Bergarbeiterstreik von 1889
Der Bergarbeiterstreik von 1889 war der bis dahin größte organisierte Massenstreik im Ruhrbergbau. Er führte zur Etablierung der ersten Gewerkschaft der Ruhrbergarbeiter, dem Verband zur Förderung und Wahrung bergmännischer Interessen in Rheinland und Westfalen (später Verband der Bergbauindustriearbeiter, heute Teil der IG Bergbau, Chemie, Energie).
Hintergrund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Arbeiter im Ruhrbergbau hatten bereits 1872 einen Streik von etwa 21.000 Bergleuten organisiert. Dieser war weitgehend unerfolgreich; jedoch hatten sich die Arbeiter danach, wenn auch ohne offizielle Gewerkschaft, besser organisiert.
Die Arbeiter wollten an den Gewinnsteigerungen der Unternehmer teilhaben. Es ging um eine Lohnerhöhung von 15 %, gegen Überschichten, für achtstündige Arbeitszeit einschließlich der Ein- und Ausfahrten, bessere Wetterführung, einen gedeckten (überdachten) Gang von der Waschkaue zum Schacht und Lieferung des Holzes in die Grube.
Verlauf
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Ausstand begann in Bochum (24. April, Zeche Präsident) und Essen (1. Mai). Dem schlossen sich zahlreiche weitere Belegschaften spontan an. Zeitweise beteiligten sich im Revier etwa 90 % der damals 104.000 Bergarbeiter. Es war bis dahin der größte Arbeiterstreik in Deutschland.[1] Ein zentrales Streikkomitee wurde gebildet.
Mit fortdauerndem Ausstand verhärteten sich die Fronten; zum „Schutz“ ihrer Anlagen und arbeitswilliger Bergleute („Streikbrecher“) forderten viele Gruben Polizei- oder gar Militärschutz an, die gespannte Atmosphäre entlud sich mancherorts in Gewalt und Waffengebrauch (etwa auf der Zeche Schleswig in Dortmund-Neuasseln).
Dass die alte obrigkeitliche Tradition im Bergbau nicht vergessen war, zeigt die Tatsache, dass das Streikkomitee eine Deputation an Wilhelm II. entsandte. Am 14. Mai 1889 wurden die „Kaiserdelegierten“ Friedrich Bunte, Ludwig Schröder, und August Siegel in Berlin vom Kaiser empfangen, den sie als obersten Bergherren anrufen wollten. Wenngleich dieser den Streik kritisierte, so räumte er doch ein, die Beschwerden amtlich prüfen zu lassen. Die Audienz beim Kaiser brachte den Streikenden hohe Aufmerksamkeit ein, auch und insbesondere in den bürgerlichen Schichten des Reiches.
Unter Vermittlung Friedrich Hammachers, Reichstagsabgeordneter und Ehrenmitglied des Bergbau-Vereins, kam am Folgetag das Berliner Protokoll zustande, in dem für die Bergleute eine Arbeitszeit von acht Stunden inklusive jeweils einer halben Stunde Ein- und Ausfahrzeit festgelegt wurde. Außerdem sollten Überschichten nur nach vorheriger Vereinbarung zwischen Grubenverwaltung und Arbeiterausschüssen gefahren werden. Am 16. Mai äußerte Kaiser Wilhelm sich gegenüber einer Delegation des Bergbau-Vereins zufrieden über den Ausgang der Verhandlungen.
Damit der Verein für die bergbaulichen Interessen Entgegenkommen signalisierte, flaute der Streik zunächst ab. Er wurde jedoch bereits am 21. Mai wiederaufgenommen, da die Bergbauunternehmer die Vereinbarung von Berlin ignorierten und sogar schwarze Listen mit den Namen streikender Bergleute einführten, um diesen eine Anstellung im Bergbau zu verwehren. Anfang Juni 1889 kam es schließlich zum Abbruch des Streiks, ohne dass unmittelbar ein anhaltendes Ergebnis für die Bergleute erzielt werden konnte.[2]
Ergebnisse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Streik wurde zum Auslöser für die Gründung des Verbandes zur Förderung und Wahrung bergmännischer Interessen in Rheinland und Westfalen („Alter Verband“), dem Ausgangspunkt für den Durchbruch der Gewerkschaftsbewegung im Ruhrbergbau. Die Erinnerung an den Streik und die Kraft des Zusammenstehens wurde im Ruhrgebiet durch Ansprachen am 1. Mai und in Liedern wachgehalten.[3]
Mittelbar kann der Arbeitskampf auch als eine Ursache für den Erlass des Arbeiterschutzgesetzes vom 1. Juni 1891 (23. Novelle zur Reichsgewerbeordnung) gesehen werden. Es enthielt neben Regelungen zum Frauenschutz, eingeschränkter Nachtarbeit und Kinderschutz auch Bestimmungen für eine 24-stündige Sonntagsruhe für alle Arbeiter in Fabriken, Werkstätten, Bergwerken, auf Baustellen und Werften.
