Erfahrung kennenlernen können.[3]
1983 schreibt dann Eco in seinem Essay, dass das Mittelalter eine Form der Tradierung sei, die in zwei unterschiedlichen Dimensionen zu begreifen ist. Für Eco ist: "der Traum vom Mittelalter [...] dabei, die ganze europäische Kultur zu erfassen."[4] Eco macht dies im Besonderen an der Rezeption des Mittelalters fest, er untersucht die Reproduktion des Mittelalters oder mittelalterlicher Topoi in der Pop-Kultur, aber impliziert auch immer die Idee des Weges in ein neues Mittelalter.
Das weit verbreitete Interesse an mittelalterlichen Themen in der populären Kultur, insbesondere in Computerspielen wie MMORPGs, Filmen und Fernsehsendungen, neo-mittelalterlicher Musik und populärer Literatur, wird demnach auch als Neomittelalter bezeichnet.[5] Der Ausdruck wird von verschiedenen Historikern gebraucht, um die Verknüpfung zu schaffen von der populären Fantasy hin zu der mediävistischen Wissenschaft. Kritiker haben darüber diskutiert, warum mittelalterliche Themen das Publikum in einer modernen, stark technisierten Welt weiterhin faszinieren. Eine mögliche Erklärung ist das Bedürfnis nach einer romantisierten historischen Erzählung, um das verwirrende Panorama der aktuellen politischen und kulturellen Ereignisse zu verdeutlichen.[6]
[[Kategorie:Souveränität]]
[[Kategorie:Theorie der Internationalen Beziehungen]]
[[Kategorie:Mittelalterrezeption]]
[[Kategorie:Politische Theorie und Ideengeschichte]]
- ↑ Stephen J. Kobrin: Back to the Future: Neomedievalism and the Postmodern Digital World Economy. In: Journal of International Affairs. Band 51, Nr. 2, 1998, ISSN 0022-197X, S. 361–386 (jstor.org [abgerufen am 20. Oktober 2024]).
- ↑ Umberto Eco: Über Spiegel und andere Phänomene (= dtv. Nr. 12924). 8. Auflage. Dt. Taschenbuch-Verlag, München 2011, ISBN 978-3-423-12924-4, S. 111 - 127.
- ↑ Isaiah Berlin, aus dem Englischen von Harry Maòr: Der Igel und der Fuchs: Essay über Tolstojs Geschichtsverständnis (= Bibliothek Suhrkamp. Nr. 1442). 1. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-518-22442-7, S. 94 - 95.
- ↑ Umberto Eco: Über Spiegel und andere Phänomene (= dtv. Nr. 12924). 8. Auflage. Dt. Taschenbuch-Verl, München 2011, ISBN 978-3-423-12924-4, S. 116.
- ↑ Kim Selling: 'Fantastic Neomedievalism': The Image Of The Middle Ages In Popular Fantasy. In: David Ketterer (Hrsg.): Study of Science Fiction and Fantasy series. Nr. 107. Greenwood/Praeger, Westport 2004, S. 211–218.
- ↑ Eddo Stern. Abgerufen am 23. Oktober 2024.