Diskussion:Epikur/Archiv/2007
Theodizee II
Da mir Verlauf und Ergebnis der obigen Diskussion zur Theodizee unbefriedigend vorkommen, möchte ich auf das Thema zurückkommen. Ich teile die Auffassung von Irene und Kursch, daß das Thema wichtig und für den Artikel relevant ist und daher nicht nur versteckt in einer Fußnote, sondern im Text behandelt werden sollte. Ich beabsichtige eine diesbezügliche Ergänzung des Artikels und möchte das begründen.
Zur Relevanz. Es trifft zu, was Irene geschrieben hat, daß die Laktanzstelle auch heute noch in Diskussionen über die Theodizee eine große Rolle spielt, und daß sie dabei gewöhnlich Epikur zugeschrieben wird. Das illustrieren die von Irene angeführten Beispiele im Internet, meine Erfahrung ist dieselbe: Die Stelle ist berühmt, und sie wird in der Öffentlichkeit normalerweise Epikur zugeschrieben, wie es ja der Angabe des Laktanz entspricht. Das heißt, sie ist ein gewichtiger Teil der Epikur-Rezeption, auch und besonders in der Gegenwart, und als solcher im Artikel zu würdigen. Ich füge zu den Belegen noch einen weiteren gewichtigen hinzu: Die Theologische Realenzyklopädie enthält im 33. Band (2002) ein umfangreiches Theodizee-Lemma. Dort beginnt S. 232 die Darlegung der Theodizeegeschichte vor Leibniz mit der wörtlichen Wiedergabe der Laktanzstelle, die als "Epikur zugeschriebenes Fragment" bezeichnet wird, und des weiteren wird ausgeführt: "Das angeführte Epikurzitat variierend und erweiternd, bestimmen drei Voraussetzungen die Rückübertragung der neuzeitlichen Theodizeeproblematik auf analoge Kontexte in Antike und Mittelalter ..." Demnach ist die Laktanzstelle als Epikurzitat Angelpunkt der Theodizeediskussion, insoweit diese überhaupt die Tradition vor Leibniz rezipiert. Das darf nicht verschwiegen werden. Sehr viele Leser lesen die Fußnoten nicht (da sie dort nur Stellennachweise erwarten, die sie nicht brauchen); diese Leser werden meinen, das Thema sei glatt übersehen. Außerdem bietet die Fußnote 6 keine für den uninformierten Leser verständliche Darstellung des Sachverhalts.
Zum Sachverhalt selbst. Die Angelegenheit ist nicht umstritten, sondern geklärt: an der Unechtheit des von Laktanz überlieferten angeblichen Epikurzitats besteht kein Zweifel. Das hat schon Paul Schwenke 1888 erkannt (Berliner Philologische Wochenschrift 8, S. 1308f.), ihm folgten Otto Plasberg (in seiner Ausgabe von De natura deorum) und Arthur Stanley Pease (ed.), De natura deorum, Cambridge 1958, S. 1232f.; Pease stellt fest "The argument is clearly neither Epicurean nor Stoic". Diese Gelehrten waren sich bereits im klaren darüber, daß das Theodizee-Argument sicher nicht von Epikur stammt, und sie haben auch festgestellt, daß es nicht einmal auf eine späte epikureische Tradition zurückzuführen sein kann, sondern aus der akademischen Skepsis stammt, wahrscheinlich vermittelt durch eine verlorene Passage aus Cicero, De natura deorum 3,65. Abschließend geklärt wurde die Frage von Reinhold Glei, Et invidus et inbecillus. Das angebliche Epikurfragment bei Laktanz, De ira dei 13,20-21, in: Vigiliae Christianae 42 (1988), S. 47-58. Er zeigt, daß das Theodizeeargument aus einer nicht nur unepikureischen, sondern sogar antiepikureischen akademischen Quelle stammt, aus der sowohl Cicero als auch Sextus Empiricus (in den Pyrrhoneischen Hypotyposen) geschöpft haben. Laktanz hat es Epikur zugeschrieben, weil er seine Quelle mißverstand und den Gehalt und die philosophischen Konsequenzen dessen, was er da zitierte, gar nicht begriff.
So weit, so gut. Nun ist aber die Lage eben die, daß die Öffentlichkeit diese Forschungsergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt. Bei dem von Irene oben zitierten Hans Küng erstaunt das nicht - der hat natürlich weder Zeit noch Lust, sich um solche Fragen zu kümmern. Hier kommt nun die Aufgabe der Wikipedia ins Spiel, aufklärend zu wirken. Zweck des Epikur-Artikels ist es nicht nur, positive Aussagen über die Lehre Epikurs zu machen, sondern ebenso - nicht minder wichtig - negative Aussagen darüber, was Epikur nicht gelehrt hat, obwohl prominente Leute wie Küng das immer noch behaupten. Der Theodizeepunkt ist weiterhin ein sehr wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Wahrnehmung Epikurs, und unsere Aufgabe ist, das zu ändern.
