Deutsche Adelsgenossenschaft

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Deutsche Adelsgenossenschaft (D.A.G., auch D. Ag.) war die größte Vereinigung deutscher Adliger im Deutschen Reich.

Gründung und Rolle im Kaiserreich

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sie wurde am 26. Februar 1874 von 30 grundbesitzenden Adligen aus den preußischen Provinzen Brandenburg, Pommern, (Ost-)Preußen, Sachsen und Schlesien in Berlin gegründet. Durch Allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 7. März 1883 verlieh Kaiser Wilhelm I. der D.A.G. die Rechte einer juristischen Person.[1] Sie sollte dem als verderblich angesehenen „Liberalismus“ der Zeit entgegenwirken und ein konservatives Gegengewicht setzen. Die D.A.G. wurde im Kaiserreich von der Staatsspitze gefördert. Der Vorstand der D.A.G. erhielt zu dieser Zeit eine einmalige Vergütung.[2] 1888 wurde ein Central-Hilfsverein gegründet.[3]

Die Adelsgenossenschaft war unter anderem Betreiber von Schulen, so der Wirtschaftlichen Frauenschule Löbichau in Thüringen 1908-1930.[4] Diese war dem Reifensteiner Verband seit 1908 angeschlossen. Die D.A.G. vergab neben der Gründerin Ida von Kortzfleisch auch Stipendien für die Reifensteiner Schulen allgemein.[5] Der Reifensteiner Verband, bei dem adelige Familien eine wesentliche Rolle spielten, war Mitglied im vergleichsweise liberalen Bund deutscher Frauenvereine.[6]

Die Zahl der Mitglieder war im Kaiserreich vergleichsweise klein, bei Kriegsende 1918 waren 2400 Adelige Mitglieder der D.A.G.,[7] Ende 1919 sogar nur 1600.[8] Seit 1884 war das Deutsches Adelsblatt das offizielle Publikationsorgan der Vereinigung. Früh gab es sowohl im preußischen Heroldsamt als auch in der D.A.G. selbst Pläne, eine preußische Adelsmatrikel zu erstellen.[1]

Die D.A.G. 1919–1945

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Art. 109 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 wurden die „öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes“ aufgehoben. Der privilegierte Adelsstand war damit faktisch abgeschafft. Adelstitel durften nicht mehr verliehen werden und wurden zu Namensbestandteilen. Dennoch setzte die D.A.G. auch nach Ende des preußischen Heroldsamtes das Projekt einer Adelsmatrikel fort, nun als privates Unternehmen und mit klar antisemitischer und rassistischer Zielsetzung. Auf dem Adelstag 1920 wurde beschlossen:

„Wer unter seinen Vorfahren im Mannesstamm einen nach 1800 geborenen Nichtarier hat oder zu mehr als einem Viertel anderer als arischer Rasse entstammt oder mit jemand verheiratet ist, bei dem dies zutrifft, kann nicht Mitglied der D.A.G. sein.“

DAB 31.07.1920, S. 241–243[9]

In den Folgejahren wurden die Anforderungen mehrmals verschärft, in Anpassung an das unter der Schirmherrschaft der D.A.G. erstellte Eiserne Buch Deutschen Adels Deutscher Art (EDDA) und später an den „großen“, unter anderem für SS-Angehörige verlangten Ariernachweis.[10] Mitglieder, die die erforderlichen Nachweise erbracht hatten, wurden in eine Liste des reinblütigen Deutschen Adels aufgenommen; in den Gothaischen Taschenbüchern wurde seit 1935 die Eintragung in diese Liste und/oder die (bis dahin noch strengeren Kriterien folgenden) EDDA jeweils vermerkt.

Schon 1923 wurde daneben eine eigene Abteilung geschaffen, die zwischen „echten“ und „Scheinadeligen“ unterscheiden sollte. Dazu erstellte diese Abteilung der D.A.G. seit 1925 Listen von Personen, die (nach 1919) durch Adoption oder Heirat Familiennamen erworben hatten, die ehemalige Adelsprädikate enthielten, aber nicht den vor 1919 geltenden Kriterien adeliger Herkunft entsprachen.[11]

Die Mitgliederzahl stieg ab 1919 deutlich an.[8] Die Satzung vom 4. Februar 1921 ließ erstmals auch Frauen als Mitglieder zu.[12]

