Benutzerin:Andrea014/Derailment (Wirtschaftspsychologie)
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In der Wirtschafts- und Organisationspsychologie bezeichnet Derailment ein personenbedingtes und erklärungsbedürftiges Scheitern von Führungskräften, das seit Mitte der 1980er Jahre im Bereich der Unternehmensberatung und Führungsforschung untersucht wird. Hier wurde der Begriff von Morgan McCall und Michael Lobardo in Off the Track: Why and How Successful Executives Get Derailed eingeführt.[1]
Rainer Bäcker spricht in Management-Risiken. Überlegungen zum "Derailment" von Führungskräften davon, dass „Führungskräfte mit ihren persönlichen Handlungsweisen in ihrer beruflichen Aufgabe nicht nur kurzfristig scheitern und über keine persönlichen Handlungsstrategien verfügen, mit diesem Zustand adäquat, das heißt lösungsorientiert, umzugehen“.[2] Dem Scheitern gehe meist ein „langjähriger Prozess der beruflichen Überforderung“ voraus.[3]
Personenbezogene Faktoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 2014 brachte die Zeitschrift Wirtschaftspsychologie ein gesondertes Themenheft unter dem Titel Managerversagen/Derailment (MvD) heraus. Darin veröffentlichten Rüdiger Hossiep und Olaf Ringelband eine Studie zur Persönlichkeit von Top-Managern.[4] Sie diskutierten mögliche „dispositionelle Derailment-Risiken“ für Managerversagen und brachten die Persönlichkeit von Spitzen-Managern mit verschiedenen Persönlichkeitsstörungen in Verbindung.[5] In einem Interview plädierte Hossiep für die Einführung eines Ethikchecks für Manager.[6] Im selben Themenheft befassten sich Ulrike Starker und Rüdiger von der Weth mit dem Thema Emotion und Derailment und Thomas Giernalczyk u. a. mit Derailment aus psychodynamischer Perspektive.[7]
In ihrer Dissertation ging Rabea Haag insbesondere dem innerseelischen Erleben von Führungskräften während eines Derailment-Geschehens nach und untersuchte dessen Auswirkungen: Richte sich die Reaktion auf das eigene Erleben nach innen, könnten sich Symptome einer Depression oder eines Burn-out entwickeln. Werde das Problem externalisiert, wären „Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber oder [...] Schikane von Mitarbeitern“ mögliche Folgen.[8]
Der Wirtschaftspsychologe Kai Externbrink von der Hochschule für Oekonomie und Management (FOM) untersuchte gemeinsam mit Moritz Keil die sogenannte dunkle Triade von Persönlichkeitsmerkmalen in den Führungsetagen von Organisationen.[9] Sie bestehe aus Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Gegenstand ihrer Untersuchungen sind „produktive und destruktive Facetten“,[10] wobei die Psychopathie im subklinischen Bereich verortet wird.[11] Derailment wird dabei als möglicher Verhaltensbereitschaft ein gesonderter Abschnitt gewidmet. In den drei Dimensionen der „dunklen Triade“ unterscheiden sich laut Externbrink und Keil Frauen und Männer signifikant.[12]
Heidi Möller und Alessa Antonia Müller legten 2017 ihren Beitrag Manager-Derailment in der Zeitschrift Gruppe. Interaktion. Organisation vor. Das Managerversagen sei „lange tabuisiert“ worden, erhalte aber „aktuell immer mehr Aufmerksamkeit sowohl in der Tagespresse als auch im Forschungskontext“. Aus „empirisch belegte[n] Risiko- und Resilienzfaktoren“ leiten sie Empfehlungen „für die Praxis der Personalauswahl und -entwicklung“ ab.[13]
Herbert Csef vom Universitätsklinikum Würzburg widmete sich dem speziellen und in doppelter Hinsicht bedeutsamen Aspekt des Narzissmus als Basis für Derailment von Führungskräften. Einerseits seien narzisstische Persönlichkeiten für die Aufgabe des Managements „besonders prädestiniert“, andererseits könnten sie „durch genau diesen Narzissmus besonders zerstörerisch wirken“.[14]
Folgen für das Unternehmen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Fachzeitschrift Personalführung wurde 2012 der Anteil der Führungskräfte, „die aufgrund ungünstiger Persönlichkeitsfaktoren scheitern“ im angelsächsischen Raum mit 40 Prozent angegeben. Diese Zahl sei jedoch nicht ohne Weiteres übertragbar, weil dort persönliche Defizite nicht in dem Maß tabuisiert würden wie andernorts. Als Folge der „Unberechenbarkeit des Vorgesetzten“ wurde bei den ihnen unterstellten Mitarbeitern Ohnmacht, Rückzug und eine abnehmende Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme beobachtet.[15]
