Cydippida
Cydippida | ||||||||||||
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Rippenqualle Mertensia ovum | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Cydippida | ||||||||||||
Lesson, 1843 | ||||||||||||
Familien | ||||||||||||
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Als Cydippida bezeichnet man eine ökologisch bedeutsame und artenreiche Ordnung von Rippenquallen (Ctenophora) aus der Klasse Tentaculata. Cydippida wie die Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus) sind in vielerlei Hinsicht die „typischen“ Rippenquallen und vereinigen viele Merkmale auf sich, die innerhalb der Gruppe als ursprünglich gelten dürfen. Da die Gruppe wahrscheinlich nicht monophyletisch ist, also nicht alle Nachkommen ihres letzten gemeinsamen Vorfahren umfasst, erkennt die heute vorherrschende Systematik, die Kladistik, die Gruppe nicht als Taxon an.
Aufbau
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die meisten Arten haben ein kugelförmiges bis leicht ovales Aussehen und sind, wenn überhaupt, in der Tentakelebene komprimiert, das heißt, die senkrecht zur Verbindungslinie der beiden gut ausgebildeten Tentakelscheiden liegende pharyngeale Körperachse ist verkürzt.
Alle Arten verfügen über wohlentwickelte Kammrippen; anders als in anderen Rippenquallen-Ordnungen sind die einzelnen Kammplättchen aber nicht durch Geißelkanäle miteinander verbunden – die Signalweiterleitung von der Statocyste erfolgt anscheinend allein durch das serielle Umkippen der Plättchen und die dadurch ausgelösten Wasserströmungen – vergleichbar dem Domino-Effekt.
Die durch die langen Tentakel gefangene Nahrung gelangt über den Mund in den muskulösen Schlund, wird dort durch Abgabe von Verdauungsenzymen aufgeschlossen und schließlich in den zentral gelegenen Magen weitergeleitet.
Von dort geht zur mundabgelegenen Seite ein aboraler Kanal aus, der sich in vier kurze Analkanäle aufteilt, von denen zwei blind und zwei in Analporen enden. Zwei paragastrische Kanäle laufen parallel zu den flachen Schlundseiten, je ein Tentakelkanal läuft zum Ansatz der Tentakel in den Tentakelscheiden hin und versorgt diese mit Nährstoffen. Daneben existieren noch vier Transversalkanäle, die senkrecht in alle „Himmelsrichtungen“ von der Körperachse weglaufen und sich nach außen Y-förmig noch einmal aufteilen. Sie münden in die unterhalb der Kammrippen verlaufenden Meridionalkanäle, die wie die paragastrischen Kanäle blind auslaufen.
Die Muskulatur ist wie bei allen anderen Rippenquallen glatt, lediglich bei Euplokamis dunlapae kommt auch quergestreifte Muskulatur vor, die bei dieser Art ein explosives Entrollen der Tentillen bei Berührung durch Beutetiere ermöglicht.
Verbreitung, Lebensraum und Fortbewegung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Cydippida-Arten sind weltweit verbreitet und leben als Bestandteil des Makrozooplanktons freischwimmend im Meer, sowohl auf hoher See als auch in Küstennähe.
Sie setzen zur Fortbewegung ihre Kammrippen ein, lassen sich aber meistens passiv in Meeresströmungen treiben, wodurch große Ansammlungen von Individuen entstehen können.
Ernährung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wie die meisten Rippenquallen ernähren sich die Cydippida von verschiedenem Plankton, insbesondere Nesseltieren, Krebsen, aber auch kleinen Fischen. Zum Beutefang setzen alle Arten ihre Tentakel ein, die wie ein Treibnetz durchs Wasser gezogen werden. Sobald ein Beutetier mit diesen in Berührung kommt und an den von Klebekörperchen, den Colloblasten, besetzten Querfäden, den Tentillen festklebt, verkürzt sich durch Muskeleinwirkung der entsprechende Tentakel und zieht die Beute nach vorne zum Mund hin. Gleichzeitig kehrt die Rippenqualle die Schlagrichtung zweier geeigneter Kammreihen um, so dass sie sich auf den Tentakelabschnitt mit dem gefangenen Beutetier zudreht, bis dieses den Mund berührt, so dass es verschlungen werden kann. Diese Methode wird wegen des Drehmanövers auch als „spin capture“ bezeichnet und ist nur bei größeren Beutetieren effizient.
Die Arten der Gattung Haeckelia übernehmen von ihrer Nesseltier-Beute die dann als Kleptocniden bezeichneten Nesselzellen – ein Umstand, der bis zu seiner Aufdeckung bei Zoologen lange Zeit zur Verwirrung geführt hat, da man fälschlicherweise aus dem Vorkommen von Nesselzellen bei Rippenquallen auf eine enge Verwandtschaft mit den Urhebern dieser Zellen, den Nesseltieren schloss.
Eine Art aus der Gattung Lampea lebt vermutlich parasitisch auf Seescheiden (Ascidiacea), indem sie sich mit ausgestülpter Schlundauskleidung an diese anheftet.
Fortpflanzung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Alle Cydippida pflanzen sich sexuell fort. Obwohl sie Zwitter sind, also sowohl über männliche wie weibliche Keimdrüsen verfügen, ist eine Selbstbefruchtung anscheinend eher selten.
Stammesgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anders als die anderen Gruppen von Rippenquallen ist die Ordnung fossil durch Funde aus dem erdgeschichtlichen Zeitalter des Devon bekannt, die in feinkörnigem Schiefergestein aus dem Hunsrück gefunden wurden. Es handelt sich um zwei Arten, Archaeocydippida hunsrueckiana und Paleoctenophora brasseli. Sie lassen sich allerdings keiner modernen Familie zuordnen.
Der Vergleich mit den anderen Rippenquallen-Taxa zeigt, dass die Ordnung anscheinend eine große Zahl von ursprünglichen Merkmalen bewahrt hat. Auch die embryologische Entwicklung aller anderen Rippenquallen über ein Cydippea-Stadium, das wie eine Miniaturverson einer Cydippida-Rippenqualle aussieht, und zwar selbst, wenn wie etwa bei den Platyctenida die erwachsenen Tiere einen stark abgewandelten Körperbau haben, weist auf die relativ geringe morphologische Divergenz der Cydippida von den mutmaßlichen gemeinsamen Vorfahren aller Rippenquallen hin. Daraus ergibt sich allerdings gemäß der heute vorherrschenden Systematik, der Kladistik, die Frage, welche gemeinsamen, neu etablierten Merkmale die Cydippida überhaupt verbinden – ohne solche Synapomorphien kann die Gruppe nicht als natürliche Einheit gelten.
Vorläufige Ergebnisse sowohl morphologischer als auch molekulargenetischer Studien weisen denn auch darauf hin, dass es sich bei den Cydippida möglicherweise um ein polyphyletisches Taxon handelt, also eine vollkommen willkürliche Gruppierung von Arten, die von Merkmalen, die von dem gemeinsamen Vorfahren der Rippenquallen ererbten wurden, abgesehen, keine Gemeinsamkeiten aufweisen.
Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen, wäre die Einordnung der fossilen Arten in die Ordnung Cydippida weitgehend gegenstandslos und würde lediglich bedeuten, dass es sich um Vertreter der Stammlinie der Rippenquallen handelte – eine Zugehörigkeit zu einer modernen Gruppe innerhalb der Rippenquallen ließe sich damit nicht mehr ableiten.
Systematik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Innerhalb der Ordnung unterscheidet man insgesamt zehn Familien mit mehr als sechzig Arten:
- Die Familie Ctenillidae ist monotypisch, enthält also nur eine Art, Ctenella aurantia. Sie wurde erst 1993 entdeckt.
- Zur Familie Euplokamidae gehören fünf Arten in einer Gattung Euplokamis. Die einzige Rippenquallenart mit quergestreifter Muskulatur, welche dem explosionsartigen Entrollen der aufgerollten Tentillen dient, gehört hierher.
- Die Familie Haeckeliidae umfasst fünf Arten in zwei Gattungen, Haeckelia und Tinerfe.
- Wiederum monotypisch ist die Familie Bathyctenidae mit der Art Bathyctena chuni.
- In die Familie Lampeidae werden drei Arten in einer Gattung, Lampea, eingeordnet, darunter auch die einzige parasitische Rippenqualle.
- Die Familie Mertensiidae umfasst zehn Arten in vier Gattungen, darunter der verbreiteten und namensgebenden Gattung Mertensia.
- Die Familie Pleurobrachiidae ist das artenreichste Cydippida-Taxon und fasst neunundzwanzig Arten in sieben Gattungen zusammen, darunter auch die Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus).
- Erst in den 1990er Jahren beschrieben wurde die monotypische Familie Dryodoridae mit der Art Dryodora glandiformis.
- Auch die Familie Cryptocodidae wurde in den 1990er Jahren erstbeschrieben und umfasst mit Cryptocoda gerlachi lediglich eine Art.
- Im Mai 2020 wurde die Familie Vampyroctenidae mit Vampyroctena delmarvensis als einziger Art eingeführt.[1]
Die angegebenen Artzahlen sollten nur als Richtwerte betrachtet werden, da es sich bei zahlreichen Artnamen wohl um Synonyme handelt.
Neben den aufgeführten Familien existieren noch sechs bisher nicht zugeordnete Gattungen und mehrere unbeschriebene Arten, darunter auch die „Rote Tortuga“, die noch keinen wissenschaftlichen Namen besitzt.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Mackie, G. O., Mills, C. E., Singla, C. L., Structure and function of the prehensile tentilla of Euplokamis (Ctenophora, Cydippida), Zoomorphology, 107, 1988, S. 319
- Mills, C. E., Miller, R. L., Ingestion of a medusa (Aegina citrea) by the nematocyst-containing ctenophore Haeckelia rura (formerly Euchlora rubra): Phylogenetic Implications, Journal of Marine Biology, 78, 1984, Seite 215
- Tamm, S. L, Moss, A. G., Unilateral ciliary reversal and motor responses during prey capture by the ctenophore Pleurobrachia, Journal of Experimental Biology, 114, 1985, S. 443
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ James P. Townsend, Michael G. Tassia, Alejandro Damian-Serrano, Nathan V. Whelan, Kenneth M. Halanych and Alison M. Sweeney. 2020. A Mesopelagic Ctenophore representing A New Family, with Notes on Family-level Taxonomy in Ctenophora: Vampyroctena delmarvensis gen. nov. sp. nov. (Vampyroctenidae, fam. nov.). Marine Biodiversity. 50: 34. DOI: 10.1007/s12526-020-01049-9