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BVerwG 8. Senat 10.10.1995 8 C 12/94 Urteil NVwZ 1996, 800-803
- 2. Hindert eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung die Ausschöpfung des für ein Grundstück bebauungsrechtlich zulässigen Maßes der Nutzung, so ist dem nicht nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Rahmen des Merkmals "erschlossen" durch eine Verminderung der Grundstücksfläche, sondern (nur) bei der Anwendung der satzungsmäßigen Verteilungsregelung Rechnung zu tragen, sofern das behinderte Nutzungsmaß eine Komponente des einschlägigen Verteilungsmaßstabs darstellt; dies gilt auch für Grundstücke im unbeplanten Innenbereich (im Anschluß an u.a. Urteil vom 3. Februar 1989 - BVerwG 8 C 66.87 - BVerwGE 81, 251 ff.). -
21| 4. Das Berufungsgericht meint schließlich, entgegen der Ansicht der Klägerin müsse der Umstand, daß durch die wasserrechtlich angeordnete Schutzzone auf ihrem Grundstück eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung bewirkt wird, bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands unberücksichtigt bleiben. Ob das zutrifft, läßt sich auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht hat nämlich die sich in diesem Zusammenhang aus dem materiellen Recht ergebenden Anforderungen an eine hinreichende Sachaufklärung verkannt. Darin liegt eine Verletzung von materiellem Bundesrecht.
22| Richtig ist, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. u.a. Urteil vom 3. Februar 1989 - BVerwG 8 C 66.87 - BVerwGE 81, 251 ff., und zuletzt Beschluß vom 29. November 1994 - BVerwG 8 B 171.94 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 95 S. 33 ff.) öffentlich- rechtliche Baubeschränkungen - seien dies etwa Nutzungsverbote im Interesse des Umweltschutzes, Anbauverbote im Interesse der Belange des Verkehrs, bauplanungsrechtliche Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO, Abstandsgebote aller Art oder Bestimmungen, die die Zerstörung erhaltenswerter Bauten untersagen - grundsätzlich selbst dann keinen Einfluß auf den Umfang der erschlossenen und deshalb bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigenden Grundstücksfläche haben, wenn sie die Ausschöpfung des für ein Grundstück bebauungsrechtlich zulässigen Maßes der baulichen Nutzung verhindern. Das führt indes nach dieser Rechtsprechung nicht dazu, daß derartige Ausnutzungsbehinderungen für die Aufwandsverteilung stets ohne Bedeutung sind. Vielmehr leuchtet - erstens - ohne weiteres ein und ist - zweitens - durch das Differenzierungsgebot des § 131 Abs. 3 BauGB gefordert, daß bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands nicht das nur auf dem "(Bebauungsplan-)Papier stehende", sondern ausschließlich das im Einzelfall tatsächlich realisierbare Nutzungsmaß zur Grundlage der Ermittlung des auf ein bestimmtes Grundstück entfallenden Beitrags gemacht werden darf. Infolgedessen wirken sich Nutzungsbehinderungen aus, wenn das durch die Baubeschränkung betroffene Nutzungsmaß eine Komponente der satzungsmäßigen Verteilungsregelung ist. Zu fragen ist daher in Fällen der hier in Rede stehenden Art zunächst nach dem Verteilungsmaßstab der jeweiligen Beitragssatzung. Ordnet er - was er unter bestimmten Voraussetzungen darf (vgl. § 131 Abs. 2 und 3 BauGB) - eine Aufwandsverteilung nach den Grundstücksflächen oder den Grundstücksbreiten an der Anlage (Frontmeter) an, ist das Maß der baulichen Nutzung und in der Folge auch eine Behinderung der Ausschöpfung des Nutzungsmaßes ohne Einfluß auf die Aufwandsverteilung. Entsprechendes gilt, wenn die anzuwendende Verteilungsregelung zwar auf ein Nutzungsmaß (z.B. Anzahl der Vollgeschosse) abhebt, nicht jedoch die Ausschöpfung dieses, sondern ausschließlich die eines anderen Nutzungsmaßes (z.B. Größe der bebaubaren Grundfläche) durch eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung behindert wird. Nur wenn eine solche Baubeschränkung das Nutzungsmaß betrifft, auf das es nach der jeweiligen Verteilungsregelung ankommt, muß die Nutzungsbehinderung im Rahmen der Aufwandsverteilung beachtet werden. Dementsprechend ist kraft Bundesrecht die Bestimmung einer satzungsmäßigen Verteilungsregelung, die (außer auf die zu berücksichtigende Grundstücksfläche) auf ein "zulässiges" Nutzungsmaß - sei es die zulässige Geschoßfläche, die zulässige Baumasse oder die zulässige Anzahl der Vollgeschosse - abhebt, in ihrem Merkmal "zulässig" dahin auszulegen, daß als "zulässig" im Einzelfall das Nutzungsmaß zu verstehen ist, das unter Berücksichtigung auch öffentlich-rechtlicher Baubeschränkungen auf dem jeweiligen Grundstück verwirklicht werden darf.