Filmische Darstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der ersten Staffel der Fernsehserie Rote Erde von 1983, welche die Geschichte des Ruhrbergbaus erzählt, spielen zwei Episoden während des Streiks. Die Umstände davor und währenddessen werden hier ausführlich dargestellt. Einer der Protagonisten (gespielt von Dominic Raacke) gehört zu der Delegation, welche in Berlin von Wilhelm II. empfangen wird. Während sich die gezeigten Begebenheiten tatsächlich so oder ähnlich abgespielt haben, sind die handelnden Charaktere in der Serie fiktiv.
Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Friedrich Engels: Der Bergarbeiterstreik an der Ruhr 1889. In: Marx-Engels-Werke. Band 21, S. 376–378 (mlwerke.de [abgerufen am 17. Januar 2013] Originaltitel: The Ruhr Miners’ Strike of 1889 in: The Labour Leader, Vol. I, Nr. 5.).
- Wolfgang Köllmann (Hrsg.): Der Bergarbeiterstreik von 1889 und die Gründung des „Alten Verbandes“ in ausgewählten Dokumenten der Zeit. Berg, Bochum 1969 (unter Mitarbeit von Albin Gladen; Herausgegeben im Auftrag der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie).
- Bis vor die Stufen des Throns. Bittschriften und Beschwerden von Bergarbeitern. In: Klaus Tenfelde, Helmuth Trischler (Hrsg.): Bergbau und Bergarbeit. C.H.Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1986, S. 275–280, 371–376.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Albin Gladen: Die Streiks der Bergarbeiter im Ruhrgebiet in den Jahren 1889, 1905 und 1912. In: Jürgen Reulecke (Hrsg.): Arbeiterbewegung an Rhein und Ruhr. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Rheinland-Westfalen. Hammer, Wuppertal 1974, ISBN 3-87294-054-6, S. 111–148.
- Josef Büscher: Sie erkannten ihre Macht. Ein Stück vom Bergarbeiterstreik 1889. Hrsg.: Arbeitskreis Progressive Kunst Oberhausen. Asso, Oberhausen 1976, ISBN 3-921541-12-3 (Textbuch, mit Liedertexten von Heinrich Kämpchen).
- H. Peter Rose: Gemeinsame Interessen und solidarisches Handeln. Gelsenkirchener Sozialdemokraten und der Bergarbeiterstreik von 1889. In: Heinz-Jürgen Priamus, Stefan Goch (Hrsg.): Sozial und demokratisch. ein Lesebuch zur Geschichte der sozialdemokratischen Bewegung in Gelsenkirchen. Band 1. v.d. Linnepe, Hagen 1988, ISBN 3-924984-20-4, S. 48–63 (Aufsatzsammlung, hrsg. vom Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung in Gelsenkirchen).
- Karl Ditt, Dagmar Kift (Hrsg.): 1889 – Bergarbeiterstreik und Wilhelminische Gesellschaft. v.d. Linnepe, Hagen 1989, ISBN 3-921297-95-8 (Arbeiterreferat, hrsg. im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Westfälisches Industriemuseum).
- Stefan Goch (Bearb.): Der große Bergarbeiterstreik von 1889. Analysen und Dokumente zu den Ereignissen in Gelsenkirchen. In: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung in Gelsenkirchen e. V. (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Gelsenkirchener Arbeiterbewegung. Band 3. Gelsenkirchen 1989.
- Ralph Eberhard Brachthäuser: Eine Tragödie in Gladbeck: Tödliche Schüsse beim Bergarbeiterstreik von 1889. In: Vestischer Kalender 2024. 95. Jahrgang, 2023, ISSN 0938-8745, S. 247–251.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Dieter Schuster: Verlauf des Streiks 1889. In: Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von 1794 bis 1918. Friedrich-Ebert-Stiftung, abgerufen am 17. Januar 2013.
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Dietmar Bleidick: Bergbau - Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten. Klartext, Essen 2021, ISBN 978-3-8375-2313-3.
- ↑ Zur regierungsseitigen Aufarbeitung des Streiks vgl. Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914. II. Abteilung: Von der Kaiserlichen Sozialbotschaft bis zu den Februarerlassen Wilhelms II. (1881–1890), 1. Band, Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayaß, Florian Tennstedt und Heidi Winter, Darmstadt 2003, Nr. 92.
- ↑ Z. B.: Ein Lied zum Bergarbeiter-Streik 1889. In: Martin Geck, Antoinette Hellkuhl: Bergmannslieder (= Musik im Ruhrgebiet, Bd. 3). Klett, Stuttgart 1984, ISBN 3-12-177520-0, S. 20–21.