Da die D.A.G. politisch zunehmend ins republikfeindliche Lager rückte, verbot Reichswehrminister Wilhelm Groener 1929 Angehörigen und Zivilbeschäftigten der Reichswehr die Mitgliedschaft. Die D.A.G. stand unter der Führung des 1932 zum Vorsitzenden gewählten sogenannten Adelsmarschalls Adolf zu Bentheim-Tecklenburg, der große Hoffnungen auf den Nationalsozialismus setzte.[13] Als er am 22. Juni 1933 von Hitler empfangen wurde, versprach Bentheim die mangelnde Begeisterung des Adels für den Nationalsozialismus zu beheben und die bisherigen antisemitischen Maßnahmen zu verschärfen. Die Gleichschaltung der Vereinigung wurde verhindert, allerdings um den Preis weitgehender Anpassung an das Regime. Der von Bentheim neu besetzte Hauptvorstand bestand vollständig aus höheren und mittleren SA-Führern (von Arnim, von Detten, von Jagow, von Rochow und von Tschammer und Osten).[14] Nach den Jahrbüchern der doch nun mitgliederstarken D.A.G. von 1938 und 1940 ist aber eine etwas modifizierte Zusammensetzung dieses Gremiums zu konstatieren. Nach dem Attentat Claus Schenck Graf von Stauffenbergs auf Hitler am 20. Juli 1944 veröffentlichte Bentheim-Tecklenburg im Adelsblatt eine Ergebenheitsadresse an Hitler. Die D.A.G. konnte erfolgreich auf den Beschluss eines (gegen „Scheinadelige“ gerichtetes) Gesetz gegen Missbrauch bei der Eheschließung und Annahme an Kindes Statt einwirken, erreichte aber nicht die von ihr erhoffte und von Hitler in Aussicht gestellte Umwandlung der D.A.G. in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.[15]

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die D.A.G. an Bedeutung. Sie hatte im Zweiten Weltkrieg nicht nur ihre Geschäftsstelle in Berlin, sondern auch ihre mittel- und ostdeutschen Landesabteilungen verloren und wurde am 15. Mai 1956 in Hannover von einem Notvorstand aufgelöst. Neue Vereinigungen des historischen Adels waren nicht mehr zentral gelenkt, sondern landschaftlich gegliedert. 1956 schloss die D.A.G. sich mit der neu gegründeten „Arbeitsgemeinschaft deutscher Adelsverbände“ zur „Vereinigung der Deutschen Adelsverbände“ (VdDA) zusammen.

1949 gründete sich (als Nachfolger der Abteilung für adelsrechtliche Fragen der D.A.G.) der bis heute bestehende Deutsche Adelsrechtsausschuß.[16]

