Diskussion:Congo Square
Schwierige Quellenlage
[Quelltext bearbeiten]Dass G.W. Cable und L.M. Gottschalk wirklich persönlich afrikanische Musik auf dem Congo Square gehört haben, ist mehr als zweifelhaft. Wie inzwischen schlüssig belegt wurde, hatte Cable seine Beschreibungen aus einem Bericht aus der Karibik, die er einfach mit "künstlerischer Freiheit" und einem guten Schuss Romantik auf den Congo Square übertrug. Denn als er dort war, gab es mit grosser Wahrscheinlichkeit schon keine der geschilderten Treffen mehr. Bei Gottschalk ist die Lage noch eindeutiger. Angesichts der Details seiner Biographie und seiner Wohnorte müsste er eigentlich schon als Kleinkind am Congo Square gewesen sein und wesentliche musikalische Erlebnisse aufgenommen haben - unwahrscheinlich. Zudem verlief die kulturelle Adaption europäischer und amerikanischer Musiktraditionen durch die Sklaven der Beleglage nach viel schneller als bisher kolportiert. Schon lange vor dem Bürgerkrieg wurden offenbar dort 'jigs', 'Virginia breakdowns' und ähnliches getanzt, neben noch stärker afrikanisch und karibisch geprägten Tänzen (s. John McCusker, Kid Ory and the Early Years of Jazz, 2012, S. 81: "They were borrowing rapidly from the culture around them.") (nicht signierter Beitrag von 2A02:1205:34C9:9960:70EF:41D6:EF25:9152 (Diskussion | Beiträge) 09:42, 5. Sep. 2013 (CEST))
Cable gibt ja auch selbst in seinem Aufsatz nicht vor, Augenzeuge gewesen zu sein, insofern ist das jetzt korrigiert. Mir ist nicht ganz klar, bis wann genau diese Versammlungen von Sklaven mit Tanz und Musik nun eigentlich andauerten. Wenn es noch in den 1840er Jahren war, kann Gottschalk noch etwas davon mitbekommen haben (Jahrgang 1829, frühreife Begabung, wuchs in New Orleans auf, studierte 1842 in Paris, Bamboula bald darauf komponiert..). Ich habe ihn allerdings nur erwähnt, weil er häufiger damit in Zusammenhang gebracht wird (nicht zuletzt bei Cable), wo er was gehört hat, müsste man vielleicht in seinen Biographien nachgucken.--Claude J (Diskussion) 13:49, 5. Sep. 2013 (CEST)
F. Starr schreibt detailliert über die Wohnorte und privaten Verhältnisse Gottschalks. Ich fand das beim Lesen ganz plausibel und gut recherchiert. Ich halte es für höchst wahrscheinlich, dass Gottschalk seine "afrikanischen" Rhythmen eher durch seine aus der Karibik stammende Grossmutter Bruslé und sein afro-amerikanisches Kindermädchen Sally mitbekam (s. Frederick Starr, "Louis Moreau Gottschalk", S. 40ff.). Was den Congo Square und die musikalische und sonstige Akkulturation der Schwarzen in New Orleans angeht, gibt es mittlerweile eine Fülle von gut fundierten Büchern und Zeitschriftenaufsätzen. Mir fallen spontan das Buch des Trompeters Randall [Randy] Sandke ein ("Where the Dark and the Light Folks Meet...", S. 45ff.) und besonders die Arbeit von Henry Kmen ("The Roots of Jazz and the Dance in Place Congo" in: 'Inter-American Musical Research Yearbook' 8/1972). (nicht signierter Beitrag von 2A02:1205:34C9:9960:155A:95DC:DC2:B59D (Diskussion | Beiträge) 12:53, 7. Sep. 2013 (CEST))
Danke für den Hinweis (insbesondere Sandke), die verbindung zum jazz scheint doch weitgehend fiktion zu sein.--Claude J (Diskussion) 14:58, 7. Sep. 2013 (CEST)
Weitere Lit. zum Congo Square z.B. Jerah Johnson, "Congo Square...", in: 'Louisiana History' Nr. 2, 1991. Meiner Ansicht nach besteht der "link" zw. afrikanischer Musik und Jazz in der spezifischen Melodik afro-amerikanischer Spirituals einerseits (sehr aufschlussreich die Ausführungen von H.E. Krehbiel in seiner klassischen Untersuchung, die um 1914 herauskam und die als Vollansicht bei google-´books zu lesen ist; hier registriert er erstaunt die ersten "blue notes" in Gestalt der flattened seventh und - noch weniger häufig - der kleinen Terz). Einerseits also der direkte Einfluss über religiöse Musik der Schwarzen, die sich über das ganze 19. Jhdt. entwickelte, parallel zu den üblichen work songs und field hollers, sowie vielleicht (!) den ersten Proto-Blues, die Lafcadio Hearn hörte, als er den Stoff für seinen Artikel "Levee Life" sammelte (80iger Jahre des vorletzten Jhdts. - auch der ist im Internet zugänglich und hinsichtlich der Struktur der wiedergegebenen Songtexte her höchst aufschlussreich). Das Einfliessen solcher features in die zeitgenössische Musik des 19. Jhdts. lässt sich nicht nur an Gottschalks Stücken registrieren, sondern z.B. auch an einigen für uns ungewöhnlich klingenden Rags; Will Marion Cook (mit dem S. Bechet ja seine erste Europareise machte) hat hier das ein oder andere