Bundesintervention (Schweiz)
Unter Bundesintervention (französisch Intervention fédérale, italienisch Intervento federale) versteht man in der Schweiz das Eingreifen des Bundes zum Schutz der Ordnung und Sicherheit in einem Kanton. Im Gegensatz zur Bundesexekution richtet sich die Bundesintervention nicht gegen die Regierung eines Kantons, sondern zu deren Unterstützung. Dabei wird zwischen unbewaffneten und bewaffneten Bundesinterventionen unterschieden.
In der Schweiz fanden seit 1848 zehn Bundesinterventionen statt. Die letzte Mal intervenierte der Bund bei den Unruhen von Genf 1932. Die rechtliche Grundlage für eine Bundesintervention liefert der Art. 52 der Bundesverfassung. Dabei geht trotz der föderalistischen Kompetenzaufteilung die Ausübung der Staatsgewalt vom Kanton vorübergehend auf den Bund über, da der Kanton die Missstände nicht eigenständig oder mithilfe anderer Kantone beheben kann. Interventionen werden von der Bundesversammlung beschlossen. Bei Dringlichkeit geht die Kompetenz zum Beschluss auf den Bundesrat über. Zumeist bestellt der Bundesrat einen Zivilkommissar zur Erkundung, Berichterstattung, Vermittlung und notfalls zum Einschreiten mit Armeeeinheiten. Die Frage, wer die Kosten einer Bundesintervention übernimmt, ist nicht gesetzlich geregelt und muss von der Bundesversammlung im Einzelfall entschieden werden. In nur einem Fall, dem Tonhallekrawall 1871, musste der Kanton Zürich dem Bund die Kosten erstatten.[1]
Rechtliche Grundlage
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zunächst ist es die Aufgabe der Kantone, die verfassungsmässige Ordnung zu wahren. Der Schutz der verfassungsmässigen Ordnung durch den Bund erfolgt primär durch das Bundesgericht, bei dem eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte durch die Kantone eingeklagt werden kann. Die Beschwerde beim Bundesgericht kann zwar auch bei Unruhen geltend gemacht werden, sie ist aber kaum tauglich, um die Unruhen oder Aufstände aufzulösen. In einem solchen Fall sind die Polizeibehörden des Kantons zuständig. Sehen sie sich nicht imstande, die Situation zu entschärfen, ersuchen sie andere Kantone um polizeiliche Hilfe. Wenn all diese Mittel versagen, kann der betroffene Kanton den Bund beantragen, militärisch einzugreifen. Diese Bundesintervention ist immer die Ultima Ratio. Sie ergeht zum Schutz eines bundestreuen, aber überforderten Kanton. Die Bundesexekution richtet sich hingegen gegen einen Kanton, der Bundesrecht bricht.[2]
Damit eine Bundesintervention erfolgen darf, muss eine Bedrohung entweder unmittelbar bevorstehen oder bereits erfolgt sein, die den öffentlichen Frieden gefährden könnte. Derartige Störungen können aufgrund von sozialen Unruhen, Ausschreitungen oder Sabotageakten entstehen. Die zweite Voraussetzung, die zwingend erfüllt sein muss, ist die Unfähigkeit des Kantons, die Gefahr selbstständig abzuwenden. Die Bundesintervention hat somit subsidiären Charakter. Für die Einleitung einer Bundesintervention ist die Bundesversammlung zuständig (Art. 173 Abs. 1 Bst. b BV), sofern sie dazu in der Lage ist. Bei Dringlichkeit geht die Kompetenz auf den Bundesrat über (Art. 185 Abs. 2 BV, Notrecht). Wenn der Fall eintritt, dass der Bund Truppen entsendet, obliegt ihm die Befehlsgewalt.[3]
Bundesinterventionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jahr | Kanton | Grund | Bundeskommissare |
---|---|---|---|
1855 | Tessin | Kämpfe zwischen Konservativen und radikalen Liberalen | Emmanuel Bourgeois |
1856 | Neuenburg | Putsch pro-preussischer Royalisten gegen die Kantonsregierung | Constant Fornerod, Friedrich Frey-Herosé |
1864 | Genf | Kämpfe nach Staatsratswahlen | Constant Fornerod, Louis Barman |
1870 | Tessin | Streit um die Frage, ob Bellinzona oder Lugano alleiniger Hauptort des Kantons sein sollte | Hans Rudolf Hess, Karl Karrer, Edouard Burnand |
1871 | Zürich | Tonhallekrawall | Joachim Heer |
1875 | Uri | Streik der italienischen Arbeiter des Gotthardtunnels bei den Unruhen in Göschenen 1875 | Hans Hold |
1876 | Tessin | Gewaltsamer Zusammenstoss zwischen Konservativen und radikalen Liberalen in Stabio | Simeon Bavier |
1889 | Tessin | Streit zwischen den Konservativen und den radikalen Liberalen nach den Grossratswahlen | Eugène Borel |
1890 | Tessin | Kämpfe zwischen Konservativen und radikalen Liberalen beim Tessiner Putsch | Arnold Künzli |
1932 | Genf | Zusammenstösse zwischen Rechts- und Linksextremen bei den Unruhen von Genf 1932 | Keine Ernennung |
Es gab Vorschläge, dass der Bund im Thurgauer Sprachenstreit intervenieren sollte.[4][5] Der Generalstreik in der Schweiz 1918 wurde nicht durch eine Bundesintervention beendet, obwohl Einheiten der Armee zum Einsatz kamen. Die Ordnungstruppen agierten auf Initiative der Kantone.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hans-Urs Wili: Bundesinterventionen. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 21. Februar 2018.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Hans-Urs Wili: Bundesinterventionen. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 21. Februar 2018, abgerufen am 22. Juli 2018.
- ↑ Pierre Tschannen: Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (= Stämpflis juristische Lehrbücher). 5. Auflage. Stämpfli Verlag, Bern 2021, ISBN 978-3-7272-8928-6, S. 278 f.
- ↑ Pierre Tschannen: Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (= Stämpflis juristische Lehrbücher). 5. Auflage. Stämpfli Verlag, Bern 2021, ISBN 978-3-7272-8928-6, S. 280 f.
- ↑ «Eine Bundesintervention würde den Sprachenstreit noch befeuern». SRF News, 8. Oktober 2016, abgerufen am 25. Juli 2018.
- ↑ Röstigraben im Sprachenstreit: Die deutsch- und die Westschweizer Kantone sind sich uneins, ob der Bund zur Klärung des Sprachstreits eingreifen soll. Neue Zürcher Zeitung, 11. Oktober 2016, abgerufen am 22. Juli 2018.