Bienensegen
Ein Bienensegen ist eine Form des Zaubersegens, der dazu dienen soll, ein schwärmendes Bienenvolk daran zu hindern, sich außerhalb der Reichweite des Imkers niederzulassen bzw. in seinen Stock zurückzukehren.
Bekannt ist vor allem der Lorscher Bienensegen, eines der ältesten Zeugnisse der althochdeutschen Sprache, aufgezeichnet im 10. Jahrhundert[1]:
Kirst, imbi ist hûcze |
Christus! das Bienenvolk ist ausgeschwärmt! |
Ein neuhochdeutscher Bienensegen ist[2]:
Maria stand auf eim sehr hohen berg,
sie sach ein swarm bienen kommen phliegen;
sie hub auf ihre gebenedeyte hand,
sie verbot ihn da czuhand,
versprach ihm alle hilen
und die beim verslossen;
sie sazt ihm dar ein fas,
das zent Joseph hat gemacht;
in das sollt er phlügen,
unt sich seines lebens genügen.
In Nomine patris, filij et spiritus sancti. Amen.
Neben den sehr zahlreichen neuzeitlichen deutschen Bienensegen und -sprüchen gibt es auch lateinische Bienensegen, so zum Beispiel den St. Galler Bienensegen aus dem 8. Jahrhundert[3]:
- Ad revocandum examen apum dispersum: adjuro te mater aviorum[4] per deum regem coelorum et per illum redemptorem filium dei te adjuro, ut non te in altum levare nec longe volare, sed quam plus cito potes ad arborom venire (velis): ibi te alloces cum omni tuo genere vel cum socia tua, ibi habeo bona vasa parata, ut vos ibi in dei nomine laboretis etc.
- Zum Heimholen eines verstreuten Bienenschwarms: Ich beschwöre dich, Bienenmutter, bei dem Gott, dem König der Himmel, und bei dessen Sohn, dem Erlöser, beschwöre ich dich, nicht hoch dich zu erheben oder zu weit zu fliegen, sondern so schnell du kannst zum Baum kommen (wenn du willst): dort sollst du dich niederlassen mit allen mit deiner Art und deinen Gesellen, ich habe dort ein gutes Gehäuse bereit, damit du dort im arbeiten kannst Namen Gottes usw.
Auffällig ist die besondere Bedeutung des Wachses in den Bienensegen, nämlich für die Beleuchtung von Kirchen und Klöstern, was nicht erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass die Autoren der lateinischen Sprüche wohl sämtlich Kleriker waren und zudem die Imkerei im Mittelalter eine Domäne der Mönche war.[5] In folgendem französischen Bienensegen ist vom Bienenhonig zum Beispiel gar nicht die Rede, vielmehr habe Gott die Bienen nur zu Kirchenbeleuchtungszwecken geschaffen[6]:
Mouche [à miel] que Dieu a créée |
Biene, die Gott geschaffen hat |
Auffällig ist weiterhin die enge Verbindung zur Jungfrau Maria, der man eine besondere Macht über die Bienen zusprach, was darauf zurückgeführt werden kann, dass man entsprechend antiken Vorstellungen die Bienen für geschlechtslos, mithin keusch hielt, was sie in besondere Beziehung zur unbefleckten Gottesmutter brachte.[7] Zudem galten sie in der Antike wegen diverser Tugenden wie Fleiß und Reinlichkeit als vorbildlich und gaben Göttinnen und mythischen Gestalten ihren Namen, so der jungfräulichen Artemis[8], der Demeter[9] und der (ebenfalls jungfräulichen) Pythia.[10]
Einer der sehr wenigen nicht christlich geprägten Bienensegen ist die altenglische Beschwörungsformel Charm wiþ ymbe, die im 19. Jahrhundert in der Handschrift 41 des Corpus Christi College der Universität Cambridge entdeckt wurde. Hier der Schluss der Beschwörung:
Sitte ge, sigewif, sigað to eorþan! |
Setzt euch, ihr Siegfrauen, kommt herunter zum Land. |
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Oskar Ebermann: Bienensegen. In: Festschrift Eduard Hahn zum 60. Geburtstag. Strecker und Schröder, Stuttgart 1917, S. 332–344, Digitalisat .
- Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. 4. Aufl. Dümmler, Berlin 1876, S. 1037f.
- Ferdinand Ohrt: Bienensegen. In: Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 1. De Gruyter, Berlin und Leipzig 1927, S. 1253–1255.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kategorie Bienensegen in Corpus der Segen und Beschwörungsformeln (CSB, 225 Texte)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Übersetzung von Horst Dieter Schlosser. In: Karl Otto Conrady: Das große deutsche Gedichtbuch. Athenäum, 1977, ISBN 3-7610-8006-9, S. 3.
- ↑ Friedrich Wilhelm Schuster: Siebenbürgisch-sächsische Volkslieder, Sprichwörter, Räthsel, Zauberformeln, und Kinder-Dichtungen. Steinhausen, Hermannstadt 1865, S. 288, Digitalisat . S. a. Bienensegen 38, CSB. Text vermutlich aus dem 16. Jahrhundert.
- ↑ Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. 4. Aufl. Dümmler, Berlin 1876, S. 1037f. Vgl. auch Bienensegen 40, CSB.
- ↑ Mit der mater aviorum ist hier die Bienenmutter gemeint, also die Bienenkönigin.
- ↑ Oskar Ebermann: Bienensegen. In: Festschrift Eduard Hahn zum 60. Geburtstag. Stuttgart 1917, S. 341.
- ↑ Albert Meyrac: Traditions, coutumes, légendes et contes des Ardennes: comparés avec les traditions, légendes et contes de divers pays. Impr. Du Petit Ardennais, Charleville 1890, S. 180. Zitiert nach: Oskar Ebermann: Bienensegen. In: Festschrift Eduard Hahn zum 60. Geburtstag. Stuttgart 1917, S. 336.
- ↑ Oskar Ebermann: Bienensegen. In: Festschrift Eduard Hahn zum 60. Geburtstag. Stuttgart 1917, S. 342.
- ↑ Pindar: Fragment 123
- ↑ Aristophanes: Die Frösche 1273
- ↑ Kallimachos: Hymnen 110. Vgl. Christian Hünemörder: Biene. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 2, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01472-X, Sp. 650..