Nun fragt sich, gehört das in die Darstellung der Lehre oder in den Rezeptionsteil? Das Problem ist, daß viele Leser den Rezeptionsteil nicht lesen, da sie sich nur für die authentische Lehre Epikurs interessieren. Gerade diese Leser sollen aber darüber aufgeklärt werden, daß das Theodizeeargument entgegen landläufiger Meinung unepikureisch und sogar antiepikureisch ist, und warum das so ist. Daher möchte ich es sowohl im doxographischen als auch im Rezeptionsteil erwähnen.
Abschließend möchte ich noch auf die oben von Victor gestellte Frage antworten: "Nun wäre die Frage: Soll, und wenn ja in welchem Umfang, Theodizee eine Rolle im Artikel spielen, wenn dies Thema für die eigene Philosophie Epikurs keine Rolle spielt, sondern nur dazu dient, die Stoiker zu widerlegen?" Diese Frage bejahe ich unbedingt (unter der hypothetischen, objektiv falschen Annahme, Epikur hätte tatsächlich mit dem Theodizeeargument der Laktanzstelle gegen die Stoiker polemisiert). Hätte er das getan, so wäre das ein für ihn selbst sehr wichtiger Fakt. In einem Artikel über einen Philosophen geht es nicht nicht nur um das, was er gelehrt hat, sondern genauso auch um das, was er bekämpft hat. Viele bedeutende Philosophen waren Polemiker und haben ihre Ideen aus der Polemik und Abgrenzung heraus entwickelt. Bei Skeptikern ist die Widerlegung fremder Ansichten überhaupt der wichtigste Teil ihrer Leistung. Dergleichen hat im Artikel eine wichtige Rolle zu spielen. Auch die Aufklärung über populäre Irrtümer ist sehr wichtig, obwohl sie zum Verständnis des positiven Gehalts einer Lehre nicht unmittelbar beiträgt. Schutt wegräumen ist eine "negative", aber höchst wertvolle Tätigkeit und steht gleichberechtigt neben "positivem" Tun. Nwabueze 02:50, 16. Okt. 2007 (CEST)
- Angesichts Deiner kenntnisreichen Ausführungen ist es wohl sinnvoll, auf die Theodizee im Haupttext einzugehen (ohne, dass ich - wie ich oben sagte - in der Frage eine besondere Kompetenz beanspruchte). (Ich teile auch Deine Meinung zur Aufgabe der WP).--Victor Eremita 10:23, 16. Okt. 2007 (CEST)
- dem von Nwabueze Gesagten ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. habe jetzt nicht alle feinheiten der obigen diskussion (punkt 14) nachvollziehen wollen, v.a. weil ich keinen grund sehe, die de ira dei-stelle zu verschweigen. sie ist sehr bekannt, wird zu theodizee rauf- und runterzitiert, auch zb von leibniz (theodizee hg. buchenau p. 486) prominent kritisiert usw., auch in aktuellen werken (zb auch mackie 1985, 239). dass man die nicht-authentizität mit dazu anmerken sollte (zumal peinlicherweise auch das HWPh s.v. theodizee nichts davon weiß!) scheint mir ebenfalls offensichtlich. wo genau, also ob sie jetzt unter rezension oder lehre gehören kann oder muss oder nicht darf, da halte ich keine aktien, kann man finde ich so oder so begründen. Ca$e 14:31, 16. Okt. 2007 (CEST)
- Danke, Nwabueze, für deine interessanten Ausführungen. Es freut mich, dass aus meinem Anliegen jetzt ein größerer Gewinn für Wikipedia entsteht, als ich erwartet hatte. Ich habe übrigens jetzt im Artikel Theodizee den Satz geändert, in dem zuvor behauptet wurde, die Formulierung des Theodizeeproblems stamme von Epikur. Gruß -- Irene1949 02:46, 17. Okt. 2007 (CEST)
- Ich habe mir jetzt Theodizee angeschaut und habe den Eindruck, daß dort einiges im argen liegt. Ich möchte dort gern eingreifen, weiß aber noch nicht, wann ich dazu komme. Bei einigen der Argumente der Theodizeeanhänger wird nicht erwähnt, daß es sich um philosophisch völlig unbrauchbare Scheinlösungen handelt, die von den Theodizeegegnern mühelos widerlegt werden. In manchen "Argumenten" wird mit nebulösem Geschwätz am Thema vorbeigeredet. Warum werden die Gegenargumente der Theodizeegegner nicht überall mit angegeben? Nwabueze 05:04, 17. Okt. 2007 (CEST)
