Klimaangst

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Klimaangst (englisch: climate anxiety), Klimatrauer (climate grief) und Umweltdisstress (eco-distress) beschreiben das Phänomen, aufgrund akuter oder voraussichtlicher Klimafolgen psychische und psychosomatische Belastungserscheinungen oder starke Emotionen zu erfahren, die das persönliche Leben zwischenzeitlich oder dauerhaft einschränken können. Versagt die Fähigkeit zur Sozialisation so gut wie vollständig, wird auch von eco-paralysis (in etwa: ‚Umweltlähmung‘) gesprochen.[1] Im unmittelbar räumlichen Kontext wird das Phänomen auch als Solastalgie bezeichnet.

Neben der direkte Betroffenheit durch akute Klimafolgen wie Naturkatastrophen und Versorgungsengpässe werden verschiedene Umstände wie „Verleugnung und Verdrängung, Starre aufgrund von Überforderung und Hilflosigkeit bis hin zu aufopferndem Aktivismus“[2] mit der Entwicklung einer Klimaangst in Verbindung gebracht. Zum einen kann die bloße Auseinandersetzung mit den prognostizierten Folgen der globalen Erwärmung verstören, weshalb die intensive Beschäftigung mit diesen, wie beispielsweise im beruflichen, politischen oder aktivistischen Kontext, die Ausbildung begünstigen kann. Zeitgleich begünstigt Verdrängung die Entwicklung entsprechender Symptome.[3]

Auch die generelle Prädisposition gegenüber Depressionen und Angststörungen korreliert mit der Ausbildung von Klimaangst.[3]

Direkte Betroffenheit

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Die Exponierung gegenüber Luftverschmutzung kann Depressionen, eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Schizophrenie auslösen.[4][5][6] Zudem ist in entsprechenden Szenarien ein Anstieg der Suizidalität[7] zu beobachten.[2] Im Falle von Hitzewellen lässt sich bevölkerungsweit ein Anstieg der Aggressivität und eine erhöhte Mortalität bei psychisch Erkrankten nachvollziehen. Dies ist insbesondere bei substanzbasierten Süchten und durch Erkrankung ausgelöste, psychische Störungen, bspw. Demenz, der Fall. Generell wird pro Grad Celsius Temperaturanstieg von einem um 0,9 Prozent erhöhten Risiko der psychischen Erkrankung ausgegangen.[2]

Weitere mit Klimafolgen verbundenene Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen können nachweislich mit der Verschlechterung bestehender Krankheiten durch unterbrochene Gesundheitsversorgung und Verluste von Eigentum oder sozialen Beziehungen, einem Anstieg der Prävalenz posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS), generalisierte Ängste und spezifische Phobien, affektive Störungen, sowie erhöhtem Alkohol- und Substanzgebrauch mit einer vielfach resultierenden Häufung häuslicher Gewalt in Verbindung gebracht werden.[2]

Indirekte Betroffenheit und Folgen

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Bei indirekter Betroffenheit kann Klimaangst durch Zukunftsängste und Ungewissheit Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit und Schuldgefühle, aber auch Wut und Panik auslösen.[2] Weitere Symptome umfassen Schlafmangel, Konzentrationsprobleme und eingeschränkte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz.[8]

Die Folgen klimabedingter Katastrophen wie Nahrungsmittelknappheit und Flucht können eine Verringerung des Vertrauens in Dritte, Fatigue, Gedächtnisschwäche und Depressionen, sowie die Entwicklung von ADHS zur Folge haben. Des Weiteren können Phobien, affektive Störungen, Identitätsverlust und Psychosen begünstigt werden.[2]

Bei einer 2021 weltweit in 10 Ländern durchgeführten Studie unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 15 bis 25 Jahren gaben 45 Prozent der Befragten an, dass die Sorge um die Klimakrise und deren Folgen ihr tägliches Leben negativ beeinflusse. 55 Prozent gaben an, der Klimawandel löse in ihnen das Gefühl der Machtlosigkeit aus.[8][9] Acht Prozent der US-Amerikanern äußern Interesse an Gesprächstherapie, um ihre Gefühle zur Klimakrise besser einordnen zu können.[10]

