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Biosemiotik

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Biosemiotik ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die biologische Prozesse mit Hilfe der Semiotik untersucht und Leben als biologische Zeichen- und Kommunikationsprozesse versteht.[1]

Begriff und Disziplinenkonzept entwickelten sich seit Anfang der 1970er Jahre in Deutschland, Erstbeleg des Begriffsnamens 1962.[2] Thure von Uexküll (1908–2004) suchte seinen Vater, den berühmten Theoretischen Biologen Jakob von Uexküll (1864–1944) im semiotischen Bereich zu verankern. Dessen Arbeit (insbesondere) über die Wahrnehmungsphysiologie und subjektive Wahrnehmung von Tieren standen außerhalb der üblichen Lehre, waren aber in ihrer Durchführung und der schier enzyklopädischen Materialmenge bleibend fachlich und außerfachlich anregend. Thure von Uexküll schrieb einen grundlegenden Beitrag im ersten Band der Zeitschrift für Semiotik (1979), welche die Semiotik im Deutschen Sprachraum als kohärenten Wissenschaftsbereich durchzusetzen suchte. Der Begründer der modernen Psychosomatik verfasste in den darauf folgenden Jahren grundlegende Beiträge zur Endosemiotik, der Zeichenverwendung in und zwischen Zellen des menschlichen Körpers. Die Universität Hamburg unterhält in Zusammenarbeit mit dem Jakob von Uexküll Zentrum in Tartu (Estland) und dem Uexküll Enkel Carl Wolmar Jakob von Uexküll, dem Stifter des alternativen Nobelpreises, das Jakob von Uexküll-Archiv für Umweltforschung und Biosemiotik.

Thomas Sebeok[3] hatte, von der Linguistik herkommend, sich immer mehr auch mit der Sprache von nicht-menschlichen Lebewesen befasst. In dieser Zeit entstanden Vorträge und Arbeiten zum Kunstschaffen nestbauender Vögel oder zur Mensch-Hund Kommunikation. Die Fragen regten aber auch Biochemiker und Genetiker an. Fragen der Informationgenerierung und -übertragung in belebten Körpern, die Codierung und Weitergabe von Erbinformationen rufen förmlich nach Zeichentheorien. Der Biologe Joachim Schult[4] arbeitet von seinem Bereich der Forschung mit Spinnen herkommend für die semiotische Wende der Biologie. Kalevi Kull vom neuen Biosemiotik Zentrum in Tartu schreibt die Geschichte der Disziplin ohne Berührungsangst mit Neo-Vitalismus.[5][6][7]

  • Donald Favareau (Hrsg.): Essential Readings in Biosemiotics: Anthology and Commentary (= Biosemiotics. Band 3). Springer, Berlin 2010.
  • Thure von Uexküll: Signs, Symbols and Systems. In: T. Sebeok, R. Posner (Hrsg.): A semiotic Landscape. Den Haag / Paris / New York 1974, S. 487–492.
  • Thure von Uexküll: Jakob von Uexküll. In: Zeitschrift für Semiotik. Erster Band. 1979.
  • Thure von Uexküll: Die Umweltlehre als Theorie der Zeichenprozesse. In: Thure von Uexküll (Hrsg.): Jakob von Uexküll. Kompositionslehre der Natur. Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1980.
  • Martin Krampen, Klaus Oehler, Roland Posner, Thomas A. Sebeok, Thure von Uexküll (Hrsg.): Classics of Semiotics. Plenum Press, New York 1987.
  • Thure von Uexküll: Naturwissenschaft als Zeichenlehre. In: Merkur. 43, 1989, S. 225–234.
  • Thure von Uexküll: Semiotics and medicine. In: Semiotica. Band 38, Nr. 3/4, 1982, S. 205–215.
  • Thomas A. Sebeok, Jean Umiker-Sebeok (Hrsg.): Biosemiotics: The Semiotic Web 1991. Mouton de Gruyter, Berlin 1992.
  • Thure von Uexküll, Werner Geigges, Jörg, Herrmann, Jörg: Endosemiosis. In: Semiotica. Band 96, Nr. 1/2, 1993, S. 5–51.
  • Günther Witzany: Zeichenprozesse als Bedingungen der Möglichkeit von Leben und Evolution. Zur Notwendigkeit einer Molekularpragmatik. In: Zeitschrift für Semiotik. Band 15, Nr. 1/2, 1993, S. 107–125.[1]
  • Franz M. Wuketits: Zeichenkonzeptionen in der Biologie vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. In: Roland Posner, Klaus Robering, Thomas A. Sebeok (Hrsg.): Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. Band 2. De Gruyter, Berlin 1980, S. 1723–1732.
  • Jesper Hoffmeyer: Biosemiotics. University of Scranton Press, Scranton 2008.
  • Winfried Nöth, Kalevi Kull: Biosemiotik. In: Gabriele Dürbeck, Urte Stobbe (Hrsg.): Ecocriticism: Eine Einführung. Böhlau Verlag, Köln 2015, S. 32–43.

Einzelnachweise

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  1. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2000, S. 254.
  2. Zu dem Erstbeleg bei dem Psychoanalytiker F. S. Rothschild vgl. Kalevi Kull: On the history of joining bio with semio: F. S. Rothschild and the biosemiotic rules. In: Sign Systems Studies. Band 27, 1999, S. 128–138.
  3. Thomas A. Sebeok: Communication among social bees; porpoises and sonar; man and dolphin. In: Language. Band 39, 1963, S. 448–466.
  4. Joachim Schult (Hrsg.): IVZBiosemiotik — praktische Anwendung und Konsequenzen für die Einzelwissenschaften. VWB-Verlag, Berlin 2004.
  5. Kalevi Kull: On the history of joining bio with semio F. S. Rothschild and the biosemiotic rules. In: Sign Systems Studies. Band 27, 1999, S. 128–138 (Online@1@2Vorlage:Toter Link/www.zbi.ee (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Juni 2023. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.).
  6. Kalevi Kull, Claus Emmeche, Donald Favareau: Biosemiotic questions. In: Biosemiotics Band 1, Nr. 1, 2008, S. 41–55.
  7. Kalevi Kull, Terrence Deacon, Claus Emmeche, Jesper Hoffmeyer, Frederik Stjernfelt: Theses on biosemiotics: Prolegomena to a theoretical biology. In: Biological Theory Band 4, Nr. 2, 2009, S. 167–173.