Diskussion:Commission de Triage
"Ethnische Deutsche"
[Quelltext bearbeiten]Dieser Begriff erscheint mir hier gleich aus mehreren Gründen nicht sinnvoll und irreführend. Zunächst einmal legt die Formulierung "neben DEN ethnischen Deutschen" nahe, dass hier eine komplette Bevölkerungsgruppe ausgewiesen wurde. Dann fragt man sich natürlich, wen diese Gruppe umfasste. Der zweite Teil des Satzes legt nahe, dass damit alle Bewohner des Reichslandes gemeint waren, die bei den verschiedenen Volkszählungen als Muttersprache "Deutsch" und nicht "Französisch" oder eine andere angaben, also über 90 %, im elsässischen Teil um die 95 %. Die Elsässer, die ganz selbstverständlich ihren angestammten Dialekt sprachen, werden damit automatisch als "Deutsche" klassifiziert, was ich insofern problematisch finde, weil sich diese zum ganz überwiegenden Teil als Elsässer, Bewohner eines Dorfes oder einer Region oder Angehörige einer Konfession, nicht als "Deutsche" oder "Franzosen". Dazu kommt, dass "Ethnie" und "Muttersprache" keineswegs dasselbe waren und sind, auch im Elsass nicht. In Kreisen des Bürgertums war Mehrsprachigkeit selbstverständlich: Man sprach im Familienkreis Elsässisch, schrieb Briefe auf Deutsch und Tagebuch auf Französisch, las deutsche Zeitungen, Literatur in beiden Sprachen und wechselte auch mal mitten in der Konversation die Sprache hin zum prestigeträchtigeren Französischen. Dazu kam, dass die verwendete Sprache stark von der politischen Überzeugung (pro-deutsch oder pro-französisch) abhing: Nach 1918 und nach 1945 hat sich manch einer eher die Zunge abgebissen in seinem radebrechenden Französisch als dass er in deutscher oder elsässischer Sprache gesprochen hätte, auch wenn dies selbstverständlich seine Muttersprache war. In einer Region, in der über mindestens zwei Jahrhunderte Mehsprachigkeit in drei Sprachformen Alltag war und diese zum Teil auch wild gemischt wurden, war die Einteilung nach deutscher und französischer Muttersprache nur eine Fiktion der Beamten, die Volkszählungen durchführten und Statistiken erstellten. Ähnlich sah es in Böhmen, Oberschlesien und in anderen Teilen Ostmitteleuropas aus. Dazu kommt, dass die Unterschiedung nach "Ethnie" oder "Muttersprache" keine war, die bei den commissions de triage irgendeine Rolle gespielt hätte; entscheidend war, ob man selbst oder Vorfahren aus dem Deutschen Reich zugewandert waren und wie man sich zur deutschen Herrschaft verhalten hatte. Die Information, dass neben "ethnische Deutschen" auch "französische Muttersprachler" betroffen waren, ist zwar formell richtig, aber sie aufzuführen ist genauso sinvoll wie zu sagen, dass Protestanten auch Katholiken und Juden Opfer der triage wurden oder neben Liberalen und Konservativen auch Sozialdemokraten - auch das ist richtig, aber es ist nicht wesentlich, dies hier aufzuführen. Angesichts der verschwindend geringen Zahl der Nur-Französisch-Muttersprachler (die meisten Frankreichtreuen waren ja 1871 emigriert, um 1919 teilweise wiederzukommen und Rache zu nehmen) ist diese Information sogar noch weniger relevant. Fakt ist, dass die meisten Ausgewiesenen Altdeutsche, deren Ehepartner und Kinder waren; die große Mehrheit der Elsässisch Sprechenden durfte bleiben, wurde aber in den folgenden Jahren starken Assimilationsbestrebungen ausgesetzt. Dazu kamen "Einheimische", die sich etwa durch politische Ämter im System des Kaiserreich der "Kollaboration" verdächtig gemacht hatten, dies wie so oft teilweise sehr willkürlich, weil manche "Wendehälse", die 1914 noch im Reichstag den Kriegskrediten zugestimmt hatten und 1918 am lautesten die Marseillaise intonierten, bleiben durften. Und dass beide Gruppen "elsässisch" waren, gilt für die Gruppe der "Altdeutschen" nur bedingt: Es gab natürlich Fälle von Ehen zwischen Zugewanderten und Elsässer*innen, aber Selbstzeugnisse von Beamten, Offizieren und Professoren in Straßburg zeigen, dass diese oft jahrelang unter sich bleiben und kaum mit einem Elsässer persönlichen Kontakt hatten, weil diese keinen Wert auf Interaktion mit den "Preußen" legten, auch wenn sich das in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg etwas gewandelt hatte. So, jetzt habe ich hoffentlich lange genug ausgeführt, warum ich die jetzige Formulierung nicht für sinnvoll halte. Mein Kompromissvorschlag wäre: "Neben den "Altdeutschen" waren auch nicht zugewanderte Elsässer [alternativ: Altelsässer?] betroffen, denen man Kollaboration mit der Besatzungsmacht vorwarf." Kollaboration und Besatzungsmacht sind hier natürlich wiederum problematische Begriffe (in der französischen Historiographie wird die Reichslandzeit ganz selbstverständlich als „occupation“ bezeichnet, aber das finde ich zu einfach), sodass man sie in Anführungszeichen setzen könnte. Stefanbw (Diskussion) 14:57, 26. Jan. 2018 (CET)
- Die Aussage "dass die Unterschiedung nach "Ethnie" oder "Muttersprache" keine war, die bei den commissions de triage irgendeine Rolle gespielt hätte" kann ich nicht teilen. Es ging um die Loyalität zu Frankreich. Bei Altdeutschen wurde diese überwiegend nicht gesehen, bei deutschen Muttersprachlern mit Wurzeln in EL schon eher, bei französischsprachigen überwiegend. Genau das sollte der Satz deutlich machen: Die meisten Ausgewiesenen waren Altdeutsche, ein kleiner Teil "unzuverlässige" ethnische Deutsche wie Eugen Ricklin und manchmal eben auch Einwohner französischer Muttersprache. Daneben ist das Wort Elässer in Lothringen natürlich nicht passend und "Besatzungsmacht" ist massiv POV. Wie wäre es mit "Neben den "Altdeutschen" waren auch nicht zugewanderte Elässer und Lothringer (darunter auch solche mit französischer Muttersprache) betroffen, denen man Kollaboration mit der deutschen Verwaltung oder dem deutschen Militär vorwarf."--Karsten11 (Diskussion) 15:42, 26. Jan. 2018 (CET)
Klingt nach einer wunderbaren Kompromisslösung. Stefanbw (Diskussion) 12:25, 27. Jan. 2018 (CET)