Bernhard Dernburg
Bernhard Dernburg (* 17. Juli 1865 in Darmstadt; † 14. Oktober 1937 in Berlin) war ein deutscher Bankier und Politiker. Er war von 1907 bis 1910 erster Staatssekretär des Reichskolonialamtes. Als Vertreter der liberalen DDP war er 1919/20 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und von 1920 bis 1930 des Reichstages. Von April bis Juni 1919 war Dernburg Reichsfinanzminister und Vizekanzler.
Herkunft und Geschäftskarriere
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Dernburg war ein Sohn des Publizisten und nationalliberalen Politikers Friedrich Dernburg (1833–1911), der aus einer jüdischen Gelehrtenfamilie stammte, als Kind zur evangelisch-lutherischen Konfession konvertiert war und 1864 die Pastorentochter Luise Stahl geheiratet hatte. Der Architekt Hermann Dernburg war sein jüngerer Bruder, der Rechtsprofessor Heinrich Dernburg sein Onkel.
Nach dem Schulbesuch auf einem Berliner Gymnasium ging er bei der Berliner Handelsgesellschaft in die Lehre und arbeitete dann mehrere Jahre in einem New Yorker Bankhaus. Zurück in Deutschland war er Sekretär der Deutschen Bank und ab 1889 Direktor der Deutschen Treuhand-Gesellschaft, einer Vorläuferin der heutigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. 1901 wechselte er ins Direktorium der „Darmstädter“ Bank für Handel und Industrie.
Er erwarb sich früh einen Ruf als Sanierer von in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Unternehmen. Die Berliner Geschäftswelt gab ihm den Beinamen „Sanitätsrat“.[1] So gründete er 1901 zusammen mit Hugo Stinnes aus mehreren unprofitablen Unternehmen die Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-AG (DL), die später zu einem der größten deutschen Montankonzerne wurde. Dernburg hatte zahlreiche Aufsichtsratsmandate in der Schwerindustrie inne, so bei der DL und der Phönix AG für Bergbau und Hüttenbetrieb. Dernburg war 1902 auch federführend an der Umwandlung des Kölner Schokoladenunternehmens Gebr. Stollwerck OHG in eine Familien-Aktiengesellschaft (Gebrüder Stollwerck AG) beteiligt. Aufgrund seiner Erfahrungen, die er in USA mit Vorzugsaktien gesammelt hatte, wurden auch bei Stollwerck diese Aktien eingeführt. Dernburg übernahm mit seiner Darmstädter Bank die Rolle des Konsortialführers bei der Umwandlung und erhielt ein Aufsichtsratmandat bei der Gebr. Stollwerck AG.
Leiter des Reichskolonialamtes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1906 wechselte Dernburg in die Politik, zuerst als preußischer Bevollmächtigter beim Bundesrat (bis 1910). Am 10. September 1906 übernahm er die Leitung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Zugleich wurde er zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Titel „Exzellenz“ ernannt. Die Kolonialabteilung wurde im Mai 1907 zum Reichskolonialamt erhoben und Dernburg zu dessen Staatssekretär ernannt.
Mit Dernburgs Namen ist ein grundlegender Reformkurs in der deutschen Kolonialpolitik verbunden.[2] Nach den Worten Dernburgs sollte nunmehr mit „Erhaltungsmitteln“ anstelle von „Zerstörungsmitteln“ kolonisiert werden. Nicht mehr alkohol- und waffenhandelnde Kompanien sollten die Kolonialwirtschaft prägen, sondern der Missionar, der Arzt, die Eisenbahn und die Wissenschaft. Der „Eingeborene“ sei der wichtigste „Gegenstand“ der Kolonisation und die manuelle Leistung des „Eingeborenen“ das wichtigste Aktivum.[3] Das Ziel dieser überseeischen Wirtschaftsförderung blieb gleichwohl die größtmögliche Ausschöpfung der dortigen Arbeitskräfte durch die Kolonialisten.[4]
Dernburg betrieb zahlreiche Disziplinarverfahren, zog mächtige und berüchtigte Kolonialbeamte wie Gouverneur Jesko von Puttkamer zur Rechenschaft und entließ für den Neustart ältere Beamte.[5] Als erster hoher Kolonialbeamter dieses Ranges sah er sich die Probleme in den Kolonien auch „vor Ort“ an. Er war 1907 in Deutsch-Ostafrika und reiste 1908 ins britische Südafrika sowie nach Deutsch-Südwestafrika. Als Reaktion auf Kritik an der Privilegierung großer Kapitalgesellschaften trat er 1910 als Staatssekretär zurück.[6][7] 1913 wurde er zum Mitglied des preußischen Herrenhauses ernannt.
Nach Bernhard Dernburg ist der 1907 von Mercedes-Benz für die Verwendung in der Kolonie Südwestafrika entwickelte, allradangetriebene Dernburg-Wagen benannt.
Politik nach 1918
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach dem Ersten Weltkrieg beteiligte sich Dernburg an der Gründung der DDP und wurde Mitglied des Reichsvorstandes. Er war 1919/20 Abgeordneter in der Weimarer Nationalversammlung. Vom 17. April bis 20. Juni 1919 war Dernburg im Kabinett Scheidemann Finanzminister und Vizekanzler des Deutschen Reiches. 1920 bis 1930 gehörte er dem Reichstag als Abgeordneter des brandenburgischen Wahlkreises Potsdam II an.