Das Auftreten von Klimaangst tritt häufiger in liberaleren und wohlhabenderen Ländern sowie im Umfeld der Umweltbewegung auf, lässt sich jedoch weltweit beobachten.[11] Junge Menschen seien „besonders gefährdet“.[12] Auch Klimaforscher beschreiben vermehrt Stresssymptome und psychische Erkrankungen.[13]

Begriffliche Unschärfe und Rezeption

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Aufgrund der schweren Eingrenzbarkeit des Phänomens, sowohl bezüglich seiner Symptome als auch dem Grad der gerechtfertigten Gefühlsäußerungen, wird der Begriff wiederkehrend als „problematisch“ aufgefasst.[12] Zudem sei fraglich, inwieweit extreme Gefühlsregungen angesichts einer realen Gefahrenlage als krankhaft eingestuft werden sollten und inwieweit nicht primär Bewältigungsstrategien entwickelt werden müssten.[14][15][16]

Klimaangst und Klimatrauer sind laut ICD-10, ICD-11 und DSM-5 nicht als Krankheit klassifiziert. Mancherorts wird die Einstufung unter F40.22 (Natural environment type phobia) bzw. F40.228 (Other natural environment type phobia) erwogen. Auch die vorübergehende Klassifikation als Z64 (Person mit potentieller Gesundheitsgefährdung aufgrund sozioökonomischer und psychosozialer Umstände) wird in Betracht gezogen.[17] Die American Psychological Association (APA) erwog 2017 die Beschreibung als „chronische Angst vor dem ökologischen Untergang“.[18]

Die University of Colorado Boulder empfiehlt Hochschulangehörigen, Klimaangst durch Fokussierung auf sinnstiftendes, nicht überforderndes Engagement zu begegnen. Dies könne eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Initiativen, politischen und privatem Engagement umfassen. Der Überlastung könne durch gezielte Pausen vom Engagement und verbundenem Medienkonsum vorgebeugt werden.[19] Ebenso könne die Vergewisserung der Existenz von Gleichgesinnten und das offene Gespräche über die Sorgen zur Linderung des Leidensdrucks beitragen.[3][19] Auch Studien kommen zu dem Ergebnis, dass das eigene Engagement in sozialer Einbindung in Gruppen maßgeblich zur Vorbeugung von Belastungserscheinungen beiträgt. Dies gelte dagegen nicht für individuelle Bemühungen um Klima- und Umweltschutz.[20]

In einer Stellungnahme sprach sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) für mehr Aufmerksamkeit für das Themenfeld und mehr Prävention aus. Zudem müssten die eigentlichen Ursachen bekämpft und hierbei eine Vorbildfunktion eingenommen werden.[2] Clover Hogan, Gründerin von Force of Nature, merkt an, dass Jugendliche mit Klimaangst „nicht das Problem“ seien, sondern dass Entscheidungsträger sie nicht hätten. Die NGO biete daher Engagementförderung für Betroffene und Selbsthilfekreise (Climate Café) an.[21]

Die deutschsprachige Sektion der Psychologists for Future (Psy4F) bietet regelmäßig Workshops und Sprechstunden zum Umgang mit Klimaangst an.[22]

Monographien und Sammelbände

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Einzelbeiträge

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  • Caroline Hickman, Elizabeth Marks, Panu Pihkala, Susan Clayton, R Eric Lewandowski, Elouise E Mayall, Britt Wray, Catriona Mellor, Lise van Susteren: Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey. In: The Lancet Planetary Health. Band 5, Nr. 12, Dezember 2021, S. e863–e873, doi:10.1016/S2542-5196(21)00278-3 (elsevier.com [abgerufen am 11. Mai 2024]).
  • Thomas Pienkowski, Aidan Keane, Hollie Booth, Eugene Kinyanda, Jessica C. Fisher, Emma Lawrance, Rachel Oh, E.J. Milner-Gulland: Nature’s contributions to social determinants of mental health and the role of conservation. In: One Earth. Band 7, Nr. 7, Juli 2024, S. 1213–1227, doi:10.1016/j.oneear.2024.05.004 (elsevier.com [abgerufen am 12. August 2024]).
  • Annika Walinski, Julia Sander, Gabriel Gerlinger, Vera Clemens, Andreas Meyer-Lindenberg, Andreas Heinz: The effects of climate change on mental health. In: Deutsches Ärzteblatt international. 24. Februar 2023, ISSN 1866-0452, doi:10.3238/arztebl.m2022.0403, PMID 36647584, PMC 10154789 (freier Volltext) – (aerzteblatt.de [abgerufen am 11. Mai 2024]).

