Diskussion:Jesus nahm zu sich die Zwölfe

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Letzter Kommentar: vor 8 Jahren von 2003:8E:6C3B:2601:5180:E2A0:3EF4:A858
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"Die Kantate ist besetzt mit drei Solisten (Alt, Tenor und Bass), vierstimmigem Chor ..."

Diese Aussage ist problematisch. Sie entspricht der traditionellen, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Aufführungspraxis, deren Grundannahmen hinsichtlich der Besetzung auch von der ersten Generation der historischen Aufführungspraxis unhinterfragt übernommen wurden, aber nicht der Aufführungspraxis Bachs.

Über die Besetzung von Bachs "Chor" ist in den letzten Jahrzehnten viel gestritten worden. Auch wenn es gegen unsere Tradition geht und einige Traditionalisten es nicht wahrhaben wollen, hat sich inzwischen doch weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt: Ein "Chor" musste in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland nicht unbedingt mehrfach besetzte Stimmen haben, eine Kantate konnte grundsätzlich von Solostimmen gesungen werden, und das wurde sehr häufig praktiziert, weil die Aufführung derart anspruchsvoller Musik bei knapper Probenzeit mit wenigen qualifizierten Leuten so besser zu bewerkstelligen war. Eine Verstärkung der Chorsätze mit Ripienosängern konnte, musste aber nicht erfolgen, sie war bei festlichen und repräsentativen Aufführungen üblich.

Die Kantate BWV 22 hatte als Bewerbungsstück natürlich einen solchen repräsentativen Charakter. Das originale Stimmenmaterial ist nicht erhalten, aber die Partitur gibt Aufschluss darüber, dass Bach offenbar die Anfertigung von Ripienostimmen für einen "Chor" (wahrscheinlich einfach ein zweites Quartett zur Verdopplung der Stimmen) wünschte: Im Eingangssatz ist die Stelle, ab der Ripienisten mitsingen sollten, mit einer Schlangenlinie markiert, Bach hat das öfters so praktiziert.

Der erste Satz trägt die Überschrift "Concerto", er beginnt mit dem Arioso, in dem Tenor und Bass quasi als Evangelist und Jesus auftreten, dann folgt der vierstimmige fugierte Satz "Sie aber vernahmen der keines", zunächst mit den vier Singstimmen und Basso continuo, dann tritt das Orchester hinzu. Unter dem Basso continuo steht kurz vor dem Eintritt des Orchesters eine Schlangenlinie, die anzeigt, dass hier erst die Ripienisten einsetzen sollen.

Das heißt: Auch wenn die Kantate keine Arie für Sopran enthält, hat Bach im "Concerto" auf jeden Fall vier "Concertisten" (Solisten) vorgesehen.

Natürlich passt das nicht zur heutigen Aufführungspraxis (zumindest bei Laienchören), denn nur für ein paar Takte im Quartett wird niemand extra eine Sopranistin engagieren. Der Sachverhalt zeigt aber, dass Bachs eigene Aufführungspraxis eben eine ganz andere war als unsere: Sie beruhte auf einem konzertierenden Prinzip, wo Solisten und Chor keinen Gegensatz bildeten, sondern der "Chor" bloß eine registerartige Verstärkung des "Concertisten"-Quartetts darstellte.

Wenn ich Zeit finde, suche ich die Nachweise heraus und überarbeite den Artikel. Ich hoffe bloß, dass dann nicht irgendwelche Dogmatiker, die sehr gut belegte und inzwischen in der internationalen wissenschaftlichen Diskussion weitgehend akzeptierte Erkenntisse für "POV" oder eine exotische Außenseitermeinung halten, einen edit war anfangen. -- 2003:8E:6C3B:2601:5180:E2A0:3EF4:A858 15:53, 14. Dez. 2016 (CET)Beantworten