Familie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bernhard Dernburg heiratete 1891 Emma Seliger, die Tochter eines pommerschen Gutsverwalters. Das Paar bekam drei Söhne und vier Töchter, von denen eine den Psychologen August Vetter heiratete. Die Fernsehjournalistin Fides Krause-Brewer war eine Enkelin. Dernburg fand seine letzte Ruhe auf dem Friedhof Grunewald (Abt. IV Erb. 17). Die Wandgrabstelle wurde nach einem Entwurf seines Schwagers Max Seliger ausgeführt.
Veröffentlichungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Koloniale Finanzprobleme, 1907.
- Koloniale Lehrjahre, 1907.
- Südwestafrikanische Eindrücke, 1909.
- Industrielle Fortschritte in den Kolonien, 1909.
- Der Reichstag und die Kolonien. Reichstagsrede, Berlin, 29. November (online).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hartmut Bartmuß: Bernhard Dernburg – Kolonialpolitiker der Kaiserzeit. Herausgegeben vom Centrum Judaicum, Hentrich & Hentrich, Berlin 2014, ISBN 978-3-95565-034-6 (= Jüdische Miniaturen, Band 148).
- Oskar Bongard: Staatssekretär Dernburg in Britisch- und Deutsch-Süd-Afrika. Süsserott, Berlin 1908.
- Gerhard A. Ritter: Dernburg, Bernhard Jakob Ludwig. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, ISBN 3-428-00184-2, S. 607 f. (Digitalisat).
- Werner Schiefel: Bernhard Dernburg 1865–1937. Kolonialpolitiker und Bankier im wilhelminischen Deutschland (= Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, Band 11), Atlantis, Zürich / Freiburg im Breisgau 1974, ISBN 3-7611-0445-6 (zugleich: Dissertation, Philosophische Fakultät, Universität Münster, 1972).
- Martin Schumacher (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5183-1.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Bernhard Dernburg im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Bernhard Dernburg in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Zeitungsartikel über Bernhard Dernburg in den Historischen Pressearchiven der ZBW
- Bernhard Dernburg in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
- Bernhard Dernburg in der Online-Version der Edition Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik
- Golf Dornseif: Staatssekretär Dernburg auf Südwester-Inspektion (pdf; 1,7 MB)
- Golf Dornseif: Kolonial-Staatssekretär Dernburg und die Eingeborenenpolitik (pdf; 2,5 MB)
- Golf Dornseif: Staatssekretär Dernburg und die Deutsche Kolonialgesellschaft (pdf; 1,6 MB)
- Sören Utermark: „Schwarzer Untertan versus schwarzer Bruder“. Bernhard Dernburgs Reformen in den Kolonien Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun. Univ.-Diss., Kassel 2012
- Nachlass Bundesarchiv N 1130
- Dernburg, Bernhard Jakob Ludwig. Hessische Biografie. (Stand: 8. Mai 2022). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Gerald D. Feldman: Hugo Stinnes. Biographie eines Industriellen 1870–1924. C.H. Beck, München 1998, S. 77. ISBN 3-406-43582-3.
- ↑ Wilfried Westphal: Geschichte der deutschen Kolonien. Gondrom, Bindlach 1991, ISBN 3-8112-0905-1, S. 254 ff.
- ↑ Franz Ansprenger: Geschichte Afrikas. 2. Auflage, C.H.Beck, München 2004, ISBN 978-3-406-47989-2, S. 92.
- ↑ Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-017047-8, S. 140 f.
- ↑ Frank Bösch: Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880–1914. Oldenbourg, München 2009, ISBN 978-3-486-58857-6, S. 303 f.
- ↑ Hermann A. L. Degener: Wer ist's?, VI. Ausgabe, Leipzig 1912, S. 294.
- ↑ Imanuel Geiss: Geschichte griffbereit. Band 2: Personen. Die biographische Dimension der Weltgeschichte. (=rororo-Handbuch 6236), 2. Auflage, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1981, ISBN 978-3-611-00317-2, S. 245.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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––––– | Staatssekretär im Reichskolonialamt 1907–1910 | Friedrich von Lindequist |
Personendaten | |
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NAME | Dernburg, Bernhard |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (DDP), MdR und Bankier |
GEBURTSDATUM | 17. Juli 1865 |
GEBURTSORT | Darmstadt |
STERBEDATUM | 14. Oktober 1937 |
STERBEORT | Berlin |
- Mitglied der Weimarer Nationalversammlung
- Reichstagsabgeordneter (Weimarer Republik)
- Vizekanzler (Weimarer Republik)
- Reichsminister (Weimarer Republik)
- Finanzminister (Deutschland)
- Person (Reichsfinanzwesen)
- DDP-Mitglied
- Person (deutsche Kolonialgeschichte)
- Staatssekretär (Deutsches Kaiserreich)
- Mitglied des Preußischen Herrenhauses
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- KPMG
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- Geboren 1865
- Gestorben 1937
- Mann