Diskussion:Mittagsdämon
Hinweise auf die Mittagsfrau (bei den Wenden und Sorben) und die Mittagshexe (Dvorak hat ein Stück mit diesem Titel geschrieben) fehlen. --Reiner Stoppok 23:22, 28. Dez. 2006 (CET)
Bin auf Ihre Anmerkung erst gestoßen, nachdem ich den Artikel heute gründlich überarbeitet habe. Wie Sie sehen können, liegen mir die antiken Quellen näher, obwohl ich bei Grau zumindest auch auf die Mittagsfrau gestoßen bin. Ich will die Bedingungen darstellen, die Euagrios zu seinen so "wirksamen" Ausführungen über die Trägheit veranlassten. Vielleicht sehen Sie eine Möglichkeit, die Sie interessierenden Themen sinnvoll anzuschließen? Ihre Anmerkung war übrigens heute meine zweite Begegnung mit Ihrem Namen, nachdem ich schon beim Artikel über Caesarius von Heisterbach auf ihn gestoßen war. Eine schöne Überraschung! -- Ankallim 23:33, 3. Jan. 2007 (CET)
So, jetzt habe ich das Gewünschte doch selbst gemacht und auch auf Caesarius verwiesen, dessen Text Sie gerade ins Netz stellen. Link muss bei Gelegenheit noch eingefügt werden. Gruß -- Ankallim 12:47, 4. Jan. 2007 (CET)
In dem von Friedrich Sieber (nicht der bei Wikipedia!) (Jena 1925) herausgegebenen Buch Wendische Sagen, in dem ein ganzer Abschnitt der Mittagsfrau gewidmet ist, heisst es auf S.17 f.:
"Einst lag um die Mittagszeit bei Dehsa ein junges Bauernmädchen im Grase und schlief. Ihr Bräutigam saß neben ihr. Er dachte bei sich nach, wie er seine Braut los werden [18] könne. Da kam die Mittagsfrau und legte ihm Fragen vor. Soviel er auch antwortete, immer stellte sie neue Fragen. Als die Glocke eins schlug, stand sein Herz still. Die Mittagsfrau hatte ihn zu Tode gefragt."
Gruß zurück (Ich war über Masse und Macht zuerst darauf gestoßen (ich hoffe, dass Caesarius den auch gemeint hat! Siehe ebd. V.2). Danke für die Korrektur!) --Reiner Stoppok 22:47, 7. Jan. 2007 (CET) PS: Über einen Diskussionsbeitrag bei Wikisource würde ich mich auch freuen! (s. Dialog über die Wunder)
Ich fahre zunächst hier fort, weil das meiste, was ich sagen will, zum allgemeinen Thema Mittagsdämon gehört:
1. Die Zusammenfassung von Grau, nachdem er tschechische, polnische und russische Befunde diskutiert hat, lautet: "Überall dort, wo man während der beiden letzten Jahrhunderte im slawischen Osteuropa an einen Mittagsdämon glaubte, trat dieser fast ausschließlich im Gewande einer weiblichen Gestalt auf, die Feldarbeitern gefährlich wurde, indem sie diese - zuweilen mit einer Sichel - bedrohte oder auch zunächst in ein Prüfungsgespräch - meist über den Flachsanbau - verwickelte und im Falle des Versagens bei dem Examen erwürgte, zumindest aber mit starken Kopfschmerzen zurückließ." (S. 107) Dazu macht er eine Anmerkung: "H. Weißer hält es für möglich, daß die "Fragepein" ursprünglich nicht ein integrierender Bestandteil des Mittagsweibes war; als Wandermotiv könnte sie sich erst später mit der Vorstellung von der unheimlichen Frau verbunden haben; a.a.O. ("Die unterbäuerliche Schicht in der deutschen Volkssage", Diss. Göttingen 1954) S. 74 Anm. 2." Und jetzt stoße ich gerade bei Caillois auf eine Stelle, die ich so präzise gar nicht mehr in Erinnerung hatte. Er beschreibt eine Vasenmalerei, die eine auf einen jungen Mann stürzende Sphinx zeigt, und fährt fort (in der Buchausgabe S. 79 f.): "Mais même dans le cas d'une allusion à la légende thébaine de la Sphinge dévorant ceux qui ne devinent pas ses énigmes, les faits du domaine slave, particulièrement le folklore des Serbes de Lusace, sont assez nets et précis pour qu'on puisse faire (S. 80) du thème de l'interrogatoire, du "Fragequal", comme dit Laistner, un caractère spécifique des démons de midi, ce qui n'est pas invraisemblable par ailleurs à l'endroit des Sphinges." Nach "Lusace" verweist er auf einen eigenen Aufsatz vom Vorjahr, "Les spectres de midi dans la démonologie slave", Revue des Études slaves 16 (1936), S. 33-37 - d. h., er bezieht sich möglicherweise genau auf die Quelle, die Sie zitieren. Im übrigen betont er bereits in der Einführung zu seiner Arbeit, dass er die Sphingen von der Untersuchung leider ausnehmen muss, da es keine Zeugnisse gibt, die sie ausdrücklich mit dem Mittag in Verbindung bringen. (Was die Sphinx auch als Mittagsdämon erscheinen lässt, ist, dass in der Ödipussage dieser ihr vor den Toren Thebens begegnet, ein typischer Ort auch für spätere Begegnungen mit dem Mittagsdämon: wo sich die Wege kreuzen und wo auch die Toten bestattet sind und mittags lärmend erscheinen.)
