Deutsche Reformpartei

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Die Deutsche Reformpartei (DRP) war eine der Antisemitenparteien im Deutschen Kaiserreich. Sie wurde zunächst unter dem Namen Antisemitische Volkspartei (AVP) am 20. März 1890 von Otto Böckel gegründet, der zu den politisch radikalen Radau- und Rassenantisemiten gerechnet wird und einen antichristlichen-rassistischen Antisemitismus vertrat. Die Partei war, ebenso wie die Deutschsoziale Partei aus der 1886 in Kassel gegründeten Deutschen Antisemitischen Vereinigung hervorgegangen. Als sich 1893 die sächsischen Antisemiten (Deutscher Reformverein) unter Oswald Zimmermann der Partei anschlossen, wurde sie in Deutsche Reformpartei umbenannt und Zimmermann zum Vorsitzenden gewählt.

Im Gegensatz zu den eher konservativen deutschsozialen Antisemiten um Max Liebermann von Sonnenberg verfolgten die „Reformer“ einen antikonservativen Sozialpopulismus und traten unter der Wahlparole „gegen Junker und Juden“ für soziale Reformen zugunsten der unteren Bevölkerungsschichten ein. Die Spannungen zwischen diesen Gruppen beschrieb der Publizist Hellmut von Gerlach: „Der eine war Mittelständler, der andere Arbeiterfreund, der eine Aristokrat, der andere Demokrat. Der eine rief zum Kampf gegen Juden und Junker auf, der andere ging mit den Großagrariern durch dick und dünn. Bei jeder Abstimmung fiel die Fraktion auseinander.“[1]

Die Partei hatte ihre Schwerpunkte in der preußischen Provinz Hessen-Nassau und im Großherzogtum Hessen unter Otto Böckel[2] und im Königreich Sachsen unter Oswald Zimmermann.[3] Zwischen 1892 und 1894 agitierte der Radauantisemit Hermann Ahlwardt in Brandenburg und Pommern für die Partei. Gewählt wurde sie vor allem in ländlichen Regionen von Bauern und Handwerkern. In Sachsen sprach die Partei städtische Mittelschichten an. In Dresden war die Deutsche Reformpartei von 1893[4] bis 1905 die stärkste kommunalpolitische Kraft. Bereits 1887 war Böckel als erster unabhängiger Antisemit in den Reichstag gewählt worden. 1890 gewann die AVP vier Mandate (Böckel, Zimmermann, Pickenbach und Werner). Mit dem Mitteldeutschen Bauernverband verfügte die Partei über eine Basisorganisation und brachte im hessischen Raum zwei Tageszeitungen heraus. Enge Kontakte wurden außerdem zu den österreichischen Antisemiten um Georg von Schönerer und Karl Hermann Wolf gepflegt.

Bei der Reichstagswahl 1893 gewannen die Antisemitenparteien insgesamt 16 der 397 Sitze, von denen 11 auf die DRP entfielen. 1894 schloss sich die DRP mit den Deutschsozialen zur Deutschsozialen Reformpartei (DSRP) zusammen. Der Niedergang der Böckel-Bewegung in Hessen schwächte die DRP und stärkte den deutschsozialen Flügel. 1895 wurden die besonders radikalen Antisemiten Otto Böckel und Hermann Ahlwardt aufgrund ihrer antikonservativen Haltung aus der Partei ausgeschlossen, woraufhin sie die Antisemitische Volkspartei neu gründeten. Diese blieb allerdings bedeutungslos. Die „Reformer“ unter Oswald Zimmermann verblieben zunächst in der DSRP, bis sich die Partei 1900 wieder in Deutschsoziale und „Reformer“ aufspaltete.[5] Programmatisch orientierte man sich zunehmend an der völkischen Bewegung. Beide Flügel schlossen sich 1914 in der Deutschvölkischen Partei zusammen, die 1917 in der Deutschen Vaterlandspartei aufgingen, und deren Mitglieder den Kern des 1922 verbotenen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes stellten.

  • Werner Bergmann: Deutschland. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 1: Länder und Regionen. K. G. Saur, München 2008, S. 84–102, hier S. 91–93.
  • Dieter Fricke: Antisemitische Parteien 1879–1894. In: ders. (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 36–40. (und weitere Artikel im genannten Werk)
  • Dieter Fricke: Die Organisation der antisemitischen Deutsch-Sozialen Reformpartei 1894–1900. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 29 (1981), S. 427–442.
  • Thomas Gräfe: Deutsche Reformpartei. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen. De Gruyter Saur, Berlin / Boston 2012, S. 157–160.
  • Richard S. Levy: The Downfall of the Anti-Semitic Political Parties in Imperial Germany. Yale University Press, New Haven, Conn. 1975.
  • Peter G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, Teil 3: Deutschland 1867–1900, S. 125–164.

Einzelnachweise

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  1. Hellmut von Gerlach: Von Rechts nach Links. Europa-Verlag, Zürich 1937, S. 112.
  2. David Peal: Anti-Semitism and Rural Transformation in Kurhessen. The Rise of the Böckel Movement. Dissertation, Columbia University 1985.
  3. Matthias Piefel: Antisemitismus und völkische Bewegung im Königreich Sachsen 1879–1914. V & R Unipress, Göttingen 2004. Zu einem weiteren örtlichen Schwerpunkt siehe die Regionalstudie von Stefan Ph. Wolf: Für Deutschtum, Thron und Altar. Die Deutsch-Soziale Reformpartei in Baden (1890–1907). Wolf-Fachverlag, Karlsruhe 1995, und Dieter Neuer: Aus dem Landtagsalltag zweier badischer Abgeordneter. Georg Philipp Pfisterer und Friedrich Mampel (Deutsche Reformpartei). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 150 (2002), S. 397–440.
  4. Geschichte der Stadt Dresden. Band 3: Von der Reichsgründung bis zur Gegenwart (1871–2006). Hrsg. v. Holger Starke, Theiss, Stuttgart 2006, ISBN 3-8062-1928-1, S. 56.
  5. Christoph Nonn: Aktivismus und Indifferenz. Antisemitismus in Deutschland 1871–1945. In: Horst Lademacher u. a. (Hrsg.): Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich. Waxmann, Münster 2004, S. 639–661, hier S. 643.