Die Frage ist nun, wo kommt der neue Abschnitt hinein. Früher war der einschlägige Satz im Abschnitt "Die Überwindbarkeit von Furcht", hinter "... außer Betracht bleiben", wo er aber den Gedankengang unterbricht und die Anknüpfung des folgenden Abschnitts "Gleiches gilt für den Tod ..." stört. Ich möchte einen separaten Abschnitt "Theodizee" mit eigener Überschrift (nicht zu ausführlich, sondern mit Verlinkung nach Theodizee, wo das breiter ausgeführt werden kann). Dann kann auf zusätzliche Erwähnung im Rezeptionsteil verzichtet werden, da das als Redundanz kritisierbar wäre. Da ein separater Abschnitt aber in der alten Diskussion (siehe oben) verworfen wurde, frage ich erst hier, ob es Einwände gibt. Es stimmt ja, daß das Thema mit dem positiven Gehalt von Epikurs Lehre nichts zu tun hat, aber z.B. bei Apollonius von Tyana mußte ich einen längeren Abschnitt über die Indienreise schreiben, die aller Wahrscheinlichkeit nach nie stattgefunden hat, und einen weiteren über einen Ritualmord, der ebenfalls ohne Bezug zur historischen Wirklichkeit ist. Ich meine, darum kommt man nicht herum und es ist völlig in Ordnung. Nwabueze 05:31, 17. Okt. 2007 (CEST)
- keine einwände ;) und eine verbesserung von Theodizee würde ich selbstverständlich sehr begrüßen. Ca$e 08:56, 17. Okt. 2007 (CEST)
- Über eine Verbesserung von Theodizee durch dich, Nwabueze, würde auch ich mich sehr freuen. Von den Lösungsversuchen der Theodizeeanhänger habe ich keine höhere Meinung als du. Teilweise habe ich schon Einwände dagegen in den Text eingefügt. Allerdings recht zurückhaltend, aus der Erfahrung heraus, dass selbstformulierte Argumente gern mit der Begründung Theoriefindung gelöscht werden. Du, Nwabueze, scheinst mir jemand zu sein, der sich auskennt und relativ leicht Widerlegungen von bekannten Theodizeekritikern mitsamt Beleg in den Artikel einfügen könnte. Das fände ich prima: Dann könnte ich noch etwas dazulernen. Gruß -- Irene1949 01:09, 18. Okt. 2007 (CEST)
Ich habe jetzt noch kleinere Änderungen vorgenommen; die bisherige Aussage Eine göttliche Vorsehung kam für Epikur auch wegen der angenommenen Vielzahl der Welten nicht in Betracht, weil eine so ausgedehnte Sorgetätigkeit für die seligen Götter unangemessen wäre war zwar durch den angegebenen Beleg - Erler (1996) S. 50 - formal gut abgesichert, aber eine Überprüfung der Quelle, auf die sich Erler hier beruft (Cicero de natura deorum I 19ff., 51ff.), zeigt, dass diese Formulierung doch etwas problematisch ist: Epikur verwirft nicht nur eine zu ausgedehnte Sorgetätigkeit der Götter, sondern schlechthin jede Sorgetätigkeit, was im Rahmen seiner Lehre konsequenzhalber nicht anders sein kann. Würde er das All als endlich betrachten bzw. nur eine Welt annehmen, so wäre das Ergebnis somit dasselbe. Hinzu kommt, daß er nicht nur das All, sondern auch die Anzahl der Götter als unendlich betrachtet, somit kaum damit argumentieren kann, daß die Götter wegen der Ausdehnung des Alls bzw. der Vielzahl der Welten mit der Sorgetätigkeit überfordert wären. Dies sei bei allem Respekt vor Erler hier angemerkt. Nwabueze 20:09, 17. Okt. 2008 (CEST)
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Das „vierfache Heilmittel“ und weitere Verhaltensregeln genauer erklären?
Liebe Freunde Epikurs,
läßt sich der Satz „Wenn uns nicht die Vermutungen über die Himmelserscheinungen und die angstvollen Gedanken über den Tod, als ob er uns irgendetwas anginge, ferner die mangelnde Kenntnis der Grenzen von Schmerzen und Begierden belastete, brauchten wir keine Naturphilosophie.“ eventuell für Nichtphilosophen etwas verständlicher formulieren - oder durch eine Deutung / Erklärung / Anwendung erweitern?
So finde ich ihn total unverständlich.
Pardon, Martin
Meine Deutung: Die Menschen hatten Angst vor den Himmelserscheinungen, etwa in Blitz und Donner vermuteten sie unheilvolle göttliche Mächte. Eine Naturphilosophie, welche die Natur aus sich heraus ohne Rekurs auf übernatürliche Mächte erklärt, befreit von dieser belastenden Angst. Ebenso versucht Epikur, den Tod und den Charakter von Schmerzen so zu erklären, dass diese Dinge ihren Schrecken verlieren. −-78.48.128.242 00:40, 11. Jul. 2007 (CEST)
- Archivierung dieses Abschnittes wurde gewünscht von: Nwabueze 15:44, 7. Jun. 2011 (CEST)