2. Zu Ihrer Frage, ob Caesarius "den auch gemeint hat": Der Name daemonium meridianum belegt ja eindeutig seine Bezugnahme auf die biblische Quelle. Andererseits ist in dieser das Geschlecht nicht spezifiziert, und ich denke, man muss vielleicht drei Prototypen des Mittagsdämons im christlichen Bereich unterscheiden. Der erste wäre der "Diana/Artemis"-Typ, von dem ich geschrieben habe und der noch in die mittelalterlichen Melusinengeschichten hineinspielt. Der zweite Typ geht von der Gestalt Pans aus, der in der christlichen Dämonologie ja schnurstracks zum Teufel wurde, wobei er einzelne Charakteristika, seine Theatralität, seine Raschheit und Plötzlichkeit aber auch an den Harlekin vererbt hat. Zu dessen jahrhundertelanger Geschichte in der französischen und englischen Folklore, bevor er im 16.Jahrhundert eine Figur der Commedia dell' arte wurde, gibt es ein schönes Buch von Otto Driesen: "Der Ursprung des Harlekin. Ein kulturgeschichtliches Problem", Berlin 1904, das die Einarbeitung irgendwo "hier" auch lohnen würde. Der Dämon, den Caesarius in Ihrem Text auftreten lässt, ist meines Erachtens ein recht ursprünglicher Pan. - Der dritte Typ ist auch inhaltlich durch die Bibel vorgegeben, es handelt sich um die Erscheinung dreier Männer vor Abraham in 1 Mos. 18, 1 f.: "Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang. Er blickte auf und sah vor sich drei Männer stehen." Sie bewirken, dass seine Frau Sara ihm noch im hohen Alter einen Sohn gebären kann. Ovid erzählt in den "Fasti", 5. Buch, V. 493 ff. über die Ereignisse, die zur Geburt Orions führen, eine ganz ähnliche Geschichte: Der alte Hyrieus erhält - nun allerdings abends, als er seinen Pflug nach Hause zieht - Besuch von Jupiter, Neptun und Merkur. Nach dem Mahl wollen sie ihm einen Wunsch erfüllen, er bittet um einen Sohn; sie onanieren (oder urinieren, nach der Volksetymologie des Namens) in das Fell des geschlachteten Stiers, vergraben es, und nach zehn Monaten wird daraus Orion geboren. Die dritte Geschichte wird ausgerechnet über Euagrios Pontikos selbst erzählt, von seinem Schüler Palladios (wiedergegeben bei Augst): Eines Mittags seien "drei Dämonen in klerikaler Kleidung" bei ihm erschienen, die ihn mit Fragen zur Trinität bedrängten: zur Gezeugtheit Gottes, zu seinem von Maria geborenen Leib und zu seiner Menschlichkeit. Man erkennt hier ein wiederkehrendes Muster.
Das ganze Thema Mittagsdämon hat viele lose Enden, die sich sehr schwer in lexikalisierbares Wissen werden überführen lassen. Fragen Sie mich nicht, wie ich zu dem allem gekommen bin - es ist Jahre her. Ich wurde stutzig, als ich in Pascals "Gespräch mit Herrn de Saci" las, wie jener sich nach seinen Ausführungen über die Trägheit, die bei ihm "paresse" heißt, von diesem sagen lässt, dass das alles sich auch schon bei Augustinus finde. Das schien mir falsch und ist es auch, Pascals "Trägheits"-Begriff geht auf Euagrios zurück ... usw. Hier täte sich ein neues Feld auf. Ich muss aber mal zum Ende kommen.
"Masse und Macht" kenne ich nicht, muss ich mir in diesem Zusammenhang mal anschauen. Grüße -- Ankallim 22:31, 8. Jan. 2007 (CET)
Nachtrag: Das Buch von Driesen ist im Artikel Harlekin tatsächlich schon präsent, siehe dort auch den Link "Weiterführende Informationen". Euagrios' Begegnung mit seinen Mittagsdämonen wird in Palladios' bekannterer "Historia lausiaca" nur kurz angerissen, s. http://www.unifr.ch/patr/bkv/kapitel.php?ordnung=43&werknr=8&buchnr=18&abschnittnr=42 Die ausführlichere Fassung, auf die ich mich beziehe, entstammt einer eigenen Euagrios-Biographie, Augst gibt sie S. 201 ff wieder.
Lieber Ankallim, ich bin überwältigt. Ich nehme an, dass Sie auch den neuen Aarne-Thompson-Index schon durchkämmt haben?! - Da wo alle Erzählforscher ja irgendwann mal landen ... - Gruß --Reiner Stoppok 01:25, 10. Jan. 2007 (CET) PS: Und von mir aus auch den Index Examplorum von Tubach ...
Um diese Frage hier noch schnell zu beantworten: Den Aarne-Thompson hatte ich noch nicht in den Händen, so wenig wie den Tubach. Ich hangle mich von Fußnote zu Fußnote durch die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart ... Und danke für das Kompliment! -- Ankallim 19:06, 12. Jan. 2007 (CET)