Die Zeitschrift Organisationsberatung, Supervision, Coaching gab im Mai 2016 ein Themenheft über Derailment von Führungskräften heraus. „In den letzten Jahren häufen sich“, so Astrid Schreyögg in ihrem Editorial, Berichte über „Entgleisungen unterschiedlicher Art“, die Führungskräfte in „nicht mehr beherrschbare Zustände von Verwirrtheit“ stürzten. Solche Entgleisungen hätten „verheerende Auswirkungen“ nicht nur für die Führungskräfte und ihre Karriere, sondern auch für die Mitarbeiter und die gesamte Organisation.[14] Rabea Haag und Heidi Möller von der Universität Kassel beschrieben „zwei potenzielle Verlaufsformen“: eine, bei der Führungskräfte gleichsam implodierten und dabei psychisch erkrankten, und eine zweite, bei der sie quasi explodierten und dabei „einen erheblichen Schaden in ihrem Umfeld anrichten“.[14] Die Wirtschaftswissenschaftler Kuhn und Weibler warnen vor den Folgen des Derailments von Führungskräften für die unteren Führungsebenen. Wenn das Topmanagement entgleise, drohe im Rahmen eines kollusionären Zusammenspiels auch das „untere und mittlere Management“ zu entgleisen:
„Eine solche gesellschaftlich unverantwortliche Unternehmensführung korrespondiert (a) mit einem Top-Management, das moralisch entgleist ist (bad management), und stets Gefahr läuft, auch ökonomisch zu entgleisen (mad management), und (b) mit einem mittleren/unteren Management, das infolge andauernden Leistungsdrucks seinerseits zu moralischem Derailment neigt und durch ein individuelles Derailment (sad management) bedroht ist.“
Mit Erscheinungsformen destruktiven Führungsverhaltens überhaupt befassten sich Einarsen u. a. und definierten es als „wiederholtes und systematisches Verhalten eines Managers, welches den legitimen Interessen einer Organisation“ schade.[17] In der zweiten des inzwischen in dritter Auflage von Simone Kauffeld herausgegebenen Lehrbuchs Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor findet sich der Hinweis, destruktives Verhalten werde „in einigen Unternehmen“ trotz negativer Konsequenzen „für die Geführten“ nicht nur „toleriert“ – sofern für die Ziele des Unternehmens „förderlich“ –, sondern sei „sogar explizit gewünscht, wenn sich das Unternehmen in einer Notlage“ befinde.[18]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Rainer Bäcker, Rabea Haag: Derailment. wenn Führungskräfte aus der Spur geraten (= Andreas Gourmelon [Hrsg.]: Personalmanagement im öffentlichen Sektor. Band 11). Rehm, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-8073-0380-2.
- Marisa Adelman Carson, Linda Rhoades Shanock, Eric D. Heggestad, Ashley M. Andrew, S. Douglas Pugh, Matthew Walter: The Relationship Between Dysfunctional Interpersonal Tendencies, Derailment Potential Behavior, and Turnover. In: Journal of business and psychology. Band 27, Nr. 3, 2012, S. 291–304, doi:10.1007/s10869-011-9239-0 (englisch).
- Adrian Furnham: The Elephant In the Boardroom. The Causes of Leadership Derailment. Palgrave Macmillan UK, London 2014, ISBN 978-1-349-31092-0 (englisch).
- Rabea Christiane Haag: Derailment bei Führungskräften (= Forum Beratungswissenschaft. Band 2). Kassel University Press, Kassel 2016, ISBN 978-3-7376-0062-0.
- Thomas Kuhn, Jürgen Weibler: Management-Derailment und System-Derailment. Zum Konnex zweier Probleme. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Band 23, Nr. 2, 2016, S. 133–146, doi:10.1007/s11613-016-0456-2.
- Heidi Möller, Alessa Antonia Müller: Manager-Derailment. In: Gruppe, Interaktion, Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie. Band 48, Nr. 4, 2017, ISSN 2366-6145, S. 351–354 (springer.com [abgerufen am 11. Oktober 2019]).
- Fritz Westermann, G. Birkhan: Managementversagen und Derailment. In: Werner Sarges (Hrsg.): Management-Diagnostik. 4. Auflage. Hogrefe, Göttingen, Bern, Stockholm u. a. 2013, ISBN 978-3-8017-2385-9, S. 969 ff.
- Managerversagen und Derailment. In: Fritz Westermann, Michael Dick (Hrsg.): Wirtschaftspsychologie. Band 16, Nr. 3. Pabst Science Publ., 2014, ISSN 1615-7729.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wiktionary: Entgleisung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Morgan W. McCall, Michael M. Lombardo: Off the Track. Why and How Successful Executives Get Derailed (Technical Report/Center for Creative Leadership, No. 21). Centre for Creative Leadership, USA 1983, ISBN 0-912879-19-X, S. 1–3 (englisch).