Einzelnachweise

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  1. Alexandre Heeren, Camille Mouguiama-Daouda, Alba Contreras: On climate anxiety and the threat it may pose to daily life functioning and adaptation: a study among European and African French-speaking participants. In: Climatic Change. Band 173, Nr. 1-2, Juli 2022, ISSN 0165-0009, doi:10.1007/s10584-022-03402-2, PMID 35912274, PMC 9326410 (freier Volltext) – (springer.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  2. a b c d e f g Andreas Heinz, Andreas Meyer-Lindenberg, DGPPN-Task-Force „Klima und Psyche“, Andreas Heinz, Andreas Meyer-Lindenberg, Mazda Adli, Barbara Bornheimer, Lasse Brandt, René Hurlemann, Sebastian Karl, Hans Knoblauch, Nina Marsh, Christoph Nikendei, Sandy Pistol, Steffi Riedel-Heller, Anna-Karina Schomburg, Kirsten Shukla, Stefan Weinmann, Franziska Welzel, Gabriel Gerlinger, Julie Holzhausen, Katja John, Isabelle Lork, Julia Sander, Annika Walinski: Klimawandel und psychische Gesundheit. Positionspapier einer Task-Force der DGPPN. In: Der Nervenarzt. Band 94, Nr. 3, März 2023, ISSN 0028-2804, S. 225–233, doi:10.1007/s00115-023-01457-9, PMID 36820855, PMC 9992044 (freier Volltext) – (springer.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  3. a b c Marlis C. Wullenkord, Josephine Tröger, Karen R. S. Hamann, Laura S. Loy, Gerhard Reese: Anxiety and climate change: a validation of the Climate Anxiety Scale in a German-speaking quota sample and an investigation of psychological correlates. In: Climatic Change. Band 168, Nr. 3-4, Oktober 2021, ISSN 0165-0009, doi:10.1007/s10584-021-03234-6 (springer.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  4. Atif Khan, Oleguer Plana-Ripoll, Sussie Antonsen, Jørgen Brandt, Camilla Geels, Hannah Landecker, Patrick F. Sullivan, Carsten Bøcker Pedersen, Andrey Rzhetsky: Environmental pollution is associated with increased risk of psychiatric disorders in the US and Denmark. In: PLOS Biology. Band 17, Nr. 8, 20. August 2019, ISSN 1545-7885, S. e3000353, doi:10.1371/journal.pbio.3000353, PMID 31430271, PMC 6701746 (freier Volltext) – (plos.org [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  5. Susanna Roberts, Louise Arseneault, Benjamin Barratt, Sean Beevers, Andrea Danese, Candice L. Odgers, Terrie E. Moffitt, Aaron Reuben, Frank J. Kelly, Helen L. Fisher: Exploration of NO2 and PM2.5 air pollution and mental health problems using high-resolution data in London-based children from a UK longitudinal cohort study. In: Psychiatry Research. Band 272, Februar 2019, S. 8–17, doi:10.1016/j.psychres.2018.12.050, PMID 30576995, PMC 6401205 (freier Volltext) – (elsevier.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  6. Massimiliano Buoli, Silvia Grassi, Alice Caldiroli, Greta Silvia Carnevali, Francesco Mucci, Simona Iodice, Laura Cantone, Laura Pergoli, Valentina Bollati: Is there a link between air pollution and mental disorders? In: Environment International. Band 118, September 2018, S. 154–168, doi:10.1016/j.envint.2018.05.044 (elsevier.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  7. Isobel Braithwaite, Shuo Zhang, James B. Kirkbride, David P. J. Osborn, Joseph F. Hayes: Air Pollution (Particulate Matter) Exposure and Associations with Depression, Anxiety, Bipolar, Psychosis and Suicide Risk: A Systematic Review and Meta-Analysis. In: Environmental Health Perspectives. Band 127, Nr. 12, Dezember 2019, ISSN 0091-6765, doi:10.1289/EHP4595, PMID 31850801, PMC 6957283 (freier Volltext) – (nih.gov [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  8. a b Caroline Hickman, Elizabeth Marks, Panu Pihkala, Susan Clayton, R Eric Lewandowski, Elouise E Mayall, Britt Wray, Catriona Mellor, Lise van Susteren: Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey. In: The Lancet Planetary Health. Band 5, Nr. 12, Dezember 2021, S. e863–e873, doi:10.1016/S2542-5196(21)00278-3 (elsevier.