Adelsmarschälle/Vorsitzende

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft. 1922. Berlin 1922, S. 65.
  • Jahrbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft. 1928. Berlin 1928, S. 42.
  • Jahrbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft. 1938. Berlin 1938, S. 42.
  • Anschriftenbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft. 1940. Berlin 1940, S. 41.
  • Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Deutschen Adelsgenossenschaft, in: Deutsches Adelsblatt. Zeitschrift der Deutschen Adelsgenossenschaft für die Aufgaben des christlichen Adels, Berlin 1924.
  • F. Rippold: Der christliche Adel deutscher Nation. Ein Rückblick und Ausblick auf seine Vergangenheit und Zukunft. Mit besonderer Beziehung auf die deutsche Adelsgenossenschaft und das Adelsblatt. Georg Reimer, Berlin 1893. Digitalisat
  • Deutsche Adelsgenossenschaft, in: Alfred Baron von Eberstein, Botho Baron von Eberstein: Handbuch für den Deutschen Adel, II (Handbuch und Adressbuch der adligen Stiftungen), Hrsg. Emil von Maltitz, Mitscher & Röstell, Berlin 1892, S. 78 ff. Digitalisat
  • Georg H. Kleine: Adelsgenossenschaft und Nationalsozialismus. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Band 26, 1978, S. 100–143, (online)
  • Dieter Fricke, Udo Rößling: Deutsche Adelsgenossenschaft. in: Lexikon zur Parteiengeschichte 1789–1945. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland. Band 1 (Alldeutscher Bund – Deutsche Liga für Menschenrechte), Hrsg. Dieter Fricke, Werner Fritsch, Herbert Gottwald, Siegfried Schmidt, Manfred Weißbecker, Bibliographisches Institut, Leipzig 1983, S. 539.
  • Thomas Freiherrn v. Fritsch-Seerhausen: Die Landesabteilungen Magdeburg-Anhalt, Sachsen, Thüringen der Deutschen Adelsgenossenschaft, Selbstverlag, Schwäbisch Gmünd 1998. DNB 956090737
  • Stephan Malinowski: „Führertum“ und „Neuer Adel“. Die Deutsche Adelsgenossenschaft und der Deutsche Herrenklub in der Weimarer Republik, Hrsg. Heinz Reif, in: Adel und Bürgertum in Deutschland, Band 2: Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, in: Elitenwandel in der Moderne; 2, Akademie-Verlag, Berlin 2001, S. 173–211. ISBN 978-3-05-003551-2.
  • Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, 3. Auflage, in: Elitenwandel in der Moderne; 4, Akademie-Verlag, Berlin 2003. ISBN 978-3-05-004840-6. Zugleich diss. phil., Technische Universität Berlin, 2001.
  1. a b Walter von Hueck: Organisationen des deutschen Adel seit der Reichsgründung und das Deutsche Adelsarchiv. In: Kurt Adamy, Kristina Hübener (Hrsg.): Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Ein historischer Vergleich. Akademie-Verlag, Berlin 1996, ISBN 978-3-05-007163-3, S. 19–38.
  2. R. v. Mosch: Deutsches Adelsblatt. Wochen-Schrift für die Interessen des christlichen Adels, VI. Jahrgang, №. 16, Goedecke & Gallinek, Berlin, Sonntag, den 15. April 1888, S. 242.
  3. Der Central-Hilfsverein der Deutschen Adelsgenossenschaft in seinem Bestreben und Wirken während der ersten fünf Jahre seines Bestehens, 1888 bis 1892. (Zugleich Rechenschaftsbericht für 1892), Pionier-Buchdruckerei Fr. Spiethoff, Eigenverlag, Berlin 1893, S. 19 ff.
  4. Ortrud Wörner-Heil: Frauenschulen auf dem Lande – Reifensteiner Verband (1897–1997), Schriftenreihe des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Band 11, 2. Auflage, Kassel 1997, ISBN 3-926068-12-4.
  5. Allgemeine Vereinsschrift des Reifensteiner Vereins, Gotha 1915
  6. Ortrud Wörner-Heil: Adelige Frauen als Pionierinnen der Berufsbildung. Die ländliche Hauswirtschaft und der Reifensteiner Verband. kassel university press, Kassel 2010, ISBN 978-3-89958-904-7.
  7. Georg H. Kleine: Adelsgenossenschaft und Nationalsozialismus. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Band 26, 1978, S. 100–143, hier: S. 102 (online)
  8. a b Walter von Hueck: Organisationen des deutschen Adel seit der Reichsgründung und das Deutsche Adelsarchiv. In: Kurt Adamy, Kristina Hübener (Hrsg.): Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert: Ein historischer Vergleich. Akademie-Verlag, Berlin 1996, ISBN 978-3-05-007163-3, S. 19–38, 24 (google.de [abgerufen am 23. Mai 2022]).
  9. Zitiert nach: Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, 3. Auflage, in: Elitenwandel in der Moderne; 4, Akademie-Verlag, Berlin 2003, S. 337. ISBN 978-3-05-004840-6.
  10. Götz von Houwald: Das Eiserne Buch Deutschen Adels Deutscher Art (EDDA) als Grundlage der rassischen Erneuerung des Volkes, in: Rasse: Monatsschrift für den Nordischen Gedanken, Band 11, 2, Hrsg. Richard von Hoff, B. G. Reubner, Leipzig/Berlin 1944, S. 63–70.
  11. Walter von Hueck: Organisationen des deutschen Adel seit der Reichsgründung und das Deutsche Adelsarchiv. In: Kurt Adamy, Kristina Hübener (Hrsg.): Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Ein historischer Vergleich. Akademie-Verlag, Berlin 1996, S. 19–38. ISBN 978-3-05-007163-3.
  12. Vgl. Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft 1922, Hrsg. Deutsche Adels-Genossenschaft, Schriftführeramt, Satzung, § 4 Mitgliedschaft, Verlag Wirtschaftsbund für den Deutschen Adel E.G.M.B.H., Berlin 1922, S. 42.
  13. Georg H. Kleine: Adelsgenossenschaft und Nationalsozialismus. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Band 26, 1978, S. 100–143, S. 115–116 (online)}
  14. Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789–1945). Herausgegeben von Dieter Fricke, Band 1, Deutsche Adelsgenossenschaft, Primärquellen: Kreuz-Zeitung vom 16.9.1933; National-Zeitung vom 11.10.1933, Verlag des Bibliographisches Institut, und Pahl-Rugenstein, Leipzig, Köln 1983, S. 539. ISBN 3-7609-0782-2.
  15. Georg H. Kleine: Adelsgenossenschaft und Nationalsozialismus. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Band 26, 1978, S. 100–143, S. 118 (online).
  16. www.adelsrecht.de/Geschichte
  17. Adelsquellen