- ↑ Rainer Bäcker: Management-Risiken. Überlegungen zum "Derailment" von Führungskräften. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Band 17, Nr. 4, 2010, ISSN 1618-808X, S. 389 (google.de [abgerufen am 1. Dezember 2019] zitiert nach Rabea Christiane Haag: Derailment bei Führungskräften. Kassel 2016, S. 17).
- ↑ Rainer Bäcker: Management-Risiken. Zusammenfassung. doi:10.1007/s11613-010-0208-7.
- ↑ Rüdiger Hossiep, Olaf Ringelband: Psychopathische Persönlichkeitsfacetten im Top-Management. Persönlichkeitseigenschaften und Derailment-Risiken von Top-Managern. In: Wirtschaftspsychologie. Band 16, Nr. 3, 2014, ISSN 1615-7729, S. 21–27 (prof-michael-dick.de [PDF; 3,6 MB; abgerufen am 21. November 2019] Themenheft „Managerversagen/Derailment (MvD)“).
- ↑ Rüdiger Hossiep, Olaf Ringelband: Psychopathische Persönlichkeitsfacetten im Top-Management. Persönlichkeitseigenschaften und Derailment-Risiken von Top-Managern. In: Wirtschaftspsychologie. Band 16, Nr. 3, 2014, ISSN 1615-7729, S. 21 (prof-michael-dick.de [PDF; 3,6 MB; abgerufen am 21. November 2019] Themenheft „Managerversagen/Derailment (MvD)“).
- ↑ Interview Rüdiger Hossiep: Management-Derailment: Brauchen wir einen Ethikcheck für Manager?
- ↑ Wirtschaftspsychologie. Themenheft Managerversagen/Derailment (MvD). Band 16, Nr. 3, 2014, ISSN 1615-7729 ([PDF; 3,6 MB; abgerufen am 21. November 2019] ).
- ↑ Rabea Christiane Haag: Derailment bei Führungskräften (= Forum Beratungswissenschaft. Band 2). Kassel University Press, Kassel 2016, ISBN 978-3-7376-0062-0 (uni-kassel.de [abgerufen am 3. Dezember 2019]).
- ↑ Kai Externbrink, Moritz Keil: Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in Organisationen. Theorien, Methoden und Befunde zur dunklen Triade. Mit einem Vorwort von Hans-Werner Bierhoff. Springer, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-658-17238-1.
- ↑ Kai Externbrink, Moritz Keil: Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in Organisationen: Theorien, Methoden und Befunde zur dunklen Triade. In: Researchgate. 2018, abgerufen am 3. Dezember 2019.
- ↑ Kai Externbrink, Moritz Keil: Die dunkle Triade der Persönlichkeit. In: Researchgate. 2018, abgerufen am 3. Dezember 2019.
- ↑ Kai Externbrink, Moritz Keil: Geschlechterunterschiede. In: Researchgate. 2018, abgerufen am 3. Dezember 2019.
- ↑ Heidi Möller, Alessa Antonia Müller: Manager-Derailment. In: Gruppe, Interaktion, Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie. Band 48, Nr. 4, 2017, ISSN 2366-6145, S. 351–354 (springer.com [abgerufen am 11. Oktober 2019]).
- ↑ a b c Astrid Schreyögg: Derailment von Führungskräften. Editorial. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Band 23, Nr. 2, 2016, S. 115–117 (springer.com [abgerufen am 2. Dezember 2019]).
- ↑ Christina Sobek: Endstation für die Karriere. Das Derailment-Phänomen. Interview mit Damaris Sander und Burkhard Birkner. In: Personalführung. Nr. 9, 2012, ISSN 0723-3868, S. 70–72 (dgfp.de [PDF; 111 kB; abgerufen am 3. Dezember 2019]).
- ↑ Thomas Kuhn, Jürgen Weibler: Management-Derailment und System-Derailment. Zum Konnex zweier Probleme. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Band 23, Nr. 2, 2016, S. 133–146, doi:10.1007/s11613-016-0456-2 (Zitat aus der Zusammenfassung).
- ↑ S. Einarsen, M. S. Aasland, A. Skogstad: Destructive leadership behaviour. A definition and conceptual model. In: The Leadership Quarterly. Band 18, 2007, S. 207–216 (englisch, google.de [abgerufen am 2. Dezember 2019] zitiert nach Rabea Christiane Haag: Derailment bei Führungskräften. Kassel 2016, S. 17).
- ↑ Simone Kauffeld (Hrsg.): Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor. 2. Auflage. Springer, Berlin, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-42064-1 (springer.com [PDF; 291 kB; abgerufen am 2. Dezember 2019] Zitat).
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