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  9. What happens when climate change and the mental-health crisis collide? In: Nature. Band 628, Nr. 8007, 11. April 2024, ISSN 0028-0836, S. 235–235, doi:10.1038/d41586-024-00993-x (nature.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  10. Yale Experts Explain Climate Anxiety. In: Yale Sustainability. Yale University, 13. März 2023, abgerufen am 11. Mai 2024 (amerikanisches Englisch).
  11. Charles A. Ogunbode et al.: Climate anxiety, wellbeing and pro-environmental action: correlates of negative emotional responses to climate change in 32 countries. In: Journal of Environmental Psychology. Band 84, Dezember 2022, S. 101887, doi:10.1016/j.jenvp.2022.101887 (elsevier.com [abgerufen am 10. Mai 2024]).
  12. a b Katrin Ewert: Darum müssen wir über Klimaangst sprechen. In: Quarks. 12. Januar 2023, abgerufen am 10. Mai 2024 (deutsch).
  13. Damian Carrington Environment editor: ‘Hopeless and broken’: why the world’s top climate scientists are in despair. In: The Guardian. 8. Mai 2024, abgerufen am 10. Mai 2024 (englisch).
  14. Susan Clayton: Climate anxiety: Psychological responses to climate change. In: Journal of Anxiety Disorders. Band 74, August 2020, S. 102263, doi:10.1016/j.janxdis.2020.102263 (elsevier.com [abgerufen am 11. Mai 2024]).
  15. Anne M. van Valkengoed, Linda Steg, Peter de Jonge: Climate Anxiety: A Research Agenda Inspired by Emotion Research. In: Emotion Review. Band 15, Nr. 4, Oktober 2023, ISSN 1754-0739, S. 258–262, doi:10.1177/17540739231193752 (sagepub.com [abgerufen am 11. Mai 2024]).
  16. Anne M. van Valkengoed: Climate anxiety is not a mental health problem. But we should still treat it as one. In: Bulletin of the Atomic Scientists. Band 79, Nr. 6, 2. November 2023, ISSN 0096-3402, S. 385–387, doi:10.1080/00963402.2023.2266942 (tandfonline.com [abgerufen am 11. Mai 2024]).
  17. H. Steven Moffic MD: EXCLUSIVE: ICD Coding and Climate-Related Psychiatry. In: MedLearn Publishing. 14. Januar 2020, abgerufen am 11. Mai 2024 (amerikanisches Englisch).
  18. SINUS-Jugendstudie zu Klima-Angst | BARMER. In: BARMER Ersatzkasse. 1. Juli 2022, abgerufen am 10. Mai 2024.
  19. a b 6 tips for coping with climate anxiety. 18. April 2024, abgerufen am 11. Mai 2024 (englisch).
  20. Sarah E. O. Schwartz, Laelia Benoit, Susan Clayton, McKenna F. Parnes, Lance Swenson, Sarah R. Lowe: Climate change anxiety and mental health: Environmental activism as buffer. In: Current Psychology. Band 42, Nr. 20, Juli 2023, ISSN 1046-1310, S. 16708–16721, doi:10.1007/s12144-022-02735-6, PMID 35250241, PMC 8883014 (freier Volltext) – (springer.com [abgerufen am 11. Mai 2024]).
  21. Brad Moss: 'The problem is not that young people are eco-anxious. It's that people in positions of power are not': activist Clover Hogan. In: Natura Hoy. 12. Juli 2024, abgerufen am 13. Juli 2024 (britisches Englisch).
  22. Neu: ab sofort Telefonsprechstunde dienstags und freitags. In: Psychologists / Psychotherapists for Future e.V. Abgerufen am 11. Mai 2024 (deutsch).