stilistisch hochinteressante komponiert (etwa "Darktown is Out Tonight"). Andererseits dürfte ein Grossteil des Einflusses indirekt über karibische Musik gelaufen sein. Generell bin ich aber der gänzlich politisch unkorrekten, ja ketzerischen Ansicht, dass der Einfluss afrikanischer Musik auf den Jazz überschätzt wird. Ich glaube nach Auswertung sehr vieler Quellen eher, dass der erste Jazz eher ein ziemlich originäres Eigengewächs der musikalischen Umstände der Stadt New Orleans gewesen ist - zu denen afrikanische/karibische/mexikanische und andere Einflüsse natürlich auch gehörten. Aufschlussreich hierzu ist übrigens die indignierte Reaktion Danny Barkers ("... you don't sell me Africa...") auf Behauptungen von Alan Lomax über afrikanische Einflüsse in J.R. Mortons Spiel (ebenfalls zitiert in Sandke). (nicht signierter Beitrag von 2A02:1205:34C9:9960:59B8:80B9:ED0D:5F0 (Diskussion | Beiträge) 17:38, 7. Sep. 2013 (CEST))
Weitere wichtige Hinweise zu diesem Thema finden sich z.B. in Tom Bethell, George Lewis - A Jazzman from New Orleans. S. 5f. Das Buch ist im Internet als Vollansicht lesbar, skurrilerweise unter "Essays in Legal Philosophy" [kein Scherz!]. (nicht signierter Beitrag von 2A02:1205:34C9:9960:18E0:F59C:A94:8261 (Diskussion | Beiträge) 20:25, 7. Sep. 2013 (CEST))
Um das ganze abzuschliessen (den Artikel in seiner neuen Form finde ich übrigens sehr gut), einige kurze Hinweise: Viele Briefe von Lafcadio Hearn an den Musikkritiker H.E. Krehbiel bieten für den Jazzhistoriker sehr interessante Hinweise (Quelle hierzu: The Life and Letters of Lafcadio Hearn, Hg. E.Bisland; im Internet als ´Project Gutenberg E-Book´ lesbar). Besonders 2 Briefe von 1885 - leider nicht genauer datiert - sind aufschlussreich. Darin nimmt er Rekurs auf den Congo Square und meint, diese Musiker seien "weiss Gott wohin" verschwunden. An anderer Stelle erwähnt er, dass es seines Wissens nach nur noch auf dem Land, auf den Plantagen, ursprünglichere Formen afrikanischer Musik gäbe, in New Orleans hingegen kaum - "the city singers... are too much civilized to retain originality". In den Briefen finden sich auch Ausführungen zur Dichotomie von wohlhabenderen, gebildeten Kreolen (downtown "gents de couleur") und den "amerikanischen" "uptown blacks". Weitere Lit: M. Sakakeeny, New Orleans Music as a Circulatory System. 2011 (zu Congo Square Seite 297)
James Creecy, Scenes in the South. 1860.
C. Carney, New Orleans and the Creation of Early Jazz, in: ´Popular Music and Society´, 3, July 2006.
Freddie Williams Evans, Congo Square - African Roots in New Orleans. 2011 (nicht signierter Beitrag von 2A02:1205:34C9:9960:A10B:6691:44CB:3A1 (Diskussion | Beiträge) 22:18, 9. Sep. 2013 (CEST))
Alles interessante Quellen, besonders letzteres Buch (falls man rankommt). Ich habe inzwischen auch in Henry Edward Krehbiels Buch reingeguckt, wo er bezüglich karibisch-afrikan. Tänze auf die Reisebeschreibungen aus Martinique von Lafcadio Hearn von 1887 verweist (auch Gutenberg, man suche dort unter "old african dances" im Text), die den Beschreibungen beim Congo Square ähneln (was natürlich für das Thema hier ein Problem darstellt, da ja Cable und andere offenbar Quellen vermischten). Das wäre im Übrigen vielleicht auch was für die Artikel Conga und Bambule (der Artikel Bamboule fehlt).--Claude J (Diskussion) 13:02, 10. Sep. 2013 (CEST)
Was Hearn in den 80iger Jahren des vorletzten Jhdts. in einem Hinterhof der Dumaine Street in New Orleans hörte (siehe seinen Artikel in einer Ausgabe von 'Century' 1883 (Jahreszahl nach Gedächtnis, das Archiv dieser Zeitschrift, in der sich auch diverse Art. von G.W. Cable finden, ist online einzusehen), dürfte eher ein Voodoo-Ritus gewesen sein als ein normaler "lebendiger" afrikanischer Tanz. In seiner Korrespondenz erwähnt er, dass er nur noch einen einzigen Song mit afrikanischem Refrain kenne, der noch in New Orleans gesungen werde. Der Sängerin, die ihm einen afrikanischen Song vorsang, war aber die Bedeutung der Worte entfallen - Hearn musste diese in afrikanischen Wörterbüchern nachschlagen. Afrika war offenbar weit weg - in einer mehr oder weniger dunklen Vergangenheit verschwunden. Ich halte generell die Idee für interessanter, grundsätzliche, "genotypische" Features afrikanischer Musik - wie das Improvisieren (auch das kollektive) sowie die spezifische Tongebung mit "fractional tones" - als Kontinuum afro-amerikanischer kultureller Adaption zu betrachten, und weniger "phänotypische", äussere Erscheinungsformen der Musik wie bestimmte Rhythmen oder Melodien.