Brünig-Napf-Reuss-Linie

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Rot: Brünig-Napf-Reuss-Linie, Gelb: Sprachgebiet des Hochalemannischen
Herzogtum Alemannien und König­reich Hochburgund um 1000 n. Chr.: Die Brünig-Napf-Reuss Linie verläuft im Aargau, der zwischen beiden Reichen umstritten war.

Die Brünig-Napf-Reuss-Linie, auch als Jassgrenze[1] bekannt, ist nach einer verbreitet bekannten Ansicht eine Kulturgrenze innerhalb der Schweiz. Ihr Verlauf wird annäherungsweise durch den Brünigpass, den Hügelzug des Napf und den Fluss Reuss bezeichnet und verläuft damit etwa 50 bis 100 km östlich der deutsch-französischen Sprachgrenze («Röstigraben»). Erstmals vorgeschlagen wurde sie vom Volkskundler Richard Weiss 1947.[2][3] In jüngerer Zeit wird ihre Existenz zum Teil bezweifelt, zum Teil relativiert.[3]

Die Brünig-Napf-Reuss-Linie soll zum einen anhand etlicher Volksbräuche und zum andern als – freilich breit gefächerte – Mundartgrenze innerhalb des hochalemannischen Sprachgebiet zu erkennen sein. Auffallend sei der Gebrauch unterschiedlicher Blätter beim Jass: westlich der Brünig-Napf-Reuss-Linie wird mit französischen (Herz, Schaufel, Ecke, Kreuz), östlich jedoch mit Deutschschweizer Spielkarten (Eichel, Schelle, Schilte, Rose) gejasst. Zugleich sei die Linie über weite Teile deckungsgleich mit der (traditionellen) Verbreitungsgrenze von Simmentaler Fleckvieh und dem Braunvieh.

Einige Autoren, so Historiker und Volkskundler, vertreten die Auffassung, die Brünig-Napf-Reuss-Linie sei die einzige wirklich einschneidende Kulturgrenze der Schweiz, viel bedeutender als die Sprachgrenze, da die «westlichen» Bräuche allesamt sowohl für die französisch- wie auch für die deutschsprachigen Bewohner der Westschweiz gelten. Die Trennung soll auf das Frühmittelalter zurückgehen: Westlich der Linie war damals der burgundische Einfluss, östlich der alemannische stärker wirksam. Die Kulturgrenze kam in den Aargau zu liegen, der über Jahrhunderte zwischen dem Königreich Burgund und dem Herzogtum Alemannien bzw. Schwaben umstritten war. Mit Beginn des Hochmittelalters trafen in der Grenzlandschaft von Nordwesten her die oberrheinischen und von Nordosten her die schwäbischen Einflüsse aufeinander. Auch die Sprach- und Kulturraumbildung, die von den Stadtstaaten Bern im Westen und Zürich im Osten ausgegangen ist, hat massgeblich zu dieser Strukturierung beigetragen.

In jüngerer Zeit wird die Existenz der Brünig-Napf-Reuss-Linie in Frage gestellt. Die These einer solchen Kulturgrenze fusste auf den Forschungsarbeiten der 1930er- und 1940er-Jahre, als Nationalismus und die Konstruktion nationaler Identität über kulturelle Eigenschaften im Schwange waren, womit sie sich daher gut in das politische Kulturprogramm der Geistigen Landesverteidigung einfügte. Die These zur Brünig-Napf-Reuss-Linie als Kulturgrenze wurde nach ihrer Vorstellung 1947 von den Mitarbeitern am Atlas der schweizerischen Volkskunde bis auf zwei Nennungen Anfang der 1950er-Jahre allerdings nicht mehr aufgegriffen, und sie wurde von der Volkskunde auch nie an den letztlich publizierten Karten überprüft. Kritik wurde erstmals zu Beginn der 1990er-Jahre von Christine Burckhardt-Seebass, Professorin für Volkskunde an der Universität Basel, geäussert, die die Brünig-Napf-Reuss-Linie als «Weiss’schen Mythos» bezeichnete.[3]

Einzelnachweise

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  1. Urs Bader: «Nationalsport»: Wie das Jassen in die Schweiz kam und heute das Land teilt. In: tagblatt.ch. 13. November 2018, abgerufen am 24. August 2020.
  2. Alban Frei: Ein «Dokument des geistigen Selbstbehauptungswillens der Schweiz». Der Atlas der schweizerischen Volkskunde und die Nationalisierung der Volkskunde in der Schweiz. In: Sabine Eggmann, Marius Risi, Franziska Schürch (Hrsg.): Vereintes Wissen. Die Volkskunde und ihre gesellschaftliche Verankerung. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Sektion Basel der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde. Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Basel 2010, ISBN 978-3-908122-88-3 und Waxmann, Münster / New York 2010, ISBN 978-3-8309-2401-2, S. 133 ff.
  3. a b c Birgit Huber: Die Entdeckung der «Brünig-Napf-Reuss-Linie». In: Blog des Schweizerischen Nationalmuseums. Publiziert am 18. Oktober 2023.