23| Einzuräumen ist dem Berufungsgericht, daß das Bundesverwaltungsgericht die vorbezeichneten Grundsätze für Grundstücke in beplanten Gebieten entwickelt hat und deshalb zu fragen ist, ob sie überdies auf Grundstücke im unbeplanten Innenbereich anzuwenden sind. Diese Frage ist zu bejahen, so daß für die Aufwandsverteilung bei erschlossenen Grundstücken im unbeplanten Innenbereich im Einzelfall nicht auf das nach § 34 BauGB zulässige Maß der Nutzung, sondern auf das unter Berücksichtigung der öffentlich-rechtlichen Baubeschränkung realisierbare Nutzungsmaß abzustellen ist, wenn und soweit dafür nach der einschlägigen Verteilungsregelung Raum ist, d.h. wenn und soweit nicht die einschlägige Satzungsbestimmung eine Maßgeblichkeit des tatsächlich verwirklichten Maßes der Nutzung anordnet. Es ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, der es angezeigt erscheinen lassen könnte, öffentlich-rechtlichen Baubeschränkungen mit Blick auf Grundstücke im unbeplanten Innenbereich - anders als bei Grundstücken in beplanten Gebieten - durch eine Verminderung der erschlossenen Grundstücksfläche Rechnung zu tragen. Andererseits drängt auch bei Grundstücken im unbeplanten Innenbereich das Differenzierungsgebot des § 131 Abs. 3 BauGB die Annahme auf, daß der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands namentlich bei unbebauten Grundstücken im Einzelfall nicht das von der jeweiligen Satzungsbestimmung angeordnete, sondern ausschließlich das unter Berücksichtigung etwaiger öffentlich-rechtlicher Baubeschränkungen tatsächlich realisierbare Nutzungsmaß zugrunde gelegt werden darf, sich Nutzungsbehinderungen also dort (im Ergebnis zugunsten des jeweiligen Beitragspflichtigen) auswirken können, wo das durch die Baubeschränkung betroffene Nutzungsmaß eine Komponente der satzungsmäßigen Verteilungsregelung ist.
24| Angesichts dessen fordert das materielle Bundesrecht für die abschließende Beurteilung des vorliegenden Falles tatsächliche Feststellungen dazu, auf welches Nutzungsmaß - erstens - die Verteilungsregelung der hier einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung abhebt, welches Nutzungsmaß - zweitens - für das Grundstück der Klägerin nach dieser Satzungsbestimmung maßgebend sein soll und ob schließlich - drittens - die Verwirklichung dieses Nutzungsmaßes durch die in Rede stehende öffentliche-rechtliche Baubeschränkung verhindert wird. Derartige Feststellungen hat das Berufungsgericht bisher nicht getroffen. Es wird dies im Rahmen seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben.
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